Die Widrigkeiten der Bio-Branche
Bio zu kaufen mag ökologisch löblich sein. Allerdings kommt vom Boom bei den regionalen Bio-Bauern kaum etwas an. Jede zweite Biomöhre und jeder zweite Ökoapfel, die hierzulande verkauft werden, stammen aus dem Ausland.
Ein alter, roter Zetor-Traktor rumpelt über das Pflaster. Verschwindet in der Scheune. Dahinter ragen vier rostbraune Getreidesilos in den märkischen Himmel. Genervt steht Gerald Kaltschmidt auf dem Hof. Ein bulliger Mann mit Rockerbart, in schweren Stiefeln, Jeans und kariertem Hemd. Seit 17 Jahren bewirtschaftet er mit seinen beiden Söhnen mehr als 800 Hektar Ackerland nach ökologischen Kriterien. Auf 160 Hektar Grünland grasen Schafe.
"Es ist einfach für uns das Ende in Sicht, Und das geht dann ganz schnell. Und wenn wir dann wirklich um die letzten Luftblasen noch kämpfen, um die Nase über Wasser zu halten, irgendwann ist es dann aus. Und der Tag ist recht dicht dran."
Der Tag, an dem Kaltschmidt nur noch Landwirt und nicht mehr Bio-Landwirt sein wird.
"Auf unseren Böden, die hier in der Lausitz nicht so prickelnd sind, sage ich mal, 22 Bodenpunkte im Betriebsdurchschnitt, ist natürlich die Hauptkultur Roggen."
Kaltschmidt blickt auf die vier Getreide-Silos. 500 Tonnen Roggen kann er da einlagern. Etwas mehr als eine Jahresernte.
"Wir sind jetzt gerade durch. Die Ernte aus 2012 ist verkauft und ein Teil der 13er-Ernte, aber ein Teil ist auch noch vorrätig. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Man hofft, dass die Preise wieder anziehen und wir dann entsprechend Ware schnell zur Verfügung haben und mit einem guten Preis verkaufen können - aber die Wahrheit ist, dass wir auf den Tag schon drei Jahre warten."
Roggen wird billiger, Brot und Brötchen aber nicht
35 Euro für 100 Kilogramm Bio-Brotroggen bekam er vor vier Jahren. Heute sind es noch 20 Euro.
"Und da frage ich mich, wo die Differenz an Geld bleibt, denn Brot und Brötchen sind nicht billiger geworden, auch auf der Ökoschiene nicht."
Irgendwo zwischen dem Bio-Brötchen- und dem Roggen-Preis ist Kaltschmidts Landwirtschaftsmodell auf der Strecke geblieben. Der Verzicht auf Dünger und Pestizide. Der Arten- und Natur-Schutz.
"Hier vor Ort habe ich eine Schälmühle, 50,60 Kilometer von uns entfernt, wo wir auch Hafer hin liefern. Der bestätigt mir, dass er für 16-18 Euro Öko-Hafer, Schälhafer aus Litauen auf den Hof gefahren kriegt. Und das ist für ihn ausschlaggebend. Wenn er die nächste Ausschreibung macht, um seine Haferflocken zu vermarkten, dann will der, der nächste Kunde sagt: Kannst du mir den Preis geben oder nicht. Dann hole ich sie mir woanders. Und schon hat er den Preisdruck wieder und reicht ihn zu uns runter. Und wir haben niemanden mehr zum Weiterreichen. Wir sind das letzte Glied."
Und das wird in Deutschland immer schwächer. Jahr für Jahr geben rund 600 Biobetriebe auf. Dabei steigt die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln stetig.
"Das ist ein guter Erfolg: 7,55 Mrd Euro Einzelhandelsumsatz in Deutschland. Das sind knapp unter 4 Prozent des gesamten Lebensmittelumsatzes in Deutschland. Ja, wir treten langsam aus der Nische heraus, das kann man sagen."
In Berlin-Mitte greift Stefan Zwoll zu einer Erdbeere. Natürlich ist die Bio. Genauso wie der Saft, der auf dem Besprechungstisch steht. Zwoll ist Geschäftsführer des Bundes für Ökologische Lebensmittelwirtschaft, kurz BÖLW. Ein Lobby-Verband, in dem sich Erzeuger, Verarbeiter und Händler ökologischer Lebensmittel zusammengeschlossen haben. Seit Jahren geht es aufwärtsmit dem Bio-Business. Jahr für Jahr steigt der Umsatz, zuletzt um sieben Prozent. Verarbeiter und Handel brauchen immer mehr Nachschub, um die steigende Nachfrage zu decken. Aber aus Deutschland kommt davon immer weniger. Jede zweite Möhre, jeder zweite Apfel wird heute importiert. Auch jede dritte Kartoffel kommt aus dem Ausland. Gemüse und Obst liefern Länder wie Holland, Italien, Österreich, Argentinien, Israel oder Ägypten. Aus Osteuropa drängt vor allem günstiges Getreide auf den Markt.
"Aber natürlich wenn wir einen osteuropäischen Weizen oder Roggen haben zu einem unschlagbaren Preis, dass da Verarbeiter zuschlagen, das ist verständlich. Wichtig ist mir, dass die Umweltleistung, die der ukrainische, rumänische oder italienische Landwirt bringt, natürlich genau so einen hohen Wert hat, wie für uns Deutsche. Es geht nicht darum, ausländische Ware grundsätzlich zu diskriminieren."
"Wo bleibt der Mehrwert meiner Arbeit?"
Vor Stefan Zwoll liegt der neueste Bericht seines Verbandes. Titel "Die Bio-Branche 2014. Zahlen-Daten-Fakten". "Weiter großes Potential für die Umstellung auf Ökolandbau vorhanden", steht über dem ersten Kapitel. Von Potential ist in dem Bericht oft die Rede. Von Problemen weniger. "Mehr Obst und Wein sowie mehr Eier und Geflügel". "Naturkostfachhandel baut Umsatz deutlich aus". Erfolgsmeldungen Kapitel für Kapitel. Nur über dem elften heißt es: "Einkommen stabil, relative Vorzüglichkeit nimmt ab". Fünf Zeilen darunter steht der Satz: "Im Unterschied zu den Vorjahren erzielten die Öko-Betriebe ein geringeres Durchschnittseinkommen als konventionelle Vergleichsbetriebe". Das heißt: Weniger Geld für mehr Arbeit.
"Wir sehen, dass im konventionellen Bereich die Weltagrarpreise stetig steigen, das heißt, der Unterschied zwischen Bio-Rohstoffen und konventionellen Rohstoffen auf der Abnahmeseite, der Preisabstand verringert sich. Damit auch das Interesse für umstellungswillige oder auch schon der ökologischen Produktion verbundenen Betriebe, die fragen sich natürlich, wo bleibt der Mehrwert meiner Arbeit?"
Ökolandbau lohnt sich in Deutschland immer weniger. Der Zuwachs an Flächen war im letzten Jahr so schwach wie noch nie. Bei den ökologischen Landbauverbänden steht unter dem Strich ein mageres Plus von gerade mal 0,4 Prozent. Stefan Zwoll zuckt mit den Schultern. Das Wort Krise nimmt er nicht in den Mund. Spricht lieber von Herausforderungen. Und fordert 300 Euro Beibehaltungsprämie pro Hektar für die Biobauern.
"Jeden Hektar, den wir in Europa mit ökologischen Agrarrohstoffen in anderen Ländern bepflanzen, bearbeiten ist natürlich ein gewonnener Hektar. In meinem Weltbild. Alles, was wir importieren, wir exportieren die Umweltleistung, das heißt dort, wo ökologischer Landbau in anderen Ländern betrieben wird, haben wir natürlich eine Umweltleistung auf dem Hektar. Das sind die gesellschaftlich nachgewiesenen Leistungen: Tierschutz, Naturschutz, Artenvielfalt."
Import von Bioprodukten gleich Export von Umweltleistungen. So betrachtet ist Deutschland heute Exportweltmeister. Und verschenkt jedes Jahr einen Großteil der ökologischen Dividende.
"54 Prozent der Landesfläche in Deutschland wird von der Landwirtschaft genutzt, diese intensive Nutzung erfolgt sozusagen fast ohne Baum und Strauch."
Sagt Reinhild Benning, Landwirtin und Agrarexpertin vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Die konventionelle Landwirtschaft ist in Deutschland heute der größte Landnutzer und einer der größten Umwelt-Verschmutzer der Republik. "Die Artenvielfalt in der Agrarlandschaft ist seit Jahren rückläufig", mahnte kürzlich das Umweltbundesamt. Auch für die Verunreinigungen im Grundwasser seien – Zitat "nahezu ausschließlich die Nitratbelastungen aus der Landwirtschaft verantwortlich". Die Verbraucher zahlen. Über die Wasserpreise.
"Auf der Grundlage einer Studie des Umweltministeriums sind die Kosten für die Überdüngung bezifferbar. Und es entstehen für Reinigung unseres Trinkwassers in Deutschland jedes Jahr Kosten von über acht Milliarden Euro, die Wassernutzer und wir letztendlich als Wasserverbraucher, aufwenden müssen, um Schäden, die die Landwirtschaft verursacht wieder aufzufangen."
Bei 15 Prozent des Grundwassers liegt der Nitrat-Wert bereits über dem Grenzwert der Trinkwasserverordnung. In immer kürzeren Abständen schlagen Wasserbetriebe Alarm. Allein in Niedersachsen sind nach Angaben des zuständigen Ministeriums rund 60 Prozent des Grundwassers mit zu hohen Nitratwerten belastet.
Deutschland bekommt Nitratproblem nicht in den Griff
Mittlerweile hat die EU-Kommission ein Verfahren gegen die Bundesregierung eröffnet, weil Deutschland sein Nitratproblem nicht in den Griff bekommt. Dass Grundwasserschutz und Landwirtschaft durchaus harmonieren können – dafür gibt es etliche Beispiele.
"Einige Großstädte wie München und Leipzig haben die Landwirte, die auf den Flächen wirtschaften, unter denen die Grundwasserkörper liegen, die diese Großstädte versorgen, bewogen umzustellen auf ökologischen Landbau, denn im ökologischen Landbau ist Nitrat ein Mangelfaktor und kein Überfluss. Daher kalkulieren Wasserwerke, wenn wir die Bauern dafür bezahlen, dass wir auf Ökolandbau umstellen, dann haben wir sauberes Wasser zum günstigsten Tarif."
Bio-Landwirtschaft ist praktizierter Umweltschutz auf dem Acker. Doch für die schwarz-rote Bundesregierung ist das nur ein Randthema- In den Koalitionsvertrag wurde zwar die Forderung nach 20 Prozent Flächenanteil für den Ökolandbau aufgenommen. Das ursprüngliche Zeit-Ziel 2020 allerdings wieder herausgestrichen. Auf Druck der CSU, sagt Reinhild Benning. Derzeit beträgt der Öko-Anteil an der Agrarfläche gerade mal 6,3 Prozent.
Hunderte Besucher drängen sich in der geschmückten Scheune auf dem Tramsen-Hof in Dollerup, südlich von Flensburg. Landwirte und Gäste sitzen an langen Biertischen oder auf Strohballen. Die Veranstaltung ist der Auftakt für die bundesweite Aktion: "Tag des offenen Hofes". Angereist ist nicht nur der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, sondern auch der grüne Umweltminister aus Kiel.
Doppelter Ertrag für konventionelle Landwirtschaft
Im luftigen Freilauf-Stall stecken die rot-bunten Milchkühe ihre Köpfe durch die Metallgitter. Mit ihren langen Zungen angeln sie nach dem Futter im Mittelgang. Der Hof der Tramsen-Familie ist ein vielseitiger Betriebe: Es gibt 125 Milchkühe, 220 Sauen, 200 Hektar Ackerland und eine Biogasanlage. Gewirtschaftet wird konventionell. Dabei hatte Hans-Peter Tramsen durchaus mal erwogen, auf Ökolandbau umzustellen. Doch insbesondere die Lage seines Hofes, fast an der dänischen Grenze, fern jeder Großstadt, erschien ihm ungeeignet für einen Bio-Betrieb:
"Ich muss wirtschaftlich damit zu recht kommen als Landwirt. Gerade in der Marktferne, man muss direkt vermarkten, um überhaupt dann ein gutes Einkommen zu erzielen und weil wir in Schleswig-Holstein eben nicht so viele Leute sind, nicht so viele Einwohner sind, du kriegst das nicht so vermarktet, dass du deinen Betrieb davon erhalten kannst."
Robert Habeck steht daneben und nickt. Er kennt die Befürchtungen der Bauern nur zu gut. Seit 2012 ist Habeck Minister für Energiewende, Landwirtschaft und Umwelt in Schleswig-Holstein. Als der Grünen-Politiker sein Amt antrat, wurden nur noch 3,5 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche des Landes ökologisch bewirtschaftet. Neun Prozent der Bio-Betriebe hatten in den fünf Jahren zuvor aufgegeben. Und das obwohl alle Umfragen zeigten: Der Verbraucher will mehr "bio".
"Die Nachfrage wird immer größer, allerdings ist es gerade für ein Hochertragsland wie Schleswig-Holstein mit sehr guten Böden und sehr guten klimatischen Bedingungen ökonomisch ganz schwer die Umstellung in dem Maße anzukurbeln wie die Nachfrage steigt. Das liegt daran, dass die konventionelle Landwirtschaft unter Einsatz von Dünger oder Pflanzenschutzmitteln, also Pestiziden, teilweise den doppelten Ertrag bringen kann."
Hinzukommt: Flächen sind knapp und teuer. Der Boom der Biogasanlange, ausgelöst durch das Erneuerbaren Energien-Gesetz, kurz EEG, hat den Mais-Anbau zum lukrativen Geschäft gemacht. Die Folge: Die Pachtpreise explodieren.
"Wir haben in Schleswig-Holstein seit 2007 eine Verdoppelung fast der Pachtpreise des Landes bekommen. Und das ist eben für die Landwirte, die nicht so viel Geld verdienen, besonders schwer zu bewerkstelligen. Also, das muss man ganz klar sagen, dass EEG hat in Schleswig-Holstein den Ökolandwirten das Leben besonders schwer gemacht. Eben auch einigen kleineren oder ein bisschen extensiver wirtschaftenden Landwirten, aber auch den Öko-Landbauern. Energie-Wende und Ökolandbau sind keine glückliche Kombination, das ist einfach zuzugeben."
Bio-Bauern erhalten 180 Euro pro Hektar
Zwei Herzens-Anliegen der Grünen, die einander offenbar ausschließen. Damit der Ökolandbau in Schleswig-Holstein nicht weiter schrumpft, hatte Habeck gleich nach Amtsantritt die sogenannte Beibehaltungsförderung für Bio-Bauern wieder eingeführt. Sie war von der schwarz-gelben Vorgänger-Regierung gestrichen worden.
Derzeit erhalten Bio-Bauern wieder 180 Euro pro Hektar. Für Betriebe in den ersten beiden Umstellungs-Jahren sind es gar 280 Euro. Für Habeck ist das keine Subvention, sondern eine Kompensation. Schließlich ackert ein Bio-Bauer umweltschonend und fährt dafür eine geringere Ernte ein. Doch mit einer finanziellen Förderung allein, ist es nicht getan, weiß der Minister.
"Wir versuchen über eine direkte Vertriebsform also Regionalität und Öko zusammen zu bringen, so den Zwischenhandel zu sparen und so den Landwirten direkte Einkünfte zu geben. Wir versuchen Tourismus-Förderung damit zu vereinbaren, also Ferien auf dem Bauernhof oder auch direkte Nahrungsmittelproduktion damit zu kombinieren. Und damit hoffen wir – wir setzen auch auf neue Schulungen – dass man die finanzielle Kluft ein Stück weit überspringen kann."
Seit 2013 ist ökologischer Landbau auch fester Bestandteil der landwirtschaftlichen Ausbildung. Doch der Umweltminister macht sich keine Illusionen, die Rahmenbedingungen sind und werden schwierig bleiben.
"Wir haben ja viele Schrauben gedreht, dass hat jetzt zu einem leichten Wachstum endlich mal wieder in Schleswig-Holstein geführt, wird sind jetzt von 3,5 auf vier Prozent gegangen. Das ist schon mal vorzeigbar, aber noch nicht da, wo wir hinwollen. Allerdings ist es im Grunde unmöglich gegen den Welt-Weizen-Preis anzufinanzieren. Im Moment ist so eine Hochertragssituation für die Landwirtschaft, dass man die finanzielle Lücke nur nähern kann, aber nicht wirklich schließen kann. Also so viel Geld haben wir gar nicht, wie wir da reinpumpen können."
Die Birnen kommen aus Argentinien
Ein großer LKW rangiert vor die Laderampe der riesigen Kühlhalle. Mitarbeiter entladen eine Transportkiste nach der anderen.
"Das ist jetzt ein regionaler Betrieb, ich habe hier gerade Mini-Gurken gesehen, gucken sie sich das mal an, ein ganzer LKW voll und da jeden Tag. Das macht schon Spaß."
Mit einem zufriedenen Lächeln beobachtet Meinrad Schmitt die Arbeiten. Er ist Geschäftsführer von "Terra Naturkost", einem Großhändler, der Berlin und den Nordosten Deutschlands mit Bio-Waren beliefert. Ausschließlich den Naturkostfachhandel, also kleine Bioläden ebenso wie Bio-Supermärkte. Schmitt ist einer der Pioniere der Branche. Seit 25 Jahren handelt Terra mit Bioprodukten. Schmitt tritt einen Schritt zur Seite, lässt einen Gabelstapler mit Bio-Birnen aus Argentinien passieren. Mehr als 240 Lieferanten schicken ihre Ware nach Berlin ins Lager. Mehr als 10.000 Produkte sind im Angebot.
"Was so das normale Sortiment angeht, unterscheiden wir uns von der Fülle und vom Angebot nicht sehr stark vom konventionellen."
Vom konventionellen Angebot des Lebensmittel-Einzelhandels. Der drängt, wie auch die Discounter seit Jahren mit Macht in den Biomarkt. Konventioneller Einzelhandel und Discounter machen heute 60 Prozent des Gesamtumsatzes der Bio-Branche. Mit ihrem Erfolg hat sich das Marktgefüge in Deutschland geändert. Die großen Ketten brauchen riesige Mengen zu günstigen Preisen. Beispiel: Bio-Eier. Sie haben es in den letzten Jahren auf einen Anteil von 14 Prozent am gesamten Eier-Markt gebracht:
"Bei Eiern hat man ja immer wieder einen Skandal, also fast halbjährlich kommt irgendwas hoch. Früher hatten sie halt einfach die Richtlinien, dass ein Hühnerstall nur 3000 Tiere beinhalten darf. Und dann hat man halt einfach 10 x 3000 hintereinander gebaut und hat dann irgendwo eine Wand oder Zaun dazwischen gebaut und hat dann eine 30.000er-Anlage gehabt, um dann den LEH mit Bioeiern zu versorgen. "
LEH - das ist der Lebensmitteleinzelhandel. Zusammen mit den Discountern setzen sie das Gros der Bio-Eier ab. Schmitt kann da mit seinem Angebot preislich nicht mithalten. Will er auch gar nicht.
"Also wir haben ein Eier-Konzept, weil wir 5-6 Betriebe regional haben, es erreicht kein Betrieb mehr als 3000 Tiere. In der Regel haben sie 1.500, einer hat 1000. Ich glaube, es ist keiner dabei, der diese 3.000 Tiere, die theoretisch nach der Anbau-Richtlinien möglich wären, die überhaupt im Bestand hat. Sie sind regional. Wir können hingucken, wir können hinfahren."
"Regional ist erste Wahl" – mit diesem Slogan werden die Produkte beworben. Auch das Eier-Angebot. Das entspricht allerdings nicht immer der Nachfrage.
"Es passiert bei uns immer wieder, das wir ein Produkt nicht liefern können, aus diesen Gründen, weil wir uns da einfach treu bleiben und sagen: Wir rennen da nicht los ins Oldenburger Land, da wo diese Riesenmasteinheiten sind, irgendwie kriegen die auch noch einen Biostempel hin, das wollen wir nicht, wir hinterfragen auch, wo kaufen wir ein, und wir kennen die Leute wo wir einkaufen, das ist uns wichtig."
Manche spielen mit falschen Karten
Im globalisierten Bio-Geschäft allerdings nicht immer möglich. Zwar werden die Betriebe auch außerhalb der EU durch akkreditierte Kontrollstellen zertifiziert, doch tauchen immer wieder gefälschte Bio-Zertifikate auf. Wird versucht, konventionelle als ökologische Ware zu verkaufen. Als Vorsichtsmaßnahme haben Schmitt und seine Handels-Kollegen schon vor zehn Jahren eigene Kontrollen eingeführt. Und immer wieder werden sie fündig. Zum Beispiel bei Ingwer aus China:
"Es gab auch schon ganze Container, wo dann eine Analyse gemacht wurde, die nicht in Ordnung war, die nicht geweigert wurden, aber die werden dann konventionell verkauft, die können wir nicht als Bio-Ware verkaufen."
Doch auch in Europa wird beim Bio-Monopoly mancherorts mit falschen Karten gespielt. Über Jahre etwa vergab das italienische Zertifizierungs-Unternehmen „Biozoo" konventioneller Ware aus Osteuropa das Bio-Siegel. Mal Äpfeln, mal Getreide, mal Sojabohnen. Insgesamt gelangten mehr als 15.000 Tonnen falsch gekennzeichnete Produkte auf den Markt. Mittlerweile sitzen einige der Verantwortlichen hinter Gittern, dem Zertifizierer wurde im Februar 2014 die Lizenz entzogen. Ein Beispiel für die Missbrauchsanfälligkeit des grenzenlosen Biohandels. So global wie nötig, so regional wie möglich - auf dieses Geschäftsprinzip setzt Meinrad Schmitt.
"Wir müssen das nachvollziehen können, wo die Sachen herkommen, wer sie anbaut und wir haben genauso, wie wir in Brandenburg 40 Produzenten und Erzeuger haben, die für Terra produzieren, haben wir das natürlich auch in Italien für den Winter, wir haben das in Spanien, wir haben das in Südfrankreich, also im Mittelmeer-Raum."
An vielen Unternehmen ist Terra über eine Tochterfirma direkt beteiligt. Und hat so die Produktionsverhältnisse besser unter Kontrolle. Mit anderen Partnerbetrieben aus Brandenburg und Sachsen-Anhalt kooperiert das Unternehmen seit Jahren. So liefern vier Bauern regelmäßig ihre gesamte Kartoffelernte an Terra Naturkost.
"Bio muss auch mitwachsen, also wenn wir nur noch Bio importieren und sagen Bio um jeden Preis, dann ist das auch Blödsinn. Also wenn Grenzen erreicht sind, dann müssen wir halt sagen: Stopp, mehr geht nicht, das funktioniert nicht."
Den Verbrauchern ist das Big-Bio-Business suspekt
Der Ökolandbau steht hierzulande am Scheideweg, glaubt Reinhild Benning vom Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland. Die boomende Nachfrage und die stagnierenden Anbauflächen schaffen zwei Konsumenten-Kreise. Einen regionalen und einen anonymen.
"Und vor dem Hintergrund glaube ich, dass es immer einen Ökomarkt geben wird, der sehr transparent ist und sehr nachvollziehbare und überschaubare Lieferketten hat. Und ich glaube es wird daneben Big Business geben, etwa um "Öko" zu Ramschpreisen in Discountern hinzustellen, was dann einzig ein Imagegewinn für Discounter ist, aber insgesamt der Biobranche einen Bärendienst erweist, weil zu niedrige Preise ruinieren nun mal das Geschäft."
Etlichen Verbrauchern ist das Big-Bio-Business mittlerweile suspekt. Sie suchen den direkten Kontakt zu den Erzeugern, versuchen den Zwischenhandel auszuschalten.
Ortrun Staude erklärt kurz, was heute zu tun ist: Die Tomatenpflanzen brauchen eine Mulch-Schicht. Die Gurken müssen hochgebunden werden. Gut ein Dutzend Helfer sind nach Vietmannsdorf in die Uckermark gekommen, zum „Gärtnerhof Staudenmüller". Auch Dörte packt regelmäßig mit an. Das Angebot im Bio-Supermarkt überzeugt sie immer weniger:
"Ich hab da Gefühl, dass es mit dieser steigenden Nachfrage an Qualität einfach geschwunden ist. Zum einen, weil ich den Eindruck hab, dass auch die Bio-Supermärkte sich mehr Gedanken machen um Wirtschaftlichkeit und wie kann man das alles vereinfachen und die wachsen wie Pilze aus dem Boden und dann wird das alles zentralisiert... und wo ich dann einfach auch Fragezeichen kriege, wenn die Gurken einzeln in Plastik verpackt gelagert werden."
Deshalb hat sie sich für das Projekt auf dem Hof Staudenmüller entschieden. Seit mehr als 20 Jahren bewirtschaften Ortrun Staude und Marin Müller den 23 Hektar-Betrieb biologisch-dynamisch. Vor zwei Jahren starteten sie das GELA-Projekt. „Gemeinsam Landwirtschaften" oder auch „Solidarische Landwirtschaft", heißt eine neue, bäuerliche Wirtschaftsform, die sich langsam auch in Deutschland verbreitet. Dabei schließen sich Landwirte und Privathaushalte zusammen. Die Haushalte verpflichten sich, ein Jahr lang, monatlich einen festen Betrag an den Landwirt zu überweisen. Dafür gibt es wöchentlich einen Ernte-Anteil, in Form einer "Bio-Kiste". Auch Jörg ist seit Anfang an dabei:
"Jetzt momentan sind viel Salate, Mangold, Rote Beete war auch noch. Und was ist noch so dabei, Säfte sind dabei, Radieschen haben wir viel, Knoblauch, Frühlingszwiebeln. Es kommt schon was zusammen und was man auch mitkriegt, dass es Gemüse ist, was man sonst nie gegessen hat, also zum Beispiel Rote Bete."
Der Student Jörg und seine Freundin schaffen zu zweit nur einen halben Ernteanteil. Sie zahlen dafür 15 Euro pro Woche, plus gelegentliche Arbeitseinsätze. Alle GELA-Mitglieder sind in regionalen Gruppen organisiert. Einmal die Woche wird das Gemüse geliefert, die Verteilung organisiert jede Gruppe selbst. Die meisten GELA-Teilnehmer sind langjährige Bio-Konsumenten. Doch sie fragen sich: Braucht man im März Bio-Früh-Kartoffeln aus Ägypten? Im Sommer Bio-Hokaido aus Argentinien? Im Herbst Bio-Äpfel aus Neuseeland?
"Ist es diese riesen Bandbreite, das ich dann auch dafür in Kauf nehme, dass es aus China, Kanada, Neuseeland kommt? Oder was macht mich wirklich satt oder wo kommt es her und was kann ich selber vertreten. Das ist schon auch immer ein Spagat, den man für sich selber ausloten muss."
"Die Globalisierung bringt diese Anonymität"
Regional und Bio – bei GELA geht das prima zusammen, findet die Berlinerin. Hinzu kommt die Planungssicherheit für den landwirtschaftlichen Betrieb:
"Wenn tatsächlich ein Ernte-Ausfall ist, dass es für sie nicht die Katastrophe ist und jeder von uns wird es verkraften, weniger Gemüse zu bekommen, ohne dass selber am Eingemachten, am Ruin geknabbert wird."
Faire Preise für den Bauern, regionales Gemüse für die Städter und dazu ein gutes Gefühl:
"Hier rauszufahren ist ein Genuss. Wirklich auch mitzuhelfen, zu begreifen, wo die Sachen herkommen und auch wieviel hulle Arbeit es macht, bis wir das Essen so auf dem Teller haben."
"Regional ist die Antwort, wenn sie wollen, auf global."
Sagt Professor Ulrich Köpke, Direktor am Institut für organischen Landbau der Universität Bonn.
"Die Globalisierung bringt diese Anonymität hinein, oftmals wissen sie gar nicht, wo kommen die Dinge her? In dem Moment, wo ein inneres Bild aufscheint, wo mit eine Region, eine Landschaftskulisse verbunden ist, ein Landschaftshintergrund, ein Erlebnis, ein Empfinden, haben sie ein anderes Vertrauen zum Produkt. Und das generelle Wohlbefinden, das ist etwas, was die Kunden wollen."
Ein Verbraucher-Wunsch, den der Bio-Bereich bestens bedienen könnte, sollte man meinen. Doch das hiesige Potential wird bei weitem nicht ausgeschöpft. Es sei versäumt worden, bio und regional deckungsgleich zu machen, kritisiert Köpke. Und nennt auch die – aus seiner Sicht - Verantwortlichen:
"Aus den Kreisen des ökologischen Landbaus, also sowohl von den Verbänden als auch vom Dachverband. Man hätte da mehr Aufmerksamkeit mehr setzen sollen. Ich bin der Meinung, dass man dort auf das Größerwerden gesetzt hat, auf die Entwicklung und die Dynamik der Märkte haben eine lange Zeit getäuscht über die Situation im Inland. Ich glaube, das kann man auch ganz einfach zugeben und das ist korrekturfähig oder korrekturbedürftig, ob – fähig, das kann ich nur hoffen."
Die Zeit drängt
Der Professor für Öko-Landbau spricht sich keinesfalls gegen Bio-Importe aus. Doch was hierzulande erzeugt werden kann, sollte auch hier erzeugt werden, sagt er. Doch wer glaubt, den Ökolandbau allein mit Flächenprämien ankurbeln zu können, der irrt. Eine höhere Beibehaltungsprämie mündet nur in noch höheren Pachtpreisen, ist sich Köpke sicher. Er sieht vor allem die Verbände in der Pflicht, aktiv in Sachen Umstellung zu werden und zwar in flächendeckender Umstellung. Nicht einzelne Betriebe, sondern ganze Dörfer oder gar Regionen. Dabei hat Ulrich Köpke nicht die großen Betriebe mit den guten Böden im Blick, sondern Höfe in sogenannten Halbgunst-Lagen:
"Mit mittleren Bodenpunkten, Betriebe mit mäßiger Flächenausstattung: 60, 80, 100 Hektar. Betriebe, die aufgeben, Betriebe im Dorf, vielleicht zwei, drei noch, Rest, der eine hat keinen Hofnachfolger, lassen sie alle 80 Hektar haben, da haben sie 240 Hektar. Die zwei, die Verbliebenen, bewirtschaften die 240 Hektar, sie halten Vieh, sie können sich gegenseitig unterstützen, sie können Urlaub machen, der eine kann den anderen ersetzen, sie haben ein anderes Konzept, sie können an GbRs denken, also neue Rechtsformen in der Landwirtschaft. All das ist möglich."
Wenn die Bio-Verbände aktiv auf solche Betriebe zugehen, sie "abholen" wie Köpke formuliert. Allerdings: Die Zeit drängt, da macht er sich keine Illusionen.
"Sie hätten es viel eher machen sollen, in den zurückliegenden Jahren. Die Sache ist noch nicht verloren, aber eine solche Initiative sollte möglichst schnell starten. Man darf nicht erwarten, dass die Politik voran schreitet, das muss aus dem Sektor ökologischer Landbau selbst angegangen werden."
In der Lausitz diskutiert Gerald Kaltschmidt kurz mit seinem Sohn. Dann beugt sich der Biobauer wieder über die Unterlagen, die sich auf seinem Schreibtisch stapeln. An der Wand, hinter ihm hängt ein großer Schädel mit riesigen Hörnern.
Das ist, haben wir Jahre hier draußen in der Koppel Highland-Rinder gehabt, die rot-braunen, zotteligen, schottischen Hochlandrinder. Aber, hier in unserem Hofladen, wir sind am Arsch der Welt, das muss man einfach akzeptieren. Und der Kunde ist nicht bereit, für so eine Roulade eben mehr aus zu geben. Wir mussten uns an die Marktpreise halten, um das Fleisch vermarkten zu könne. Ich sage: Haken ran.
Seitdem hängt der Rinderschädel an der Wand. Für Kaltschmidt Erinnerung und Mahnung zugleich, dass man sich von einer Idee, die nicht funktioniert, rechtzeitig verabschieden muss. Vor kurzem hat er mit seinen Söhnen wieder einmal nachgerechnet.
"Wir haben uns da wirklich intensiv und ernsthaft mit den Jungs zusammengesetzt und haben Gedanken zusammengetragen und haben auch Zahlen zusammengetragen."
Seine beiden Söhne sollen den Hof irgendwann weiterführen. 1300 Hektar. Mit 14 Beschäftigten. Zu dritt haben sie hin und her gerechnet. Mit dem aktuellen Roggenpreis, den Subventionen. Unterm Strich reicht es nicht. Alleine werden sie es nicht schaffen. Zumindest nicht mit dem ökologischen Landbau:
"Die Brandenburger Politik hat angedeutet, Schritte in die Wege leiten zu wollen, um den ökologischen Landbau zu unterstützten und nicht untergehen zu lassen, aber wenn das nicht bis zum Jahresende geklärt ist, werden wir zum 1. Januar voraussichtlich den Ökostatuts aufgeben und konventionell weiterwirtschaften."
Links zur Sendung:
Landwirtschaft mitgestalten beim Gärtnerhof Staudenmüller und dem Verein Solidarische Landwirtschaft