Gleichberechtigung

(K)eine Schule für alle?

In einer Schul-Klasse sitzt ein Junge im Rollstuhl.
In dieser Klasse lernen behinderte und nicht behinderte Kinder zusammen. © dpa picture-alliance / Armin Weigel
Von Ita Niehaus |
Fünf Jahre nach Inkrafttreten der UN-Konvention für Behindertenrechte hinkt inklusives Lernen weiter hinter den Vorgaben zurück. In Niedersachen haben Eltern erst seit knapp einem Jahr das Recht, behinderte Kinder auf eine Regelschule zu schicken. Und dass Deutschland im europäischen Vergleich so schlecht abschneidet, hat durchaus Gründe.
"Arian, ist das richtig, dass eiskalt jetzt klein geschrieben ist?"
"Ja."
"Ja, genau. Warum ist das denn richtig, was ist das für eine Wortart eiskalt?"
"Adjektiv."
"Prima, genau."
Deutschunterricht in der Klasse 4 c in der Grundschule In der Steinbreite in Hannover. Der zehn Jahre alte Arian blickt konzentriert auf die Tafel, lässt sich durch nichts ablenken. Neben ihm: sein Schulbegleiter Benjamin.
"Arian guck mal, bilde zusammengesetzte Adjektive lauwarm - passt das?
"Jaah."
Ein Schulbegleiter ist immer an der Seite
Ein paar Tage nach der Geburt hatte Arian einen Schlaganfall. Seitdem leidet er an einer halbseitigen Lähmung und ist Rollstuhlfahrer. Von Anfang an besuchte er eine ganz normale Grundschule. In Hannover-Davenstedt.In dem Stadtteil, in dem er auch mit seinen Eltern lebt. Schulbegleiter Benjamin macht ein Freiwilliges Soziales Jahr und ist immer an Arians Seite. Wenn Arian spricht, streicht er ihm manchmal über den Rücken, um ihm zu helfen, sich dabei zu entspannen.
Benjamin: "Er kann viel alleine. Vieles, da braucht er auch ein bisschen Starthilfe, ein bisschen Orientierung, dass er sich wieder auf eine Aufgabe konzentrieren kann."
Arian: "Wir sind ein super Team."
Benjamin: "Das stimmt."
Arian: "Wir haben 'ne tolle Klasse, es macht viel Spaß."
Benjamin: "Vor allem im Sachunterricht."
Arian: "Ja!"
Mehr als die Hälfte der Schüler haben Migrationshintergrund
Insgesamt rund 320 Mädchen und Jungen werden hier unterrichtet. Die Ganztagsschule ist ein freundlicher, moderner Neubau mit großen Fensterfronten. Und sie ist barrierefrei. Deswegen ist sie seit kurzem auch Schwerpunktschule für körperlich behinderte Kinder. Vor vier Jahren machten sich Lehrer, Schüler und Eltern gemeinsam auf den Weg zur Inklusiven Schule. Arian war der erste Schüler mit Handicap. Klassenlehrerin Heike Rotter ist erleichtert, dass Benjamin ihn im Schulalltag unterstützt.
"Alleine,das wäre nicht zu schaffen, auf gar keinen Fall. Das ist ganz wichtig...Prima..Arian kriegst du deinen Laptop bitte raus und schreibst du am Laptop."
Ausgebildet war die erfahrene 58 Jahre alte Pädagogin nicht für die neue anspruchsvolle Aufgabe.
"Gar nicht. Es hieß, Arian kommt in die Klasse und dann war Arian da. Ich habe mir gesagt, wir gucken, wir machen das Beste draus."
Mehr als die Hälfte der 22 Schülerinnen und Schüler in der Klasse 4 C hat einen Migrationshintergrund. Die Kinder sind genauso heterogen, also vielfältig, was ihre Begabungen, Schwächen oder ihren kulturellen und sozialen Hintergrund angeht, wie die Gesellschaft, in der sie leben.
"Wir haben beides. Viele Familien, die absolut ihre Kinder unterstützen und genauso viele, denen es schwer fällt. Die Bandbreite ist riesengroß und die wird immer größer."
Inklusives Lernen heißt für Heike Rotter vor allem, jedem Kind gerecht zu werden.
"Am Anfang war es ungewohnt, ein Kind bei uns zu haben, das sehr lange braucht, um zu sprechen. Arian hat aber eine enorme Entwicklung gemacht. Schön zu sehen war, wie die Klasse schnell gelernt hat, Rücksicht zu nehmen. Dass sie ihm die Zeit lassen, die er braucht."
"Wir müssen heute noch jeden Tag kämpfen"
Kinder lernen eben nicht nur miteinander, sondern auch voneinander. Neben Arian sitzen Zuhud und Abdul.
"Das macht Spaß. Wenn man ihn fragt, er sagt auch immer seine Meinung. Nicht ja,ja, interessiert ihn nicht. Es interessiert ihn immer."
"Wenn wir zusammen arbeiten, dann ist alles gut."
"Er orientiert sich an den Kindern. Er kam nach Hause, hat von diesen Kindern erzählt. Das waren die schönsten Erlebnisse für ihn, dass er ein Teil der Gemeinschaft war und nicht ausgeschlossen wurde."
Saeid Valaey ist der Vater von Arian. Der Ingenieur mit iranischen Wurzeln ist Elternvertreter und engagiert sich auch im Stadtelternrat. Es war schwer vor vier Jahren, eine Schule für Arian zu finden, sagt er. Obwohl auch damals schon in Deutschland die UN-Konvention für Menschen mit Behinderungen galt. Seit einem Jahr sei es etwas leichter geworden. Denn seitdem können Eltern in Niedersachsen wählen, ob sie ihr Kind auf eine allgemeine Schule oder eine Förderschule schicken wollen.
"Aber wir müssen heute noch Tag für Tag kämpfen. Sie haben vielleicht diesen netten, jungen, freundlichen Mann kennengelernt, der überhaupt die Inklusion ermöglicht. Alleine damit er hier in dieser Schule ist, wie viele Formulare wir ausfüllen müssen und wie viele Telefonate wir führen müssen, das ist für unsere Begriffe ein bisschen zu viel..."
Rund eine halbe Million Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf gibt es in Deutschland, nur jeder vierte geht auf eine reguläre Schule. Das ist das Ergebnis einer Studie des Bildungsforschers Klaus Klemm im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. Und: Bei immer mehr Kindern und Jugendlichen wird Förderbedarf festgestellt. Vor allem in den Bereichen Lernen, Sprache oder emotionale und soziale Entwicklung. Deutschland hat zwar etwas aufgeholt in Sachen Inklusion, doch nach wie vor ist es, neben Belgien, Schlusslicht in Europa. Eine Ursache, so Klaus Klemm, ist das deutsche Bildungssystem.
"In Grundschulen, wo wir sowieso am weitesten sind, können wir das Ziel Inklusion wirklich erreichen. Im weiterführenden Schulwesen, wo wir die Kinder und Jugendlichen auf unterschiedlich anspruchsvolle Schulformen, von der Hauptschule bis zum Gymnasium verteilen, ist es widersprüchlich zu sagen, wir inkludieren alle, nachdem wir sie nach der vierten Klasse aufgeteilt haben. Wir machen in den weiter führenden Schulen bisher Inklusion in der Hauptschule, in der Gesamtschule, ganz selten in Realschulen, noch seltener in Gymnasien."
Hinzukommt: Bildung ist in Deutschland Ländersache. Das heißt, es gibt Bundesländer wie Bayern, die sich dem gemeinsamen Erziehungsgedanken widersetzen, Vorreiter der Inklusion wie Schleswig Holstein und Bremen mit über 50 Prozent im Schuljahr 2012/ 2013 im Ranking der Bertelsmann-Studie und Spätstarter wie Niedersachsen mit knapp 15 Prozent.
"Ein Spätstarter, der beim Ausbau der Förderschule auch ein Spätstarter war. Niedersachsen hat die Förderschulen nicht so ausgebaut wie andere Länder, hat deshalb niedrige Förderquoten und geht jetzt später als die anderen in die Inklusion."
Kultusministerin sieht die Bilanz positiv
Die Niedersächsische Kultusministerin Frauke Heiligenstadt zieht ein Jahr nach dem Start der inklusiven Schule in Niedersachsen eine positive Bilanz.
"Das wird nach und nach aufgebaut. Wir haben in Niedersachsen gerade erst mit dem ersten Schuljahrgang begonnen und sind jetzt immerhin schon bei 30 Prozent der Kinder mit Unterstützungsbedarf in der inklusiven Schule. Und nicht mehr bei den Zahlen, die die Bertelsmann-Stiftung genannt hat."
Wie alle anderen niedersächsischen Grundschulen, erhält auch die Grundschule In der Steinbreite in Hannover automatisch eine sogenannte sonderpädagogische Grundversorgung. In der Praxis heißt das in der Regel: zwei Stunden in der Woche pro Klasse. Und zwar unabhängig davon, ob nun Förderbedarf festgestellt wurde oder nicht.
"Es ist für mich immer eine Herausforderung, diese Stunden möglichst gewinnbringend zu nutzen, die Kinder wirklich voranzubringen, gut kennenzulernen, um zu wissen, wo setzen wir an. Das ist natürlich nur ein Schritt in die richtige Richtung, aber wir sind ja erst am Anfang einer Inklusion."
Die 37 Jahre alte Sonderpädagogin Ilka Klatt hat noch einen großen Vorteil gegenüber ihren Kollegen. Sie gehört nicht zu einem mobilen Dienst, sondern arbeitet nur an einer Grundschule. Meistens fördert sie ganz gezielt einzelne Schüler außerhalb des Klassenzimmers. Team Teaching, also zwei Lehrkräfte pro Klasse, die gemeinsam unterrichten, ist immer noch die große Ausnahme. Dabei haben auch Ilka Klatt und Heike Rotter gute Erfahrungen damit gemacht.
"Weil wir mit zwei Leuten einen Blick auf diese Klasse haben. Das heißt, wir haben die Möglichkeit, uns auszutauschen hinterher. Und die Möglichkeit, Kinder auch auf eine ganz andere Weise kennen zu lernen, als wenn man nur vorne steht. Wir können uns aufteilen. Es ist nicht so, dass ich immer versuche, mich neben das Förderkind zu setzen."
"Wie will man diesen Spagat leisten, dass man jedes Kind mit der eigenen Problematik wirklich individuell fördern kann? Das ist nicht möglich alleine, das könnte man eigentlich nur im Team erreichen. Trotzdem versuchen wir immer alle, das Beste zu machen."
Lehrer gehen an ihre Grenzen
Und - hinken dann doch immer wieder den eigenen Ansprüchen hinterher.
"Ich denke, wir arbeiten auch an unseren Grenzen."
Gerade in großen Klassen mit 26 und mehr Schülern sei es schwer, so Schulleiter Rolf Schulz, die Ideen vom inklusiven Lernen umzusetzen. Auch Susanne Schlotter fühlt sich manchmal überfordert, obwohl sie schon mehr als 25 Jahre Grundschullehrerin ist.
"26 Kinder. Ein Kind, das ganz hochgradig ADHS hat, ein weiteres Kind mit großen Sprachproblemen, ein anderes, wo gerade die Mutter gestorben war. Da wusste man gar nicht, wo man anfangen sollte und hat mittags das Gefühl, dass man eigentlich keinen guten Unterricht gemacht hat."
Die Fortbildung, die das Land Niedersachsen anbietet, half ihr da nicht wirklich weiter.
"Da wurde an der Oberfläche gedümpelt. Wir schnuppern rein, aber mehr ist es noch nicht geworden. Damit werden die Schulen alleingelassen. Irgendwie würde man mal jemand brauchen, der weiß, wie es geht, so dass wir uns dann auch entsprechend entwickeln können. Und das wird uns einfach alles allein überlassen."
Gute Bildung kostet Geld
Die große Mehrheit der Lehrer sperrt sich nicht gegen Inklusion, sagt auch Birgit Furtner, Vorsitzende des Kreisverbandes Hannover der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, kurz GEW. Es fehle vor allem an Fortbildungen und Personal.
"Wir sind gestartet und die gesetzlichen Regellungen sind erst im Nachhinein erschienen. D.h. wir wussten gar nicht genau, wer was zu tun hat und was gemacht wird. Und jetzt macht man per trial and error so ein bisschen, was wird denn vielleicht gebraucht. Ist mein Eindruck, leider. Wir stokeln im Dunkeln rum."
Gute Bildung kostet Geld. Auch Inklusion ist nicht umsonst zu haben. Viele Schulen müssen umgebaut werden, die Anzahl der Schulbegleiter steigt. Die Städte und Kommunen verhandeln zur Zeit mit dem Land darüber, wer was zahlt. Sie wollen nicht alleine auf den Kosten sitzen bleiben. Der Niedersächsische Städtetag plant sogar eine Klage vor dem Bückeburger Staatsgerichtshof. Und der Kinderschutzbund warnt davor, Inklusion wie ein Sparprogramm zu handhaben. Eine Auffassung, gegen die sich Kultusministerin Frauke Heiligenstadt wehrt.
"Inklusion ist in Niedersachsen nicht ein Sparmodell. Wir investieren in den nächsten Jahren 550 Millionen Euro, wir stellen 1650 zusätzliche Lehrkräfte ein, wir haben umfangreiche Fortbildungsmaßnahmen gestartet - Ich denke, das macht deutlich, wie wichtig uns das Thema ist."
Eltern sind verunsichert
Doch damit geben sich zahlreiche Lehrerinnen und Lehrer nicht zufrieden. Gerade in den niedersächsischen Grundschulen rumort es. In Briefen an die Kultusministerin weisen die Pädagogen darauf hin, dass die Belastungen immer größer geworden seien. Durch aufwendige Dokumentationen der Lernentwicklung etwa, Zunahme der erzieherischen Aufgaben und: nun auch noch die Inklusion.
"Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Dass ganz viele Kollegen sagen, auch komplette Kollegien, Schulen, das schaffen wir nicht. Ihr müsst uns mehr geben, Entlastungsstunden geben."
Auch Eltern sind verunsichert. Die einen fürchten um die Lernfortschritte ihrer Söhne und Töchter, die anderen haben Angst, dass ihr Kind mit handicap in der allgemeinen Schule durchs Netz fällt und entscheiden sich dann doch lieber für die Förderschule.
Für den Bildungsexperten Klaus Klemm sind das alles ganz normale Probleme einer Übersprengungsphase. Allerdings hätten die Politiker wohl nicht richtig überblickt, was tatsächlich auf die Schulen und die Gesellschaft zukommen würde.
"Da hat der Run der Erziehungsberechtigten die Politik überholt. Das soll keine Entschuldigung für die Politik sein, die hätte mehr machen können und muss jetzt zügig mehr machen. Aber man muss da auch die Möglichkeiten im Auge haben. Die Eltern wollen die Inklusion, die Politik zieht nicht schnell genug nach."
Dennoch: Inklusion muss keine Utopie bleiben. Das zeigen auch einige Leuchttürme in der Niedersächsischen Bildungslandschaft. Die Integrierte Gesamtschule (IGS) Linden in Hannover zum Beispiel. Mehrfach wurde sie ausgezeichnet. Unter anderem mit dem renommierten "Jakob Muth-Preis für inklusive Schule".
Jedes achte Kind hat besonderen Unterstützungsbedarf
Sportunterricht der etwas anderen Art. Dennis, Hatice, Milla und die anderen Mädchen und Jungen der Klasse 7e üben eine Hip Hop Formation ein. Wer Unterstützungsbedarf hat und wer nicht, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Bereits seit mehr als 18 Jahren ist jedes Kind willkommen in der Integrierten Gesamtschule Linden. Fast jedes Kind. Denn die Schule ist nicht geeignet für Rollstuhlfahrer. Von Anfang an mit dabei: Schulleiter Christoph Walther.
"Wir sind eine inklusive Schule, eine lebendige Schule. Das heißt, wir müssen ständig dazu lernen. Was Schule und das Schulsystem in Deutschland lernen müssen - dass es darauf ankommt, dass wir Schule für alle machen, kein Kind zurückweisen. Und, dass das unser Berufsstolz ist, dass wir das hinkriegen."
In der gesamten Sekundarstufe 1 sind alle Klassen inzwischen inklusiv. Etwa jedes achte Kind hat besonderen Unterstützungsbedarf. Viele von ihnen verlassen die Schule mit einem guten Hauptschul- und Realschulabschluss. Gleichzeitig machen in der Oberstufe mehr als 100 Schüler jedes Jahr Abitur. Ein ganz schöner Spagat. Der aber gelingt. Unter anderem weil sich alle Lehrer, ob Gymnasial-, Hauptschul- oder Förderschullehrer und auch Sozialpädagogen im Laufe der Jahre zusammengerauft haben. Sie bilden ein Team. Und das tun auch die Schüler immer wieder, wenn sie gemeinsam in kleinen Gruppen lernen. Doppelbesetzung in den wichtigsten Unterrichtsstunden gehört hier ebenfalls schon zum Alltag. Einer der Schüler ist der 11 Jahre alte Finn. Er hat ein Down-Syndrom. Nach den Sommerferien kommt er in die 6. Klasse. Jan Vahlbruch und seine Frau entschieden sich ganz bewusst für die IGS Linden.
"Weil wir, seit Finn auf der Welt ist, der Meinung sind, dass Finn einen Platz mitten in dieser Gesellschaft verdient hat. Und ich kann den Leuten immer nur raten, geht dahin, wo sowas schon gemacht wird. Finn geht es großartig hier - in jeglicher Hinsicht. Der macht tolle Fortschritte im Lesen, im Schreiben, der geht hier gerne hin und ist hier auch wirklich dabei. Der hat Freunde hier - das funktioniert wunderbar."
Auch lernstarke Kinder profitieren von der Inklusion. Darüber sind sich viele Bildungsexperten inzwischen einig. Schulelternratsvorsitzende Barbara Wevering schickt ihre vier Kinder noch aus einem anderen Grund zu einer inklusiven Schule.
"Weil für mich soziales Lernen im Vordergrund stand und ich das für meine Kinder immer als Vorteil gesehen habe. Ich habe das Gefühl, dass die Kinder wesentlich entspannter mit den sogenannten Makeln anderer Kinder umgehen, weil sie sie gar nicht mehr sehen."
"Je länger ich eine Förderschule geleitet habe, des klarer wurde mir, dass wir uns überflüssig machen müssten und ins Regelschulsystem gehen. Da sind wir richtig."
Gewerkschaft fordert bessere Weiterbildung
Seit einem Jahr arbeitet Ulrike Strauch an der IGS Linden. Die Schule mit dem Förderschwerpunkt Lernen, die sie in Hannover geleitet hatte, wurde geschlossen. Denn Niedersachsen lässt diese Schulen langsam auslaufen, Förderschulen mit anderen Schwerpunkten bleiben aber erst einmal bestehen. Inwieweit das sinnvoll ist, darüber wird zur Zeit heftig diskutiert. Ulrike Strauch hat die Erfahrung gemacht, dass inklusives Lernen auch an Grenzen stößt - und zwar bei Kindern mit bestimmten Formen und Graden geistiger Behinderung. Aber sie hat eine Vision:
"Das wäre ideal. Zwei Lehrkräfte in einer Klasse und jeder kann alles. Sie wechseln sich ab, arbeiten in verschiedenen Formen des Team Teaching zusammen. Das sollte die Zukunft sein."
Unter welchen Voraussetzungen also kann inklusive Schule gelingen? Mehr Doppelbesetzungen, bessere Weiterbildungsmöglichkeiten für Lehrer, mehr Sonderpädagogen - das sind einige Forderungen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Sicherlich, die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Aber es ist vor allem auch eine Frage der Haltung. Davon ist nicht nur Susanne Günther überzeugt, als didaktische Leiterin der IGS Linden unter anderem verantwortlich für Unterrichtsentwicklung und Fördermaßnahmen.
"Einfach den Mut haben,anzufangen, erst mal sich heranzutasten mit den Schülern, die in der Klasse sind. Wenn man ganz genau hinguckt, selbst in einer Gymnasialklasse, habe ich schon eine inklusive Gruppe. Nicht zu sagen, alle lernen jetzt zu diesem Zeitpunkt das Gleiche. Das hat Pisa ergeben, das funktioniert nicht. Das heißt, den Mut zu haben, zu sagen, ich gucke mir meine Schülerinnen und Schüler an, passe meinen Unterrichtsstoff an, gehe weg vom Lehrerdasein, hin zum Lern-Coach. Ich beobachte und arrangiere eine Lernumgebung, in der sich jeder entfalten kann."
Mehr Flexibilität erwünscht
Letztendlich müssen alle bereit sein, sich auf eine völlig neue Schule einzustellen. Das geht nicht von heute auf morgen. Jan Vahlbruch hat dafür Verständnis.
"Ich habe aber das Problem, mein Finn lebt jetzt. Ich kann dummerweise nicht warten, bis die Gesellschaft soweit ist, um meinen Finn optimal zu betreuen. Wir müssen nicht alles sofort perfekt lösen, aber für die Kinder, die jetzt da sind, müssen wir eine vernünftige Lösung finden. Da würde ich mir mehr Flexibilität wünschen und dass auch Ressourcen unkomplizierter zur Verfügung gestellt werden."
"Komm, das letzte Wort noch. Jawohl, geschafft!"
"Wird immer besser."
Zurück in der Klasse 4 c in der Grundschule In der Steinbreite. Arian wechselt nach den Sommerferien auf ein barrierefreies Gymnasium in Hannover. Die neuen Lehrer hat er bereits kennengelernt. Er freut sich, ein bisschen aufgeregt ist er aber auch. Christoph Walther, der langjährige Leiter der Integrierten Gesamtschule Linden, geht nun in der Ruhestand. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Denn Pläne für "seine" inklusive Schule, hat er noch mehr als genug.
"Wenn ich in zehn Jahren in die Schule komme, dann würde ich mir wünschen, dass sie auch in meinem eigenen Interesse barrierefrei ist. Damit ich dann auch selber noch reingehen kann und wir dann auch Kinder mit Körperbehinderung aufnehmen können."
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