Victor Klemperers Tagebücher 1918-1932

    Glossar zur Weimarer Republik

    Facsimile-Auszüge aus den Tagebüchern von Victor Klemperer
    Facsimile-Auszüge aus den Tagebüchern von Victor Klemperer © Deutschlandradio
    Von Melanie Miklautsch |
    „Karl Vossler“, „Entente-Forderungen“ oder „Arco-Rummel“ – in seinen Tagebüchern aus der Zeit der Weimarer Republik erwähnt Victor Klemperer viele Namen und Begriffe, ohne sie jeweils zu erklären. Das Glossar erläutert einige von ihnen.

    Glossar

    Victor Klemperer

    Biografie vor 1918
    Victor Klemperer wird am 8. Oktober 1881 in Landsberg an der Warthe als neuntes Kind von Henriette und Wilhelm Klemperer geboren. Beide Eltern stammen aus jüdischen Gelehrtenfamilien. 1891 siedelt die Familie nach Berlin über, wo Wilhelm Klemperer als Rabbiner einer jüdischen Reformgemeinde tätig ist.

    Victor Klemperers schulische und akademische Laufbahn ist von einigen Umwegen und Rückschlägen geprägt: Nach einigen Jahren am Französischen Elite-Gymnasium Collège Royal Français in Berlin sowie am Friedrichs-Werderschen Gymnasium, absolviert er zunächst eine Kaufmannslehre bei „Löwenstein & Hecht, Kurz- und Galanteriewaren-Export“, bevor er 1902 sein Abitur macht. Im selben Jahr beginnt er ein Studium der Germanistik und der Romanistik, das ihn nach München, Genf, Paris und Berlin führt. Noch vor der Dissertation bricht er sein Studium ab und lebt für einige Jahre als freier Publizist und Schriftsteller in Berlin. In dieser Zeit lernt er Eva Schlemmer kennen; die beiden heiraten 1906. Unterstützt von seiner Frau hält Klemperer Vorträge über literarische Themen, publiziert einige Monografien, Novellen, Gedichte und auch einen Roman.
    Nachdem er 1903 bereits zum Protestantismus konvertiert war, diese Konversion aber zwischenzeitlich wieder rückgängig gemacht hatte, lässt er sich 1912 erneut evangelisch taufen.
    1913 promoviert er bei Franz Muncker in München und habilitiert sich ein Jahr später bei Karl Vossler über Montesquieu. Sein Doktorvater bleibt Zeit seines Lebens eine wichtige Bezugsperson.
    Vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs erfährt Klemperer in Neapel, wo er 1915 an der Universität als Lektor tätig ist. Er meldet sich freiwillig und wird als Unteroffizier und Kanonier einer bayerischen Einheit von November 1915 bis März 1916 an der französischen Front eingesetzt. Nach einem Lazarettaufenthalt wird er als Zensor beim Buchprüfungsamt des militärischen Kommandos nach Kowno, dann nach Leipzig versetzt.

    Familie und privates Umfeld der Klemperers

    Klemperer, Elisabeth Hedwig Eva (Rufname Eva); geb. Schlemmer (1882-1951)
    Ehefrau von Victor Klemperer. Sie wird 1882 in Königsberg geboren, erhält eine Ausbildung zur Konzertpianistin und studiert bei Walter Leistikow Malerei. 1904 lernt sie Victor Klemperer kennen. Nach der Hochzeit 1906 gibt sie ihren Beruf auf und richtet ihr Leben nach der Karriere ihres Mannes aus: Sie zieht mit ihm nach München, später nach Leipzig und schließlich nach Dresden und wird zu seiner Zu- und Mitarbeiterin: Sie korrigiert und tippt seine Artikel, begleitet ihn bei Vorträgen und hilft ihm beim Verfassen seiner Doktorarbeit. Parallel kümmert sie sich um den Haushalt. In Leipzig nimmt sie zwar ihr Musikstudium mit Spezialisierung auf Orgelmusik wieder auf, musiziert gelegentlich mit Bekannten, Freundinnen und Freunden und komponiert selbst Stücke. Doch aufgrund verschiedener Erkrankungen muss sie ihre musikalische Tätigkeit schließlich größtenteils aufgeben.
    Unter den Nationalsozialisten ist Eva Klemperer als selbst „arische“ Ehefrau eines Mannes jüdischer Herkunft massiven Repressalien und sozialer Isolierung ausgesetzt. Sie verweigert sich dem Druck, sich scheiden zu lassen und kann Victor Klemperer so nicht nur vor der Deportation bewahren, sondern rettet auch unter eigener Lebensgefahr sein Werk vor den Hausdurchsuchungen der Gestapo. Ihre eigenen Kompositionen und Bilder gehen in den Kriegsjahren verloren.
    Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitet Eva Klemperer als Übersetzerin für literarische und publizistische Werke aus dem Französischen und Spanischen. Wie Victor Klemperer auch setzt sie sich unmittelbar nach dem Krieg als Mitglied des Kulturbundes der DDR für den Wiederaufbau des kulturellen Lebens in Dresden ein. Gelegentlich tritt sie als Musikerin bei Konzerten des Kulturbundes auf. Am 8. Juli 1951 stirbt Eva Klemperer infolge eines Herzinfarkts und wird auf dem Friedhof in Dresden-Dölzschen beigesetzt.
    Klemperer, Wilhelm (1839-1912) 
    Reformrabbiner, Vater von Victor Klemperer. 1839 als Sohn des berühmten Talmudisten Abraham Klemperer (1809-1887) in Prag geboren, wird er am Jüdisch-Theologischen Seminar (Fraenckel’sche Stiftung) in Breslau zum Rabbiner ausgebildet und studiert parallel Philosophie und Alte Sprachen. Er promoviert an der Philosophischen Fakultät Leipzig.
    Wilhelm Klemperer findet seine erste Anstellung als Rabbiner in Landsberg an der Warthe. Dort werden alle neun Kinder des Paares geboren. Wilhelm Klemperer ist geprägt durch die Denker der Aufklärung. Von seinem Posten bei der jüdisch-orthodoxen Gemeinde in Bromberg wird er 1891 zum zweiten Prediger der Jüdischen Reformgemeinde Berlins berufen. Die Klemperers leben in bescheidenen finanziellen Verhältnissen, trotzdem wird hoher Wert auf die Ausbildung der Kinder gelegt.
    Klemperer, Henriette; geb. Frankel, auch: Franke (1843-1919)
    Mutter von Victor Klemperer. Als Tochter aus einer jüdischen Prager Gelehrtenfamilie erhält Henriette Frankel eine für „höhere Töchter“ damals übliche Bildung. Ihrem Ehemann Wilhelm Klemperer folgt sie nach Landsberg an der Warthe, Bromberg und schließlich Berlin. Sie unterstützt ihn bei der Ausarbeitung seiner Predigten.
    Klemperer, Georg (1865-1946) 
    Internist. Der Älteste der Klemperer-Geschwister übt – wie auch der Zweitältesten Felix – großen Einfluss auf den jüngeren Victor aus. Nachdem die Familie Klemperer nach Berlin zieht, lässt sich Georg evangelisch taufen, um im Wilhelminischen Deutschland Karriere machen zu können. 1889 habilitiert er sich an der Klinik der Charité und wird 1906 Chefarzt im Krankenhaus Moabit. Dort wird er durch seine reformorientierte Arbeit bekannt, er beschäftigt sich u.a. mit Hypnose und Naturheilkunde. Mit seiner Frau Maria, geb. Umber, hat Georg Klemperer fünf Kinder, u.a. den späteren Physiker Otto Klemperer.
    Klemperer, Felix (1866-1932)
    Internist, Zweitältester der Klemperer-Geschwister. Er konvertiert wie seine Brüder Georg und Berthold (später auch Victor) zum Protestantismus. Ab 1921 ist Felix Klemperer außerordentlicher Professor an der Universität Berlin und Direktor des Städtischen Krankenhauses Berlin-Reinickendorf.
    Klemperer, Margarethe (Grete, eigentlich Recha); verh. Riesenfeld (1867-1942) 
    Schriftstellerin, Schwester von Victor Klemperer. Verheiratet mit Dr. Eduard Abraham Riesenfeld. Mit ihm hat sie zwei Kinder: Hedwig Riesenfeld und Eberhard Riesenfeld.
    Klemperer, Berthold (1871-1931)
    Rechtsanwalt, Justizrat, älterer Bruder von Victor Klemperer. Nach dem Vorbild seiner Brüder konvertiert er zum Protestantismus, was ihm eine Karriere sowie die Ehe mit Anna Schott, der Tochter eines preußischen Generals, ermöglicht.
    Klemperer, Martha; verh. Jelski (1873-1954) 
    Schwester von Victor Klemperer. Sie heiratet 1897 den Rabbiner und promovierten Philosophen Julius Jelski, der ein Kollege von Marthas Vater Wilhelm in der Jüdischen Reformgemeinde Berlin ist. Das Paar bekommt drei Kinder: Wilhelm Felix Walter (1903-1958), Lilli Alice Henriette (1909-2007) und Wilhelm Hans Wolfgang (1913-1994). Martha Jelski führt den Haushalt der Jelskis, kümmert sich um Pensionsgäste und erledigt für ihren Bruder Victor Börsen- und Bankgeschäfte.
    Jelski, Wilhelm Felix Walter (1903-1958)
    Neffe von Victor Klemperer, Sohn von Martha Jelski, geb. Klemperer. Emigriert 1933 mit seiner Frau nach Palästina.
    Klemperer, Valeska (Wally); verh. Sußmann (1877-1936)
    Schwester von Victor Klemperer, verheiratet mit Martin Sußmann. Mit ihm hat sie drei Töchter: Käthe Sußmann, Hilda Johnson und Lotte Sußmann.
    Sußmann, Käthe; verh. Howard (1907-1950)
    Nichte von Victor Klemperer, Tochter von Valeska Sußmann, geb. Klemperer. Sie wird 1938 trotz schwerer Krankheit von den Nationalsozialisten aus Deutschland zwangsausgewiesen. Daraufhin emigriert sie zunächst in die Tschechoslowakei, später in die Schweiz, schließlich in die USA, wo sie John Howard heiratet.
    Blumenfeld, Walter (1882-1967) 
    Arbeitspsychologe, enger Freund von Victor Klemperer. Blumenfeld ist ein bedeutender Pionier in der Arbeits- und Organisationspsychologie. Nach dem Ersten Weltkrieg lehrt er als Privatdozent an der Technischen Hochschule Dresden. Er spielt eine entscheidende Rolle beim Aufbau des Psychotechnischen Instituts in Dresden. 1934 erhält er aufgrund seiner jüdischen Herkunft Berufsverbot. 1937 emigriert er zusammen mit seiner Frau Margarete („Grete“) nach Peru.
    Curtius, Ernst Robert (1886-1956)
    Philologe, Literaturkritiker und deutsch-französischer Kulturvermittler. Hat Lehrstühle in Marburg, Heidelberg und Bonn inne. Wie auch einige andere Kollegen zweifelt Robert Curtius an der wissenschaftlichen Tätigkeit von Victor Klemperer und verspottet ihn als „Halbjournalisten“ und „Vielschreiber“, seine Arbeiten seien zu essayistisch und literarisch. Nachdem die Nationalsozialisten an die Macht kommen, zieht sich Curtius aus der Öffentlichkeit zurück.
    Friedmann, Wilhelm (1884 – 1942)
    Romanist, Kollege von Victor Kemperer an der Universität Leipzig. Wie auch Victor Klemperer konvertiert Friedmann zum Protestantismus. Dennoch wird ihm 1933 unter den Nationalsozialisten die Lehrbefugnis entzogen. Er flieht mit seiner Familie nach Paris. Nach der Französischen Niederlage 1940 versteckt sich Friedmann in einem Dorf in den Pyrenäen, wird aber am 10. Dezember 1942 von der Gestapo verhaftet. Der Deportation in ein Vernichtungslager entzieht er sich durch Selbstmord mit Gift.
    Harms, Paul (1866-1945) 
    Redakteur, für ihn arbeitet Victor Klemperer in seiner Münchner Zeit als Korrespondent. 1898 ist Harms Chefredakteur der "Münchner Zeitung", 1907-1908 Chefredakteur der "Nationalzeitung", um 1914 Wiener Korrespondent des "Berliner Tageblatts" und ab 1916 Kolumnist bei den "Leipziger Neuesten Nachrichten". Victor Klemperer dokumentiert im Auftrag von Harms und für die "Leipziger Neuesten Nachrichten" die revolutionären Geschehnisse der Jahre 1918/19 in München.
    Köhler, Dr. Annemarie (1893-1948)
    Ärztin, Freundin von Victor Klemperer und Eva Klemperer. Zu ihr bringt Eva Klemperer regelmäßig und unter eigener Lebensgefahr die Manuskript-Seiten ihres Mannes. Annemarie Köhler versteckt diese vor dem Zugriff der Gestapo. 
    Lerch, Eugen (1888-1952)
    Romanist, Linguist und Hochschullehrer. Habilitierte ebenso wie Victor Klemperer bei Karl Vossler in München. In dieser Zeit besteht eine gewisse Konkurrenz zwischen den beiden, sie bleiben sich aber freundschaftlich und kollegial verbunden. 1919 werden beide zu außerordentlichen Professoren an der Universität München ernannt.
    Meyerhof, Hans
    Jugendfreund von Victor Klemperer. Sie treffen sich 1918 in München wieder. 1919 tritt Meyerhof offiziell dem Spartakusbund bei und unterstützt die Räterepublik, Kurt Eisner kennt er persönlich. Nach dem Sturz der Münchner Räterepublik wandert er 1919 mit Elena (Helene) Marwerth nach Italien aus. Klemperer und er begegnen sich 1921 noch einmal kurz in Dresden und 1929 ein weiteres Mal in Palermo.
    Schaps, Jenny (auch „Fräulein/Frau Schaps“) (1867-1950)
    In zweiter Ehe seit 1921 mit Julius Sebba verheiratet. Enge Freundin von Victor Klemperer und Eva Klemperer. 1938 emigriert sie mit der Familie ihrer älteren Tochter Toni Gerstle über die Schweiz nach England.
    Scherner, Dr. Johannes („Hans“) und seine Frau Gertrud („Trude“)
    Freunde der Klemperers. Als die Unterkunft, in der Victor Klemperer und seine Frau Eva leben, bei dem Bombenangriff der Alliierten auf Dresden zerstört wird, fliehen die beiden Richtung Bayern, um der Deportation zu entgehen. Auf ihrer Flucht Richtung Süden verstecken sich die Klemperers vom 7. März bis zum 3. April 1945 beim Ehepaar Scherner in Falkenstein. Als sie ihre Flucht fortsetzen, lässt Klemperer einige seiner Aufzeichnungen bei den Scherners zurück.
    Sebba, Julius („Jule“); später Yehuda Sebba (1882–1959)
    Rechtsanwalt, Dozent für Internationales Seerecht an der Handelshochschule Königsberg, enger Freund von Victor Klemperer seit dessen Berliner Journalistenzeit. Sebba emigriert 1933 mit seiner Familie nach Palästina. Dort ist er u.a. von 1948-1957 als Beamter des israelischen Verkehrsministeriums tätig.
    Sebba, Elise („Lisel“); geb. Schaps (1894-1960)
    Tochter von Jenny Schaps aus deren ersten Ehe mit dem Reichsgerichtsrates und Seerechtsexperten Georg Schaps (1861–1918).
    „Teubner“, B.G. Teubner Verlag
    Die Firma B. G. Teubner wurde 1811 von Benedictus Gotthelf Teubner in Leipzig gegründet. Als Verlag für vorwiegend Mathematik, Altertums- und Naturwissenschaftliche Literatur galt B.G. Teubner zum Ende des 19. Jahrhunderts als einer der bedeutendsten deutschen Verlage. Victor Klemperer veröffentlichte hier diverse Publikationen.
    Thieme, Johannes
    Ziehsohn von Victor Klemperer und seiner Frau Eva. Ab 1920 lebt Thieme bei den Klemperers in ihrer Leipziger Wohnung. Später wird er zum bekennenden Sympathisanten der Nationalsozialisten. Klemperer bricht daraufhin den Kontakt zu ihm und seiner Frau Trude ab.
    Ulich, Robert (1890-1977)
    Philosoph und Erziehungswissenschaftler, SPD-Mitglied. 1921-1933 ist er Referent im sächsischen Volksbildungsministerium in Dresden. Ab 1928 kommt er als Professor an die TH Dresden, wo er Victor Klemperer kennenlernt. 1933 wird Ulich aus politischen Gründen entlassen. 1934 emigriert er in die USA.
    Vossler, Karl (1872-1949)
    Romanist, Professor und lebenslanger Begleiter von Victor Klemperer. 1911 an die Universität München berufen, wird Vossler 1926-1927 hier Rektor. 1914 habilitiert sich Klemperer bei ihm über Montesquieu. Schon in den 1920er-Jahren spricht sich Vossler gegen den Nationalismus und dem Antisemitismus in der Studierendenschaft aus und tritt diesem auch öffentlich entgegen. Klemperer, der es in diesem Klima schwer hat, als Professor Fuß zu fassen, verhilft er zu Anstellungen als Privatdozent an der Universität München und später als ordentlicher Professor an der Technischen Hochschule Dresden. Vossler ist ein erklärter Gegner der NS-Ideologie. Er wird 1937 aufgrund von „politischer Unzuverlässigkeit” seines Amtes enthoben. 1946 wird Vossler erneut Rektor der Universität München und wirkt an deren Wiederaufbau mit.
    Weckerle, Eduard (1890–1956)
    Journalist, Victor Klemperer lernt ihn über seinen Freund Hans Meyerhof kennen. Weckerle ist Mitglied der USPD und 1918 Teil des Soldatenrats in München. 1931 tritt er in die Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) ein. 1933 emigriert Weckerle in die Schweiz.
    Wieghardt, Auguste („Gusti“); geb. Lazar (1887-1970)
    Schriftstellerin, trotz weltanschaulicher Differenzen enge Freundin von Victor Klemperer. Tritt der kommunistischen Arbeiterbewegung in Dresden bei. Unter den Nationalsozialisten unterstützt sie als parteilose Kommunistin den Widerstand und versteckt verfolgte Personen. Als Oppositionelle und Jüdin ist sie doppelt gefährdet und emigriert 1939 schließlich nach Großbritannien.
    (Am 14.3.1920 notiert Victor Kemperer: „Meine Neigung nach rechts hat während des Arco Rummels und durch den ständigen Antisemitismus sehr gelitten.”
    Am 21.02.1919 ermordet der nationalistische Student Anton Graf von Arco auf Valley (1897-1945) den bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner aus antikommunistischen und antisemitischen Motiven. Im Januar 1920 wird er vom Münchner Volksgericht für seine Tat zum Tode verurteilt, gleichzeitig wird ihm Ehrenhaftigkeit bezüglich seiner Motive und Gesinnung zugesprochen. Nach zahlreichen Protesten und Putschdrohungen aus der Reichswehr wird er schließlich begnadigt und 1927 von Reichspräsident Hindenburg amnestiert.
    Ebert, Friedrich (1871-1925)
    Sozialdemokratischer Politiker. 1916 wird Ebert neben Philipp Scheidemann Vorsitzender der SPD-Reichstagsfraktion, außerdem Vorsitzender des Parteivorstands und des Parteiausschusses. Ebert tritt nach dem Ersten Weltkrieg für den Erhalt der Monarchie ein, wird aber nach der Abdankung von Kaiser Wilhelm II. von der Weimarer Nationalversammlung am 11. Februar 1919 zum Reichspräsidenten der Weimarer Republik gewählt. Sein Bündnis mit der Obersten Heeresleitung (OHL) soll die Revolution eindämmen. Er unterstützt das gewaltsame Vorgehen des Reichswehrministers Gustav Noske gegen streikende, demonstrierende und revoltierende Arbeiter*innen während der Märzkämpfe.
    Eisner, Kurt (1867-1919)
    Sozialdemokratischer Politiker und Schriftsteller. 1917 wird er Vorsitzender der USPD (Unabhängige Sozialdemokratischen Partei Deutschlands) in Bayern. Er gilt als Anführer der Novemberrevolution in Bayern. Am 7. November 1918 ruft Eisner die Republik aus und wird am 8. November zu deren erstem (provisorischen) Ministerpräsidenten ernannt. In Zusammenhang mit seinem Eingeständnis der deutschen Kriegsschuld wird Eisner zunehmend zur Zielscheibe antisemitischer und nationalistischer Hetze. Im Januar 1919 erleidet die USPD bei den bayerischen Landtagswahlen eine deutliche Niederlage. Am 21. Februar 1919 wird er von dem nationalistischen, antisemitischen Studenten und reaktionären Gegner der Revolution Anton Graf von Arco auf Valley erschossen. Nach dem Tod Kurt Eisners zerfällt die Regierung des Freistaates.
    „Entente“ bezeichnet den Zusammenschluss mehrerer Staaten zu einem Bündnis. Im Ersten Weltkrieg bilden Frankreich, England und Russland die sogenannte Triple-Entente, ein Kriegsbündnis, das gegen die „Mittelmächte“ – das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn, später auch das Königreich Bulgarien und das Osmanische Reich – Krieg führt. Auch Serbien und Belgien kämpften seit Kriegsbeginn 1914 an der Seite der Entente-Staaten. Später schließen sich weitere Staaten wie Italien und die USA an. Die Entente-Staaten werden auch als „Alliierte“ bezeichnet.
    Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs setzen die 27 alliierten Entente-Mächte den sogenannten Vertrag von Versailles auf, der unter anderem dem Deutschen Reich und seinen Verbündeten die Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs zuschreibt. Der Vertrag wird am 28. Juni 1919 unterzeichnet, am 10. Januar 1920 tritt er in Kraft.
    Militärische Freiwilligenverbände, die während und nach der Novemberrevolution zwischen 1918 und 1920 zur Niederschlagung von Streiks und sozialistischen Erhebungen sowie im Grenzschutz eingesetzt werden.
    Hintergrund: Nach dem Ersten Weltkrieg und der Absetzung des Kaisers verfügt die neue Provisorische Reichsregierung (Rat der Volksbeauftragten) über keine zuverlässigen Truppen. Zu Beginn der Novemberrevolution soll deshalb unter Zustimmung der Obersten Heeresleitung (OHL) eine „Freiwillige Volkswehr“ außerhalb des Heeres gebildet werden. Es entstehen zahlreiche bewaffnete Freiwilligenverbände aus ehemaligen Frontsoldaten, die sogenannten Freikorps. 120 dieser Verbände mit insgesamt etwa 400.000 Mitgliedern sind namentlich nachweisbar. Die Freikorps sind monarchistisch und rechtskonservativ geprägt und haben überwiegend antirevolutionäre und antidemokratische Ansichten. Sie gehen blutig gegen entstehende Räterepubliken, lokale Streiks und Aufstände und ebenso gegen Zivilistinnen und Zivilisten wie gegen militärisch organisierte Gegner vor.
    Nach Inkrafttreten der Versailler Vertragsbestimmungen werden die Freikorps offiziell aufgelöst. Viele schließen sich daraufhin neuen paramilitärischen Formationen an und werden später von der NSDAP unter anderem für die SA (Sturmabteilung) rekrutiert.
    Landauer, Gustav (1870-1919)
    Sozialistischer anarchistischer Schriftsteller. Wird von Kurt Eisner – dem ersten Ministerpräsidenten Bayerns – nach München geholt. Nach Eisners Ermordung wird Landauer im April 1919 für einige Tage Minister der ersten bayerischen Räterepublik. Bei der Niederschlagung der zweiten Räterepublik wird Landauer verhaftet und am 2. Mai 1919 von Freikorpssoldaten im Gefängnis ermordet.
    Lenin, Wladimir Iljitsch; geb. Wladimir Iljitsch Uljanow (1870-1924)
    Russischer Politiker, kommunistischer Revolutionär und marxistischer Theoretiker. Lebt ab 1900 im Exil in Westeuropa. 1903 spalten sich die von Lenin geführten Bolschewiken von der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (SDAPR) ab. Sie kommen in der Oktoberrevolution 1917 durch einen von Leo Trotzki organisierten Putsch an die Macht, nachdem bereits in der Februarrevolution der Zar abgesetzt worden ist. Lenin ruft die Sozialistische Räterepublik aus und beginnt mit dem Aufbau eines diktatorischen Regierungssystems unter Führung der bolschewistischen Kaderpartei. Die Gründung der Russischen Sozialistischen Föderalistischen Sowjetrepublik (RSFSR) am 7. November 1917 gibt der neuen Räteordnung eine verfassungsrechtliche Grundlage.
    Levien, Dr. Max (1885–1937)
    Kommunist, Gründungsmitglied der KPD in München, Anhänger der Bolschewiken. Redakteur des Spartakisten-Organs „Rote Fahne“. Zusammen mit Eugen Leviné ist er einer der führenden Köpfe der Münchner Räterepublik. Nach der Niederschlagung der Räterepublik wird er verhaftet.
    Liebknecht, Karl (1871-1919)
    SPD-Politiker, 1912-1916 Mitglied des Reichtags. Liebknecht zählt zum linken Flügel der SPD, vertritt antimilitaristische und sozialistische Positionen. 1916 wird er aus der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion ausgeschlossen. Zusammen mit Rosa Luxemburg führt er in der Novemberrevolution den marxistischen Spartakusbund an und ist Herausgeber von dessen Zentralorgan „Rote Fahne“. Am 9. November 1918 ruft Karl Liebknecht – zwei Stunden, nachdem Philipp Scheidemann vom Reichstag aus die „Deutsche Republik“ proklamiert hat – die „Freie Sozialistische Republik“ am Berliner Schloss aus. Er lehnt es ab, in die Revolutionsregierung einzutreten und versucht stattdessen, die Bevölkerung für eine Räterepublik zu mobilisieren. Im Dezember 1919 ist er an der Gründung der KPD (Kommunistische Partei Deutschlands) beteiligt und steht mit Rosa Luxemburg an deren Spitze. Nach dem Januaraufstand der Spartakisten in Berlin werden Liebknecht und Rosa Luxemburg am 15. Januar 1919 von rechtsradikalen Freikorps verschleppt, verhört und im Berliner Tiergarten ermordet.
    Luxemburg, Rosa (1871-1919)
    Schon vor ihrem Eintritt in die SPD 1898 ist Rosa Luxemburg in der deutschen Arbeiterbewegung aktiv. Neben Karl Liebknecht ist sie die wichtigste Repräsentantin internationalistischer und antimilitaristischer Positionen in der Partei. Trotz ihrer pazifistischen Überzeugungen tritt sie nach Ende des Ersten Weltkriegs für eine sozialistische Revolution und die Bildung einer Räteregierung ein. 1917 verlässt sie die SPD, gründet mit Karl Liebknecht den marxistischen Spartakusbund und schreibt für dessen Zentralorgan „Rote Fahne“. Im Dezember 1919 ist Luxemburg an der Gründung der KPD beteiligt. Während der Januarunruhen muss sie mehrfach ihren Wohnort wechseln, um nicht festgenommen zu werden. Am 15. Januar 1919 wird sie zusammen mit Karl Liebknecht von rechtsradikalen Freikorps verschleppt und ermordet.
    Über die Frage der Kriegskredite, mit denen das Deutsche Reich den Ersten Weltkrieg finanziert, spaltet sich die SPD. Die Mehrheit in der Partei stimmt 1915 – im Einklang mit den anderen Parteien – für die Bewilligung weiterer Kriegskredite. Nur ein kleiner Teil stimmt gegen die Fortsetzung des Kriegs. Dieser Teil wird 1917 aus der Partei ausgeschlossen und gründet daraufhin am 6. April 1917 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD). Zur Unterscheidung wird die SPD nun informell als Mehrheits-SPD (MSPD) oder „Mehrheitssozialisten“ bezeichnet.
    Mühsam, Erich (1878-1934)
    Schriftsteller. Vertreter eines „literarischen Anarchismus“, der sich gegen bürgerliche Normen und staatliche Zwänge ausspricht und eine Verbundenheit mit sozial Benachteiligten betont. Mühsam sympathisiert als radikaler Verfechter des sozialistischen Rätesystems mit der Spartakusgruppe und organisiert 1916 Streiks und Proteste gegen den Krieg. Er ist als Mitglied der Münchner Arbeiter- und Soldatenräte an der Novemberrevolution 1918/1919 beteiligt. 1919 wird er neben Gustav Landauer und Ernst Toller zu einer politischen Leitfigur der Münchner Räterepublik.
    Politischer Rat geistiger Arbeiter
    Zu Beginn der Revolution 1918/1919 bilden sich im gesamten Deutschen Reich auf lokaler Ebene revolutionär gesinnte und unabhängig organisierte sogenannte „Soldaten- und Arbeiterräte“. Ihre wichtigste Aufgabe ist die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit sowie die Bewältigung der katastrophalen Lebensmittelversorgung nach Kriegsende. Nach deren Vorbild gründen sich gleichzeitig „Räte geistiger Arbeiter“, bestehend aus Gelehrten, Schriftstellern und Künstlern, deren Ziel eher in der geistigen Erneuerung des Staates und der politischen Kultur liegt.
    Politiker der SPD. Er vertritt im Ersten Weltkrieg die gemäßigte Linie der Mehrheit seiner Partei. Am 9. November 1918 ruft er am Reichstag die Deutsche Republik und das Ende der Monarchie aus. Etwa zwei Stunden später proklamiert Karl Liebknecht die „Freie Sozialistische Republik“. Von Februar bis Juni 1919 führt Scheidemann als Ministerpräsident des Reiches die erste demokratisch legitimierte Reichsregierung („Weimarer Koalition“) bestehend aus SPD, Zentrum und DDP; tritt aber mit seinem Kabinett im Juni 1919 geschlossen zurück, um nicht die Verantwortung für die Unterzeichnung des Versailler Vertrags und damit für die offizielle Akzeptanz der deutschen Kriegsschuld tragen zu müssen.
    Zum Ende des Ersten Weltkriegs kommt es – ausgelöst durch aufständische Matrosen – im Zuge der Novemberrevolution zu einer Räte-Bewegung. Im gesamten Land bilden sich spontan auf lokaler Ebene revolutionär gesinnte sogenannte „Soldaten- und Arbeiterräte“. Ihre wichtigste Aufgabe ist die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit sowie die Bewältigung der katastrophalen Lebensmittelversorgung nach Kriegsende.
    Politisch wird die Räte-Bewegung von den beiden Arbeiterparteien MSPD und USPD angeführt. Die zentralen Forderungen sind: sofortiges Kriegsende, Abdankung von Kaiser Wilhelm II. und Demokratisierung.
    Spartakisten (auch: Spartakusbund oder Spartakus-Gruppe)
    Der Spartakusbund (benannt nach dem Anführer des römischen Sklavenaufstands) ist ein Zusammenschluss ehemaliger SPD-Politiker*innen und radikaler Sozialist*innen um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.
    Hintergrund: 1914 stimmt die SPD mehr oder weniger geschlossen für die Aufnahme von Kriegskrediten, mit denen die Finanzierung des Ersten Weltkriegs für das Deutsche Reich erst möglich wurde. In Opposition zu dieser „Burgfriedenspolitik“ der SPD entsteht um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ein radikaler Kern innerhalb der Partei. Zunächst noch als „Die Internationale“ betitelt, bekennt sich die Gruppe zum sozialistischen Internationalismus und fordert die sofortige Einstellung aller Kriegshandlungen. Seit 1916 veröffentlicht die Gruppe ihre politischen Ziele in den illegalen Spartakusbriefen und nennt sich nun „Spartakusgruppe“.
    1917 schließt sich die Spartakusgruppe der ebenfalls durch Abspaltung von der SPD entstandenen USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands) an. Am 9. November 1918 erscheint erstmals die „Rote Fahne“, das offizielle Organ der Gruppe. Am 11. November 1918 erfolgt die Umbenennung in „Spartakusbund“.
    Während der Revolution 1918/1919 versucht die Gruppe, ihre politischen Vorhaben mit der Proklamierung einer sozialistischen Räterepublik durch Karl Liebknecht am 9. November 1918 durchzusetzen. Vereitelt wird dieser Plan durch den Sozialdemokraten Philipp Scheidemann, der zwei Stunden zuvor spontan die „Deutsche Republik“ ausruft.
    Die Spartakisten vertreten innerhalb der USPD eine radikale Minderheitsposition, die sich nicht durchsetzen kann. In der Folge kommt es im Dezember 1918 im Zusammenschluss mit anderen linksradikalen Gruppierungen zur Gründung der KPD (Kommunistische Partei Deutschlands). Während des Januaraufstands 1919, dem sogenannten Spartakusaufstand, werden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg von Freikorps ermordet.
    Trotzki, Lew (Leo) Davidowitsch; geb. Leo Dawidowitsch Bronstein (1879-1940)
    Russischer Politiker, kommunistischer Revolutionär und marxistischer Theoretiker. Lebt ab 1907 im westeuropäischen Exil. Kehrt nach Ausbruch der Russischen Revolution im Mai 1917 nach St. Petersburg zurück und wird mit Lenin zusammen Hauptinitiator der Oktoberrevolution und der Machtübernahme der Bolschewiken.
    Trotzkisten
    Als Trotzkisten werden Anhänger*innen von Leo Trotzki und dessen revolutionär-marxistischen Konzepten zur Durchsetzung des Sozialismus bezeichnet. Der „Trotzkismus“, der auf eine gewaltsame Errichtung einer weltweiten Diktatur des Proletariats aus „Arbeiterräten“ abzielt, steht in Abgrenzung zur Lehre Josef Stalins vom „Aufbau des Sozialismus in einem Lande“. Nach der Russischen Revolution unterliegt Leo Trotzki Josef Stalin im innersowjetischen Machtkampf. Stalin zwingt ihn 1928 ins Exil nach Mexiko und lässt ihn dort 1940 ermorden.
    Unabhängige Sozialdemokraten (USPD)
    Über die Frage der Kriegskredite, mit denen das Deutsche Reich den Ersten Weltkrieg finanziert, spaltet sich die SPD. Die Mehrheit in der Partei stimmt – im Einklang mit den anderen Parteien – für die Bewilligung der Kriegskredite. Nur ein kleiner Teil stimmt dagegen, und damit gegen die Fortsetzung des Kriegs. Dieser Teil wird 1917 aus der Partei ausgeschlossen und gründet daraufhin am 6. April 1917 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD). Zur Unterscheidung wird die SPD zumeist als Mehrheits-SPD (MSPD) bezeichnet.
    Unterleitner, Hans (1890-1971)
    Sozialdemokratischer bayerischer Politiker, Schwiegersohn Kurt Eisners. 1918-1919 Minister für Soziales, 1920-1933 Mitglied des Reichstags. Von 1933-1935 Haft im KZ Dachau, dann emigriert er in die USA, wo er 1971 stirbt.

    Ereignisse

    23./24. Dezember 1918: Weihnachtskämpfe im Berliner Schloss
    (Notiz von V.K.: „In Berlin Chaos, gestern die wirrsten Kämpfe ums Schloss, Garde gegen Matrosen im Schloss, man sieht nicht klar“)
    Nach der Ausrufung der Republik am 9. November 1918 wird zum Schutz des Berliner Regierungsviertels die Volksmarinedivision (eine Formation bewaffneter Matrosen der ehemaligen Kaiserlichen Marine) im Berliner Schloss einquartiert. Nachdem der Rat der Volksbeauftragten (die provisorische Regierung, die den Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik gestaltet) am 23. Dezember 1918 nicht nur den Abzug der Volksmarinedivision aus Berlin, sondern gleichzeitig eine erhebliche Reduzierung ihrer Truppenstärke befiehlt und zudem Soldforderungen der Matrosen verweigert, kommt es zu blutigen Kämpfen zwischen der Volksmarinedivision und regulären Truppen der Obersten Heeresleitung. Letztere sind den Matrosen – die von bewaffneten Berliner Arbeitern unterstützt werden – unterlegen. Es sterben 56 Soldaten und 11 Matrosen.
    In der Folge bleibt die Truppenstärke der Volksmarinedivision erhalten, die Soldforderungen werden erfüllt. Zugleich wird die verstärkte Bildung von Freikorps angeordnet. Diese sollen zum „Schutz der Heimat“ im Kampf gegen innenpolitische Gegner eingesetzt werden.
    19. Januar 1919: Wahl der Nationalversammlung
    (Notiz von V.K.: „Wir wählten beide die demokratische Liste“)
    Am 19. Januar 1919 finden die ersten freien und demokratischen Wahlen auf Reichsebene nach dem Sturz der Monarchie statt. Es wird die verfassunggebende Deutsche Nationalversammlung gewählt. Dadurch, dass Frauen erstmals wählen dürfen und das Wahlalter von 25 auf 20 Jahre gesenkt wird, steigt die Anzahl der Wahlberechtigten bei dieser Wahl um etwa 20 Millionen. Aus der Wahl geht die Regierung der sogenannten „Weimarer Koalition“ zwischen SPD, DDP und Zentrum unter Philipp Scheidemann hervor.
    24. Februar 1919 - 10. März 1919: Generalstreik in Mitteldeutschland
    (Notiz von V.K.: „politisch bin ich jetzt untätig, seit in Leipzig der Streik herrscht“)
    Victor Klemperer bezieht sich hier auf den Generalstreik, der am 24. Februar 1919 von den Arbeiter- und Soldatenräten in ganz Mitteldeutschland ausgerufen wird und bis zum 10. März 1919 dauert.
    Hintergrund: Seit Jahresende 1918 kommt es in verschiedenen Regionen des Deutschen Reiches immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Zentrum der Aufstände ist Berlin. Die Gründe liegen in der Unzufriedenheit mit dem Verlauf der Revolution, insbesondere in einem radikal linken Lager, das eine parlamentarische Demokratie ablehnt und stattdessen die Errichtung einer sozialistischen Räterepublik fordert. In Berlin kommt es zwischen März und Mai 1919 zu den blutigen „Märzkämpfen“ mit rund 2.000 Toten. In Folge der Märzkämpfe verliert die MSPD aufgrund ihres Rückgriffs auf die radikal agierenden Freikorps in der Bevölkerung an Einfluss und Vertrauen.
    April 1919 (7.4.1919 und 13.4.1919): Ausrufungen der Münchner Räterepubliken 
    Im Bayerischen Landtag kommt es nach der Ermordung des Ministerpräsidenten Kurt Eisner am 21. Februar 1919 zu einem Machtvakuum. Der Zentralrat der Arbeiter- und Soldatenräte steht den parlamentarischen Parteien gegenüber. Die Suche nach einem Kompromiss scheitert und die Befürworter einer sozialistischen Räterepublik gewinnen im März 1919 die Oberhand.
    Verlauf: Am 7. April wird in München von Vertretern des Zentralrats der Räte die erste „Baierische“ Räterepublik ausgerufen. Der zwischenzeitlich eingesetzte bayerische Ministerpräsident Johannes Hoffmann flieht nach Bamberg und versucht von dort aus, die Räterepublik zu stürzen.
    Der Versuch scheitert und am 13. April 1919 wird die zweite Münchner Räterepublik ausgerufen, die von einem Machtwechsel geprägt ist: Während in der ersten Phase vor allem Intellektuelle wie Gustav Landauer oder Erich Mühsam entscheidende Positionen bekleideten, übernimmt nun die KPD die Macht. Tonangebend sind insbesondere die Kommunisten Eugen Leviné und Max Levien, die nach bolschewistischem Vorbild eine „Diktatur des Proletariats“ errichten wollen und dafür eine „Rote Armee“ aufstellen.
    Am 1. Mai 1919 rücken von Hoffmann und der Berliner Reichsregierung mobilisierte Freikorps in München ein, um die Räterepublik niederzuschlagen. Während der folgenden Kampfhandlungen zwischen der Roten Armee und den Freikorps kommt es zu Gewaltakten auf beiden Seiten, es sterben mehr als 600 Menschen. Landauer und Leviné werden hingerichtet. Am 3. Mai 1919 gilt die Räterepublik als gestürzt. Der Niederschlagung der Räterepublik, von deren Protagonisten einige jüdischer Herkunft waren, folgt in München eine rechtskonservative und republikfeindliche Entwicklung, in der sich Kommunistenhass und Antisemitismus verbinden. 
    Januar/Februar 1921: „Neue Entente-Forderungen
    Die Reparationsleistungen, die die Deutsche Republik nach Ende des Ersten Weltkriegs zu zahlen hatte, waren im Versailler Vertrag von den Entente-Mächten in Höhe und Dauer nicht näher bestimmt worden.
    Vom 24. bis zum 29. Januar 1921 findet in Paris eine Konferenz zwischen den Entente-Mächten statt, bei denen über Entwaffnungs- und Reparationsfragen verhandelt wird. Auf dieser Konferenz benennen die Alliierten als Gesamtsumme der von der Deutschen Republik zu zahlenden Reparationen den Wert von insgesamt 226 Mrd. Goldmark, die über einen Zeitraum von 42 Jahren fällig sind. Diese Regelung gilt zunächst als Vorschlag, über den auf einer Konferenz im Februar 1921 in London mit der Deutschen Regierung verhandelt werden soll. Die auf der Pariser Konferenz erreichten Entwaffnungs-Bestimmungen gelten jedoch als nicht verhandelbar.
    20. April 1921: „Totenfeier für verstorbene Kaiserin
    Victor Klemperer bezieht sich hier auf Auguste Viktoria Friederike Luise Feodora Jenny von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg. Sie war 1888 bis 1918 letzte Deutsche Kaiserin und Königin von Preußen und Gemahlin von Kaiser Wilhelm II. Am 11. April 1921 stirbt sie im niederländischen Exil. Ihr Leichnam wird in den Antiken-Tempel des Parks von Schloss Sanssouci (Potsdam) überführt, die Beisetzung findet am 19. April 1921 statt. Neben der kaiserlichen Familie und hunderttausenden Trauergästen nehmen auch Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, General Erich Ludendorff und Großadmiral Alfred von Tirpitz an der Beisetzung teil. 
    24. Juni 1922: Ermordung von Walther Rathenau
    Walther Rathenau (1867-1922) war ein Industrieller, Schriftsteller und liberaler Politiker der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), zuletzt Reichsaußenminister. Als offizieller Vertreter der Reichsregierung erreicht er 1922 bei der Konferenz von Cannes die Herabsetzung der deutschen Reparationszahlungen. Am 24. Juni 1922 wird er von zwei rechtsradikalen Offizieren der „Organisation Consul“ mit antisemitischen und antidemokratischen Motiven ermordet. Das Attentat löst Empörung über die offene nationalistische Hetze in der Presse und Demonstrationen für die Weimarer Republik aus.
    1923: (Hyper-)Inflation
    Bereits zu Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 vermehrt sich im Deutschen Reich die umlaufende Geldmenge. Das führt zu einem kontinuierlichen Geldwertverlust und sinkender Kaufkraft. Die Finanzierung des Ersten Weltkriegs erfolgte durch eine immense Staatsverschuldung, nach dem Ende des Krieges werden zur Bewältigung der Kriegsfolgelasten weitere Schulden aufgenommen. Hinzu kommen die zu leistenden Reparationszahlungen, die aus dem Versailler Vertrag abgeleitet werden. Auch die innenpolitischen Auseinandersetzungen – Regierungskrisen, der Mord an Walther Rathenau 1922, die Ruhrbesetzung durch französische Truppen 1923 und die darauf folgenden Ruhrkämpfe – sowie der dadurch verursachte Vertrauensverlust in den Staat tragen zu einem fortschreitenden Verfall der deutschen Währung bei. Ab 1923 kommt es zur Hyperinflation. Die Versorgungslage der Bevölkerung verschlechtert sich in diesen Jahren rapide. Der Reallohn sinkt auf ca. 40% seines Vorkriegsniveaus, Vermögenswerte und Ersparnisse werden entwertet. Weite Teile der Bevölkerung verarmen. Profiteure sind einige Unternehmen und der Staat. Mit der Währungsreform am 15. November 1923 stabilisiert sich die Situation.
    11. August 1923: Heinrich Manns „Rede zur Feier der Verfassung in der Dresdener Staatsoper”
    Zwei Jahre nach der Unterzeichnung der Reichsverfassung durch Friedrich Ebert am 11. August 1919 wird der 11. August in der Weimarer Republik zum Nationalfeiertag erklärt. 1923 hält der Schriftsteller Heinrich Mann bei den Feierlichkeiten seine Verfassungsrede in der Semperoper in Dresden.
    26. April 1925: Wahl Paul von Hindenburgs zum Reichspräsidenten 
    Nach dem Tod Friedrich Eberts am 28. Februar 1925 findet am 29. März 1925 die erste unmittelbare Reichspräsidentenwahl der Weimarer Republik statt. Da beim ersten Wahldurchgang keiner der sieben Bewerber die absolute Mehrheit erreicht, erfolgt am 26. April 1925 ein zweiter Wahlgang. Der Kandidat der Weimarer Koalition aus SPD, Zentrum und DDP, Wilhelm Marx, verliert die Wahl knapp gegen den vom rechten Lager aufgestellten 78-jährigen monarchistischen Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg. Von Hindenburg wird Reichspräsident.
    20. Juni 1926: Volksentscheid über die Fürstenenteignung
    Im Zuge der Novemberrevolution und der Absetzung des Kaisers waren auch die deutschen Fürsten und Fürstinnen entmachtet und ihr Vermögen beschlagnahmt worden. Sie fordern hohe finanzielle Entschädigungen für entgangene Gewinne. Auf Gerichtsurteile, die diese Abfindungen unterstützen, reagiert ein Großteil der durch Inflation und Kriegsfolgen unter sozialer Not leidenden Bevölkerung empört. Die KPD initiiert daraufhin ein Volksbegehren zur entschädigungslosen Enteignung der Fürstenvermögen zugunsten der ärmeren Bevölkerungsteile, unterstützt von SPD, Zentrumspartei, Gewerkschaften und Teilen des linksliberalen Bürgertums. Gegner sind die monarchistischen Parteien DVP und DNVP, verschiedene national-konservative Verbände, die Kirchen sowie Reichspräsident von Hindenburg. Am Volksbegehren beteiligen sich ca. 15,5 Millionen Wahlberechtigte, davon stimmen ca. 36,4% für die Enteignung. Noch bevor es zu einem Volksentscheid kommen kann, erklärt von Hindenburg das geplante Gesetz für verfassungsändernd. Dadurch wird eine Zustimmung von mindestens 50% der Wahlberechtigten erforderlich und die Volksbefragung gilt als gescheitert.
    14. Mai 1930: Landtagswahl in Sachsen
    Nachdem infolge der sächsischen Landtagswahlen 1929 keine Regierung zu Stande kommt, wird am 14. Mai 1930 erneut gewählt. 1929 noch bei 3,4%, erreicht die NSDAP bei den Wahlen 1930 schon 14,4%. 5 Kandidaten der NSDAP ziehen daraufhin in den Landtag ein. Die sächsischen Landtagswahlen 1929 und 1930 können als Wendepunkt und als Etablierung der NSDAP als einer entscheidenden politischen Kraft in ganz Deutschland betrachtet werden. 
    14. September 1930: Reichstagswahl
    Bei der Reichstagswahl vom 14. September 1930 kommt es zu einem unerwarteten Erfolg der NSDAP: Sie wird mit 18,3% hinter der SPD zweitstärkste Partei und zieht mit 107 Abgeordneten (vorher: 12) in den Reichstag ein. 
    13. März und 10. April 1932: Reichspräsidentenwahl 
    Nach Ablauf der siebenjährigen Amtszeit des parteilosen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg finden am 13. März 1932 Neuwahlen statt. Hindenburgs einziger wirklicher Konkurrent ist Adolf Hitler. Im ersten Wahlgang erreicht keiner der Kandidaten die nötige absolute Mehrheit. Im zweiten Wahlgang am 10. April 1932 wird Hindenburg mit 53% der Stimmen wiedergewählt. 
    Mai 1932: Sturz des Reichswehrministers Wilhelm Groener
    Wilhelm Groener (1867-1939) – General und Politiker – ist im Kabinett Brüning von 1931-1932 sowohl Reichswehrminister als auch Reichsinnenminister. In dieser Position setzt er das Verbot der nationalsozialistischen SA (Sturmabteilung) und SS (Schutzstaffel) durch. Daraufhin kommt es zum Zerwürfnis zwischen Groener und Generalmajor Kurt von Schleicher, da Schleicher das Konzept der „Zähmung“ der Nationalsozialisten, u.a. durch die Einbindung der SA in eine überparteiliche Wehrorganisation, vertritt. Auf den Druck Schleichers und anderer Generäle hin tritt Groener zurück, und Schleicher wird am 1. Juni 1932 neuer Reichswehrminister im Kabinett von Papen. Der Sturz Groeners kann als weiterer Schritt zum Untergang der Weimarer Republik betrachtet werden.
    31. Juli 1932: Reichstagswahl
    Da die Mehrheit der Reichstagsabgeordneten der Regierung, zu der von Papen durch Hindenburg beauftragt wurde, die Unterstützung verweigert, lässt Hindenburg im Juni 1932 das Parlament auflösen. Im folgenden Wahlkampf kommt es zu massiven Auseinandersetzungen zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten. Bei den Reichstagswahlen am 31. Juli 1932 wird die NSDAP mit 37,3% zur stärksten Partei im Reichstag gewählt. Die Wahlbeteiligung liegt bei 84,1%, so hoch wie noch nie seit Bestehen der Republik.
    Am 7. August 1932 schreibt Victor Klemperer in sein Tagebuch: „Hitler ante portas“, also „Hitler vor den Toren“.
    Am 6. November 1932 erfolgt die nächste Reichstagswahl. Die NSDAP verliert hier zwar 4% ihrer vorherigen Stimmen, doch unter der Übergangsregierung Kurt von Schleichers wird Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt. Die Reichstagswahlen im Februar 1933 können schon nicht mehr als freie Wahlen bezeichnet werden. 

    Weiteres

    Arbeitslosigkeit
    Der Zusammenbruch der New Yorker Börse am 25. Oktober 1929 wird als Beginn der Weltwirtschaftskrise betrachtet. In Deutschland werden wichtige kurzfristige amerikanische Kredite abgezogen, es kommt zu Firmenzusammenbrüchen und Massenentlassungen. Die Arbeitslosenzahlen steigen in nur vier Jahren von ca. 1,9 Millionen 1929 auf bereits rund 3 Millionen 1930 und bis zu rund 5,6 Millionen im Jahr 1932, die Dunkelziffer liegt vermutlich deutlich höher. Die Sparpolitik der Regierung Brüning als Reaktion auf die Wirtschaftskrise führt zudem zu einer Senkung der Reallöhne, zusätzlich werden Arbeitslosen- und Sozialhilfen sowie Renten gekürzt. Von der Massenverelendung, die sich daraus ergibt, sind besonders Industrie-Arbeiter*innen, Kriegsversehrte und ältere Menschen betroffen.
    „Der blaue Engel“
    Die Verfilmung des sozialkritischen Romans „Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen“ von Heinrich Mann ist einer der ersten Tonfilme, produziert von der Universum Film AG (UFA), Berlin 1930. Die Uraufführung findet am 1. April 1930 im Berliner Gloria-Palast statt. „Der blaue Engel“ verhilft dem Tonfilm zum endgültigen Durchbruch und begründet den Aufstieg Marlene Dietrichs zum Weltstar. Victor Klemperer sieht den Film am 8. Juni 1932 und verfasst eine Rezension.
    Simplicissimus 
    Politisch-satirische Wochenzeitschrift, die vom Verleger Albert Langen (1869-1909) gegründet wird und zwischen 1896 und 1944 erscheint. Vor 1914 steht der „Simplicissimus“ für schärfste Gesellschaftskritik in Deutschland. Während des Ersten Weltkriegs wird die Redaktion von der allgemeinen Kriegsbegeisterung ergriffen. In der Weimarer Republik findet sie zur früheren Unabhängigkeit zurück, unter den Nationalsozialisten stimmt sie jedoch nach Repressionen der „Gleichschaltung“ zu. Der „Simplicissimus“ wird zu einem Aushängeschild des NS-Staats. Die Produktion wird 1944 wegen Papiermangels eingestellt.
    Zionismus
    Im Alten Testament ist „Zion“ ein Hügel in Jerusalem, der heutige „Tempelberg“. Zionismus bezeichnet allgemein die Idee oder das Streben nach einem unabhängigen jüdischen Staat, in dem alle Juden und Jüdinnen in Freiheit leben können.
    Im 19. Jahrhundert wird daraus eine politisch-religiöse Bewegung, die zunächst v.a. eine Reaktion auf den russischen und osteuropäischen Antisemitismus darstellt. Oberstes Ziel ist die Rückführung der in aller Welt lebenden jüdischen Bevölkerungsteile in das Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan. In Palästina sehen die Zionisten das ursprüngliche jüdische Heimatland, hier wollen sie einen unabhängigen Nationalstaat gründen. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts siedeln Migranten in diese Region über und beginnen mit dem Bau jüdischer Siedlungen.
    Der erste zionistische Kongress findet 1897 in Basel statt. Hier wird der Zionismus durch die Gründung der Zionistischen Weltorganisation als politische Kraft begründet. Einer der wichtigsten Vertreter und Präsident der Organisation ist Theodor Herzl.
    Die zionistische Bewegung findet in Deutschland aufgrund des zunehmenden Antisemitismus nach Ende des Ersten Weltkriegs und des erstarkenden Nationalsozialismus zunehmend Zuspruch unter Juden und Jüdinnen in Deutschland und Europa.