Ein Zeichen gegen Homophobie im Fußball
In Berlin arbeiten der örtliche Fußballverband und der Lesben- und Schwulenverband Deutschlands zusammen, um das Thema Homosexualität in die Öffentlichkeit zu tragen. Zurzeit haben sie Besuch aus der Türkei - einen schwulen Schiedsrichter, der nach seinem Coming-out seinen Beruf nicht mehr ausüben darf.
"Hallo Halil, schön, dass du hier bist beim LSVD in unserer Geschäftsstelle."
Thomas Siebert von der Berliner Sektion des Lesben- und Schwulenverbands Deutschland begrüßt den Gast Halil Ibrahim Dinçdağ und führt ihn durch die Räume des Vereins. Eine junge türkischstämmige Fußballspielerin übersetzt. Dinçdağ kann kein Wort Deutsch. Aber die großen Plakate an den Wänden versteht er problemlos. Die Namen und Schriftzüge darauf sind auch in Türkisch gehalten. Dinçdağ zeigt darauf, macht eine fragende Mine, und Thomas Siebert fängt an zu erklären:
"Das war eine große Plakatkampagne, die hier in Berlin großflächig plakatiert war. Als ein Beispiel von Öffentlichkeitsarbeit."
Lesbische und schwule Paare, die sich in der Öffentlichkeit küssen. "Sevgi saygıya değer – Liebe verdient Respekt" steht darauf. In der Türkei sind solche Plakate unvorstellbar, sagt Halil Ibrahim Dinçdağ, der wegen seiner Homosexualität seinen Beruf als Schiedsrichter aufgeben musste.
"In der Türkei können Sie solche Plakate nicht aufhängen. In manchen Gegenden würde man Sie dafür lynchen. Eins sage ich immer wieder: Wenn ich mich in den 90er-Jahren geoutet hätte, wäre ich gelyncht worden."
... sagt Dinçdağ, während er im Flur weitere Plakaten betrachtet, auf denen er türkische Namen entdeckt: "Gül ist lesbisch. Und sie gehört zu uns. Jederzeit". Der Schiedsrichter trägt einen hellgrauen Kapuzenpulli mit dem Schriftzug: Fußballfans gegen Homophobie. Mittlerweile ist die türkische Öffentlichkeit zwar auch weiter als in den 90er-Jahren, weil im Internetzeitalter die Menschen sich besser informieren können, erzählt Dinçdağ, aber kaum jemand lebt seine Homosexualität so frei und offen aus wie hier.
"In der Türkei gibt es viele bisexuelle Menschen. Aber die Mehrheit von ihnen sind Lesben oder Schwule, die von ihren Eltern und von der Gesellschaft gezwungen wurden zu heiraten und deswegen später bisexuell leben."
"Ich habe lange Zeit kein Visum bekommen"
Halil Ibrahim Dinçdağ ist 36 Jahre alt. Er hat in einer Stadt an der Schwarzmeerküste in der zweiten und dritten türkischen Fußballliga Spiele geleitet. Bei seiner Musterung zum Militärdienst outete er sich als Homosexueller. Nach langen Diskussionen attestierte ihm der Militärarzt "psychosexuelle Störungen" und musterte ihn aus. Die Folge war: Er durfte nicht mehr als Schiedsrichter arbeiten, bekam viele Todesdrohungen und flüchtete in die Millionenmetropole Istanbul, um unbehelligt zu leben.
Eine reguläre Arbeit bekommt er auch dort nicht, weil er keinen Militärdienst geleistet hat. Seine Familie unterstützt ihn finanziell. Er verklagte den türkischen Fußballverband. In einigen Wochen soll das Verfahren beendet werden. Von seiner Deutschlandreise erhofft er sich mehr Öffentlichkeit für sich und die Homosexuellen in der Türkei. Hier bleiben will Dinçdağ auf keinen Fall.
"Ich habe lange Zeit kein Visum bekommen. Ich vermute, das deutsche Konsulat hatte die Sorge, dass ich Deutschland nicht wieder verlassen würde. Aber die Organisatoren hier haben nicht locker gelassen. Ich möchte mein Land gar nicht verlassen, denn ich habe in meiner Heimat eine Mission, für die ich kämpfe. Ich hätte das Land verlassen können. Das werde ich aber nicht tun. Wenn jemand das Land verlassen soll, dann sollten es diejenigen sein, die gegen uns sind."
Kaum verlässt Halil Ibrahim Dinçdağ den Verein, findet er sich auch schon in dem Viertel wieder, das Thomas Siebert als das Schwulenzentrum Berlins bezeichnet. Der Nollendorf-Kiez in Berlin-Schöneberg. Hier reiht sich eine Bar für Schwule an die andere. Dinçdağ erkennt sie auch ohne Deutschkenntnisse an den Regenbogenfahnen und an dem Wort Gay, das er überall liest. Der vollbärtige, etwa 1,70 große Mann ist sichtlich erstaunt. Er lacht.
An jedem Geschäft hängt eine Regenbogenfahne, und offensichtlich ist das hier völlig normal, sagt Dinçdağ. In der Türkei gibt es so etwas nicht. Es gebe zwar Bars für Schwule, aber nur Insider wüssten, wo sie seien. Von außen würde man sie nicht erkennen.
"Wir sind hier am U-Bahnhof Nollendorfplatz. Und das ist hier eine Gedenktafel für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus..."
"Dieses Thema muss wesentlich publiker werden"
Es ist den Gastgebern des türkischen Schiedsrichters wichtig, ihm nicht nur die Bars und Cafés zu zeigen, sondern auch dass die Erinnerungskultur im öffentlichen Raum Platz findet. An der Gedenktafel endet der informative Spaziergang. In den nächsten Tagen wird Halil Ibrahim Dinçdağ selbst in Berlin und Leipzig Vorträge über die Situation der Homosexuellen in der Türkei halten.
In blau-weißer Spielkleidung die Mannschaft von Türkiyemspor Berlin. Und die Mannschaft von Tennis Borussia in lila-weißer Spielkleidung. Zwei Berliner Jugendmannschaften treffen in einem Freundschaftsspiel aufeinander. Am Spielrand schauen etwa 70 junge Fans zu. Mit dabei ist auch der Präsident des Berliner Fußballverbands Bernd Schulz.
"Wir wissen, dass es auch hier Probleme gibt für Homosexuelle im Sport, gerade auch im Fußball. Aber dennoch denke ich, es ist immer wieder wichtig, dieses Thema anzusprechen, für Toleranz zu werben. Wir tun das ja hier auch seit einiger Zeit mit dem LSVD Berlin gemeinsam. Ich denke, dass es wichtig ist und einem Verband wie dem unseren gut zu Gesicht steht, sich diesen sozialen Themen zu stellen. Das tun wir gerne. Und insofern ist das eine schöne Aktion, der ich gerne beiwohne."
Ein faires Spiel mit 8 Toren am Ende. Schon zur Halbzeit steht es 4:2 für Tennis Borussia. Aber den Zuschauern geht es gar nicht um Sieg oder Niederlage.
"Es geht vor allem darum, ein Zeichen gegen Homophobie im Fußball zu setzen, bzw. um den Schiedsrichter, ihn zu unterstützen."
"Dieses Thema muss wesentlich publiker werden, damit mehr Menschen davon erfahren, wie schlecht diese Menschen behandelt werden, was mit ihnen passiert und dass es einfach nicht sein darf."
Die Spieler treten bei dieser Partie ohnehin nicht gegeneinander an, sondern gegen Homophobie im Fußball und für Halil Ibrahim Dinçdağ. Unter den Zuschauern gibt es aber fast keine türkischen Fans. Nur die Eltern eines Spielers stehen abseits der Menge und sagen, zu einem Freundschaftsspiel wären sie nicht gekommen, aber sie wollten dem Schiedsrichter beistehen. Halil Ibrahim Dinçdağ nimmt es gelassen, als er in der Kabine erfährt, dass er nur zwei türkische Unterstützer hatte.
"Ich weiß nicht, wie türkische Eltern mit diesem Thema umgehen, wie sie zur Homosexualität ihrer Kinder stehen. Dazu kann ich nichts sagen. Aber wenn zwei Menschen da waren, zeigt das doch, es gibt ein Bewusstsein dafür."