Finnisch trinken: Kalsarikännit

Sich mal so richtig gehen lassen

03:13 Minuten
Ein Mann sitzt in der Unterhose auf der Couch mit einer Bierflasche und einem Hamburger in seinen Händen.
Finnische Entspannungstechnik - zu Hause in Ruhe picheln. © imago-images / Westend61
Eine Glosse von Andrea Gerk · 30.12.2021
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Finnland ist das Land der Saunen, der Wälder, der guten Bildung. Und die Menschen sind manchmal auf eine bestimmte Art ausgelassen, was man hierzulande komplett anders deuten würde – weil man das finnische savoir vivre einfach nicht versteht.
Obwohl es das halbe Jahr dunkel und kalt ist am nördlichsten Zipfel Europas, leben dort die glücklichsten Menschen der Welt. Das zumindest haben die Vereinten Nationen bereits viermal hintereinander in ihrem World Happiness Report festgestellt. Höchster Genuss bei geringstem Aufwand
Vermutlich hängt der kontinuierliche Glückszustand der Finnen nicht nur mit den vielen Saunen zusammen, mit den unendlichen Wäldern, den hohen Sozialausgaben und dem super Bildungssystem, sondern nicht zuletzt mit Kalsarikännit, einer „aus Finnland stammenden Entspannungstechnik“, wie es bei Wikipedia heißt. Übersetzt: „Sich zu Hause in Unterhose betrinken.“
Kalsarikännit bringt in einem einzigen Wort perfekt zum Ausdruck, wie man das Leben exzessiv genießen kann – ganz für sich und mit geringstmöglichem Aufwand. Zugegeben, für manchen mag die Kombination aus Unterhose und Alkohol eher nach Depression und Vernachlässigung klingen. Aber auch das ist eben wieder typisch für unsere pessimistische Weltsicht, die kein bisschen dem Glück bringenden finnischen way of life entspricht!

Ein Lob der Unvernunft und der Rauschzustände

Anstatt immer ausgeschlafen, kultiviert und rotwangig seine vielfältigen Pflichten zu erfüllen, sollte man es sich hin und wieder gönnen, mit Augenringen und dickem Kopf aufs Leben zu schauen, um überhaupt erkennen zu können, Wofür es sich zu leben lohnt. So hat der österreichische Philosoph Robert Pfaller eines seiner lehrreichen Werke genannt. Darin schreibt er:
"Ohne die Unvernunft unserer Ausgelassenheiten, Großzügigkeiten, Verschwendungen, unserer Geschenke, Feierlichkeiten, Heiterkeiten und Rauschzustände wäre unser Leben eine abgeschmackte Abfolge von Bedürfnissen und – bestenfalls – ihrer stumpfen Befriedigung: eine vorhersehbare, geistlose Angelegenheit ohne jegliche Höhepunkte, die insofern mehr Ähnlichkeit mit dem Tod hätte als mit allem, was den Namen Leben verdient hat."

Gegen den Selbstoptimierungswahn

Anstatt dem Phantasma von ewiger Schönheit, Fitness und Makellosigkeit hinterherzuhecheln und noch dazu leeren Glücksversprechen anzuhängen, die in Bier ohne Alkohol, Sahne ohne Fett und Sex ohne Körperkontakt ihren Ausdruck finden, gilt es, das Dasein zu feiern.
Es kann herrlich sein, sich zu verschwenden und das Leben als eine Gabe zu betrachten, die es zu geben lohnt. Warum bis zur nächsten (Silvester-)Party warten, wenn es doch Kalsarikännit gibt. Also: Klamotten runter, bis auf die Unterhose, Flasche auf – und es mal so richtig krachen lassen!

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