Globaler Handel dank globalem Glauben

Herbert A. Gornik im Gespräch mit Ita Niehaus |
Was glaubten die Menschen vor 4000 Jahren? Welche Rolle spielten sakrale Landschaften, heilige Orte und Feuer in der Bronzezeit? Und wie gestalteten unsere Vorfahren ihre Rituale und ihr Kultgeschehen?
Ita Niehaus: Diesen Fragen ging die vierte Fachtagung der Spreewälder Kulturstiftungin Burg in dieser Woche nach. Ein international besetztes Symposium renommierter Frühgeschichtler, Religions-, Musik- und Naturwissenschaftler bewertete die Bronzefunde aus der Lausitz und stellte sie in einen europäischen Zusammenhang. Vielleicht wird einmal eine Art Bronzepark im Nordosten Deutschlands mit einem Besucherzentrum im Spreewald eine neue Touristenattraktion werden, aber bis dahin ist es noch ein langer Weg.

Was wir heute über den Glauben unserer Vorfahren wissen können, hat mein Kollege Herbert A. Gornik auf dem Symposium erfahren. Ich fragte ihn vor der Sendung, was man genau unter Bronzezeit versteht.

Herbert A. Gornik: Die Bronzezeit hat ihren Namen von der Bronze. Bronze, das ist eine Legierung aus 90 Prozent Kupfer und 10 Prozent Zinn. Bronze ist härter als Kupfer. Diese Epoche geht in Europa/Mitteleuropa etwa von 2500 bis 800 vor Christus. Wesentliche Funde sind etwa der berühmte Goldhut mit dem tragbaren Kalender, ein höchst differenzierter Kalender, oder die Sonnenpferde mit den Sonnenbarken oder die Bronzewägelchen aus der Lausitz oder natürlich die berühmte Himmelsscheibe von Nebra – die stammen etwa alle aus der Zeit 1300 bis 1000 vor Christus.

Niehaus: Warum ist diese Bronzezeit so wichtig, auch heute noch für uns so wichtig, welche Bedeutung hat sie da?

Gornik: Man kann diese Bronzezeit – das ist gar nicht übertrieben – so als Schwangerschaftsphase der religiösen Hochkulturen bezeichnen. Hier wird Weltgeschichtliches vorbereitet. Die Zeit nach der Bronzezeit nämlich, also nach 800 vor Christus, die wird gerne – wie etwa von Karl Jaspers – als Achsenzeit bezeichnet. Hier werden die Koordinatensysteme für unser Denken und Fühlen, für Herstellung und Handel neu entworfen. In Ägypten zum Beispiel wird der Monotheismus begründet durch Echnaton, der Athos-Kult zum Beispiel. In Griechenland entstehen die großen Philosophien über die Elemente – Luft, Wasser, Feuer, Erde. Der Konfuzianismus in China entsteht, Buddhismus in Indien, das Judentum, die zoroastrischen Lehren – also Sie sehen, eine Revolution der Entwicklung hin zu einer Vergeistigung des menschlichen Lebens. Dafür hat die Bronzezeit die Vorarbeiten geleistet.

Niehaus: Woher wissen wir etwas über den Glauben der Menschen in der Bronzezeit, wenn es gar keine schriftlichen Aufzeichnungen aus dieser Zeit gibt?

Gornik: Das Erste wird uns nicht verblüffen, das Zweite schon: Archäologie, klar, daher wissen wir was, und Neurobiologie, Neurophysiologie, die helfen uns auf die Sprünge. Hier ist es die evolutionäre Religionswissenschaft, die sich sozusagen als Naturwissenschaft versteht, die kooperiert mit Archäologie und klassischer Vorgeschichte. Das ist einer der wesentlichen Erkenntnisse dieser Fachtagung in Burg. Auf der haben ja Frühgeschichtler wie Flemming Kaul aus Dänemark oder Jacek Wozny aus Polen mit Religionswissenschaftlern wie zum Beispiel Michael Blume aus Deutschland diskutiert und kooperiert.

Und nun muss man vielleicht drei Vorbemerkungen machen zur evolutionären Religionswissenschaft, damit man merkt, wie diese Leute ticken und wie sie denken und wie weit das jetzt trägt. Die wollen verstehen, was Glauben genetisch und hirnphysiologisch bedeutet und wie er sich entwickelt hat. Und Glaube und Religion wird als Bestandteil der Evolutionsgeschichte verstanden, wie das übrigens ihr Vordenker, der studierte Theologe Charles Darwin, schon vorgedacht hat.

In Burg hatte der Religionswissenschaftler Michael Blume eindrucksvoll dargestellt und mit ganz verblüffenden Ergebnissen, wie zum Beispiel Religion die Kooperationsbereitschaft unter den Menschen fördert und die Reproduktion. Es gibt – bleiben wir mal bei der Reproduktion – so etwas wie eine Biologik des Glaubens. Religiöse Menschen haben mehr Kinder! Es gibt, sagt Blume, keine säkulare Population, die auch nur über ein Jahrhundert hin den Stand zwei Kinder pro Frau hat halten können.

Zudem erhöht die religiöse Bindung die Kooperation der Menschen untereinander, und das muss man sich so vorstellen: Wenn ich mich auf gemeinsame belohnende oder bestrafende Götter beziehe, dann weiß mein Gegenüber, dass ich genau das auch fürchte und das verehre, was er auch verehrt. Und wenn er weiß, dass mir das ganz wichtig ist und nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, sondern dass er das an meiner Praxis ablesen kann – Praxis heißt Opfersymbole zum Beispiel, Glaubenspraxis, ob ich immer zu den Veranstaltungen hingehe –, dann weiß er, dass es mir auch ernst ist. Das sind sogenannte geglaubte Beobachter aus der religiösen Sphäre, also Beobachter, an die man glaubt, aus der religiösen Sphäre – Götter, Priester, Mischwesen, die versichern Gesundheit und Segen und versichern sozusagen gegen Krankheit und Fluch.

Niehaus: Welche wichtigen Funde heute geben denn Auskunft über den Glauben und die Gefühlswelt der Menschen damals?

Gornik: Das sind zunächst mal die Gräber. Die Gräber sind Lautsprecher für das Leben. Also wie Menschen ihre Toten bestatten, das zeigt, wie sie gelebt und wie sie gedacht haben. Unsere Vorfahren haben ihre Toten bestattet, sie haben sie an besonderen Orten bestattet, Frauen und Männer verschieden, und sie haben ihnen Gegenstände ins Grab gelegt. Die sollen nämlich den Göttern zeigen, wer der eine oder die andere war im Leben, welche Bedeutung sie da hatte, aber sie sollen auch eine materielle Beziehung zwischen den Göttern herstellen. Zum wichtigsten Besuch im Leben nach dem Tod kommt man nicht mit leeren Händen, das war wohl die Vorstellung.

Und diese Grabbeigaben, die bedeuten, diese Menschen glaubten an ein Leben nach dem Tod, also für das Mann und Frau sich ausstatten mussten, materiell und ideell – das waren ja ganz kostbare Grabbeigaben. Die hätte man ja auch einschmelzen können – hat man aber nicht getan, weil man gesagt hat, es gibt was Wichtigeres in der Welt für diese letzte Weltenreise als den materiellen Besitz. Freilich haben sich unsere Vorfahren auch in der Bronzezeit das Leben nach dem Tod als irgendwie eine analoge, also ähnliche Veranstaltung wie im wirklichen Leben vorgestellt – so einen Schmuck, so ein Messer, das braucht man halt immer.

Niehaus: Welche Symbole oder Bilder oder Figuren sind denn typisch für die Bronzezeit, wenn es jetzt um die Rekonstruktion des Glaubens geht?

Gornik: Also das Sonnensymbol, der Mond, die Sterne, aber auch Schiffe und Vögel sind ganz wesentliche Motive, tauchen auch überall auf, sind wesentliche Symbole, und sie transportieren religiöse Botschaften, zum Beispiel aus der Lausitz nun wirklich der berühmte dreirädrige Deichselwagen von Burg im Spreewald. Der sieht aus eigentlich wie ein kleines Kinderspielzeug, ist aber keines. Auf Achsen und Deichsel sitzen Vögel, zwei davon haben so kleine Hörner nach oben – kann man auch für einen Stier halten, ist aber eigentlich wohl kein Stier.

Diese Wagendarstellungen sind nicht nur Fantasieprodukte, das ist ganz deutlich, sie sind Miniaturen von Streitwagen oder eher sagt man heute vielleicht von Prozessionswagen. Und in diesem Kultwagen, da vereinen sich alle Elemente: Die Sonne als Rad, die steht für das Feuer, die Vögel, die Zugvögel, vielleicht sind das ja auch Gänse, die symbolisieren die Luft. Und nun diese kleinen Hörner, könnte man sagen, wenn Zugvögel auf dem Wasser landen, spritzt es auf und es entstehen solche Hörner links und rechts von den auflandenden Vögeln, das Wasser spritzt senkrecht auf. Und die Räder bringen eben die Verbindung mit der Erde.

Niehaus: Auf einen Aspekt möchte ich gerne noch mal zurückkommen: Religiöse Bindungen und technischer Fortschritt gehen zusammen und erhöhen die Kooperation der Menschen untereinander, meint der Forschungsansatz der evolutionären Religionswissenschaft. Können Sie das mal konkret an einem Beispiel der Bronzezeit verdeutlichen?

Gornik: Zunächst mal schafft das Feuer den durch die Bronze erwirtschafteten Reichtum und wird verehrt. Also was mir diesen Reichtum verschafft, da sage ich, das ist doch sehr gut für mich. Bronze, was ist das großartig fürs Selbstbewusstsein, kann hergestellt werden und erhöht den Status. Was man herstellt, das kann man allerdings auch handeln, das heißt, mit anderen austauschen. Globaler Handel wird jetzt ganz nützlich, aber der globale Glaube wird auch ganz nützlich, denn wer kooperieren will, der bezieht sich gerne auf die Symbole der anderen und übernimmt eine gemeinsame Symbolsprache, denn die ist verlässlich. Jetzt entstehen durch diese Kooperation in der Bronzezeit Ordnungen, ganz verlässliche Beziehungen.

Es entstehen zum Beispiel hoch wissenschaftliche Produkte, Navigationsregeln und Kalender werden erfunden, und die sind außerordentlich genau, wie der Goldene Hut gezeigt hat, den man im Neuen Museum in Berlin ja besichtigen kann. Wenn ich mit meiner Ware – und deswegen ist der Kalender so wichtig – immer zur falschen Zeit am falschen Ort bin, dann ist das schlicht schlecht. Dafür braucht man verlässliches Wissen, nicht nur Glauben. Man kann in der Bronzezeit sehr schön sehen: Die Glaubenssysteme werden entwickelt und übernommen, weil sie globale Kooperationen ermöglichen. Und diese Kooperationen, die sind ganz praktisch: Friedvoller zusammenleben ist das Ziel, erfolgreicher handeln und komfortabler leben und den Wohlstand damit auch sichern.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Informationen der Spreewälder Kulturstiftung zur Tagung