Glück und Trauer unweigerlich verbunden
Wer hätten wir werden können? Wer sind wir geworden? Milena Michiko Flašar, 1980 als Kind japanisch-österreichischer Eltern in St. Pölten nahe Wien geboren, legt nun ihr drittes Buch vor: eine Suche nach dem eigentlichen Leben.
Zwei Männer auf einer Parkbank, ein junger Einsiedler namens Taguchi und ein älterer Arbeitsloser namens Ohara. Die Namen erfahren wir erst später, anfangs braucht es ein wenig, ehe wir verstehen, dass diese Bank in Japan steht, die etwas vielen japanischen Begriffe kommen einem erst nur böhmisch vor. Irgendwann lernen wir dann, dass jemand, der sich dem Leistungs- und Anpassungsdruck der Gesellschaft entzieht, indem er sich schlicht in seinem Zimmer einschließt, ein Hikikomori ist.
Flašars Buch, wie schon die vorigen, besteht aus Episoden, der epische Fluss ist nicht ihre Sache. Diese Episoden aber sind für sich von großer Eindringlichkeit, von großer Ruhe und in ihrer Reihenfolge von großer Zwangsläufigkeit. Zwei Jahre brauchte der junge Taguchi, um sich wieder aus seinem Zimmer und dem Haus seiner Eltern ins Offene zu wagen. Auf seiner Bank im Park bemerkt er einen etwa 50-jährigen Herrn, der seine mitgebrachte Mahlzeit verzehrt, viel raucht, manchmal tief seufzt und dann ein Nickerchen hält. Eines Tages kommen die beiden ins Gespräch und erzählen sich ihre Geschichte.
Das geschieht sehr langsam und sorgfältig, wir erfahren auf der einen Seite von dem armen Mädchen Yukiko, deren Freundschaft Taguchi verriet, weil sie einer verachteten Familie entstammte; dann von seinem Freund Kumamoto, einem jungen Dichter und Aussteiger, für den das Licht der Dämmerung "traurig und freudig" zugleich ist. Er ist ein junger Mann, der an der Welt verzweifelt und sich vor ein Auto wirft. An diesem Tag gestand Taguchi sich endlich ein, "nicht mehr zu können" und das heißt, nicht mehr mitmachen zu wollen - und verbarrikadiert sich in seinem Zimmer.
Auf der anderen Seite hören wir die herzergreifende Geschichte Oharas, der seiner Frau Kyoko seine Arbeitslosigkeit aus Scham verschweigt, wir erfahren, dass sie einen behinderten Sohn hatten, der früh starb und den Ohara nicht annehmen wollte - genauso wenig wie Taguchi in seiner Kindheit die Freundin Yukiko annehmen wollte; an dieser Schuld tragen beide ihr Leben lang. Kyoko liebt ihren Mann trotzdem, beim Gedanken an seine Frau empfindet Ohara "Glück und Traurigkeit" - Glück und Trauer scheinen für Flašar untrennbar und für ein bewusstes Leben unabdinglich.
Milena Michiko Flašar hat im Vergleich zu ihrem letzten Roman "Okaasan", der von ihrer japanischen Mutter handelte und in zwei dramatisch ungleiche Teile zerfiel, einen großen Schritt gemacht. Den Erleuchtungsschnickschnack von dort hat sie sich nun klugerweise verkniffen, das neue Buch hat nichts Belehrendes mehr, obwohl wir immer noch etwas lernen können (und sollen). Sie ruht weiterhin in sich selbst, aber nun eben wahrer und unaufdringlicher. Die Erzählung dieser beiden am Leben verzweifelten Menschen ist auch empfehlenswert, weil wir diskret aufgefordert werden, wieder richtig hinzuschauen und hinzuhören (was nämlich niemandem schaden würde), vor allem aber, weil sie aus einem Guss und stilistisch schlicht und ansehnlich ist und weil sie zwischen Vorstellung, Idee und Wirklichkeit immer die Waage hält.
Besprochen von Peter Urban-Halle
Milena Michiko Flašar: Ich nannte ihn Krawatte
Wagenbach Verlag, Berlin 2012
140 Seiten, 16,90 Euro
Flašars Buch, wie schon die vorigen, besteht aus Episoden, der epische Fluss ist nicht ihre Sache. Diese Episoden aber sind für sich von großer Eindringlichkeit, von großer Ruhe und in ihrer Reihenfolge von großer Zwangsläufigkeit. Zwei Jahre brauchte der junge Taguchi, um sich wieder aus seinem Zimmer und dem Haus seiner Eltern ins Offene zu wagen. Auf seiner Bank im Park bemerkt er einen etwa 50-jährigen Herrn, der seine mitgebrachte Mahlzeit verzehrt, viel raucht, manchmal tief seufzt und dann ein Nickerchen hält. Eines Tages kommen die beiden ins Gespräch und erzählen sich ihre Geschichte.
Das geschieht sehr langsam und sorgfältig, wir erfahren auf der einen Seite von dem armen Mädchen Yukiko, deren Freundschaft Taguchi verriet, weil sie einer verachteten Familie entstammte; dann von seinem Freund Kumamoto, einem jungen Dichter und Aussteiger, für den das Licht der Dämmerung "traurig und freudig" zugleich ist. Er ist ein junger Mann, der an der Welt verzweifelt und sich vor ein Auto wirft. An diesem Tag gestand Taguchi sich endlich ein, "nicht mehr zu können" und das heißt, nicht mehr mitmachen zu wollen - und verbarrikadiert sich in seinem Zimmer.
Auf der anderen Seite hören wir die herzergreifende Geschichte Oharas, der seiner Frau Kyoko seine Arbeitslosigkeit aus Scham verschweigt, wir erfahren, dass sie einen behinderten Sohn hatten, der früh starb und den Ohara nicht annehmen wollte - genauso wenig wie Taguchi in seiner Kindheit die Freundin Yukiko annehmen wollte; an dieser Schuld tragen beide ihr Leben lang. Kyoko liebt ihren Mann trotzdem, beim Gedanken an seine Frau empfindet Ohara "Glück und Traurigkeit" - Glück und Trauer scheinen für Flašar untrennbar und für ein bewusstes Leben unabdinglich.
Milena Michiko Flašar hat im Vergleich zu ihrem letzten Roman "Okaasan", der von ihrer japanischen Mutter handelte und in zwei dramatisch ungleiche Teile zerfiel, einen großen Schritt gemacht. Den Erleuchtungsschnickschnack von dort hat sie sich nun klugerweise verkniffen, das neue Buch hat nichts Belehrendes mehr, obwohl wir immer noch etwas lernen können (und sollen). Sie ruht weiterhin in sich selbst, aber nun eben wahrer und unaufdringlicher. Die Erzählung dieser beiden am Leben verzweifelten Menschen ist auch empfehlenswert, weil wir diskret aufgefordert werden, wieder richtig hinzuschauen und hinzuhören (was nämlich niemandem schaden würde), vor allem aber, weil sie aus einem Guss und stilistisch schlicht und ansehnlich ist und weil sie zwischen Vorstellung, Idee und Wirklichkeit immer die Waage hält.
Besprochen von Peter Urban-Halle
Milena Michiko Flašar: Ich nannte ihn Krawatte
Wagenbach Verlag, Berlin 2012
140 Seiten, 16,90 Euro