Gleichberechtigung in Island

Feministisches Paradies mit kleinen Makeln

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Wer "Schlampe" ist, bestimmen nicht die Männer: Frauen-Aktivistin und Organisatorin des isländischen "Schlampen-Marsches" Helga Lind Mar © Michael Frantzen
Michael Frantzen |
Fast 80 Prozent Frauenerwerbstätigkeit und "nur" fünf Prozent Lohnunterschiede zwischen Männer und Frauen: Gemessen an Deutschland ist Island geradezu ein Musterland der Gleichberechtigung. Doch auch hier gibt es für Feministinnen noch einiges zu tun.
Sie ist spät dran. Sandra Snaebjornsdottir lächelt gequält. Es ist kurz vor halb neun in Reykjavik, Islands Hauptstadt. Spätestens in einer halben Stunde muss die junge Geologin in Hellisheidi sein – Islands größtem geothermischen Kraftwerk. Sandra schnappt sich in der Zentrale von Reykjavik Energy, dem kommunalen Energie-Unternehmen, den Schlüssel ihres Dienstwagens – ehe sie in die Tiefgarage hastet.

Immer mehr Väter nehmen Vaterschafts-Urlaub

Zwei-, dreimal im Monat fährt Sandra raus nach Hellisheidi – zur Kontrolle. Sie mag das. Die Fahrt durch die bizarre Kraterlandschaft: zwanzig, dreißig Minuten ganz für sich alleine. Sonderlich viel Freizeit hat die Wissenschaftlerin nicht. Ihr Job, die Familie, die Kinder: Da bleibt nicht viel übrig. Aber schon okay, meint sie. Sie und Thentor, ihr Mann, seien ein gutes Team. Heute Morgen hat er die Kinder in den Kindergarten gebracht. Sie wechseln sich ab, das war schon in der Elternzeit so. Isländische Väter haben genau wie isländische Mütter Anspruch auf drei Monate Elternschafts-Urlaub – mit der Option, auf sechs Monate zu verlängern.
"Es hat dafür gesorgt, dass wir auch zu Hause gleichberechtigt sind. Ich bin zuerst in Mutterschafts-Urlaub gegangen. Da war ich die Baby-Expertin – und Akla und Schirmer, unsere zwei, total auf mich fixiert. Das änderte sich schlagartig, als mein Mann jeweils für fünf Monate zu Hause blieb und ich wieder arbeiten ging. Plötzlich war er die Bezugsperson. Heute kümmern wir uns 50-50 um die Kinder. Ich denke, es ist selbstverständlicher geworden, dass Männer Vaterschafts-Urlaub nehmen. Es werden immer mehr."
Isländische Fußball-Fans bei einem Spiel der Frauennationalmannschaft.
Isländische Fußball-Fans bei einem Spiel der Frauennationalmannschaft.© Jessica Sturmberg
80 Prozent der Väter in Island nutzen laut der Statistik des Sozialministeriums die Elternzeit für mindestens drei Monate.
Da ist es also, das geothermische Kraftwerk mit der drittgrößten Leistung weltweit. Überall zischt und brodelt es, bahnen sich Stromleitungen den Weg durch die Marslandschaft Richtung Reykjavik.

"Es gibt noch Typen, die sexistische Sprüche klopfen"

"These are two of our turbines producing 45 megawatt energy."
45 Megawatt Energie produziert jede der zwei Riesen-Turbinen. Sandra geht in den Aufenthaltsraum des Kraftwerks, um mit zwei Mitarbeitern zu sprechen. Zehn Minuten später ist sie wieder zurück. Alles im grünen Bereich. Um zehn hat Sandra in der Firmenzentrale den nächsten Termin. Mit Vertretern der Kommune, höchstwahrscheinlich wieder nur Männern. Sie kennt das schon. Aus ihrem Geologie-Studium.
"Ja, ja. Total. Klar gibt es noch Typen, die sexistische Sprüche klopfen. Es sind aber weniger geworden. Wenn ich so etwas mitbekomme, versuche ich cool zu bleiben. Ich sage dann: "Hör mal, das war jetzt echt deplatziert." Es kommt auf die Situation an. Schlimm ist es, wenn es dich völlig unvorbereitet trifft. Letztens erst: Da war ich wie geplättet und habe nur herumgestottert. Später habe ich mich tierisch über mich geärgert, dass ich nichts gesagt habe. Ah!"

Verdienstlücke zwischen den Geschlechtern

Ein Großraumbüro statt einzelner Zimmer: Sandras Chef sitzt nur ein paar Schreibtische entfernt von ihr. Flache Hierarchien, möglichst viel Transparenz – und: gleiche Rechte für Frauen und Männer. Nicht nur bei Reykjavik Energy wird das großgeschrieben. Anfang des Jahres trat das Gesetz zur "Lohngleichheit von Frauen und Männern" in Kraft – das weltweit erste dieser Art. Es verpflichtet Unternehmen mit mehr als 25 Mitarbeitern nachzuweisen, dass sie Frauen genauso viel zahlen wie Männern. Island mag zwar seit neun Jahren die Rangliste zur Geschlechtergleichstellung des Weltwirtschaftsforums anführen: Doch selbst im Land der Vulkane und Geysire klafft eine Verdienstlücke zwischen den Geschlechtern. Aktuell verdienen Frauen durchschnittlich fünf Prozent weniger als Männer.
"Da herrscht Handlungsbedarf, keine Frage. Es kann doch nicht sein, dass wir weniger verdienen als Männer. Das ist ungerecht. Deshalb: Ja, das Gesetz zur Lohngleichheit ist wichtig. In unserer Firma sind wir da schon ziemlich weit. Wir haben eine Software, die errechnet, ob es ein Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern gibt. Frauen und Männer sollen bei uns nicht nur gleich viel verdienen, sondern auch im Management zu gleichen Teilen vertreten sein. Aber hauptsächlich geht es ums Gehalt. Jeden Monat kommt eine neue Statistik heraus. Und stell dir vor: Seit Anfang des Jahres verdienen wir Frauen durchschnittlich 0,1 Prozent mehr als Männer."
Rosa Erlingsdottir und Magnea Marinósdottir vom isländischen Ministerium für Soziales und Gleichstellung.
Rosa Erlingsdottir und Magnea Marinósdottir vom isländischen Ministerium für Soziales und Gleichstellung. © Michael Frantzen
Es dauert noch. Mal wieder. Magnea Marinósdottir, Gleichstellungs-Beraterin im Sozialministerium am anderen Ende der Hauptstadt, kennt das schon. Dass ihre Chefin, Abteilungsleiterin Rosa Erlingsdottir, viel um die Ohren hat – und sich verspätet. Seit einem Jahr hat das Ministerium offiziell einen neuen Namen. Zum "Sozialen" ist die "Gleichstellung" gekommen.

Quoten-Paradies Island

"Women have been fighting a lot."
Die Namensänderung – für Rosa und Magnea ein Erfolg. Genau wie das von ihnen erarbeitete Gesetz zur Lohngleichheit.
"Es gab im Parlament dafür eine breite Mehrheit. Wir mussten allerdings auch Kompromisse schließen. Das Gesetz ist flexibler, als wir uns das gewünscht hätten. Für Klein-Unternehmen gibt es Ausnahmen. Kritiker monieren ja, es sei ein Zwangs-Korsett. Doch das ist dummes Zeug", konstatiert Magnea.
Zusammen mit Rosa hat sie sich in den kleinen Besprechungsraum im Erdgeschoss gesetzt. Hier treffen sie sich ab und zu zum Brainstormen. Am Nachmittag kann es manchmal laut werden. Wenn die Flugzeuge landen. Reykjaviks innerstädtischer Flughafen ist keine dreihundert Meter entfernt. Magnea zuckt mit den Schultern. Alles halb so wild. Sie ist da ganz anderes gewöhnt. Bis vor einem Jahr kümmerte sie sich in Ost-Jerusalem und den Palästinensergebieten um Frauen, die Opfer von Gewalt und Krieg wurden. Verglichen damit ist Island das reinste Paradies. Ein Quoten-Paradies.
"Ich weiß: In vielen Ländern gibt es Vorbehalte gegen die Quote und andere Gesetzesmaßnahmen speziell für Frauen. Machen wir uns nichts vor: Unausgesprochen gab es immer schon eine Quote – für Männer. Männer wurden traditionell Frauen vorgezogen. Nicht weil sie besser waren, sondern wegen ihres Geschlechts. Es ist wie bei einem Schwimm-Wettbewerb: Wenn du zwei gleich gute Schwimmer hast und der eine darf früher ins Becken springen, hat der andere keine Chance ihn einzuholen. Da kann er noch so gut sein. Also muss der Schiedsrichter eingreifen und sagen: So, du da vorne, du schwimmst jetzt zurück. Nichts anderes machen wir mit unseren Gesetzen. Wir korrigieren Ungerechtigkeiten."

Mehr Gleichberechtigung als in Deutschland

"So we are making progress", ergänzt Rosa, Magneas Chefin. Fortschritte machen die isländischen Frauen tatsächlich. Schon seit längerem. 1915 erhielten sie das Wahlrecht. In den 1980er-Jahren zog eine Frauen-Liste ins Parlament, mit Vigdis Finnbogadottir erstmals eine Frau in den Präsidentenpalast. Feminismus: In Island ist das kein Schimpfwort. Nicht umsonst nennt sich Rosa "Staats-Feministin". Staunen ihre Freunde in Deutschland immer.
"In Island ist die Akzeptanz in Sachen Gleichberechtigung größer als in Deutschland. Das ist zumindest mein Eindruck. Ich erinnere mich noch, als ich in Berlin studierte, in den 90-ern, bekam ich ein Baby. Jeder dachte: So, jetzt bleibt sie mindestens für drei Jahre zu Hause, um sich um das Kind zu kümmern. Ich war richtig schockiert. Ich wollte nicht zu Hause hocken, sondern weiter studieren, und dass sich der Vater auch um das Kind kümmert. Und meine deutschen Freunde so: Echt?! Sie fanden das komisch."
Die starken isländischen Frauen: Magnea hat da so ihre Theorie.
"Es könnte auch etwas mit unserer heidnischen Religion zu tun haben. Im Heidentum gab es bei uns nicht nur Götter, sondern auch Göttinnen. Frauen konnten Land besitzen. Sie waren so abgesichert, wenn ihr Mann starb. Sie durften beim Tod des Mannes oder einer Trennung auch die Kinder behalten. Ich denke, das hat uns kulturell geprägt. Diese Vielfalt. Es gab nicht EINEN männlichen Gott."
Fortschritt heißt "Akureyri" - Die nordisländische Stadt ist Sitz des "Zentrums für Gleichstellung".
Fortschritt heißt "Akureyri" - Die nordisländische Stadt ist Sitz des "Zentrums für Gleichstellung". © Michael Frantzen
Ein neuer Tag, eine andere Ecke von Island. Und damit zu einer weiteren Feministin.
Natürlich ist sie Feministin, blöde Frage. Da muss Katrin Rikardsdottir im staatlichen "Zentrum für Gleichstellung" in Akureyri, der Universitätsstadt im Norden, herzhaft lachen. Die Pädagogin ist in letzter Zeit eine gefragte Frau. Ständig ruft jemand an, sie erhält E-Mails von Unternehmen, die Details über das neue Gesetz zur Lohngleichheit wissen wollen. Sie zeigt auf ihren Bildschirm: Ist eigentlich ganz einfach, das Prozedere.
"Wenn du als Arbeitgeber alle Standards erfüllst, also dein Gehaltssystem umgestellt und einen akzeptablen Gleichstellungsplan erarbeitet hast, dann musst du als nächstes einen Prüfer kontaktieren. Er kommt in dein Unternehmen und schaut, ob du den Anforderungen entsprichst."
Wer alle Auflagen erfüllt, bekommt von Katrins Gleichstellungs-Zentrum ein Zertifikat. Oldschool als Urkunde und digital. Katrin scrollt auf der Website nach unten. Da, die Liste. Etwas mehr als dreißig Groß-Firmen haben das Zertifikat schon erhalten – darunter Reykjavik Energy, das Energie-Unternehmen, und Ikea, der schwedische Möbelriese. Wer bis Ende des Jahres nicht zertifiziert ist, muss Strafe zahlen: pro Tag 50.000 isländische Kronen, rund 400 Euro.
Den, der da spricht, kennt in Island jedes Kind: Jon Gnarr ist Komiker, Schriftsteller und Politiker. Ex-Politiker. Ein paar Jahre lang war er Bürgermeister Reykjaviks – eher aus Versehen. Nach diversen politischen Skandalen der etablierten Parteien holte seine Spaß-Formation bei der Kommunalwahl die meisten Stimmen. Er ist immer noch beliebt, sprich: genau der richtige Mann für die neueste Kampagne des Zentrums. Fand Katrin. Im Clip mimt das Enfant terrible der isländischen Politik einen Aufsichtsratsvorsitzenden, der bedeutungsschwanger vor sich hin schwafelt – in einem leeren Sitzungssaal.
"Es trifft es wirklich auf den Punkt. Viel zu lange saßen in unseren Aufsichtsräten lauter mittelalte Männer. Sie waren sich einig. Klar. Wenn du unter Deinesgleichen bist, bekommst du alles, was du willst. Weil es keine Vielfalt gibt."
Die Zeiten sind vorbei: Auch für Vorstände von Islands Privat-Unternehmen mit mehr als fünfzig Angestellten gilt die Quote. 40 Prozent Frauen: Das ist seit 2013 das Minimum.
Zurück in die Hauptstadt – und damit ins isländische Parlament. Eigentlich hat es Andres Jónsson eilig. Doch so einfach lässt sich der Besuch nicht abwimmeln. Also schnell ein paar Selfies mit den Schulkindern.

Sexuelle Belästigung im Parlament

Andres' Laune ist so lala. Gestern waren Kommunalwahlen. Seine Links-Grünen sind in Reykjavik, eine ihrer Hochburgen, auf unter fünf Prozent abgerutscht. Er hatte schon so etwas geahnt. Unter Anhängern der Umweltpartei ist die aktuelle Regierungskoalition der grünen Premierministerin Katrin Jakobsdottir mit zwei rechten Parteien umstritten.
Erst mal einen Kaffee: Langsam wird Andres munter. Seit knapp zwei Jahren ist der Blondschopf Abgeordneter, als einer von elf Grünen. Sechs Frauen, fünf Männer. Schon lange hat die zweitstärkste Parlamentsfraktion eine Frauen-Quote. Ist auch gut so, findet der Jung-Parlamentarier. Genau wie die #MeToo-Debatte. Im Februar hat Andres einen Workshop zur sexuellen Belästigung im Parlament organisiert.
"Wir Parlamentarier wollen uns immer ums große Ganze kümmern. Gesetze verabschieden. Mit uns selbst beschäftigen wir uns eher selten. Deshalb war der Workshop so toll. Es ging darum zu schauen: Wie können wir dafür sorgen, dass das Parlament ein guter Arbeitsplatz ist? Für Männer UND Frauen. Wir werden jetzt unseren Ethikkatalog ändern – und einen Passus zu sexueller Belästigung und Gewalt einfügen."

"Gleiches Geld für alle - unabhängig vom Geschlecht"

An den Wänden im Fraktionsraum der Grünen hängen nur Gemälde von Frauen. Moderne Kunst. Ziemlich abstrakt. Ein, zwei Malerinnen kennt Andres persönlich. Er lacht. Lässt sich kaum vermeiden – in einem Land mit gerade einmal 340.000 Einwohnern. Der Sponsor des Gesetzes zur Lohngleichheit, der liberale Ex-Sozialminister, ist auch ein Bekannter von ihm. Andres hat letztes Jahr für sein Gesetz gestimmt – wenn auch mit Bauchschmerzen.
"Wir haben die anderen daran erinnert: Durch dieses Gesetz lösen wir nur einen kleinen Teil des Problems. Die Arbeitswelt ist immer noch stark nach Geschlechtern getrennt. In der Regel arbeiten Frauen häufiger in schlecht bezahlten Berufen. Deshalb konnte ich den Hype im In- und Ausland um das Gesetz auch nicht ganz nachvollziehen.
Im Ausland heißt es: Wow, sind die Isländer progressiv! Dabei hätten wir uns viel ehrgeizigere Ziele setzen können. So bahnbrechend ist das alles nicht. Mit der Gesetzesänderung setzen wir lediglich ein 40 Jahre altes Gesetz um, das besagt: Gleiches Geld für alle – unabhängig vom Geschlecht."
Andres springt auf. Er muss los, zur Fraktionssitzung. Eigentlich hatte er Haltur und Rakka, seinen zwei kleinen Kindern, versprochen, abends mit ihnen schwimmen zu gehen. Vor kurzem hat Reykjaviks berühmtes Jugendstil-Bad wieder aufgemacht. Der Grüne verzieht das Gesicht. Höchstwahrscheinlich wird daraus nichts.
"Wir haben heute kurzfristig um drei Uhr Plenarsitzung. Vor acht komme ich bestimmt nicht raus. Dienstags enden Sitzungen manchmal sogar erst um Mitternacht. Wie sollst du da dein Privatleben mit deinem Job unter einen Hut bekommen? Es ist wirklich sehr altmodisch. Wir sind doch nicht mehr in den 60-ern, als im Parlament nur reifere, ältere Herren saßen, deren Ehefrauen zu Hause auf die Kinder aufpassten. Wir Jüngeren wollen nicht nur arbeiten. Wir wollen auch etwas von unserer Familie haben. Ich denke, da wird sich im Parlament in den nächsten Jahren etwas ändern müssen."

Aktivistinnen beim "Schlampen-Marsch"

Auch sie kennen sich: Andres und die Frauen-Aktivistin Helga Lind Mar. Helga kommt gerade von einem Hintergrundgespräch mit zwei deutschen Bundestags-Abgeordneten – einer Linken und einer Grünen: Das Gesetz zur Lohngleichheit. Natürlich, was sonst. Eigentlich wollte sie den beiden noch ihre Lieblings-Statue vorm Parlament zeigen, doch daraus ist nichts geworden. Helga geht zur Statue aus schwarzem Granitstein. Sie ist Ingibjörg Bjarnsson gewidmet – Islands erster Parlamentarierin aus den 1920er-Jahren.
"Die Statue ist enorm wichtig. Ingibjörg war schließlich die erste Parlamentarierin. In Island hat sich viel getan. Als ich aufwuchs, hatten wir eine Präsidentin. Ich weiß noch, mein kleiner Bruder meinte einmal: Sag mal, Helga, können Männer eigentlich auch gewählt werden? Er kannte ja nur die Präsidentin. Andererseits: Seit der letzten Parlamentswahl ist der Frauenanteil im Parlament wieder gesunken – auf 38 Prozent. Wir dürfen nicht nachlassen."
Dass Helga heute zum Parlaments-Vorplatz gekommen ist, hat einen besonderen Grund. Hier treffen sie sich immer zur Abschluss-Kundgebung: Helga und ihre Freundinnen vom "Schlampen-Marsch". Am Wochenende ist es wieder soweit. Mit ihrem Marsch protestieren die Aktivistinnen gegen Sexismus und dagegen, dass es in Island immer noch Männer gibt, die meinen, Frauen sollten nicht wie Schlampen herumlaufen, dann würden sie auch nicht belästigt. Helga krempelt ihre Ärmel hoch. Sie hat sich das Logo des "Drusla Ganga", des Schlampen-Marsches, auf den Arm tätowieren lassen. Ob sie eine Schlampe ist, das entscheidet sie schon selbst – und nicht irgendwelche Typen. Sie läuft los, vorbei an einer Traube japanischer Touristen, zu den Plakaten am anderen Ende des Platzes. Sind ganz gut geworden, die Fotos. Und nicht ohne.
Die Fotos haben zwei verschiedene Bedeutungsebenen. Du siehst junge Frauen, die in ein männerdominiertes Umfeld eindringen. Die Fotos sind heimlich im Parlament aufgenommen worden, in der Universität, im Zentral-Krankenhaus. Die Frauen posieren vor den Portraits "wichtiger" Männer. Sie machen ihnen den Platz streitig. Das ist die eine Ebene. Die andere hat etwas mit dem "Free the nipple movement" zu tun – der "Freiheit-für-die-Brustwarzen-Bewegung." Die Frauen sind ja halbnackt. Nach dem Motto: Ja, wir sind da. Und oben ohne. Wir dürfen das.

"Wir müssen weiterkämpfen"

Helga hat sich auf die Terrasse des Café Paris gesetzt. In die Sonne. So richtig kann es die Jura-Studentin immer noch nicht fassen, dass es tatsächlich aufgehört hat zu regnen. Sie nippt an ihrem Bier. Ihr geht das Gespräch mit den deutschen Parlamentarierinnen nicht aus dem Kopf. Wie die zwei in höchsten Tönen von Island schwärmten - als feministischem Musterland. Und sie irgendwann nur meinte: Jetzt übertreibt mal nicht.
"Wir müssen weiterkämpfen. Viele isländische Männer meinen ja: Ihr Frauen habt doch schon alles erreicht, was wollt ihr noch? Aber was haben wir denn erreicht? Island hat eine Premierministerin. Die zweite in der Geschichte des Landes. Wie viele Premierminister hatten wir?! Unzählige. Nur weil wir einen Fuß in der Tür haben, heißt das noch lange nicht, dass alle Frauen gleichberechtigt sind. Klar ist das Gesetz zur gleichen Bezahlung gut. Nur: Das allein reicht nicht. Deshalb müssen wir weiterkämpfen."
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