Glosse

Eine beruhigende Rede an die lieben Antisemiten

Die Polizei steht am 29.07.2014 in Wuppertal vor der Synagoge. Drei Männer haben in der Nacht zum Dienstag mehrere Molotowcocktails auf die Synagoge geschleudert.
Ein Hakenkreuz und ein durchgestrichener Davidstern an einer Berliner Gedenkstätte © picture alliance / dpa
Von Till Reiners · 31.07.2014
Seit Beginn der aktuellen Gazakrise mehren sich in Deutschland die Anschläge auf jüdische Einrichtungen. Klare Worte darauf findet Till Reiners. Der Mann ist, das sei betont, Kabarettist.
Liebe deutsche Antisemitinnen und Antisemiten, ich spreche zu Euch in Zeiten größter Verwirrung.
Mit brennender Sorge mussten wir vergangene Woche in der "Bild"-Zeitung lesen "Nie wieder Juden-Hass". Wir hatten der "Bild"-Zeitung so viel zu verdanken: freche Fotos von toten Kindern, gemeinschaftsfördernde Überfremdungspanik und das putzig-besoffene Gestammel von Franz Josef Wagner. Wenige Gefühle, die komplexes Denken ersetzen – das ist doch vom Prinzip her unsere Sache! Aber dann das: Ein Aufruf zu Toleranz und gegen Antisemitismus? So ein Drecksblatt!
Wer das offene Wort schätzt, wird fündig in Online-Kommentaren
Kurz schöpften wir wieder Hoffnung, als wenigstens Nicolaus Fest, stellvertretender Chefredakteur der "Bild am Sonntag", verkündete: "Der Islam stört mich immer mehr. Mich stört die totschlagbereite Verachtung des Islam für Frauen und Homosexuelle." So ein mutiges Blatt! Aber dann kam plötzlich Chefredakteur Kai Dieckmann und stellte klar, dass es keine pauschale Verurteilung des Islam geben solle. Wir lernen: Zu Papier gebrachte Ressentiments müssen einen subtilen Charme pflegen.
Viele von uns werden sich fragen: An wen und an was können wir in diesen unruhigen Zeiten noch glauben? Ich rufe Euch zu: an uns selbst! Wer das offene Wort schätzt, wird fündig in den Online-Kommentaren vieler "Bild"-Leser. Die zeigen: Antisemitismus gehört zur BRD wie Bier und Billiglohn. Antisemitismus, mal verschmitzt-latent vorgetragen, mal mutig-naiv hinausposaunt, ist auch weiterhin eine urdeutsche Tradition. Und wir Deutschen wissen Traditionen zu pflegen.
Das beweisen auch die vielen Demonstrationen in Deutschland. Wir wissen jetzt: Antisemitische Schlachtrufe sind immer noch salonfähig! Das Schönste dabei: Auch die Kultur des aktiven Wegschauens, die uns schon so oft zum Vorteil gereicht hat, hat in Deutschland weiterhin einen festen Platz.
In unsere Reihen mogeln sich viele Mitstreiter
Als wäre das alles nicht schon Anlass genug, endlich mal wieder ungebremst draufloszuhassen, kann durch den Krieg im Gazastreifen unser Antisemitismus endlich wieder als politische Haltung verkauft werden. Wer brüllt: "Jude, Jude, feiges Schwein" kritisiert lediglich die Politik Israels.
Aber, liebe deutsche Antisemiten, all diese ermutigenden Zeichen für unseren blinden Hass sollten uns nicht blind machen für falschen Antisemitismus. In unsere Reihen mogeln sich viele Mitstreiter, deren braunes Herz kein deutsches Blut durch die Adern pumpt. Jene Muslime, die Juden hassen, sind als Trittbrettfahrer blanker Hohn unserer jahrzehntelangen Arbeit. Unser Fremdenhass braucht keinen fremden Hass. Nur deutscher Antisemitismus ist demagogisch geprüft! Deren Antisemitismus ist unprofessionell und emotional, typisch Islam eben. Das hat in Deutschland keinen Platz.
Wir dürfen die Hass-Kulturen nicht vermischen. Ich fahre ja auch nicht nach Russland und schreibe den Homophoben dort vor, wie sie Schwule verprügeln sollen.
Also, liebe deutsche Antisemiten: Wehret den Anfängen. Achtet darauf, aus welcher Ecke der Beifall kommt. Kauft nicht bei Juden! Kauft nicht bei Muslimen! Kauft überhaupt wenig. Und wenn dann nur mit deutschem Euro! Das mag jetzt für viele verwirrend klingen, aber ich weiß genau: Ihr versteht mich.

Till Reiners, Jahrgang 1985, ist Kabarettist. Für sein Programm "Da bleibt uns nur die Wut" wurde er seit 2012 mit fünf Kabarettpreisen ausgezeichnet, unter anderem dem Stuttgarter Besen und der St. Ingberter Pfanne. Hervorgehoben wurden seine "analytische Schärfe und gewandte Wortgewalt". Vor seiner Bühnenkarriere studierte Till Reiners Politikwissenschaften in Trier. Seine Soloauftritte sind im gesamten deutschsprachigen Raum zu sehen. Weitere Informationen dazu sowie Videos von Auftritten: www.tillreiners.de

© Till Reiners
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