Victor Klemperers Tagebücher 1933-1945

    Glossar zum Nationalsozialismus

    Facsimile-Auszüge aus den Tagebüchern von Victor Klemperer
    Facsimile-Auszüge aus den Tagebüchern von Victor Klemperer © Deutschlandradio
    Von Melanie Miklautsch |
    „Grünspan-Affäre“, „Saarabstimmung“ oder „Bürgerbräu-Attentat“ – in seinen Tagebüchern aus der Zeit des Nationalsozialismus nennt Victor Klemperer viele Namen und Begriffe, ohne sie jeweils zu erklären. Das Glossar erläutert einige von ihnen.

    Glossar

    Victor Klemperer (1881-1960)

    Biografie vor 1933
    Nach einem abgebrochenen Studium der Germanistik und der Romanistik lebt Victor Klemperer ab 1905 als freier Publizist in Berlin.
    In dieser Zeit lernt er Eva Schlemmer kennen; die beiden heiraten 1906. Unterstützt von seiner Frau hält Klemperer Vorträge über literarische Themen, publiziert einige Monografien, Novellen, Gedichte und auch einen Roman.
    Nachdem er 1903 bereits zum Protestantismus konvertiert war, diese Konversion aber zwischenzeitlich wieder rückgängig gemacht hatte, lässt er sich 1912 erneut evangelisch taufen.
    1913 promoviert er bei Franz Muncker in München und habilitiert sich ein Jahr später bei Karl Vossler mit einer Arbeit über den französischen Schriftsteller und Philosophen Montesquieu. Vossler bleibt Zeit seines Lebens eine wichtige Bezugsperson für Victor Klemperer.
    Vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs erfährt Klemperer in Neapel, wo er 1915 an der Universität als Lektor tätig ist. Er meldet sich freiwillig und wird als Unteroffizier und Kanonier einer bayerischen Einheit von November 1915 bis März 1916 an der französischen Front eingesetzt. Nach einem Lazarettaufenthalt wird er als Zensor beim Buchprüfungsamt des militärischen Kommandos nach Kowno (im heutigen Litauen), dann nach Leipzig versetzt.
    Während der Umstürze der Novemberrevolution 1918/19 kehrt Victor Klemperer nach München zurück, um dort seine Lehrtätigkeit als Privatdozent anzutreten. In dieser Zeit wird er unter Pseudonym Korrespondent für die „Leipziger Neuesten Nachrichten“ und berichtet über die revolutionären Ereignisse in München.
    1920 wird Victor Klemperer außerordentlicher Professor für Romanistik an der Technischen Hochschule Dresden.

    Personen

    Blumenfeld, Walter (1882-1967) 
    Arbeitspsychologe, enger Freund von Victor Klemperer. Blumenfeld ist ein bedeutender Pionier in der Arbeits- und Organisationspsychologie. Nach dem Ersten Weltkrieg lehrt er als Privatdozent an der Technischen Hochschule Dresden. Er spielt eine entscheidende Rolle beim Aufbau des Psychotechnischen Instituts in Dresden. 1934 erhält er aufgrund seiner jüdischen Herkunft Berufsverbot. 1937 emigriert er zusammen mit seiner Frau Margarete („Grete“) nach Peru. 
    Dreßel, Friedrich (1892-1991)
    Chirurg am Johanniterkrankenhaus in Heidenau bei Dresden, Freund von Annemarie Köhler. Mit ihr eröffnet er 1937 eine Privatklinik in Pirna.
    Neffe von Victor Klemperer, Sohn von Martha Jelski, geb. Klemperer. Emigriert 1933 mit seiner Frau nach Palästina.
    Ärztin, Freundin von Victor Klemperer und Eva Klemperer. Zu ihr bringt Eva Klemperer regelmäßig und unter eigener Lebensgefahr die Manuskript-Seiten ihres Mannes. Annemarie Köhler versteckt diese vor dem Zugriff der Gestapo. 
    Klemperer, Anna („Anny“); geb. Schott (1885-1963)
    Ehefrau von Berthold Klemperer, Schwägerin von Victor Klemperer.
    Rechtsanwalt, Justizrat, älterer Bruder von Victor Klemperer. Nach dem Vorbild seiner Brüder konvertiert er zum Protestantismus, was ihm eine Karriere sowie die Ehe mit Anna Schott, der Tochter eines preußischen Generals, ermöglicht.
    Klemperer, Elisabeth („Betty“); geb. Goldschmidt (1881-1971)
    Witwe von Felix Klemperer, Schwägerin von Victor Klemperer. 1936 emigriert sie nach Cleveland (USA), wo ihr jüngster Sohn Wolfgang als Arzt tätig ist.
    Klemperer, Elisabeth Hedwig Eva (Rufname Eva); geb. Schlemmer (1982-1951)
    Pianistin, Organistin, Malerin, Ehefrau von Victor Klemperer.
    Unter den Nationalsozialisten ist Eva Klemperer als selbst „arische“ Ehefrau eines Mannes jüdischer Herkunft massiven Repressalien und sozialer Isolierung ausgesetzt. Sie verweigert sich dem Druck, sich scheiden zu lassen und kann Victor Klemperer so nicht nur vor der Deportation bewahren, sondern rettet auch unter eigener Lebensgefahr sein Werk vor den Hausdurchsuchungen der Gestapo. Ihre eigenen Kompositionen und Bilder gehen in den Kriegsjahren verloren.
    Klemperer, Georg (1865-1946) 
    Internist. Der Älteste der Klemperer-Geschwister übt – wie auch der Zweitälteste Felix – großen Einfluss auf den jüngeren Victor aus. Nachdem die Familie Klemperer nach Berlin zieht, lässt sich Georg evangelisch taufen, um im Wilhelminischen Deutschland Karriere machen zu können. 1889 habilitiert er sich an der Klinik der Charité und wird 1906 Chefarzt im Krankenhaus Moabit. Dort wird er durch seine reformorientierte Arbeit bekannt, er beschäftigt sich u.a. mit Hypnose und Naturheilkunde. Mit seiner Frau Maria, geb. Umber, hat Georg Klemperer fünf Kinder, u.a. den späteren Physiker Otto Klemperer.
    Klemperer, Margarethe („Grete“, eigentlich Recha); verh. Riesenfeld (1867-1942) 
    Schriftstellerin, Schwester von Victor Klemperer. Verheiratet mit Dr. Eduard Abraham Riesenfeld. Mit ihm hat sie zwei Kinder: Hedwig Riesenfeld und Eberhard Riesenfeld.
    Konrad, Albert (1880-?)
    Kaufmann, Freund von Victor Klemperer. Unter den Nationalsozialisten wird er als Jude verfolgt und muss seinen Beruf als kaufmännischer Leiter und Importeur einer Schweine- und Großschlächterei aufgeben. Ab 1943 wird er zur Zwangsarbeit in verschiedenen Dresdner Betrieben verpflichtet. Albert Konrad und seine Frau Ida überleben die Verfolgungszeit. 
    Kreidl, Ernst (1878-1942)
    Bankkaufmann, Leidensgefährte von Victor Klemperer.
    Ernst Kreidl ist Besitzer des Hauses in der Caspar-David-Friedrich-Straße 15 b in Dresden, das 1940 zum „Judenhaus“ erklärt wird. Auch Victor und Eva Klemperer werden 1940 in dieses Haus zwangsumgesiedelt, nachdem sie aus ihrem Haus in Dölzschen vertrieben wurden.
    Ernst Kreidl wird am 19. November 1941 verhaftet und am 24. März 1942 in das „Konzentrationslager“ Buchenwald verschleppt. Im Mai 1942 erhält seine Frau, Elsa Kreidl, die Nachricht, dass er bei einem Fluchtversuch erschossen wurde.
    Kreidl, Ida; geb. Schick (1874-1944)
    Witwe von Arthur Kreidl, Schwägerin von Ernst Kreidl. 1940 wird sie in das „Judenhaus“ in der Caspar-David-Friedrich-Straße 15 b in Dresden zwangsumgesiedelt, wo zu dieser Zeit auch Victor und Eva Klemperer leben. Am 25. August 1942 wird sie mit dem Dresdner Transport V/5 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Von dort wird sie am 15. Mai 1944 in das „Konzentrations“- und Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo sich ihre Spur verliert.
    Kreidl, Paul (1906-1942)
    Sohn von Arthur Kreidl und Ida Kreidl. Zusammen mit seiner Mutter wird er 1940 in das „Judenhaus“ in der Caspar-David-Friedrich-Straße 15 b in Dresden zwangsumgesiedelt. Zuvor wird ihm seine Einreiseerlaubnis nach England, wohin seine Frau bereits emigriert war, mit der Begründung des Kriegsausbruchs verwehrt. Ab 1940 wird Paul Kreidl in verschiedenen Dresdner Betrieben zu Zwangsarbeit verpflichtet. In der Nacht vom 20. auf den 21. Januar 1942 wird er in das Rigaer Ghetto deportiert. Nach einem angeblichen Fluchtversuch wird er in das „Arbeitserziehungslager“ Salaspils bei Riga verlegt, wo er am 30. April 1942 angeblich erhängt in seiner Zelle gefunden wird.
    Meyerhof, Caroline Cora („Lissy“, 1887-?)
    Krankenschwester, Schwester von Hans Meyerhof, Freundin der Klemperers. Am 25. Januar 1942 wird sie in das Rigaer Ghetto deportiert und gilt seitdem als verschollen.
    Meyerhof, Hans
    Jugendfreund von Victor Klemperer. Sie treffen sich 1918 in München wieder. 1919 tritt Meyerhof offiziell dem Spartakusbund bei und unterstützt die Räterepublik, Kurt Eisner kennt er persönlich. Nach dem Sturz der Münchner Räterepublik wandert er 1919 mit Elena (Helene) Marwerth nach Italien aus. Klemperer und er begegnen sich 1921 noch einmal kurz in Dresden und 1929 ein weiteres Mal in Palermo.
    Scherner, Dr. Johannes („Hans“) und seine Frau Gertrud („Trude“)
    Freunde der Klemperers. Als die Unterkunft, in der Victor Klemperer und seine Frau Eva leben, bei dem Bombenangriff der Alliierten auf Dresden zerstört wird, fliehen die beiden Richtung Bayern, um der Deportation zu entgehen. Auf ihrer Flucht Richtung Süden verstecken sich die Klemperers vom 07. März bis zum 03. April 1945 beim Ehepaar Scherner in Falkenstein. Als sie ihre Flucht fortsetzen, lässt Klemperer einige seiner Aufzeichnungen bei den Scherners zurück.
    „Sußmanns”
    Familie von Victor Klemperers Schwester Valeska („Wally“); verh. Sußmann.
    Voß, Käte („Kätchen“); geb. Joachimsthal (1882-1943)
    Käte Voß wird 1940 in das „Judenhaus“ in der Caspar-David-Friedrich-Straße 15 b in Dresden zwangsumgesiedelt, wo zu dieser Zeit auch Victor und Eva Klemperer leben. In der Nacht vom 23. auf den 24. November 1942 wird sie in das „Judenlager“ Hellerberg verschleppt und von dort in der Nacht vom 2. auf den 3. März 1943 in das „Konzentrationslager“ Auschwitz-Birkenau deportiert. Dort wird sie vermutlich sofort in den Gaskammern ermordet.
    Vossler, Karl (1872-1949)
    Romanist, Professor und lebenslanger Begleiter von Victor Klemperer. 1911 an die Universität München berufen, wird Vossler 1926-1927 hier Rektor. 1914 habilitiert sich Klemperer bei ihm über Montesquieu. Schon in den 1920er Jahren spricht sich Vossler gegen den Nationalismus und den Antisemitismus in der Studierendenschaft aus und tritt diesem auch öffentlich entgegen. Klemperer, der es in diesem Klima schwer hat, als Professor Fuß zu fassen, verhilft er zu Anstellungen als Privatdozent an der Universität München und später als ordentlicher Professor an der Technischen Hochschule Dresden. Vossler ist ein erklärter Gegner der NS-Ideologie. Er wird 1937 aufgrund von „politischer Unzuverlässigkeit” seines Amtes enthoben. 1946 wird Vossler erneut Rektor der Universität München und wirkt an deren Wiederaufbau mit.
    Wieghardt, Auguste („Gusti“); geb. Lazar (1887-1970)
    Schriftstellerin, Trotz weltanschaulicher Differenzen enge Freundin von Victor Klemperer. Tritt der kommunistischen Arbeiterbewegung in Dresden bei. Unter den Nationalsozialisten unterstützt sie als parteilose Kommunistin den Widerstand und versteckt verfolgte Personen. Als Oppositionelle und Jüdin ist sie doppelt gefährdet und emigriert 1939 schließlich nach Großbritannien.

    Politische Personen

    Seit 1932 österreichischer Bundeskanzler an der Spitze einer konservativen Regierungskoalition. Dollfuß arbeitet eng mit dem faschistischen Italien zusammen und setzt sich für die Wahrung der Unabhängigkeit Österreichs gegenüber dem Deutschen Reich ein. Er regiert zunehmend autokratisch. Am 1. Mai 1934 verkündet er die neue Verfassung Österreichs, mit der die parlamentarische Demokratie endgültig beseitigt ist. Am 25. Juli 1934 wird Dollfuß bei einem Putschversuch österreichischer Nationalsozialisten in Wien erschossen.

    Ereignisse

    30. Januar 1933: Paul von Hindenburg ernennt Adolf Hitler zum Reichskanzler
    (Am 10. März 1933 notiert Victor Klemperer: „Jetzt wiederholt sich haargenau, nur mit anderem Vorzeichen, mit Hakenkreuz, die Sache von 1918!“)
    Bei den Reichstagswahlen im Juli und November 1932 wird die NSDAP erstmals stärkste Kraft. Paul von Hindenburg verweigert Hitler zunächst jedoch das Amt des Reichskanzlers, für das er den damaligen Reichswehrminister Kurt von Schleicher vorsieht. Dem gelingt es jedoch nicht, sich einen breiten Rückhalt in der Gesellschaft zu sichern. Am 28. Januar 1933 tritt er zurück. 
    Zwei Tage später ernennt Paul von Hindenburg schließlich doch Adolf Hitler zum Reichskanzler, der mittlerweile von einflussreichen Bankiers und Industriellen sowie dem Zentrums-Politiker Franz von Papen unterstützt wird. Der Reichstag wird aufgelöst. In der Zeit bis zu den Neuwahlen im März 1933 bedient sich Hitler aller ihm als Reichskanzler zur Verfügung stehenden Machtmittel, um seine politischen Gegner auszuschalten, und beginnt mit der Errichtung einer Diktatur.
    27. Februar 1933: Reichstagsbrand
    (Am 10. März schreibt Victor Klemperer: „Vor der Wahl die plumpe Sache des Reichstagsbrandes – ich kann mir nicht denken, daß irgend jemand wirklich an kommunistische Täter glaubt statt an bezahlte Hakenkreuz-Arbeit.“)
    In der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 steht der Reichstag in Flammen. Vor Ort wird der niederländische Arbeiter und Anarchist Marinus van der Lubbe festgenommen. Er wird als Brandstifter angeklagt und 1934 hingerichtet.
    Der genaue Tathergang ist bis heute umstritten. In den NS-gesteuerten Medien wird sofort verbreitet, dass es sich um einen kommunistischen Umsturzversuch handelt. Auf Basis dieses Vorwands wird die sogenannte „Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat“ vorgelegt, welche am 28. Februar vom Reichspräsidenten Paul von Hindenburg unterzeichnet wird.
    Diese Verordnung verhängt den zivilen Ausnahmezustand und setzt dabei die wesentlichen Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft. Das NS-Regime nutzt die Verordnung, um Regimegegner – insbesondere Kommunist:innen –  zu verfolgen, sie willkürlich festzunehmen und regimekritische Zeitungen zu verbieten. Am 5. März werden alle politischen Mandate von KPD-Mitgliedern annulliert. Zehntausende Oppositionelle werden in den folgenden Wochen in improvisierte Konzentrationslager verschleppt. Noch vor den Neuwahlen im März 1933 hat Hitler so bereits den Großteil seiner politischen Opposition ausschalten lassen. Die Verordnung bleibt bis 1945 in Kraft.
    1. April 1933: Beginn des antisemitischen „Geschäftsboykotts“ 
    Mit dem „Geschäftsboykott“ organisiert das NS-Regime eine frühe antisemitische Hetzkampagne. Betroffen sind nicht nur Geschäfte mit jüdischen Eigentümern, sondern auch jüdische Ärzte und Rechtsanwälte.

    Hintergrund:
    Seit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler nehmen die Angriffe auf Juden und Jüdinnen zu. Auf die ausländische Kritik an dem staatlich geduldeten und geförderten Antisemitismus im Deutschen Reich reagiert Joseph Goebbels Ende März 1933 mit einer Hetzkampagne. Er lässt in der Presse einen bevorstehenden „Judenboykott“ ankündigen, der vom 1. April bis zur „Kapitulation der Auslandspresse“ andauern solle.
    Maßgeblich beteiligt sind NS-Organisationen: Mitglieder der SA (Sturmabteilung), der SS (Schutzstaffel) und der „Hitlerjugend“ blockieren Zugänge zu Läden, Kanzleien, Gerichten und Praxen. Sie drangsalieren Eigentümer und Kundschaft und beschädigen das Inventar.
    Die Kampagne erzielt jedoch nicht die von den Nationalsozialisten gewünschte Wirkung. Teile der Bevölkerung solidarisieren sich mit den Betroffenen, und aus dem Ausland kommen scharfe Reaktionen bis hin zu Boykottdrohungen gegen deutsche Waren. Am 3. April wird die Aktion für beendet erklärt. Die Verfolgung von Juden und Jüdinnen wird in der Folge zunehmend gesetzlich verankert. 
    Bei den Reichstagswahlen am 12. November 1933 wird per Volksabstimmung der Austritt des Deutschen Reiches aus dem Völkerbund bestätigt.
    Hintergrund:
    Der Völkerbund ist nach dem Ende des Ersten Weltkriegs mit dem Ziel gegründet worden, einen weiteren Weltkrieg zu verhindern und dafür das Rüstungsgeschehen in Europa zu kontrollieren. Den Nationalsozialisten sind diese Bestimmungen von Beginn an ein Dorn im Auge. Am 14. Oktober erklärt Adolf Hitler den Austritt des Deutschen Reiches aus dem Völkerbund; am 19. Oktober wird der Austritt dem Komitee des Völkerbundes offiziell mitgeteilt. Die Entscheidung ist also bereits vor der Volksabstimmung am 12. November gefallen. Nach offiziellen Angaben stimmen 95 Prozent der Wahlberechtigten für den Austritt.
    Die mit der Volksabstimmung verbundenen Reichstagswahlen finden bereits unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Diktatur statt: erstmals ist nur die Einheitsliste der NSDAP zugelassen, alle anderen Parteien sind inzwischen verboten oder haben sich selbst aufgelöst
    30. Juni und 1. Juli 1934: „Röhm-Putsch“
    (Victor Klemperer notiert am 14. Juli: „Den zweiten mächtigen Auftrieb gab uns die „Röhmrevolte“. [...] Gar kein Gefühl für die Besiegten, nur die Wonne a) daß man sich gegenseitig auffrißt, b) daß Hitler nun wie ein Mann nach dem ersten schweren Schlaganfall ist.“)
    In der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli 1934 erfolgt die von den Nationalsozialisten zentral gelenkte und als „Röhm-Putsch“ verschleierte „Säuberungs“-Aktion, bei der neben SA-Stabschef Ernst Röhm ein Großteil der SA-Führung ermordet wird.
    Hintergrund:
    Die SA (Sturmabteilung) ist ursprünglich als Saalschutz gegründet worden. Bis zum Frühjahr 1934 zählt die Organisation rund vier Millionen Mitglieder und stellt damit einen bedeutenden innenpolitischen Machtfaktor dar. Gleichzeitig wird sie von der NSDAP zunehmend als unkontrollierbarer Risikofaktor wahrgenommen. Nach einem Konflikt zwischen Ernst Röhm und der Reichswehr plant die Partei-Führung den „Schlag gegen die SA“.
    Unter dem Vorwand eines angeblichen Putsch-Plans der SA wird in der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli 1934 die SA-Führung verhaftet. Auf Befehl Hitlers werden 50 höhere SA-Führer von Einheiten der SS (Schutzstaffel), dem Sicherheitsdienst (SD) und der Gestapo ermordet, darunter auch Ernst Röhm. Auch etwa 100 Regimegegner und politische Gegner – darunter der letzte Reichskanzler der Weimarer Republik, Kurt von Schleicher –, aber auch Unbeteiligte fallen dieser Mordaktion zum Opfer. Die SA gilt als entmachtet. Hitler stützt sich fortan vor allem auf die SS und die Reichswehr. Die blutige Säuberungsmaßnahme rechtfertigt die Regierung nachträglich per Gesetz als „Staatsnotwehr“.
    13. Januar 1935: Saarabstimmung
    Nach Ende des Ersten Weltkriegs ist das Saarland entsprechend der Bestimmungen des Versailler Vertrags ab 1919 für 15 Jahre Mandatsgebiet des Völkerbundes. Frankreich hat in dieser Zeit die Leitung der zuständigen Völkerbundkommission inne und erhält im Rahmen der Reparationsansprüche gegenüber dem Deutschen Reich die Rechte an den Saar-Zechen.
    Am 13. Januar 1935 findet – wie im Versailler Vertrag vorgesehen – eine Volksabstimmung unter Aufsicht des Völkerbundes statt. Die Bevölkerung des Saarlandes soll darüber entscheiden, ob das Gebiet zukünftig zu Frankreich oder wieder zum Deutschen Reich gehören soll, oder ob der Status quo beibehalten werden soll. Der Abstimmung geht von deutscher Seite eine massive Propaganda-Kampagne voraus, während deutsche Emigrant*innen vor der drohenden politischen Verfolgung und den bereits errichteten Konzentrationslagern warnen.
    Am 13. Januar stimmen 90,7 Prozent der Abstimmungsberechtigten für die Rückkehr des Saargebiets zum Deutschen Reich. Unmittelbar danach flüchten rund 8.000 von nationalsozialistischer Verfolgung Bedrohte aus dem Saargebiet.
    Der offizielle Anschluss ans Deutsche Reich am 1. März 1935 wird im Inland als bis dahin größter Erfolg Hitlers gefeiert.
    15. September 1935: Erlass der Nürnberger Gesetze
    Am 15. September 1935 werden in Nürnberg auf dem 7. Reichsparteitag der NSDAP in Anwesenheit von Adolf Hitler die sogenannten Nürnberger Gesetze erlassen. Sie schränken auf Basis einer völkisch-rassistischen „Rassen”-Ideologie die Rechtsansprüche insbesondere von Juden und Jüdinnen ein und gelten als Wegbereiter für die systematische Ermordung großer Teile der jüdischen Bevölkerung und anderen Verfolgten Gruppen im Holocaust.
    Hintergrund:
    Mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler 1933 beginnt die Entrechtung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung im Deutschen Reich: SA (Sturmabteilung) und Gestapo verüben zahlreiche Terror- und Willkürakte gegen Juden und Jüdinnen, darunter ein reichsweiter Boykott gegen Geschäfte, Kanzleien und Praxen jüdischer Eigentümer. Flankiert werden solche Schikanen von zahlreichen gesetzgeberischen Maßnahmen, beispielsweise Berufsverboten.
    Mit den Nürnberger Gesetzen wird die Einteilung der deutschen Bevölkerung nach rassistischen Gesichtspunkten, die von zahlreichen einflussreichen Stimmen in der NSDAP gefordert wird, zementiert. Neben dem „Reichsflaggengesetz“ bilden das „Reichsbürgergesetz“ und das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ den eigentlichen Kern der Nürnberger Gesetze: Sie beseitigen den Gleichheitsgrundsatz der deutschen Staatsangehörigen und führen zwei Kategorien des Staatsangehörigkeitsrechts ein. Von nun an gelten nur Personen „deutschen oder artverwandten Blutes“ als „Reichsbürger“ mit allen Rechten. Juden und Jüdinnen, aber auch Schwarze Menschen und Sinti und Roma bleiben grundsätzlich von der „Reichsbürgerschaft“ ausgeschlossen.
    Die Einteilung in „Jude“ und „Nicht-Jude“ orientiert sich dabei nicht am Selbstverständnis der jeweiligen Personen, sondern folgt ebenfalls der Ideologie der „Rassenhygiene“. Demnach wird zwischen „Volljuden“ und „Mischlingen“ unterschieden und damit wiederum verschiedene Rechtsansprüche begründet. Die „Reichsbürgerschaft“ kann auch aufgrund von politischem oder kriminellem Fehlverhalten entzogen werden, selbst wenn Personen nach „rassischen“ Gesichtspunkten einen Anspruch darauf haben.
    Mit dem „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ wird außerdem die Eheschließung sowie außerehelicher Geschlechtsverkehr zwischen „Deutschen“ und „Juden“ als „Rassenschande“ verboten und unter Strafe gestellt. Häufig werden Verurteilte nach der Verbüßung ihrer Haftstrafen in Konzentrationslager deportiert.
    Noch radikalere Forderungen aus der Partei – beispielsweise nach Zwangsscheidungen, Zwangssterilisationen, Todesstrafen – werden nicht in die Nürnberger Gesetze aufgenommen, weil Hitler einen ausländischen Boykott im Vorfeld der Olympischen Spiele 1936 fürchtet.
    15. September 1935: Das „Reichsflaggengesetz“ wird erlassen
    Das „Reichsflaggengesetz“ vom 15. September 1935 erklärt die Hakenkreuzflagge, die bislang die Parteifahne der NSDAP gewesen ist, zur Nationalflagge. Die Hakenkreuzfahne verbindet die Farben des Deutschen Kaiserreichs, schwarz-weiß-rot, mit dem Parteisymbol der Nationalsozialisten. In der Ideologie des Nationalsozialismus verbinden sich in der Hakenkreuzfahne die „deutsche Vergangenheit und Tradition“ mit der durch die Nazis propagierten „Wiedergeburt der Nation“. Faktisch wird mit dem „Reichsflaggengesetz“ die Hakenkreuzflagge als politisches Emblem von Völkischen, Deutschnationalen und Antisemiten zum Staatswappen und steht von nun an nach diplomatischen Richtlinien auch international unter Schutz.
    Das „Reichsflaggengesetz“ ist Teil der am 15. September 1935 erlassenen Nürnberger Gesetze, die  Juden und Jüdinnen unter anderem verbieten, die Hakenkreuzfahne zu verwenden. 
    7. März 1936: Besetzung und Remilitarisierung des Rheinlandes 
    Nach dem Ersten Weltkrieg erklärt der Versailler Vertrag das Rheinland zur dauerhaft entmilitarisierten Zone. Das Deutsche Reich darf in diesem Gebiet keine Befestigungsanlagen unterhalten und Truppenansammlungen sind untersagt. Jeder Verstoß soll eine unmittelbare Reaktion des Völkerbundes nach sich ziehen. Die Bestimmung steht Hitlers Plan für eine gezielte militärische Aufrüstung zur Kriegsvorbereitung im Weg. Am 7. März 1936 besetzen 30.000 Soldaten der Wehrmacht das Rheinland und errichten Garnisonen in Aachen, Trier und Saarbrücken. Eine militärische Gegenaktion der Westmächte bleibt allerdings aus.
    29. März 1936: Reichstagswahl und Volksabstimmung zur Besetzung des Rheinlandes
    Am 29. März 1936 finden Reichstagswahlen statt. Wie schon am 12. November 1933 steht nur die Einheitsliste der NSDAP zur Wahl. Außerdem soll in einer Volksabstimmung nachträglich über die Besetzung des Rheinlandes am 7. März 1936 abgestimmt werden. Aufgrund des „Reichsbürgergesetzes“ haben Menschen, die nach diesen Bestimmungen als Jude bzw. Jüdin oder „Mischling“ gelten, kein Stimmrecht. Außerdem kommt es zu staatlich angeordneten Wahlfälschungen. Beispielsweise kann die Bevölkerung bei der Volksabstimmung nur mit „Ja“ stimmen, Stimmzettel ohne Kreuz werden ebenfalls mit „Ja“ gewertet.
    12. März 1938: Annektion Österreichs
    Österreich ist das erste Land, das im Rahmen der nationalsozialistischen Expansionspläne nach Ost- und Mitteleuropa annektiert wird.
    Hintergrund:
    Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gibt es sowohl im Deutschen Reich als auch in Österreich große Teile der Bevölkerung, die auf eine Vereinigung beider Staaten hoffen.
    Bei einem Putschversuch der österreichischen Nationalsozialisten im Juli 1933 wird der damalige Bundeskanzler Engelbert Dollfuß ermordet. Wie Dollfuß hält auch sein Nachfolger Kurt Schuschnigg an der Unabhängigkeit Österreichs fest und lässt die nationalsozialistische Partei verbieten.
    Hitler erhöht jedoch zunehmend den Druck auf Österreich und profitiert dabei ab 1936 von der Unterstützung des italienischen Diktators Benito Mussolini („Achse Berlin-Rom“).
    Im Februar 1938 zwingt Hitler Schuschnigg zu einer Vereinbarung, die das Verbot der österreichischen Nationalsozialisten aufheben und ihnen eine Regierungsbeteiligung zusichern soll. Schuschnigg versucht dies durch eine Volksabstimmung für die Unabhängigkeit Österreichs zu verhindern. Daraufhin droht Hitler mit dem Einmarsch deutscher Truppen.
    Schuschnigg versucht vergeblich, Unterstützung von den Westmächten zu erhalten, und tritt am 11. März 1938 zurück.
    Am 12. März 1938 marschieren rund 65.000 Wehrmachtssoldaten und Polizei-Mitglieder in Österreich ein. Die Truppen stoßen auf keinerlei Widerstand, sie werden im Gegenteil von großen Teilen der österreichischen Bevölkerung bejubelt.
    Schnell werden alle Maßnahmen zur Gleichschaltung auch in der „Ostmark“ – wie Österreich bis Kriegsende genannt wird – umgesetzt und es kommt zu massiven Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung. Über 70.000 Juden und Jüdinnen werden in den Wochen nach dem „Anschluss“ verhaftet. Am 1. April 1938 beginnen die Deportationen in das „Konzentrationslager“ Dachau.
    Am 10. April 1938 wird im Deutschen Reich und in Österreich eine Volksabstimmung durchgeführt, bei der über die Vereinigung der beiden Länder abgestimmt werden soll. Der Abstimmung geht eine massive Propaganda-Kampagne voraus. Angeblich stimmen 99,73 Prozent der österreichischen Wahlberechtigten und 99,01 Prozent der Deutschen für den „Anschluss“ Österreichs.
    7. November 1938: „Grünspanaffäre
    (Am 22. November 1938 notiert Victor Klemperer: „[...] dann im Anschluß an die Pariser Grünspan-Schiessaffaire die Verfolgung, seitdem das Ringen um Auswanderung.“)
    Herschel Feibel Grynszpan, 1921 in Hannover geboren, versteckt sich ab 1936 bei seinem Onkel in Paris. Im November 1938 erfährt Grynszpan, dass seine Familienangehörigen zu den 15.000 Juden und Jüdinnen zählen, die in einer großangelegten „Aktion“ gewaltsam nach Polen abgeschoben wurden.
    Daraufhin verübt Herschel Grynszpan am 7. November 1938 ein Attentat auf den deutschen Botschaftssekretär Ernst vom Rath, als dieser ihn in der Pariser Botschaft empfängt. Grynszpan wird von der französischen Polizei verhaftet. Im Juli 1940 wird er an das Deutsche Reich ausgeliefert, wo er im „Konzentrationslager“ Sachsenhausen und im Gefängnis der Gestapo in Berlin-Moabit inhaftiert wird. Sein weiteres Schicksal ist unbekannt.
    9. November 1938: „November-Pogrome“ (auch „Reichspogromnacht“ oder „Reichskristallnacht“)
    Die Pogrome an der jüdischen Bevölkerung, die von der NS-Führung gesteuert und in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 im gesamten Reichsgebiet verübt werden, stellen bis dahin den Höhepunkt des staatlichen Antisemitismus dar. Der Terror hält über mehrere Tage an.
    Hintergrund:
    Im Kontext der zunehmenden Verschärfung der antisemitischen Politik nehmen antijüdische Gewalttaten im gesamten Deutschen Reich immer weiter zu. Ziel des NS-Regimes ist es zunächst, jüdisches Leben im Deutschen Reich durch Vertreibung und willkürliche Gewalt auszulöschen und die jüdische Bevölkerung zur Auswanderung zu drängen.
    Nach dem Attentat an dem deutschen Diplomaten Ernst vom Rath kommt es – begleitet von einer angeordneten medialen Hasskampagne – bereits am 7. und 8. November 1938 in vielen Städten zu gewaltsamen Übergriffen auf Juden und Jüdinnen. Als vom Rath am 9. November verstirbt, organisiert die NS-Führung reichsweite Terrorakte gegen die jüdische Bevölkerung und ihre Einrichtungen. Nach außen geben die Nationalsozialisten den Pogromen den Anschein eines „spontanen Akts des Volkszorns“. Mehr als 1.300 Menschen sterben, 30.000 jüdische Männer werden verhaftet und in „Konzentrationslager“ verschleppt. Es kommt zu Vergewaltigungen, Demütigungen und Hetzjagden. Mindestens 1.400 Synagogen und Gemeindehäuser und über 7.000 Geschäfte und Wohnungen werden geplündert und zerstört. Vorangetrieben von SS („Schutzstaffel”) und SA („Sturmabteilung”), finden diese Gewalttaten auch unter Beteiligung und Billigung der Zivilbevölkerung statt.
    In den Tagen nach den Pogromen wird die Ausgrenzung und Enteignung fortgesetzt. So muss die jüdische Bevölkerung beispielsweise selbst für die entstandenen Sachschäden der Pogrome aufkommen und wird zudem zu einer „Sühneleistung“ von zunächst einer Milliarde Reichsmark verpflichtet.

    Der Gewaltexzess der „November-Pogrome“ markiert den Übergang von der Diskriminierung und Ausgrenzung von Juden und Jüdinnen hin zur systematischen Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung.
    23. August 1939: „Nichtangriffspakt“, auch „Hitler-Stalin-Pakt
    (Am 29. August 1939 notiert Victor Klemperer: „Die offene Mobilisierung ohne Ankündigung der Mobilisation (Menschen, Autos, Pferde), der Russenpakt und die ungeheure Umkehr, Wirrnis, Unabsehbarkeit der Lage, der Kräfteverhältnisse NACH diesem Umschwung. [...] Unabsehbarkeit der Gefahr für alle Juden hier.“)
    In der Nacht vom 23. auf den 24. August 1939 wird in Moskau im Beisein von Josef Stalin der „Nichtangriffspakt“ zwischen dem Deutschen Reich und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken geschlossen. In einem geheimen Zusatzprotokoll beschließen das nationalsozialistische Deutsche Reich und die kommunistische Sowjetunion die gemeinsame Invasion und Besetzung Polens sowie die Aufteilung weiterer Interessensgebiete, wie den baltischen Staaten, Bessarabien und Finnland. Im Gegenzug sichern sich die eigentlich ideologisch verfeindeten Staaten zu, sich für die Dauer von zehn Jahren nicht gegenseitig anzugreifen.
    Die Bestrebungen der Entente-Mächte Frankreich und Großbritannien, mit der Sowjetunion eine Allianz gegen das nationalsozialistische Deutsche Reich zu bilden, sind damit gescheitert.
    Der Vertrag steht im Widerspruch zur antibolschewistischen Haltung der Nationalsozialisten und ist lediglich ein Täuschungsmanöver, das Hitler den Angriff auf Polen am 1. September 1939 ermöglicht. Am 18. Dezember 1940 erlässt Hitler eine Weisung, mit der die konkrete Planung des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion beginnt.
    1.  September 1939: Überfall auf Polen, Kriegsbeginn
    Am Morgen des 1. September beginnt die Wehrmacht den lange im Voraus geplanten Angriff auf Polen. Der Überfall auf Polen markiert den Beginn des Zweiten Weltkriegs.
    Hintergrund:
    Zu den Expansionsplänen der Nationalsozialisten gehörte von Beginn an die Vernichtung des „jüdischen Bolschewismus“ und die Eroberung von „Lebensraum im Osten“.
    Bereits im April 1939 weist Hitler die Wehrmachtsführung an, einen Feldzug gegen Polen vorzubereiten.
    Gleichzeitig schürt die NS-Propaganda gezielt antipolnische Ressentiments und verbreitet Falschbehauptungen über angebliche polnische Grenzverletzungen und Gewaltakte gegen die in Polen lebende deutsche Minderheit. Auf diese Weise sichert sich die NS-Führung die Zustimmung in der Bevölkerung für den geplanten Angriffskrieg auf Polen. Der angebliche polnische Angriff auf einen deutschen Radiosender wird ebenfalls gezielt von den Nationalsozialisten fingiert und dient Hitler als Anlass, „Vergeltung“ an Polen zu üben.
    Am Morgen des 1. September 1939 beginnt der Überfall der Wehrmacht auf Polen. Am 3. September erklären Frankreich und Großbritannien dem Deutschen Reich den Krieg. Polen ist den Wehrmachtstruppen militärisch deutlich unterlegen. Am 17. September fallen zudem sowjetische Truppen von Osten her in Polen ein. Am 6. Oktober 1939 kapituliert Polen. In dem grausam geführten Blitzkrieg des Deutschen Reichs gegen Polen sterben ca. 120.000 polnische Soldaten und unzählige Zivilisten und Zivilistinnen. 900.000 polnische Soldaten werden zu Kriegsgefangenen. In der Folge teilen das Deutsche Reich und die Sowjetunion nach den Bestimmungen des „Hitler-Stalin-Paktes Polen untereinander auf und besetzen die polnischen Gebiete.
    8. November 1939: Georg Elser verübt ein Attentat auf Hitler
    Am 8. November 1939 verübt der Schreiner Johann Georg Elser im Bürgerbräukeller in München ein Sprengstoff-Attentat auf Hitler. Er hofft, so den Krieg zu stoppen.
    Hintergrund:
    Bereits 1938 fasst Georg Elser den Beschluss, die nationalsozialistischen Führungsfiguren zu töten, um den drohenden Krieg zu verhindern und den Frieden in Europa zu erhalten. Systematisch beginnt er über Monate hinweg, den Anschlag zu planen und vorzubereiten.
    Als Ort wählt Elser den Bürgerbräukeller in München, in dem Hitler jährlich am 8. November eine Rede zum Jahrestag des „Hitlerputsches“ hält. Wochenlang lässt sich Elser jeden Abend heimlich in den Bürgerbräukeller einschließen, um einen Pfeiler des Veranstaltungssaals mit einem Sprengkörper zu präparieren. Er selbst flieht am 6. November 1939 in Richtung Schweiz, nachdem er das Uhrwerk des Zündapparats gestellt hat. Am Abend des 8. November verlässt Hitler den Veranstaltungssaal unerwartet früh, nur einige Minuten, bevor die Bombe detoniert. Damit entgeht er dem Anschlag knapp.
    Elser wird fast gleichzeitig an der Schweizer Grenze festgenommen und an die Polizei übergeben. Nach tagelangen Verhören gesteht er seine Tat. Er kommt in Isolationshaft. Kurz vor Kriegsende wird Georg Elser am 9. April 1945 im „Konzentrationslager“ Dachau ermordet.
    1941: Der Beginn des Völkermords
    (Am 25. Oktober 1941 notiert Victor Klemperer: „Immer erschütterndere Nachrichten über Judenverschickungen nach Polen.“)
    1941 beschließt die nationalsozialistische Führung den systematischen Massenmord an den europäischen Juden und Jüdinnen.
    Am 31. Juli 1941 überträgt der Kommandeur der Luftwaffe Hermann Göring dem Leiter des Hauptsicherheitsamtes Reinhard Heydrich die Verantwortung, einen Plan für die sogenannte „Endlösung der Judenfrage“ anzufertigen. Mit diesem Plan wird die bisherige antisemitische Politik beendet, die darauf abzielte, Juden und Jüdinnen zur Ausreise zu bewegen oder zu zwingen. 
    Am 20. Januar 1942 beruft Heydrich die „Wannsee-Konferenz“ ein, bei der fünfzehn führende Ministerialbeamte aus verschiedenen Reichsministerien sowie hohe NSDAP- und SS-Funktionäre zusammenkommen, um die systematische Ermordung der jüdischen Bevölkerung zu koordinieren.

    Schon vorher, ab 1941, finden Deportationen von Juden und Jüdinnen aus dem „Altreich“ vorrangig in das besetzte Osteuropa statt. Viele werden zunächst in Ghettos gebracht, in denen die Nationalsozialisten nach der Besetzung bereits die osteuropäische jüdische Bevölkerung zusammengepfercht haben.
    Am 14. Oktober 1941 werden insgesamt 19.287 Juden und Jüdinnen aus Berlin, Wien, Köln und anderen Städten nach Łodz deportiert, Ende November 1941 folgt ein weiterer Transport mit 50.000 Menschen nach Riga.
    Die Nationalsozialisten bemühen sich, ihre wahren Absichten zu verschleiern und stellen die Deportationen als „Umsiedlung“ der jüdischen Bevölkerung in Arbeitslager dar.
    In der Realität werden ab 1941 bis zum Kriegsende 1945 Millionen Menschen in den von den Nationalsozialisten eigens dafür errichteten „Tötungszentren“ (auch als „Vernichtungslager“ oder „Todeslager“ bezeichnet) ermordet.

    Weiteres

    Antijüdische Gesetze und Verordnungen
    Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 strebt die NS-Führung die Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung aus allen Bereichen des Lebens und der Gesellschaft an. Dieses Ziel verfolgen die Nationalsozialisten durch ein Zusammenspiel aus Terrorakten und Hass-Propaganda sowie zunehmend auch durch den Erlass antijüdischer Gesetze. Diese Gesetze stützen sich auf die rassistische Ideologie einer völkischen „Rassenlehre“ und geben der staatlich gelenkten systematischen Verfolgung, Vertreibung und schließlich Ermordung der jüdischen Bevölkerung einen vermeintlich legalen Anstrich.
    Insgesamt werden bis 1945 etwa 2.000 solcher Gesetze und Verordnungen erlassen.
    Diese beinhalten unter anderem Berufsverbote, Ausschluss aus Kultureinrichtungen, Entzug aller politischen Rechte, Ehe-Verbote, Entzug jeglichen Kapitalvermögens, Kennzeichnung durch Zwangsvornamen und Tragen des „Judensterns“, Schulverbote, Verbot des Besitzes oder Fahrens von Kraftfahrzeugen.
    „Bolschewismus“ ist die Bezeichnung für eine Strömung des Marxismus bzw. Kommunismus. Der Begriff geht auf eine radikale revolutionäre Mehrheit (russ. bolsche = mehr) unter der Führung von Wladimir Iljitsch Lenin zurück, die sich 1903 aus der Sozialdemokratischen Partei Russlands herauskristallisiert.
    Die Bolschewiki kommen in der Oktoberrevolution 1917 in Russland an die Macht. Lenin ruft die Sozialistische Räterepublik aus und beginnt mit dem Aufbau eines diktatorischen Regierungssystems unter Führung der bolschewistischen Kaderpartei.
    Ab der Revolution von 1848 werden Sozialismus und Kommunismus im Deutschen Reich zunehmend als Feindbilder propagiert. Diese Entwicklung wird von bürgerlichen und völkisch-nationalen Kreisen vorangetrieben, die die eigenständige Arbeiterbewegung als Bedrohung sehen.
    Ab 1917 wird der Begriff „Bolschewismus“ meist synonym mit den anderen Begriffen zur Diffamierung politischer Gegner und Gegnerinnen verwendet.
    Insbesondere seit der Niederlage des Deutschen Reichs im Ersten Weltkrieg wird das Feindbild „Sozialismus“ mit Antisemitismus verknüpft. Nationalistische und konservative Kräfte behaupten, die sozialistische Bewegung sei von einem „Internationalen Judentum“ gesteuert und habe aufgrund ihrer mangelnden nationalen und kriegsfeindlichen Orientierung Mitschuld an der Kriegsniederlage und an der Revolution von 1918/19. Im Doppelfeindbild des „jüdischen Marxismus“ oder „jüdischen Bolschewismus“ wird Antisemitismus mit Antikommunismus verknüpft.
    In der Zeit der Weimarer Republik greift die NS-Bewegung diese in weiten Teilen der Bevölkerung existierenden antisozialistischen und antisemitischen Feindbilder auf und erklärt neben Juden und Jüdinnen die sozialistische Arbeiterbewegung zu ihren wesentlichen Feinden.
    Schon vor der Machtübernahme 1933 kommt es zu gewalttätigen Übergriffen und Morden an Personen, die sich kommunistisch, sozialdemokratisch oder gewerkschaftlich organisieren – toleriert und teilweise begrüßt von der bürgerlichen Öffentlichkeit.
    Nach 1933 wird die konsequente „Ausrottung des Marxismus“ als Voraussetzung für den „Wiederaufstieg des Deutschen Reichs“ elementarer Teil der NS-Propaganda. Die angebliche „roten Gefahr“ dient den Nationalsozialisten als Grundlage für die massenhaften Verfolgung und Ermordung von politischen Gegnern und Gegnerinnen im Inland. Im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion ab 1941 richtet sich der „Rassenwahn“ der Nationalsozialisten, in dem sich Antislawismus, Antiziganismus und Antisemitismus verbinden, gegen die gesamte slawische Bevölkerung Osteuropas.
    Palästina
    (Am 9. Juli 1933 notiert Victor Klemperer: „Wir hören jetzt viel von Palaestina; es sagt uns nicht zu. Wer dort hingeht, tauscht Nationalismus und Enge für Nationalismus u. Enge aus. Auch ist es ein Einwanderungsland für Kapitalisten. [...] Für meinen Teil wird mir immer klarer, wie völlig ich ein nutzloses Geschöpf der Überkultur bin, lebensunfähig in primitiveren Umgebungen. [...] Ich muß hier leben u. hier sterben.”

    Am 2. November 1933 schreibt er: „Ich kann mir nicht helfen, ich sympathisiere mit den aufständischen Arabern dort, denen das Land ‚abgekauft‘ wird.”)
    Von britischen Truppen im Ersten Weltkrieg erobert, wird Palästina am 24. Juli 1922 offiziell britisches Mandatsgebiet. Ein Teil des Mandatsvertrags besteht in der „Balfour-Deklaration“: Darin wird der zionistischen Bewegung vom britischen Außenminister bereits 1917 die Gründung einer „nationalen Heimstätte für das jüdische Volk“ in Palästina versprochen.
    Der Zionismus ist eine politisch-religiöse Bewegung, die zunächst vor allem eine Reaktion auf den russischen und osteuropäischen Antisemitismus darstellt. Oberstes Ziel ist die Errichtung eines jüdischen Nationalstaates im Gebiet von Palästina, das die Zionisten als das ursprüngliche jüdische Heimatland sehen. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts kommt es zu mehreren Auswanderungswellen nach Palästina.
    Als 1933 die Errichtung einer nationalsozialistischen Diktatur im Deutschen Reich beginnt und die offene antisemitische Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung zunimmt, kommt es zu einer umfassenden Auswanderungs- und Fluchtbewegung: Palästina wird zwischen 1933 und 1936 zum wichtigsten Ziel jüdischer Exilanten aus dem Machtbereich der Nationalsozialisten und ihrer Verbündeten.
    Da die legale Einwanderung durch die britische Mandatsregierung begrenzt ist – Zertifikate werden im Rahmen einer Quotenregelung vergeben, die sich am Vermögen oder der beruflichen Eignung der Bewerber orientiert – kommen viele Emigrant*innen und Flüchtlinge auf illegalem Weg nach Palästina. Auch einige Familienmitglieder und Personen aus dem Umfeld der Klemperers wandern nach Palästina aus, darunter Victor Klemperers Neffe Walter Jelski und der befreundete Julius Sebba.
    Sprache des dritten Reiches
    Unter den Nationalsozialisten beginnt Victor Klemperer unter Lebensgefahr, heimlich Aufzeichnungen über die Sprache im nationalsozialistischen Deutschland zu sammeln. Er will das Wesen des Nazismus aus der Sprache im Alltag und in den Massenmedien herauskristallisieren, indem er die Gewaltsamkeit und die Ausgrenzungseffekte des nationalsozialistischen Sprachgebrauchs analysiert. Mit seiner Analyse erforscht Klemperer die Wechselwirkungen zwischen Sprache und Denken. Seine Aufzeichnungen erscheinen im Jahr 1947 unter dem Titel „LTI - Notizbuch eines Philologen“ im Aufbau-Verlag.
    Zionismus
    Im Alten Testament ist „Zion“ ein Hügel in Jerusalem, der heutige „Tempelberg“. Zionismus bezeichnet allgemein die Idee oder das Streben nach einem unabhängigen jüdischen Staat, in dem alle Juden und Jüdinnen in Freiheit leben können.
    Im 19. Jahrhundert wird daraus eine politisch-religiöse Bewegung, die zunächst vor allem eine Reaktion auf den russischen und osteuropäischen Antisemitismus darstellt. Oberstes Ziel ist die Rückführung der in aller Welt lebenden jüdischen Bevölkerungsteile in das Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan. In Palästina sehen die Zionisten das ursprüngliche jüdische Heimatland, hier wollen sie einen unabhängigen Nationalstaat gründen. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts siedeln Migranten in diese Region über und beginnen mit dem Bau jüdischer Siedlungen.
    Der erste zionistische Kongress findet 1897 in Basel statt. Hier wird der Zionismus durch die Gründung der Zionistischen Weltorganisation als politische Kraft begründet. Einer der wichtigsten Vertreter und Präsident der Organisation ist Theodor Herzl.
    Die zionistische Bewegung findet in Deutschland aufgrund des zunehmenden Antisemitismus nach Ende des Ersten Weltkriegs und des erstarkenden Nationalsozialismus zunehmend Zuspruch unter Juden und Jüdinnen in Deutschland und Europa.