Glückskekse für Gott

Rezensiert von Barbara Dobrick |
Oft sind es die einfachen Ideen, die besonders faszinieren. So ist es auch bei dem Kunst- und Buchprojekt mit dem Titel "Einmal Jenseits und zurück". Rund hundert identische Koffer wurden an bekannte und unbekannte Zeitgenossen verschickt, mit der Bitte, sie zu packen. Darin finden sich unter anderem Lektüre, Rotwein, Schreibzeug oder Glückskekse.
Es ist ein bisschen wie mit der Nachbarwohnung. Schon beim Hereinkommen stellt man verwundert fest, dass sie vollkommen anders wirkt, obwohl baulich alles bis ins Kleinste genau so ist wie in der eigenen.

Aber hier geht es um beschränkteren Raum, um 103 identische Koffer, klein genug, um als Handgepäck durchzugehen, aber doch groß genug, um allerlei darin zu verstauen. Die für viele Reisende so schwer zu beantwortende Frage "Was nehme ich mit?" - "Was brauche ich?", wird in diesem Fall zu einer philosophischen und gleichermaßen intimen. Einen Koffer für die letzte Reise, fürs Jenseits zu packen, wer käme da nicht ins Grübeln. Und wer wäre nicht neugierig auf das Gepäck der anderen.

Lektüre, Fotos, Rotwein, Musik-CDs und Kuscheltiere werden häufig eingepackt, aber auch Papiertaschentücher, Wecker, Nudeln, Malfarben und Pinsel, das letzte Hemd, Schreibzeug.
Der Verkaufsleiter Christian Kauer notiert:

"Ich werde Blumenzwiebeln mitnehmen um sie vielleicht in einer anderen Welt zu pflanzen. Und je nach dem, wen ich treffe, möchte ich galant sein, mit Smoking und Zahnbürste!"

Nicht nur die Kofferinhalte verblüffen, sondern auch die Verwandlung der Koffer selbst: Sie werden bemalt oder ausgekleidet, beklebt oder fragmentiert.

Der Landschaftsarchitekt Alexander Nix packt zwölf Äpfel ein, gut geschützt zwischen Papierschnitzeln, damit sie nicht durcheinander kullern.

"Mitnehmen kann man nichts – hinterlassen kann man viel."

Das schreibt er dazu und erklärt, dass die Äpfel für ihn Adam, Eva und das Paradies symbolisieren, und der Apfelbaum, den er auf seinen Brief zeichnet, Jahreszeiten und Lebenszyklen.

Poetisch oder praktisch, gläubig oder fragend, schmunzelnd, ängstlich oder ernst, karg oder opulent wirken die Koffer für die letzte Reise. Nur eines sind sie verblüffender Weise nicht: banal. Mitten im Leben gepackt oder betrachtet, sind sie eine anrührende, oft auch künstlerische Dokumentation der Vielfalt und Vielschichtigkeit.

Kein Mensch gleicht dem anderen, wenn es um die Vorstellung des Lebensendes, der letzten Reise geht. Und deshalb gelangt man bei jedem Blick in fremde Koffer, beim Lesen jedes Textes unweigerlich in die eigene Gedanken- und Gefühlswelt. Ob man auf Golfbälle, Kinderschuhe, Rosen oder Rosenkränze schaut, die Fragen, was würde ich einpacken, was auf keinen Fall, sind selbstverständlich mit dabei.

"Ich hoffe, dort als Gast aufgenommen zu werden, dem alles Notwendige gegeben wird. Der Koffer bleibt deshalb leer, "

schreibt der Architekt und Künstler Georg Diettrich. Etliche Koffer kommen leer zurück, aber die Begründungen dafür nichts einzupacken, sind so unterschiedlich wie die Begleitbriefe, zu sparsam oder üppig mit Gegenständen gefüllten.

"Wer glaubt, etwas mitnehmen zu können, wird sich wahrscheinlich wundern."

Das schreibt Bestsellerautor Franz Alt, und Gert Scobel, Moderator der Kultur-Zeit und vom Studium her Theologe, kommentiert seinen leeren Koffer mit dem Satz:

"Dieses Nichts nehme ich überall hin und nirgendwohin mit. Der Koffer ist voll davon."

"Einmal Jenseits und zurück", das Buch hat Fritz Roth herausgegeben, Bestatter und Trauerbegleiter in Köln. Der Band ist sowohl inhaltlich als auch materiell überaus liebevoll gemacht, ein frappierendes, ein anregendes Beispiel dafür, dass der Wunsch nach einem kreativen, einem persönlichen Umgang mit letzten Fragen, mit Abschiednehmen und Sterben gar nicht so schwer zu verwirklichen ist.

Wer Humor hat, verliert ihn nicht bei der ungewöhnlichen Aufgabe. Das zeigt der Fotograf Hermann Josef Baus. Der hat Rätselhefte kunstvoll im Koffer verstaut, damit er "weiterrätseln kann." Und natürlich lässt der Kabarettist Jürgen Becker auch diese Gelegenheit nicht aus, sich auf hintersinnige Weise lustig zu machen.

"Wenn man stirbt, kann man auch rauchen!"

Das bemerkt er zu Pfeife, Tabak und Streichhölzern.

Viele Koffer enthalten eine wundersame Mischung aus alltäglichen und skurrilen Dingen. Der Psychotherapeut Hermann-Josef Berk hat Brandsalbe und Socken mit Bremsnoppen parat gelegt.

"Die Socken mit Bremsnoppen, da wir uns im Himmel mit Gedankengeschwindigkeit, Mehrfaches der Lichtgeschwindigkeit, bewegen."

Die Studentin Kathleen Habelt hat ihren Koffer mit ihren Fußabdrücken in Sand gefüllt.

"Sie stehen als Symbol meiner irdischen Unverwechselbarkeit. Darüber hinaus symbolisieren sie meine Vergänglichkeit, da sie im Sand verwischen werden."

"Einmal Jenseits und zurück" ist ein einzigartiges Bilderbuch. Jeder Beitrag kommt mit einer Doppelseite aus. Links steht ein Foto von dem geöffneten Koffer, rechts ein Begleitschreiben mit einem Foto des Absenders. Mal handgeschrieben, mal getippt, mal wortkarg, mal den vorgegebenen Rahmen sprengend, ist hier zu lesen, was die jeweilige Person preisgeben möchte von ihren Gedanken beim Packen.

Unweigerlich lösen Bilder und Texte Gefühle aus. Überraschung und Rührung beispielsweise, wenn man liest, dass Maria Bantschow das schwarze Tuch eingepackt hat, mit dem sie ihren toten Mann wärmen wollte; und Glückskekse.

"Die Glückskekse sind für Gott, zu einer Einladung bringt man doch etwas mit!"

Fritz Roth (Hrsg.): Einmal Jenseits und zurück. Ein Koffer für die letzte Reise
Gütersloher Verlagshaus
221 Seiten, 19,95 Euro