Frauen als Stars, Männer als Produzenten
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Am Album „Future Nostalgia“ von Dua Lipa haben über zehn Produzenten mitgearbeitet, aber keine einzige Produzentin. Der Grammy für Pop-Produktion ging noch nie an eine Frau. Von Machtstrukturen und einem Wandel, der gerade erst einsetzt.
Janet Jackson, Mariah Carey, Paula Cole, Sheryl Crow, Lauryn Hill, Lauren Christy und Linda Perry: Diese Sieben sind die einzigen Frauen, die bei den Grammy Awards jemals in der Kategorie "Producer of the Year, Non-Classical" nominiert waren. Nominiert, wohlgemerkt.
Noch kein Produktions-Grammy für Frauen
In der 63-jährigen Geschichte des Grammy hat noch nie eine Frau den Preis für die beste Pop-Produktion gewonnen. Das wird sich wohl auch so bald nicht ändern – denn laut einer Studie der University of Southern California wurden von den hundert erfolgreichsten Songs im vergangenen Jahr nur zwei Prozent von Frauen produziert. Im Jahr davor waren es noch fünf Prozent. Statt Fortschritt also Rückschritt? Statt mehr Produzentinnen noch weniger Frauen an den Mischpulten der Studios?
Musikerin und Produzentin Antonia Rug alias Novaa hält das Problem für anders gelagert. "Ich würde dem widersprechen, dass es einen Mangel an weiblichen Produzentinnen gibt", sagt sie, "ich glaube, es gibt einen Mangel an weiblichen Produzentinnen, die überhaupt in die Position kommen, sich zu etablieren. Das ist der Mangel, den wir haben."
Rug produziert nicht nur ihre eigenen Songs, sondern arbeitet auch als Produzentin für Künstlerinnen und Künstler wie Lea, Fleur oder Riiva. "Ich habe ganz, ganz viele Freundinnen, die produzieren und die nur nicht wahrgenommen werden als Produzentinnen", sagt sie. "Das heißt, ich sehe eher das Problem in der Machtstruktur. Es ist kein Raum da für Frauen, in diese Position zu kommen."
Initiative "Women in the Mix"
Dass Frauen gar nicht erst in die Position kommen, einen Hit zu produzieren, liegt auch an den Stars selbst. Einige haben sich deshalb 2019 der Initiative "Women In The Mix" angeschlossen, darunter Nicki Minaj, aber auch Männer wie zum Beispiel wie Maroon 5 oder Justin Bieber. Wer unterzeichnet, gelobt, für jeden Produktionsjob mindestens auch zwei Frauen in Betracht zu ziehen.
Auf die Zahl der Produzentinnen in den Charts hatte das Versprechen bislang keine Auswirkungen. Von den hundert erfolgreichsten Songs 2020 in den USA waren zwar 38 Stück von Stars, die das "Women In The Mix"-Gelöbnis abgegeben hatten – kein einziger dieser Songs war allerdings von einer Frau produziert.
Am Ende entscheiden sich die Künstlerinnen und Künstler anscheinend doch oft für den männlichen Produzenten mit großem Namen im Business – nicht zuletzt aus PR-Gründen.
Produzentinnen nehmen Labels in die Pflicht
Deshalb fordert Antonia Rug alias Novaa auch ein Umdenken bei Labels. "Labels und Verlage, die aktiv Leute anstellen, Leute bezahlen, die mitarbeiten bei Alben, die erfolgreich werden – die pumpen da Geld rein, dass sie erfolgreich werden. Die sitzen auch am Hebel, zu sagen: Wir holen uns da auch Frauen rein." Rug sieht "die großen Business-Akteure" in der Verantwortung, "und dass die ihre Strukturen mal checken."
Ähnlich blickt Katie Tavini auf das Thema. Sie ist Mastering Engineer, hat unter anderem Musik für Nadine Shah, We Are Scientists oder das Royal Philharmonic Orchestra gemastered. Sie hat auch das Netzwerk "2 Percent Rising" mitgegründet, das sich für mehr Frauen in Aufnahemstudios einsetzt.
"Die Musikindustrie ist eine Branche, in der man seine Freunde für Projekte engagiert", sagt Tavini. "Wenn du ein Label hast, ein Album rausbringst und alle deine Freunde männliche Produzenten sind, dann engagierst du natürlich die. Es sollte aber nicht darum gehen, mit wem du abends im Pub rumhängst – sondern darum, wer die beste Person für den Job ist."
Sie nennt noch einen Grund für mehr Frauen in der Produktion: Nicht alle Musikerinnen fühlten sich wohl mit männlichem Studiopersonal, manche hätten in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit Produzenten gemacht. "Die Künstlerinnen sind dann nicht in der Lage, ihre beste Musik zu machen, ihre beste Performance abzurufen. Das hemmt sie und erschwert es ihnen, eine Karriere aufzubauen. Wir sollten also auch Wert darauf legen, wer hinter den Kulissen arbeitet – denn das hat einen großen Einfluss auf die Musik."
Schulen: Mädchen an die Software!
Es gibt also noch einiges zu tun, um mehr Produzentinnen hinter die Regler zu bekommen. Aber Antonia Rug alias Novaa sieht auch Fortschritte. Es verändere sich momentan viel im Popbereich – wenn auch eher abseits der Charts: "Einerseits, dass es eben mehr Frauen gibt, die jetzt auch in diese Position kommen und mitarbeiten bei Alben. Aber auch, dass sich weibliche Produzentinnen immer mehr zusammentun in Netzwerken. Es gibt auch sehr, sehr viele Künstlerinnen, die echt sehr supportive sind und sehr aware und dafür einstehen und da viel, viel Arbeit und Zeit und Energie reinstecken. Das zeigt sich auf jeden Fall. Es dauert leider sehr lang und ist sehr zäh und immer noch anstrengend – aber es tut sich auf jeden Fall was."
Für einen wirklichen Wandel in der Branche müsse man allerdings noch viel früher ansetzen, glaubt Mastering Engineer Katie Tavini. "Wir sollten Mädchen schon in der Schulzeit die Möglichkeit geben, Musiksoftware zu benutzen und damit herumzuspielen. Diese technischen Dinge werden oft nur den Jungs nahegebracht, die Mädchen werden meistens eher ermutigt, zu performen oder auf der Bühne zu stehen. Es ist da also auch systemische Arbeit nötig, um das Verhältnis von Frauen und Männern im Studio ein bisschen auszubalancieren."