Gleichstellungspolitik

"Qualitätssprung" statt "Dauerschleife"

Zwei Playmobil-Frauen stehen zwischen zwei Playmobil-Männern
Männer und Frauen: Es ist Zeit für eine echte Gleichstellung © picture-alliance / dpa / Daniel Bockwoldt
Heike Gerstenberger im Gespräch mit Nana Brink |
Wie es um den Stand der Gleichstellung steht, wollen 400 kommunale Gleichstellungsbeauftragte in Rostock erörtern. Die Frauenbeauftragte von Pankow, Heike Gerstenberger, ist genervt, dass viele Forderungen mit dem Argument der knappen Kassen abgebügelt werden.
Der 23. Bundeskongress kommunaler Frauen- und Gleichstellungsbüros findet in diesem Jahr in Rostock statt. Rund 400 kommunale Gleichstellungsbeauftragte nehmen an dem Kongress teil. Das Motto lautet "Gleichstellungspolitik 3.0", bei Vorträgen und in Foren werden aktuelle frauen- und gleichstellungspolitische Fragen verhandelt. Es geht unter anderem um Cybermobbing, das Prostituiertenschutzgesetz und geschlechtergerechte Arbeitszeiten.
Die Gleichstellungsbeauftragte des Berliner Bezirks Pankow, Heike Gerstenberger, ist seit 20 Jahren in dem Bereich aktiv - und sie ist nicht selten frustriert, wie sie offen eingesteht. Viele der Themen, mit denen sie befasst sei, bewegten sich in "Dauerschleifen", sagte sie im Deutschlandradio Kultur. Als Beispiel nannte sie den Abbau von Lohnungleichheit. Auch bei den Themen Frauenarmut, Steuerrecht, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Gewalt gegen Frauen sieht sie deutlich zu wenig Bewegung.

Das Gespräch im Wortlaut:
Nana Brink: Immer wenn die Frage nach der im Grundgesetz verankerten Gleichstellung von Mann und Frau kommt, dann gibt es – das fällt mir zumindest immer auf – zwei ganz unterschiedliche Reaktionen: Die einen, dazu gehören meistens Männer, aber auch viele, vor allem junge Frauen, die sagen, ja, da ist echt eine Menge passiert und verweisen dann auf die verbesserte Kinderbetreuung, das Elterngeld oder die Bundeskanzlerin, so nach dem Motto, du kannst alles erreichen, und die andere Fraktion, dazu gehören auch viele Männer, wobei auffällt, dass es da oft Lippenbekenntnisse sind, und viele Frauen, die schon seit Jahren kämpfen und darauf verweisen, dass weder die Quote noch die Gleichbezahlung wirklich durchgesetzt sind.
Gut, das sind jetzt auch Klischees, ein bisschen holzschnittartig, aber in beiden Positionen spiegelt sich ja auch unsere Realität wider, und die beschäftigt ganz besonders jene 370 kommunalen Frauen- und Gleichstellungbeauftragten, die sich von heute an in Rostock treffen, um noch mal darauf aufmerksam zu machen, was alles vielleicht nicht funktioniert. Heike Gerstenberger ist die Gleichstellungsbeauftragte im Berliner Bezirk Pankow. Guten Morgen!
Heike Gerstenberger: Einen schönen guten Morgen, Frau Brink!
Brink: "Gleichstellung 3.0: für eine bessere Zukunft" – das ist das Motto Ihres Treffens. Haben Sie die anderen Zeitalter 1.0 und 2.0 schon erledigt?
"Es muss einen Qualitätssprung in der Gleichstellungspolitik geben"
Gerstenberger: Naja, wir haben diesen Titel gewählt, weil er eigentlich zwei Sachen für uns widerspiegeln sollte: Einerseits sozusagen, dass es endlich auch, sag ich mal, einen Qualitätssprung geben muss in der Gleichstellungspolitik, und da gibt es viele Themen, die für uns so Dauerschleifen-Themen sind – und ich bin seit fast 20 Jahren Gleichstellungsbeauftragte – die so nicht ... ((Unterbrechung))
Brink: Frau Gerstenberger, hallo?
Gerstenberger: Da geht es um den Abbau von Lohnungleichheit, das ist der Dauerbrenner schlechthin. Mittlerweile auch angekommen in der Öffentlichkeit, das ist ein riesengroßes Thema. Ganz eng damit verbunden – hören Sie mich?
Brink: Ja, ich höre Sie!
Gerstenberger: Ganz eng damit verbunden ist das Thema natürlich Frauenarmut, ein Skandal schlechthin.
Brink: Frau Gerstenberger, jetzt habe ich Sie leider wieder verloren. Ich würde denken, wir versuchen noch mal die Leitung zu Frau Gerstenberger herzustellen, Heike Gerstenberger, die Gleichstellungsbeauftragte von Berlin-Pankow, die treffen sich ja heute in Rostock, und uns ist die Leitung leider verloren gegangen, und wir versuchen, sie noch mal hinzubekommen.
((Musik))
Carole King, "Too late", aber es ist nie zu spät, auch Telefonleitungen lassen sich ja reparieren. Wir haben es wieder geschafft. Heike Gerstenberger, ich grüße Sie noch mal, die Gleichstellungbeauftragte im Berliner Bezirk Pankow. Wir machen noch mal einen neuen Anlauf. Wir sprachen über das Treffen der Gleichstellungsbeauftragten der kommunalen Gleichstellungbeauftragten in Rostock. Gleichstellung 3.0 war das Motto, und ich hatte Sie ja gefragt, ob Sie das andere schon erledigt haben und Sie sagten, nein, da gibt es noch eine Menge zu tun, nämlich was?
"Das Thema Lohnungleichheit ist endlich in der Öffentlichkeit angekommen"
Gerstenberger: Ja, genau. Wir haben gesagt, das es schon Themen gibt, die uns seit Jahren bewegen. Ich hatte ja auch gesagt, dass ich schon seit 20 Jahren Gleichstellungsbeauftragte bin. Themen, ich würde sie ganz kurz anreißen: Das Thema Lohnungleichheit ist nun endlich auch im Mittelpunkt der Öffentlichkeit angekommen, aber hier gibt es ganz viel noch zu tun. Das ist ein Dauerbrenner schlechthin für uns.
Ganz eng damit verbunden natürlich mit der Lohnungleichheit steht die Frauenarmut, das ist das, was uns bewegt. Deshalb werden wir als Bundessprecherinnen auch Anfang November eine öffentlichkeitswirksame Armutskampagne starten, wo wir noch mal auf die Probleme dezidiert hinweisen wollen.
Es gibt Probleme im Steuerrecht noch immer, wir sind schon seit Jahrzehnten dafür, dass das Ehegattensplitting abgeschafft wird.
Es geht um das Thema Gewalt gegen Frauen – es ist raus aus der Tabuzone, das ist völlig richtig, ja, aber noch immer müssen Kommunen kämpfen, dass sie überhaupt oder beziehungsweise die Beratungsstellen und Frauenhäuser, dass sie ihre Finanzierung sicher haben.
Und es geht schlechthin auch noch immer um das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ein Thema, wo ja eigentlich wenige Unternehmen auch Verantwortung übernehmen für dieses Thema.
Brink: Nun sind Sie ja Gleichstellungsbeauftragte, Sie sprechen für den Bund, aber Sie sind auch Gleichstellungsbeauftragte ja im Berliner Bezirk Pankow. Haben Sie das Gefühl, dass da bestimmte Dinge einfach auch gar nicht mehr en vogue sind, dass das so ein bisschen hinten wegfällt das Thema, dass man denkt, man hat das erledigt? Klingt ja nicht so, nach dem, was Sie schildern.
Gerstenberger: Ja, ja, ja. Ich sage mal so: Das Engagement reicht bei Männern und Frauen von dem "Ja, es muss was getan werden" bis hin zu wohlwollender Ignoranz, sage ich mal vorsichtig.
Es ist kaum noch einer, der jetzt sagt, nein, das ist alles schon erledigt, so nicht, aber wenn es ums Umsetzen geht, ist es halt immer sehr, sehr schwierig, und viele, viele Maßnahmen hängen am Geld.
Nehmen wir mal an das Thema Vereinbarkeit: Viele Frauen gerade in Pankow – wir sind ja ein Bezirk, der sehr viel Frauen in Berufen hat, die in der Kreativwirtschaft tätig sind, die also wahnsinnig flexible Arbeitszeiten haben, die aber nicht die entsprechenden Kinderbetreuungszeiten finden für sich.
Hier müssen einfach neue Modelle geschaffen werden, und da bewegt es sich eigentlich sehr schwerfällig, würde ich mal sagen.
Brink: Also gibt es viel Lippenbekenntnis auch von Seiten der Männer dann, finden Sie?
Leere Kassen als Totschlagargument
Gerstenberger: Ja, gibt es auch, es gibt aber auch, sage ich mal, Politiker und Politikerinnen auch bei mir im Bezirk, die gerne wollen, dass sich was bewegt, aber ich sage mal, dieses Argument leere Haushaltskassen oder gerade die Kommunen mit wenig Geld ist immer so eine Art Totschlagargument.
Ich glaube, hier müssen wir auch noch mal rangehen an die Unternehmen, die die eigentlichen Verursacher sind, denn von den Menschen, Frauen wie Männern, wird eine wahnsinnig hohe Mobilität erwartet, es wird erwartet, dass sie superflexible Arbeitszeiten haben, aber wenn sie Kinder kriegen, also wenn sie Kinder haben, geht es eben nicht mehr so ohne, dann muss man andere Modelle finden, damit Frauen und Männer gleichberechtigt auch arbeiten können. Ich würde da dieses Thema Familienarbeitszeit gerne noch mal anschneiden, weil es Frau Schwesig ja in die Öffentlichkeit gebracht hat.
Brink: Die Familienministerin.
Gerstenberger: Ja, genau, was dann so abgetan wird. Genauso sind wir der Meinung, wenn das Betreuungsgeld jetzt sozusagen nicht mehr en vogue ist und sagen, nein, da kann Herr Schäuble nicht einfach die Gelder jetzt in die Löcher in der Haushaltskasse stopfen, sondern die sollten jetzt eigentlich zum weiteren Ausbau der Kinderbetreuung benutzt werden, das ist unsere Position.
Brink: Aber haben Sie nicht Bedenken – zum Beispiel auch, wir haben ja jetzt gerade gehört, sechs Milliarden Euro soll es mehr geben für die Hilfe für die ankommenden Flüchtlinge – haben Sie da das Gefühl, dass Sie da auch hinten wegfallen, dass Sie da nicht das Geld bekommen, was Sie vielleicht haben müssten?
Gerstenberger: Nein, wir sehen auch alle hier – wir haben ja gestern Empfang gehabt, und wir haben schon viele Gespräche mit den Kolleginnen geführt – alle sehen das Thema auch als ganz wichtiges Thema an, wo wir uns jetzt erstmal auch mit beschäftigen müssen, und da geht es ja um gleicherweise, wir müssen uns besonders um die Frauen und Kinder kümmern, da geht es auch um das Thema Gewalt.
Frauen können nicht in solchen Riesenunterkünften, wo die Gefahr ja doch sehr groß ist ... Es kommen ganz viele Analphabetinnen, wo wir uns kümmern müssen, dass es Bildungsangebote gibt und so weiter. Ich glaube, das ist eine Herausforderung, der sich eigentlich alle Kolleginnen stellen wollen erstmal. Da geht es nicht darum, die nehmen uns das Geld weg, um Gottes Willen, hier müssen wir erstmal vorrangig handeln.
Brink: Sie haben es schon erwähnt, die Familien- und Frauenministerin Manuela Schwesig ist Gast auf Ihrer Konferenz, die ja heute in Rostock beginnt, der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten – was sind Ihre Forderungen, ganz konkret an Sie, was geben Sie ihr mit auf den Weg?
Warum verdient die Erzieherin weniger als der Lagerarbeiter?
Gerstenberger: Wir denken erstmal, dass wir in ihr – so haben wir es auch bei der letzten Konferenz in Potsdam damals erlebt – wir haben in ihr eine echte Bündnispartnerin, was ja davor nicht so unbedingt war, und wir würden sie in vielen Forderungen unterstützen, aber das, was ich am Anfang gesagt habe, das ist ein ganz wichtiges Thema, und ich glaube, sie ist auch bereit, die Themen anzunehmen. Das Thema Lohnungleichheit, dass es immer noch so ist, dass zum Teil in gleichen Berufen – Koch, Köchin – unterschiedliche Löhne bezahlt werden, es geht aber auch darum, dass eine Umbewertung von Berufen ... Es ist nicht nachvollziehbar, warum soziale Berufe, wie der Beruf der Kita-Erzieherin oder der Altenpflegerin, warum die schlechter bezahlt werden als beispielsweise der Beruf eines Lagerarbeiters. Ich glaube, da sind wir sehr mit ihr konform und müssen nicht gegen sie, sondern können uns mit ihr da auch bei vielen Themen verbünden und sie auch unterstützen.
Brink: Sind Sie, abschließende Frage, manchmal frustriert, gerade im Bereich der Ungleichbezahlung von Mann und Frau, dass da über Jahrzehnte nichts passiert?
Gerstenberger: Ja! Wir haben schon so viel gemacht und wir machen ja jedes Jahr den Equal-Pay-Day, und ich bin immer ganz erschrocken darüber – wir stehen ja dann auf der Straße und verteilen Blätter und kommen mit Frauen ins Gespräch – dass das immer noch nicht so bekannt ist, dass viele Frauen dann sagen, das war mir gar nicht so bewusst, man redet ja in Deutschland nicht über das Gehalt. Das eigentlich – die breite Öffentlichkeit zu erreichen, dass die sich auch engagiert und sagt, nein, da mache ich jetzt nicht mehr mit.
Brink: Sagt Heike Gerstenberger, Gleichstellungsbeauftragte im Berliner Bezirk Pankow. Schönen Dank, Frau Gerstenberger für das Gespräch!
Gerstenberger: Ja, ich danke Ihnen!
Brink: Heute treffen sich die kommunalen Gleichstellungsbeauftragten in Rostock.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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