Ein Modell mit Schwächen
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Ab 2023 sollen in etlichen Ländern eine einheitliche Mindeststeuer von 15 Prozent für Unternehmen gelten. Doch gelingt es dadurch, Steueroasen auszutrocknen und große Unternehmen wie Facebook und Google zur Kasse zu bitten?
Die Industriestaaten-Organisation OECD und die G20-Finanzminister haben die globale Mindeststeuer für Großunternehmen in den vergangenen Tagen beschlossen. 136 Länder wollen ab dem Jahr 2023 bei der Mindestbesteuerung internationaler Konzerne mitziehen.
Ein Erfolg auch von Olaf Scholz, der sich als Bundesfinanzminister in den vergangenen Jahren für das Projekt stark gemacht hatte. Beim G20-Finanzministertreffen in Washington zeigte er sich vor wenigen Tagen optimistisch. "Es wird uns gelingen, den Wettbewerb nach unten mit immer geringeren Unternehmenssteuersätzen zu beenden", sagte er. "Mit der internationalen Mindestbesteuerung großer Unternehmen wird es auch dazu kommen, dass wir erhebliche Mehreinnahmen haben – weltweit, aber auch in Deutschland."
Die Einigung auf eine globale Mindeststeuer steht auf zwei Säulen: Der Hauptpfeiler ist eine Mindestbesteuerung von 15 Prozent für Großunternehmen ab einem Jahresumsatz von 750 Millionen Dollar. Experten schätzen, dass darunter 7000 bis 8000 Unternehmen weltweit fallen, einige hundert seien es in Deutschland.
Außerdem – das ist die zweite Säule – sollen die internationalen Steuerregeln an das digitale Zeitalter angepasst werden. So sollen die 100 größten und profitabelsten Konzerne in jenen Ländern mehr Steuern bezahlen, in denen sie große Teile ihrer Geschäfte machen. Unter anderem Technologie-Riesen wie Google oder Facebook konnten in der Vergangenheit profitieren, indem sie ihre Gewinne schöngerechnet hatten. Sie konnten ihre Erlöse etwa aus Patenten und Software-Lizenzen in Niedrigsteuerländern verbuchen.
Nur wenige Unternehmen sind von der Mindeststeuer betroffen
Konkret bezieht sich diese zweite Säule der Besteuerung auf Konzerne, die weltweit mehr als 20 Milliarden Euro Umsatz machen und eine Rentabilität von über zehn Prozent aufweisen. Solche Einschränkungen allerdings sieht Christoph Spengel als eines der Probleme der globalen Mindeststeuer in ihrer aktuell geplanten Form. "Wenn man Größengrenzen einzieht, dann wird das auch wieder Gestaltungen hervorrufen", prognostiziert der Professor in Mannheim und Steuerexperte beim Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). "Dahingehend, dass ein Konzern sich vielleicht aufteilt in kleinere Einheiten, dass er nicht mehr unter diese Regel fällt, das kennen wir aus anderem Zusammenhänge auch schon."
Spengel sieht an den Einschränkungen auch das Problem, dass auf diese Weise überhaupt nur sehr wenige Unternehmen betroffen sein werden. "Und dann muss man sich am Ende schon fragen: Lohnt denn der Aufwand überhaupt? Denn das bringt ja Kosten. Lohnt dieser Aufwand im Vergleich zu den erwarteten Steuermehreinnahmen? Das ist ein großes Fragezeichen, das sich darstellt."
Ein Gewinn für den Mittelstand
Das Münchener Ifo-Institut schätzt die Mehreinnahmen für den deutschen Fiskus auf immerhin rund fünf Milliarden Euro jährlich. Auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz geht – ebenso wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) – von mehreren Milliarden Euro aus, die zusätzlich ins Steuersäckel fließen könnten. "Das ist gerade ein Riesenerfolg für Länder wie Deutschland, die bisher viele, viele Milliarden Euro an Steuereinnahmen verloren haben", sagt DIW-Präsident Marcel Fratzscher, und vor allem ein Gewinn für den Mittelstand. "Denn es sind ja gerade die kleineren und mittleren Unternehmen, die diese Steuervermeidungsstrategien nicht machen können und dadurch in großen Nachteil gegenüber den großen Konzernen geraten."
Auch Gerhard Schick, der Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende, sieht in der beschlossenen globalen Mindestbesteuerung einen wegweisenden Schritt in die richtige Richtung. Allerdings sieht er eine Gefahr auf Grund des Prinzips der Freiwilligkeit der globalen Steuerregeln. So könne das Vielstaatenprojekt an seine Grenzen stoßen, wenn einige Steueroasen oder Schattenfinanzzentren nicht mitziehen. "Deswegen wird es ganz entscheidend darauf ankommen: Wie setzen eigentlich die Industriestaaten, die da mitmachen, gegenüber nichtkooperativen Schattenfinanzzentren wirklich durch, dass diese globale Steuer auch gilt", betont er. "Insofern finde ich die Durchsetzungsfrage sehr entscheidend."
Wettbewerb um niedrige Unternehmenssteuern geht weiter
Zuletzt hatten europäische Länder wie Irland und Ungarn nach langem Widerstand eingelenkt und wollen nun bei der globalen Mindeststeuer mitmachen. Allerdings um den Preis, dass aus der Vereinbarung das Wort "Mindestens" herausgefallen ist. War vorher von "mindestens 15 Prozent" die Rede, haben sich die Länder nun auf genau 15 Prozent geeinigt. Einen solch niedrigen Satz ohne Perspektive einer Erhöhung in Zukunft sehen viele Beobachter als Problem.
"Wir sehen den Wettlauf nach unten schon seit vielen Jahren", kritisiert Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit. "In Deutschland sind in den letzten zwei Jahrzehnten die Steuern für Unternehmen von 60 auf zuletzt 30 Prozent gesunken." Ein weltweit zu beobachtender Trend, so Trautvetter. "Mit diesem Mindeststeuersatz von 15 Prozent ist der Boden von Null auf 15 Prozent angehoben. Aus einem Wettlauf Richtung Null wird nun ein Wettlauf Richtung 15 Prozent. Der Druck für die Länder, die Unternehmenssteuern weiter zu senken, ist dadurch noch nicht aus der Welt."
Zahlreiche Stolpersteine auf dem Weg zur globalen Besteuerung
Zum anderen sehen Finanzexperten wie Gerhard Schick eine andere Schwierigkeit darin, dass die Bemessungsgrundlage in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich ausfällt – also die Frage, auf welche konkreten Gewinne überhaupt die Mindeststeuer gezahlt werden soll. Um dieses Problem weiß auch ZEW-Steuerexperte Christoph Spengel. "Das wird sehr schwierig, denn man braucht eine einheitliche Lösung, die haben wir nicht einmal in Europa hinbekommen", räumt er ein. "Außerdem sind viele Fragen offen, wie man mit bisher zum Beispiel akzeptierten steuerlichen Präferenzregimen umgeht, steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung und vieles mehr." Der politische Wille sei da. Aber jetzt gehe es ans Ausarbeiten der Konzepte.
Auf dem Weg hin zur Umsetzung einer wirkungsvollen globalen Besteuerung von Unternehmen dürften also noch allerlei Stolpersteine liegen. Wünschenswert wäre eine solche Besteuerung aber in jedem Fall.
"Die Staaten müssen ihre Konkurrenz auf andere Schwerpunkte verlegen", gibt der Ökonom Rudolph Hickel zu bedenken. Beispielsweise auf den Schwerpunkt der Konkurrenz der besten Infrastruktur, der starken ökonomischen Entwicklung, die Bewältigung von Digitalisierung und ökologischen Fragen. "Wenn man das auf Steuerwettbewerb festlegt, dann verhindert man, dass die Staaten die Aufgaben, die sie zukunftsfähig machen sollen, überhaupt wahrnehmen können. Deshalb geht das in die richtige Richtung: Steuerwettbewerb massiv zwischen den Staaten innerhalb der Entwicklung einzuschränken". Ob und inwieweit die nun auf den Weg gebrachte globale Mindeststeuer dieses Ziel wirklich erreicht, wird man ab 2023 sehen. Dann soll sie in Kraft treten.