Die Textilindustrie kommt zurück
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Neue Roboter und die Digitalisierung machen es möglich: In Deutschland gibt es wieder eine Textilindustrie. Auch weil Kunden "Made in Germany" mögen und dafür auch mehr zu zahlen bereit sind. Für andere allerdings muss es nach wie vor möglichst billig sein.
"Wir arbeiten hier mit vollelektronischen Kleinrundstrickmaschinen. Die Nadeln sind also hier in dem Strickzylinder kreisförmig angeordnet", erklärt Thomas Lindner.
Er lässt es sich nicht nehmen, seinen Gast persönlich durch die Produktion von "Lindner-Socks" zu führen. Nur wenige Schritte und zwei Türen trennen seinen großen Besprechungsraum von der Produktionshalle, wo rund 100 Strickmaschinen lärmend ihren Dienst versehen. Auf einem Tisch am Eingang zur Produktion ragen vier nackte Holzbeine in die Luft. Lindner bleibt stehen und erklärt:
"Hier werden die medizinischen Kompressionsstrümpfe eingemessen. Es gibt also verschiedene Beine. Das sind unsere Damenbeine, das sind die zwei Herrenbeine, also, die unterscheiden sich im Umfang logischerweise und in der Schuhgröße. Und mit diesen Messsonden wird also quasi der Druckverlauf eingestellt."
Mit Sport- und Medizinprodukten am Markt bestehen
Der 48-jährige Thomas Lindner ist Familienunternehmer in der vierten Generation. Gegründet haben seine Urgroßeltern die Strumpffabrik im sächsischen Hohenstein-Ernstthal, dem Geburtsort von Karl May, im Jahr 1890.
"Es ist also ein ganz klassischer Textilbetrieb, der sich seit Beginn an mit der Herstellung von Strumpfwaren beschäftigt, ursprünglich ausschließlich mit Herrenstrümpfen, mittlerweile aber mehr und mehr Richtung Medizinprodukte, Sportkompression, sodass also der modische Teile unserer Produktpalette nur noch einen kleinen Anteil hat."
Produziert wurden hier bis vor wenigen Jahren vor allem Diabetikersocken, Bandagen und Stützstrümpfe. Neben dem Betrieb am Stammsitz in Sachsen hat Lindner noch eine weitere Produktion in der Türkei. Die laufe gut, sagt der Firmenchef, doch investieren tut er seit drei Jahren hier, in Sachsen. Neue Strickmaschinen wurden angeschafft, die Produktion erweitert und spezialisiert auf besonders muskelschonende Sportsocken. Die Spezialstrümpfe werden über den eigenen Online-Shop und den Fachhandel vertrieben.
"Wir haben einen sehr erfolgreichen Internethandel, dort erwarten unsere Kunden eine Belieferung innerhalb von 24 Stunden, mit individualisierten Produkten, und das können Sie natürlich nur realisieren, wenn Sie vor Ort sind und auch vor Ort produzieren und individualisieren können. Und das können wir natürlich von unserem Standort hier perfekt!"
Socken, die Zecken abweisen
Die Individualisierung der Produkte mit Initialen, Logos oder Bedruckung stehe hoch im Kurs, sagt Strumpffabrikant Lindner. Außerdem Nischenprodukte, wie eine nach DDR-Patent neu entwickelte Socke, die Zecken abweist. Der Kunde habe zwar keine Geduld, lange auf sein Produkt zu warten, sei aber durchaus bereit, für den schnellen Service und "Made in Germany" einen höheren Preis zu zahlen:
"Das hängt sicherlich mit verändertem Konsumverhalten zusammen. Der Preis, der bis jetzt im Vordergrund gestanden hat, hat heute nicht mehr das Primat, sondern Dinge wie eine ökologische Produktion, nachhaltige Produktion, ordentliche Lebens- und Arbeitsbedingungen spielen heute beim Vertrieb textiler Produkte eine immer größere Rolle. Und diesem Themenkreis kann man eigentlich nur dann Rechnung tragen, wenn Sie tatsächlich die volle Kontrolle haben, und die hat man tatsächlich nur, wenn Sie vor Ort produzieren."
In Chemnitz, nur wenige Kilometer entfernt, beobachtet auch Yves-Simon Gloy, der geschäftsführende Direktor des sächsischen Textilforschungsinstituts aufmerksam die neue Entwicklung. In den Rückkehrbestrebungen deutscher Textilunternehmen, die ihre Produktion aus ehemaligen Billiglohnländern wieder in das Hochlohnland Deutschland zurückverlagern, glaubt Gloy bereits einen neuen Trend zu erkennen:
"Ein maßgeblicher Treiber für diese Entwicklung ist zum einen, näher zum Kunden zu kommen. Ich selber habe Projekte mit Adidas durchgeführt: Speed-Factory. Adidas hat ja eine Schuhfabrik in Ansbach eröffnet, wo circa eine halbe Million Schuhe pro Jahr produziert werden. Und da war eine Motivations-Triebfeder zu sagen, wir wollen wieder näher zum Kunden."
Doch Gloy sieht auch Grenzen für diese Entwicklungstendenz. Man müsse die Textilbranche mit ihren verschiedenen Strömungen sehr differenziert betrachten. Nicht alle Unternehmen würden wieder mehr auf "Made in Germany" setzen, denn:
"Andererseits gibt es da natürlich auch noch Tendenzen 'Fast Fashion' - dass es Kunden gibt, die sagen, nein, diese Individualisierung interessiert mich jetzt nicht, für mich muss das hauptsächlich preiswert und billig sein, das ist so eine andere Strömung. Und da bin ich auch der Meinung, wird es Produktion geben, die nicht unbedingt zurückkommt, da wird es sicherlich auch noch Produktion geben in Ländern, wo die Lohnkosten entsprechend gering sind, um solche Bedürfnisse zu befriedigen."
Mit Robotern gegen den Fachkräftemangel
Der Chemnitzer Textilforscher prognostiziert für die Zukunft eine stärkere Regionalisierung der Produktion. So habe Adidas bereits eine weitere Roboterfabrik in den USA aufgebaut, einem für den traditionsreichen Sportschuhhersteller wichtigen Absatzmarkt. Die neue Robotik und die Digitalisierung eröffne der heimischen Textilindustrie ganz neue Möglichkeiten, die Kosten zu senken und dem Fachkräftemangel zu begegnen, sagt Yves-Simon Gloy. Daher wird am Chemnitzer Institut für Textilforschung schon länger intensiv zum Thema Industrie 4.0 geforscht:
"Also die Frage, wie kann ich denn durch solche Technologien effizienter produzieren und dann auch effizienter an einem Standort wie Deutschland produzieren."
Ein Weg, den auch Familienunternehmer Thomas Lindner im sächsischen Hohenstein-Ernstthal beschreitet. Er ist zuversichtlich, dass er trotz hoher Lohnkosten und des Fachkräftemangels im globalen Wettbewerb bestehen kann.