Warum Ärztinnen seltener Karriere machen
Fast die Hälfte aller Ärzte sind Frauen. Aber unter den Führungskräften an Universitätskliniken machen sie nur zehn Prozent aus. Woran scheitert der berufliche Aufstieg von Medizinerinnen? Und was muss passieren, damit mehr Ärztinnen Karriere machen?
Uniklinikum Leipzig, Sonntagnachmittag. Die Assistenzärztin Rima Nuwayhid hat Bereitschaftsdienst. In der Notaufnahme ist es relativ ruhig. Sie müsste in diesem Moment nicht in der Klinik sein, aber es wartet noch Forschungsarbeit auf sie. 50 bis 70 Stunden ist sie pro Woche hier – mehr als nur ein Vollzeitjob.
Schon als Kind wollte sie Ärztin werden. Noch vor dem Studium war klar: In der Chirurgie will sie Karriere machen. Auf eine Familie wollte sie deswegen nicht verzichten. Für Rima Nuwayhid ist ganz klar, sie möchte Ober- oder auch Chefärztin werden. Aber das ist gar nicht so einfach:
"Ich habe von der Bewerbung über meinen Berufsalltag nie das Gefühl gehabt, das mir Hindernisse in den Weg gestellt wurden, weil ich eine Frau bin. Das nicht. Aber es ist durchaus auffällig, dass von den Kolleginnen mit Kind ich die einzige bin, die in Vollzeit arbeitet. Hingegen arbeitet kein männlicher Kollege mit Kind in Teilzeit."
In ihrem Bereich gebe es etwa ein Drittel Ärztinnen. Das sei für die Chirurgie ein guter Wert, meint Rima Nuwayhid. An der gesamten Universitätsklinik Leipzig arbeiten zwar insgesamt mehr Ärztinnen als Ärzte. Aber nur etwa 34 Prozent von ihnen sind Oberärztinnen, und von 40 Direktoren sind nur sechs Frauen.
Beim ersten Kind ist oft Schluss mit dem Aufstieg
Der Weg nach oben – für Frauen ende er oft an einem Punkt: dem ersten Kind. Rima Nuwayhid hat von Anfang an gewusst: Bei ihr soll es anders laufen. Die Geburt des ersten Kindes war genau geplant. In den sechs Monaten Elternzeit beendete sie ihre Dissertation. Danach ging sie wieder an die Klinik. Ihr Partner habe für die Familie seine Karriere hinten angestellt.
"Und wir leben jetzt ein Modell, in dem ich Vollzeit arbeite, er Teilzeit arbeitet und mich dadurch wirklich massiv entlastet. Also räumt er mir da ganz viel Zeit ein, die ich dann eben nutzen kann, um in der Klinik Präsenz zu zeigen."
Präsenz zeigen. Rund um die Uhr bereitstehen. Auch fernab der Dienstzeiten weiter arbeiten – etwa zu Konferenzen fahren und selbst forschen. Die Assistenzärztin glaubt, ja, Ärztinnen und Ärzte sind durchaus gleichberechtigt. Aber die Voraussetzung ist: Frauen müssten eben genauso viel arbeiten wie Männer, allerdings unter erschwerten Bedingungen
"Mit Rahmenbedingungen meine ich einerseits die gesellschaftlichen als auch Rahmenbedingungen im Sinne von Arbeitsbedingungen. Muss ich immer wirklich alles in der Klinik machen? Muss ich wirklich kurz nach sechs Uhr da sein, um eine gute Visite vorzubereiten? Oder ist nicht vielleicht der Klinikalltag von vornherein nicht gut strukturiert, wenn ich noch vor Beginn meiner eigentlichen Arbeitszeit am Arbeitsplatz sein muss."
Notwendig: familienfreundlichere Arbeitsverhältnisse
Der Deutsche Ärztinnenbund fordert schon seit Jahrzehnten familienfreundlichere Verhältnisse. Die Vorsitzende Christiane Groß glaubt aber: Auch in den Köpfen müsse sich weiter etwas verändern. Das Rollenbild, dass Frauen vor allem für Kinder und Familie verantwortlich sind, müsse weiter aufgebrochen werden. Und zwar in den Köpfen von Männern und Frauen. Aber es brauche noch mehr, nämlich Rollenvorbilder:
"Das heißt, wenn wir mehr Chefärztinnen hätten, dann wäre es auch selbstverständlicher für junge Ärztinnen zu denken, ich kann diese Position auch erreichen."
Doch davon sei die Realität im Moment noch weit entfernt:
"Wenn wir betrachten, dass wir heute schon in der berufstätigen Ärzteschaft fast 50 Prozent Frauen haben, dann sind zehn Prozent Frauen auf den Lehrstühlen, 30 Prozent Frauen in den Oberarztstellen und unter 20 Prozent Frauen in den Gremien etwas, was man nicht einfach so akzeptieren kann."
Eine Studie des Deutschen Ärztinnenbundes untersuchte in diesem Zusammenhang alle 34 deutschen staatlichen Universitätskliniken. Die Ergebnisse: Im Schnitt gibt es nur zehn Prozent Frauen in Führungspositionen.
"Wir müssen dringend die Arbeitsstrukturen in den Krankenhäusern grundsätzlich und generell verändern, damit diese jungen Frauen dort ankommen. In Deutschland haben wir eine hohe Anzahl einer stillen Reserve an Frauen, die Ärztinnen sind, aber nicht ärztlich tätig."
Frauen also, die nicht arbeiten, weil sie in Elternzeit sind oder sich ausschließlich um den Haushalt kümmern. Laut Bundesärztekammer waren das im Jahr 2016 mehr als 11.000 Frauen, aber weniger als 700 Männer, die aus den gleichen Gründen nicht ärztlich tätig waren.
"Die guten OPs werden in der Umkleidekabine vergeben"
Die Ärztin Dilan Sinem Sert wollte sich der Realität nicht einfach ergeben. Sie ist Ende zwanzig, arbeitete in einem Krankenhaus in Düsseldorf und zog Anfang des Jahres nach Leipzig, um einen mutigen und ungewöhnlichen Schritt zu wagen: Statt in einer Klinik zu arbeiten, wie es der Plan war, gründete sie ein Start-Up.
Die Idee ihrer Plattform SeDiDoc: Sind Krankenhäuser überlastet, können sie einzelne Aufträge ausschreiben und Ärztinnen und Ärzte einspringen. Das könnte vor allem Frauen helfen, Familie und Arztberuf besser zu vereinen und den Anschluss an die männlichen Kollegen nicht gänzlich zu verlieren.
Was nach ihren Erfahrungen ohnehin schon schwer genug ist. Denn in den Kliniken müssten sich Frauen meist stärker beweisen als die Männer:
"Ich weiß aus vielen Gesprächen mit anderen Kolleginnen, dass die guten OPs und die guten Fälle in den Umkleidekabinen vergeben werden – eben von den männlichen Oberärzten an die männlichen jungen Kollegen – insbesondere mit dem Hintergrund und mit dem vermeintlichen Wissen, dass ja die Ärztinnen nach einer bestimmten Zeit ja sowieso ausfallen werden wegen der Familienplanung."
Auch Männer könnten von mehr Flexibilität profitieren
Die Vorsitzende des Deutschen Ärztinnenbundes sieht die Kliniken hier in einer Mitverantwortung:
"Wir müssen in den Kliniken die Möglichkeit haben, für Ärztinnen auch zu ungewöhnlichen Zeiten Kinderbetreuung zu gewährleisten. Das heißt, für den Notfall muss es auch eine 24-Stunden-Betreuung geben, dass eine Frau, wenn ihr eigenes System zusammenbricht, auch ihr Kind abgeben kann, wenn sie Nachtdienst hat."
Ändern sich Strukturen, Arbeitszeiten, Erwartungen und Rollenbilder, könnten davon nicht nur Ärztinnen profitieren, sondern auch die Männer, meint Assistenzärztin Rima Nuwayhid.
"Ich würde mir wünschen, dass hier mehr Flexibilität möglich wäre – und zwar für alle. Das beziehe ich nicht nur auf Mütter, sondern auch auf Väter oder auf ärztliche Kollegen, die vielleicht mehr Zeit für die Pflege von Angehörigen brauchen oder für sich selbst."