"Der Staat schaut weg"
Der Glücksspielmarkt in Deutschland ist streng reguliert - in der Theorie. In der Praxis halten sich viele Anbieter nicht an die Regeln, und der Staat schaut weg, meint Tilman Becker von der Forschungsstelle Glücksspiel.
Mit Lotterien, Sportwetten, Casinospielen und Geldspielautomaten lässt sich in Deutschland viel Geld verdienen: 2014 etwa betrug das Marktvolumen elf Milliarden Euro.
Theoretisch ist der Glücksspielmarkt in Deutschland rechtlich stark reguliert. Dennoch ist bei weitem nicht jedes Angebot legal: "Sie haben dort einen großen Graubereich, einen unregulierten Markt", sagt Tilman Becker, Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim.
Strafverfolgung findet praktisch nicht statt
Illegale Angebote fänden sich vor allem im Internet, aber nicht nur. Auch im Bereich der Sportwetten fände sich Illegales.
Für die Anbieter lohne es sich schlicht nicht, sich an die Vorgaben zu halten, so Becker. Denn auf der einen Seite winkten ihnen erhebliche Gewinne, während auf der anderen Seite bei Verstößen die Wahrscheinlichkeit einer Strafverfolgung gegen Null gehe.
"Es fehlt einfach der politische Wille, dagegen vorzugehen, und es fehlt auch der politische Wille, sich mit dem Glücksspielmarkt überhaupt zu befassen. Man lässt es halt laufen und kümmert sich nicht drum, das ist so mein Eindruck."
Abhilfe schaffen könnte Becker zufolge eine Glücksspielkommission, in der Expertise gebündelt wird und eine sinnvolle Regulierung ermöglichen soll.
Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Wer in Deutschland sein Glück wagen will, der hat ja viele Möglichkeiten. Die meisten – das denken Sie jetzt bestimmt auch – spielen Lotto oder setzen auf Sportwetten oder setzen den Einarmigen Banditen in Bewegung oder gehen einfach mal ins Kasino, das sind so die gängigen Spielarten in Deutschland – und die legalen vor allem! Aber das Glück will natürlich nicht nur legal eingefangen werden!
((Bericht))
Und diese Zahl beschäftigt natürlich die Fachleute aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft heute und morgen auf dem ersten Bundeskongress Glücksspielwesen. Und mit von der Partie ist Professor Tilman Becker, Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim. Ich grüße Sie, Herr Becker!
Tilman Becker: Ja, guten Tag, Frau Brink!
Eine große, unregulierte Grauzone
Brink: Eine Viertelmillion Menschen sind abhängig vom Glücksspiel. Sieht der Staat zu wenig hin?
Becker: Es ist schon richtig, dass wir bei dem Glücksspiel eine ganz besondere Situation haben. Wir haben dort einen großen Graubereich, einen unregulierten Markt und das ist schon etwas Besonderes. Und von daher, könnte man sagen, sieht der Staat nicht so genau hin. Aber das hat natürlich eine Reihe von Ursachen.
Brink: Dann noch mal für unser Verständnis: Wie streng ist denn der Glücksspielmarkt in Deutschland reguliert?
Becker: Es gibt den Glücksspieländerungsstaatsvertrag, der sieht also eine Reihe von Maßnahmen vor: Die Anbieter haben Sozialkonzepte zu etablieren, sie haben bei gefährlichen Spielformen die Spieler auf deren Verlangen zu sperren, sie haben Einsatzlimits zu setzen, die also der Spieler sich dann selber setzen kann, beziehungsweise die Möglichkeit dem Spieler zu geben, sich Limits zu setzen. Die Höhe der Einsätze ist pro Monat begrenzt, es bestehen Werbeauflagen und es besteht auch die Pflicht zur Identifizierung und Authentifizierung. Also, es gibt eine Reihe von Auflagen für das regulierte Spiel.
"Die Wahrscheinlichkeit der Strafverfolgung geht gegen Null"
Brink: Das klingt aber schon sehr reguliert. Also, nicht so, dass es da Grauzonen gibt, von denen Sie ja sprechen.
Becker: Also, der regulierte Markt ist sehr reguliert, das ist richtig. Aber es gibt natürlich eine Reihe von Anbietern, die sich an diese Regulierung nicht halten, weil es sich für sie schlicht und einfach nicht lohnt, sich daran zu halten, da sie … Wenn sie sich nicht daran halten, die Wahrscheinlichkeit der Strafverfolgung gegen null geht und erhebliche Gewinne winken, ist es natürlich für einen Anbieter naheliegend, dass er sich nicht an die Vorgaben hält und illegal anbietet.
Brink: Welche Rolle spielen diese illegalen Angebote und wo sind sie hauptsächlich zu finden?
Becker: Sie sind hauptsächlich im Internet zu finden und Sie haben aber auch nach dem Glücksspieländerungsstaatsvertrag illegale Angebote bei den Sportwettengeschäften. Also, die Sportwettengeschäfte, die Sie in den einzelnen Städten sehen, sind eigentlich auch illegal, sie werden aber geduldet. Und im Internet ist jedes Online-Kasinospielen illegal und auch derzeit noch jedes Sportwettenangebot, obwohl das Sportwettenangebot prinzipiell erlaubnisfähig ist. Das Online-Kasinoangebot hingegen nicht.
Es fehlt an politischem Willen
Brink: Da fragt man sich ja: Warum duldet man das?
Becker: Das ist eine schwierige Sache, warum man das duldet. Es fehlt einfach der politische Wille, dagegen vorzugehen. Und es fehlt auch der politische Wille, sich mit dem Glücksspielmarkt überhaupt zu befassen. Man lässt es halt laufen und kümmert sich nicht darum, das ist so mein Eindruck.
Brink: Und was müsste dann aus Ihrer Sicht die Konsequenz sein?
Becker: Die Konsequenz wäre, dass man eine Institution oder überhaupt das derart organisiert, dass es auch eine Chance gibt, geltendes Recht durchzusetzen. Und das ist ja nicht der Fall. Wir haben also geltendes Recht auf einem hohen Niveau und durchgesetzt wird in weiten Bereichen überhaupt nichts. Das heißt, man müsste gerade für das Internet eine Institution schaffen.
Sie wissen vielleicht, dass das Glücksspiel Sache der einzelnen Bundesländer ist, die das jedes Mal für ihr Bundesland regulieren. Das Glücksspiel aber, das Internet macht leider nicht – oder Gott sei Dank nicht – an den Grenzen eines Bundeslandes halt. Und es ist natürlich schon ein bisschen eine verrückte Situation, dass ein Bundesland das Internet regulieren soll. Und da muss man natürlich eine gemeinsame Anstalt öffentlichen Rechts oder etwas Derartiges gründen, um das zu regulieren.
"Wir brauchen eine Glücksspielkommission"
Brink: Also, es ist so was wie eine staatliche, ja, wie soll man es nennen, Glücksspielbehörde oder -kommission?
Becker: Eine Glücksspielkommission. Wir haben hier in Deutschland die Situation, dass wir keine Glücksspielkommission haben und dass wir nur das Glücksspielkollegium haben, was aus 15 Referenten besteht, die nebenher auch noch andere Aufgaben haben, nämlich aus jedem Bundesland einer. Und das ist in anderen Ländern ganz anders, dort haben wir eine Glücksspielkommission, die mit den nötigen Ressourcen ausgestattet ist und auch mit der notwendigen Macht. Und der …
Brink: Wo wäre das?
Becker: Das ist in praktisch 13 von den 28 EU-Ländern so. Also Belgien und Frankreich und Italien und Dänemark. Und Sie können eigentlich überall, fast überall hinblicken, da haben Sie so was. Und das ist natürlich in Deutschland, da wir eine föderale Struktur haben, ist es in Deutschland ein bisschen schwieriger, so was einzurichten. Aber wie gesagt, das Internet macht nicht halt an den Grenzen eines Bundeslandes.
Die Expertise bündeln
Brink: Wer müsste in so einer Kommission drinsitzen?
Becker: Es müssten Experten drinsitzen, die etwas verstehen von dem relevanten Rechtsbereich, dann der ganze Suchtbereich, den Sie ja schon angesprochen haben. Und dann müsste man natürlich auch den ganzen Markt verstehen. Das heißt, man müsste verstehen, welche Spielformen es gibt und welche Spielformen für die Anbieter besonders attraktiv sind. Und andererseits natürlich aus Suchtgesichtspunkten, welche Spielformen besonders gefährlich sind.
Das muss man alles in einer Behörde, diese Expertise, bündeln und dann könnte man auch vielleicht eine sinnvolle Regulierung machen und man muss dann auch gezielt auf die Politik zugehen und der Vorschläge unterbreiten. Die Politik selber ist überfordert, wenn sie sich Gedanken macht über eine sinnvolle Regulierung, dazu ist die Materie viel zu kompliziert.
Brink: Professor Tilman Becker, Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim. Schönen Dank, Herr Becker, für das Gespräch!
Becker: Ja, Ihnen vielen Dank, Frau Brink!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.