Globaler Handel mit Versuchstieren
Begehrtes Forschungsobjekt: Rhesusaffen spielen eine wichtige Rolle in der medizinischen Forschung. © Getty Images / Goddard Photography
Affen als geopolitischer Spielball
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Affen für medizinische Versuche werden in Labors weltweit knapp. Exportstopps wirken sich auf die internationale Forschungslandschaft aus. Das Dilemma wirft auch ein Licht auf Europas Umgang mit ethischen Standards in Bezug auf Tierversuche.
"Die meisten Affen für die biomedizinische Forschung in Europa kommen aus Mauritius, aber auch aus Südostasien, Kambodscha, Vietnam und in geringer Anzahl auch aus China", erklärt Kirk Leech, Direktor des europäischen Verbands für Tierversuchsforschung.
"Für die USA war China bislang der größte Exporteur von nichtmenschlichen Primaten", so Leech. "Dann verhängte China 2020 ein Exportverbot. Das löste einen gewaltigen Sturm aus, denn seitdem haben wir einen weltweiten Mangel an nichtmenschlichen Primaten."
Abhängigkeit von Importen
Hinter diesem Krisenszenario, welches Leech beschreibt, steckt ein tiefliegendes Problem einer über Jahrzehnte gewachsenen Abhängigkeit. Denn bis auf wenige heimische Zuchtstationen sind Pharmaindustrien und Forschungseinrichtungen darauf angewiesen, Affenarten wie Makaken aus Ländern außerhalb der EU beziehungsweise USA zu importieren.
Im Jahr 2019 mussten für die USA etwa 60 Prozent der Affen aus China transportiert werden, um das Forschungsvolumen zu halten. Die Tiere stellen den letzten Schritt vor klinischen Studien am Menschen dar. Sie sind mit dem Menschen so eng verwandt, dass Wissenschaftler*innen die Versuchstiere technisch gesehen als „nichtmenschliche Primaten“ bezeichnen. Innerhalb wissenschaftlicher Versorgungsketten verwandeln sie sich aber unweigerlich zu einer Ware.
Kampf gegen die Pandemie
"In einer Zeit, in der das Angebot an Affen immer knapper wird, besteht eine wachsende Nachfrage nach ihnen", erklärt Leech. "Und das drückt sich im Preis aus: In den Vereinigten Staaten kann ein Zuchtaffe mittlerweile bis zu 55.000 US-Dollar kosten, während er in der Vergangenheit 12.000 US-Dollar kostete."
In globalen Gesundheitskrisen wie der Coronapandemie waren Makaken unerlässlich. Firmen wie Biontech, Pfizer oder Moderna müssen die Wirksamkeit und Verträglichkeit neu entwickelter Impfstoffe an solchen Affen testen, bevor sie an Menschen zugelassen werden. Das Gleiche gilt für Covid-Behandlungen mit antiviralen Medikamenten oder mit monoklonalen Antikörpern. Auch bei der Erprobung von Impfstoffen, die gegen Affenpocken schützen können, sind diese Tiere von großer Bedeutung.
Globalisierte Forschung
Diese Tests müssen nicht zwangsläufig in Europa oder Deutschland stattfinden, und doch profitieren wir davon, so lange Pharmaunternehmen über Ländergrenzen hinweg kooperieren. Auch wenn das Exportverbot auf den ersten Blick die USA am stärksten trifft, sind die Auswirkungen in einer vernetzten Forschungswelt weltweit zu spüren.
"Ein Großteil der Forschung an Tieren ist ausgelagert und wird heutzutage von spezialisierten Firmen ausgeführt, von denen es nur eine begrenzte Zahl gibt", erläutert Leech. "Wenn sie nun beispielsweise als Pharmabetrieb ein Medikament testen wollen, müssen sie zwölf Monate im Voraus einen Platz buchen. Eine aktuelle Umfrage hat ergeben: Mittlerweile sind die Wartezeiten auf vier Jahre angestiegen."
Export-Beschränkungen für Versuchstiere
Große Firmen könnten diese lange Wartezeit womöglich verkraften, sagt Leech, aber kleine bis mittelständische Unternehmen nicht. "Das hat zur Folge, dass sie gezwungen sind, Versuchstiere mehr als einmal zu verwenden, jüngere Tiere zu verwenden oder die Forschung findet in Europa überhaupt nicht statt. Der Mangel an Affen hat, so gesehen, eine unmittelbare und langfristige Auswirkung auf die Forschung."
Das Risiko ist nicht neu. Bereits in den 1960er- und 70er-Jahren kappte Indien als Hauptexporteur die Lieferung von Rhesusaffen in die USA – eine Zeit, in der Impfstoffe gegen Pocken, Masern, Mumps und Röteln entwickelt wurden. Versuchstiere wurden hier zum geopolitischen Spielball. Die USA steuerte mit eigenen Zuchtprogrammen von Rhesusaffen gegen dieses Dilemma an.
Auch in Europa und in Deutschland gab es Versuche, sich unabhängiger von schwankenden Lieferungen aus dem Ausland zu machen. Dort sehen sich Wissenschaft und Industrie zunehmend mit verschärften Maßnahmen konfrontiert. 2021 einigte sich das EU-Parlament auf einen Aktionsplan, der den europaweiten Ausstieg aus Tierversuchen vorantreiben soll.
Auf Druck der Tierschutzbewegung hat Air France als letzte große Airline den Transport von Versuchstieren im Juli dieses Jahres eingestellt. Europäische Firmen und Forschungseinrichtungen dürfen ab November 2022 nur noch Tiere aus der F2-Generation importieren, sozusagen die Enkel der Tiere, die einst in der Wildnis gefangen wurden.
Sonderregeln für Europa
Dieser Faktor komme noch erschwerend hinzu, sagt Roman Stilling, Neurobiologe und wissenschaftlicher Referent bei "Tierversuche Verstehen”. Denn auf dem Weltmarkt herrschten andere Bedingungen: "Sowohl China als auch die USA haben nicht diese F2-Regel. Das heißt, die züchtenden Unternehmen haben eigentlich für den europäischen Markt so eine Art Sonderregel. Sie werden ihre Tiere aber ja auch sowieso los, weil die Nachfrage eben so hoch ist, das Angebot geringer."
Europa könne daher in eine Zwangslage kommen, so Stilling, und aufgrund der geänderten Gesetzeslage, die sich jetzt durch den Ablauf der Frist noch zuspitze, in eine Situation geraten, wo Forschungseinrichtungen gar nicht mehr an die entsprechenden Tiere kommen.
Diese Entscheidung passt zu dem Vorhaben der EU, die Forschung perspektivisch tierversuchsfrei zu gestalten. Aus Tierschutz-Sicht ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Doch die Initiative "Tierversuche Verstehen" sieht in dem Mangel eine Verschärfung des Dilemmas: Wenn durch strenge Regulierungen und steigende Kosten die Forschung in der EU in Zukunft unattraktiver wird und folglich Richtung China abwandert, geht das einher mit neuen Konsequenzen.
Auslagern ethischer Dilemmata
"Das ist erstens nicht immer eine sichere Sache, wie wir jetzt gerade in vielen Bereichen merken, also in verschiedenen Produkt-Lieferketten", sagt Stilling. "Und letztendlich haben wir hier bei uns eben die Kontrolle: Wir haben hier Rechtsstaatlichkeit, wir haben hier Demokratien, die sich auch zivilgesellschaftlich um bestimmte moralische Diskussionen kümmern. Wir haben hier viel bessere Kontrollen über diese Sachen. Wenn wir das auslagern, haben wir das nicht."
Das bedeute nicht notwendigerweise, "dass es überall woanders ganz wild und grausam zugeht", so Stilling. "Aber wir können es eben nicht kontrollieren. Und trotzdem werden wir ja nach wie vor auf die Produkte, die daraus entstehen, wie eben neuartige Medikamente angewiesen sein. Das heißt, die müssen wir dann importieren – und dann müssen wir darauf vertrauen, dass das weiter auch möglich sein wird."
Die politisch und wirtschaftlich anfälligen Versorgungsketten von Versuchstieren und die langfristige Notwendigkeit wirksamer und sicherer Heilmittel gegen globale Gesundheitskrisen erfordern Abwägungen und Entscheidungen, die über nationale Grenzen hinausgehen. Damit wir aber über dieses Dilemma als Gesellschaft diskutieren können, muss die totgeschwiegene Industrie der Lieferketten in der biomedizinischen Forschung aus ihrem Schattendasein hervortreten.