Gleiches Recht für alle?
Ein neuer Meilenstein in der deutschen Integrationsposse: Die Kirchenredaktion des ZDF arbeitet an einem "Wort zum Freitag". Zunächst als Probelauf nur im Internet, bei gutem Gelingen dann auch auf dem TV-Bildschirm soll die Ansprache an die Muslime zu sehen sein.
Der Logik nach kann man also erwarten, dass bald ein Imam "Das Wort zum Sonntag" spricht. Religionen üben sich im Partnertausch. Gottesbilder werden austauschbar. So oder so ähnlich stellt man sich wahrscheinlich eine gelungene Integration der Religion in eine säkulare Gesellschaft vor. Anders, so scheinen viele zu glauben, sei der Friede in multireligiösen Gesellschaften nicht zu sichern.
Dabei ist der Wettbewerb zwischen den Religionen ein unverzichtbarer Bestandteil freier Gesellschaften. Niemand kann in der Ausübung seiner Religion behindert werden, solange er nicht gegen elementare, verfassungsrechtlich gesicherte Menschenrechte verstößt. Glauben kann, ja sollte sogar im Widerspruch stehen können, im Widerspruch gegenüber dem, was wir meinen, rational zu erfassen.
Glauben an Gott ist aber auch Privatsache. Niemand sollte aus einem Widerspruch, den sein Glaube hervorruft, öffentlich-rechtliche Privilegien ableiten dürfen. Doch genau das passiert in Deutschland alltäglich. Es passiert so selbstverständlich, dass man es schon gar nicht mehr wahrnimmt. Wenn der Papst auf Reisen geht, haben wir Papstfernsehen. Und den Islam gibt es inzwischen fast zu jedem Thema gratis.
Vielleicht glaubt man an diesen permanenten Verstößen gegen die Neutralitätspflicht des Staates und seiner öffentlich-rechtlichen Organe auch ein Erfolgsrezept zu erkennen. Aufklärung ja, aber nicht so viel davon, dass der christliche Charakterzug der Gesellschaft verborgen bleibt, oder gar verloren geht. Im Gegenzug werden die Kirchen zu Mitspielern in der demokratischen Gesellschaft, zu Gewerkschaften der Seele, zu Parteien, zu Handelsketten.
Die Christen haben es vorgemacht. Die Muslime sollen nun nachziehen. In Deutschland wird jeder Türke unvermeidlich zum Muslim. Wer sich sträubt, macht sich verdächtig. Als Türke kann man sich in Deutschland nämlich nicht integrieren, als Muslim schon. Damit der Dialog mit den Muslimen gelingen kann, sollte auch jeder Deutsche Christ sein. Das ist doch nicht zu viel verlangt. Dann haben wir eben deutsche Muslime, deutsche Christen, deutsche Juden und könnten endlich Regeln aufstellen fürs Zusammenleben: die Straßenverkehrsordnung des Zusammenlebens.
Sieht aber so eine Bürgergesellschaft aus? Was geht es den Staat an, was jeder Einzelne glaubt, oder nicht glaubt? Für manche geht die Sache mit der Religion nie weit genug. Auch in Europa soll sie den Platz bekommen, der ihr gebührt. Die christlichen Wurzeln Europas dürfen schließlich nicht in Vergessenheit geraten. Was wäre dieses Europa wert ohne die Hexenverfolgung und die Inquisition?
Irre Zeiten sind das. Als hätte Kant nie gelebt, hätte es einen Schopenhauer nie gegeben, Nietzsche nur ein Alptraummonster, der arme Seelen, die gesündigt haben, im Schlaf aufsucht. Wahrscheinlich kennt diese Namen auch kaum noch ein Gymnasiast. Man wird doch nur zum Ernst zu nehmenden Denker, wenn man das Zeug zum Popstar hat. Für schrullige Gestalten wie Kant, für Nörgler und Zweifler ist da gewiss kein Platz. Kein Unterhaltungswert.
Wir leben inzwischen in einer Gesellschaft, die es aufgegeben hat, darüber nachzudenken, wie das Erbe der Aufklärung, die Methoden des kritischen Denkens, der Keim des Zweifels an die nächsten Generationen weitergegeben werden kann. Stattdessen werden inzwischen Religionen herumgereicht wie Hausschlüssel. Wird man ohne sie obdachlos? Seltsam eigentlich, warum bei so viel Religionsmacherei, so wenig ethische Kompetenz herauskommt. Die dürftigen Ergebnisse wertorientierter Erziehung an unseren Schulen beschäftigen längst nicht mehr nur die Pädagogen.
Hat man vielleicht keine Identität, wenn man nicht an irgendeinen Gott glaubt? Muss man als Atheist oder Agnostiker auch eine Kirche gründen, um sich Gehör zu verschaffen? Kein Missverständnis soll hier aufkommen: Jeder Mensch hat das Recht, von seinem Glauben überzeugt zu sein, seinen Glauben zu leben, ja auch dies, für seinen Glauben zu streiten. Nur umgekehrt gilt es eben auch. Wer nicht glaubt, darf nicht nur seine Meinung frei äußern dürfen, er hat auch das Recht, nicht benachteiligt zu werden. In Deutschland aber werden nicht die Mitglieder von Religionsgemeinschaften diskriminiert, denn auch die Muslime sollen ja, darauf zielt wohl auch die von Innenminister Schäuble einberufene Islamkonferenz hin, ins Staatsschiff mit seinen zahlreichen Reiseprivilegien aufgenommen werden. Es sind aber die, die sich keiner Kirche angeschlossen haben, die sich langsam fragen müssen, ob das wirklich noch ihr Staat ist.
Zafer Şenocak, Schriftsteller, 1961 in Ankara geboren, seit 1970 in Deutschland, wuchs in Istanbul und München auf. Er studierte Germanistik, Politik und Philosophie in München. Seit 1979 veröffentlicht er Gedichte, Essays und Prosa in deutscher Sprache. Er lebt als freier Schriftsteller in Berlin, schreibt regelmäßig für "die tageszeitung" sowie für andere Zeitungen (u.a. "Berliner Zeitung", "Die Welt").
Arbeiten von Zafer Şenocak wurden bislang ins Türkische, Griechische, Französische, Englische (u. Amerikanische), Hebräische und Niederländische übersetzt.
Er erhielt mehrere Stipendien und 1998 den Adalbert-von-Chamisso-Förderpreis. Die mehrsprachige Zeitschrift "Sirene" wurde bis 2000 von ihm mitherausgegeben. Veröffentlichungen u.a. "Fernwehanstalten" 1994. "Nâzım Hikmet: Auf dem Schiff zum Mars" - zusammen mit Berkan Karpat,1998. "Tanzende der Elektrik. Szenisches Poem - zusammen mit Berkan Karpat, 1999. Die Tetralogie "Der Mann im Unterhemd. Prosa" Berlin (Babel) 1995. "Die Prärie" Hamburg (Rotbuch) 1997. "Gefährliche Verwandtschaft. Roman" München (Babel) 1998. "Der Erottomane. Ein Findelbuch" München (Babel) 1999. "Atlas des tropischen Deutschland" Essays. Berlin (Babel) 1992, 1993 "War Hitler Araber? Irreführungen an den Rand Europas" Essays. Berlin (Babel) 1994. "Zungenentfernung. Bericht aus der Quarantänestation" München (Babel) 2001. Gerade erschienen ist sein Buch "Das Land hinter den Buchstaben. Deutschland und der Islam im Umbruch".
Dabei ist der Wettbewerb zwischen den Religionen ein unverzichtbarer Bestandteil freier Gesellschaften. Niemand kann in der Ausübung seiner Religion behindert werden, solange er nicht gegen elementare, verfassungsrechtlich gesicherte Menschenrechte verstößt. Glauben kann, ja sollte sogar im Widerspruch stehen können, im Widerspruch gegenüber dem, was wir meinen, rational zu erfassen.
Glauben an Gott ist aber auch Privatsache. Niemand sollte aus einem Widerspruch, den sein Glaube hervorruft, öffentlich-rechtliche Privilegien ableiten dürfen. Doch genau das passiert in Deutschland alltäglich. Es passiert so selbstverständlich, dass man es schon gar nicht mehr wahrnimmt. Wenn der Papst auf Reisen geht, haben wir Papstfernsehen. Und den Islam gibt es inzwischen fast zu jedem Thema gratis.
Vielleicht glaubt man an diesen permanenten Verstößen gegen die Neutralitätspflicht des Staates und seiner öffentlich-rechtlichen Organe auch ein Erfolgsrezept zu erkennen. Aufklärung ja, aber nicht so viel davon, dass der christliche Charakterzug der Gesellschaft verborgen bleibt, oder gar verloren geht. Im Gegenzug werden die Kirchen zu Mitspielern in der demokratischen Gesellschaft, zu Gewerkschaften der Seele, zu Parteien, zu Handelsketten.
Die Christen haben es vorgemacht. Die Muslime sollen nun nachziehen. In Deutschland wird jeder Türke unvermeidlich zum Muslim. Wer sich sträubt, macht sich verdächtig. Als Türke kann man sich in Deutschland nämlich nicht integrieren, als Muslim schon. Damit der Dialog mit den Muslimen gelingen kann, sollte auch jeder Deutsche Christ sein. Das ist doch nicht zu viel verlangt. Dann haben wir eben deutsche Muslime, deutsche Christen, deutsche Juden und könnten endlich Regeln aufstellen fürs Zusammenleben: die Straßenverkehrsordnung des Zusammenlebens.
Sieht aber so eine Bürgergesellschaft aus? Was geht es den Staat an, was jeder Einzelne glaubt, oder nicht glaubt? Für manche geht die Sache mit der Religion nie weit genug. Auch in Europa soll sie den Platz bekommen, der ihr gebührt. Die christlichen Wurzeln Europas dürfen schließlich nicht in Vergessenheit geraten. Was wäre dieses Europa wert ohne die Hexenverfolgung und die Inquisition?
Irre Zeiten sind das. Als hätte Kant nie gelebt, hätte es einen Schopenhauer nie gegeben, Nietzsche nur ein Alptraummonster, der arme Seelen, die gesündigt haben, im Schlaf aufsucht. Wahrscheinlich kennt diese Namen auch kaum noch ein Gymnasiast. Man wird doch nur zum Ernst zu nehmenden Denker, wenn man das Zeug zum Popstar hat. Für schrullige Gestalten wie Kant, für Nörgler und Zweifler ist da gewiss kein Platz. Kein Unterhaltungswert.
Wir leben inzwischen in einer Gesellschaft, die es aufgegeben hat, darüber nachzudenken, wie das Erbe der Aufklärung, die Methoden des kritischen Denkens, der Keim des Zweifels an die nächsten Generationen weitergegeben werden kann. Stattdessen werden inzwischen Religionen herumgereicht wie Hausschlüssel. Wird man ohne sie obdachlos? Seltsam eigentlich, warum bei so viel Religionsmacherei, so wenig ethische Kompetenz herauskommt. Die dürftigen Ergebnisse wertorientierter Erziehung an unseren Schulen beschäftigen längst nicht mehr nur die Pädagogen.
Hat man vielleicht keine Identität, wenn man nicht an irgendeinen Gott glaubt? Muss man als Atheist oder Agnostiker auch eine Kirche gründen, um sich Gehör zu verschaffen? Kein Missverständnis soll hier aufkommen: Jeder Mensch hat das Recht, von seinem Glauben überzeugt zu sein, seinen Glauben zu leben, ja auch dies, für seinen Glauben zu streiten. Nur umgekehrt gilt es eben auch. Wer nicht glaubt, darf nicht nur seine Meinung frei äußern dürfen, er hat auch das Recht, nicht benachteiligt zu werden. In Deutschland aber werden nicht die Mitglieder von Religionsgemeinschaften diskriminiert, denn auch die Muslime sollen ja, darauf zielt wohl auch die von Innenminister Schäuble einberufene Islamkonferenz hin, ins Staatsschiff mit seinen zahlreichen Reiseprivilegien aufgenommen werden. Es sind aber die, die sich keiner Kirche angeschlossen haben, die sich langsam fragen müssen, ob das wirklich noch ihr Staat ist.
Zafer Şenocak, Schriftsteller, 1961 in Ankara geboren, seit 1970 in Deutschland, wuchs in Istanbul und München auf. Er studierte Germanistik, Politik und Philosophie in München. Seit 1979 veröffentlicht er Gedichte, Essays und Prosa in deutscher Sprache. Er lebt als freier Schriftsteller in Berlin, schreibt regelmäßig für "die tageszeitung" sowie für andere Zeitungen (u.a. "Berliner Zeitung", "Die Welt").
Arbeiten von Zafer Şenocak wurden bislang ins Türkische, Griechische, Französische, Englische (u. Amerikanische), Hebräische und Niederländische übersetzt.
Er erhielt mehrere Stipendien und 1998 den Adalbert-von-Chamisso-Förderpreis. Die mehrsprachige Zeitschrift "Sirene" wurde bis 2000 von ihm mitherausgegeben. Veröffentlichungen u.a. "Fernwehanstalten" 1994. "Nâzım Hikmet: Auf dem Schiff zum Mars" - zusammen mit Berkan Karpat,1998. "Tanzende der Elektrik. Szenisches Poem - zusammen mit Berkan Karpat, 1999. Die Tetralogie "Der Mann im Unterhemd. Prosa" Berlin (Babel) 1995. "Die Prärie" Hamburg (Rotbuch) 1997. "Gefährliche Verwandtschaft. Roman" München (Babel) 1998. "Der Erottomane. Ein Findelbuch" München (Babel) 1999. "Atlas des tropischen Deutschland" Essays. Berlin (Babel) 1992, 1993 "War Hitler Araber? Irreführungen an den Rand Europas" Essays. Berlin (Babel) 1994. "Zungenentfernung. Bericht aus der Quarantänestation" München (Babel) 2001. Gerade erschienen ist sein Buch "Das Land hinter den Buchstaben. Deutschland und der Islam im Umbruch".