Glücksspiel

Zum Zocken für 7,50 Euro

Von Andi Hörmann |
Für nur 7,50 Euro hin und zurück, inklusive Eintritt fährt täglich gegen Feierabend vom Hauptbahnhof in München der sogenannte "Kasino-Blitz" nach Garmisch-Partenkirchen. Der Shuttlebus hält direkt vor der Spielbank im historischen Ortskern von Garmisch. Gut fünf Stunden können die Gäste - meist Rentner - dann ihrem Spieltrieb nachgehen. Um 23 Uhr geht es dann wieder zurück nach München.
17:15 Uhr, Nordausgang am Hauptbahnhof München: Dort, wo täglich Business-Reisende in Anzug und Kostüm in Taxis ein- und aussteigen, fährt ein weißer 28-Sitzer ein: getönte Fenster, auf einem kleinen Schild an der Windschutzscheibe steht "Kasino-Blitz".
Es sind nur neun Fahrgäste, die an diesem Samstagabend gemeinsam von München nach Garmisch fahren. Geredet wird auf der Fahrt nicht viel, und doch verbindet alle etwas: das Glücksspiel. Die Kasino-Gäste möchten anonym bleiben: kein Familienname im Radio, nur der Vorname. Carlotta sitzt direkt hinter dem Busfahrer.
"Wenn hier wunderbares Wetter ist, gehe ich viel lieber baden in den Englischen Garten zum Eisbach, da würde ich nie ins Kasino gehen. Aber im Winter: Was macht man da? Nur lesen, nur fernsehen? Das geht einem auch auf den Geist."
Zum Zeitvertreib ins Kasino
Carlotta kommt ursprünglich aus Argentinien und hat lange Zeit in München als Postbeamtin gearbeitet - seit sie 35 ist, geht sie ins Kasino. Nach Garmisch fährt sie seit den frühen 90ern - ein-, zweimal im Monat, zum Zeitvertreib.
"Schauen sie, andere Frauen gehen und kaufen sich Klamotten. Ich mache mir nichts aus Klamotten, ich gehe lieber spielen."
Eine gute Stunde dauert die Fahrt. Vorbei an grünen Wiesen, Ackerland, vereinzelten Gehöften mit holzgeschnitzten Balkonen. Nach einer halben Stunde taucht die untergehende Sonne das Bergpanorama in ein grau-gelbes Licht.
"Wunderschön. Wobei ich kein Fan von Bergen bin, ich liebe das Meer und hohe Klippen."
Kurz vor Garmisch staut sich der Verkehr auf der Autobahn. Die Fahrgäste werden etwas unruhig: Eigentlich könnten sie jetzt schon am Roulettetisch stehen.
"Wo ich aufgewachsen bin, ist sehr viel um Geld gespielt worden. Wenn man nur Spieler kennt, dann spielt man auch."
...sagt Heinz, 73. Er ist in Österreich aufgewachsen und hat in München fast 50 Jahre als Taxifahrer gearbeitet. Jetzt ist er Hausmeister an einer Schule und fährt fast jeden zweiten Abend mit dem "Kasino-Blitz" in die Spielbank. Ihm gegenüber im Bus sitzt Erich, 67, Treppenbauer im Ruhestand.
"Im Kasino hat man alles: Theater, alles. Man sieht viel, man erlebt viel, hat einen riesigen Zeitvertreib. Das ist immer eine tolle Sache. Man muss sich halt beherrschen, weil sonst ist man 14 Tage drin und hat kein Geld mehr. Dann ist man weg von der Bühne. Aber ich gehe schon 40 Jahre. Beim Gewinnen und beim Verlieren, man muss immer wissen aufzuhören."
Mitten in der Fußgängerzone das Kasino
18.37 Uhr: Ankunft in Garmisch. Der Bus hält direkt vor dem Eingang zum Spielkasino, mitten in der Fußgängerzone. Hier ein rustikaler Trachtenladen, dort ein Geschäft mit alpinen Sportartikel. Carlotta steigt aus dem Bus, streift sich ihr hellgraues Sweatshirt zurecht und holt sich eine filterlose Zigarette aus ihrer kleinen Lederhandtasche.
Im Foyer wartet Peter Eursch auf die Gäste aus München. Der 42-jährige ist Direktor der Spielbank Garmisch. Er begrüßt jeden einzelnen persönlich, man kennt sich. Jeder der Gäste hat eine goldene Kasino-Karte: kostenlose Busfahrt, Eintritt frei.
"Man sagt, in jedem Mensch ist ein gewisser Spieltrieb. Und dass man das in geordnete Bahnen lenkt, das ist eigentlich der Auftrag unserer Spielbanken. Nicht primär die Gewinnerzielung, sondern das geordnete Spiel sicherzustellen. Suchtprävention ist Paragraf Nummer eins in der Spielbank."
Neun Kasinos unter Leitung der staatlichen Lotterieverwaltung gibt es in Bayern. Im Erdgeschoss in Garmisch blinken Spielautomaten. Im ersten Stock: Black Jack, Poker, Roulette.
Über acht Millionen Ertrag
Die Spielbank Garmisch hat 2013 trotz der proklamierten Suchtprävention einen Bruttospielertrag von über acht Millionen Euro gemacht - das sind die Einsätze der Gäste abzüglicher ihrer Gewinne. Damit bei so viel Geld die Emotionen unter den zwei- bis dreihundert Gästen pro Abend nicht überkochen - dafür sorgt der Mann mit der grau melierten Stoppelfrisur, Josef Waibl. In Anzug und Krawatte steht er diskret neben einer Zimmerpflanze zwischen Cocktailbar und Roulette-Tischen und lässt aufmerksam seinen Blick über die Gäste schweifen.
"Wir beobachten die Gäste schon und wir wissen auch, wen wir vor uns haben, wie weit dass einer gehen kann. Und wir legen auch - nicht nur ich, sondern auch meine Kollegen - legen Wert darauf, dass man, wenn es mal soweit ist, einen Gast oder ein Ehepaar zur Seite nimmt und mit dem ein vernünftiges Wort spricht."
Ein bis zwei Sperren gibt es pro Monat in der Spielbank Garmisch. Manche Gäste lassen sich sogar selbst sperren, weil sie ihre Spielsucht nicht im Griff haben. Bei Carlotta läuft es an diesem Abend nicht gut: 200 Euro Bargeld hatte sie in der Tasche - alles verloren.
"Jetzt hole ich einmal noch Geld, aber dann mag ich nicht mehr. Pech, Pech, Pech. Einfach Pech... Kann ich schon?"
"Geben sie mir zwei Fünfziger-Jetons."
Vor einer Panzerglasscheibe steckt Carlotta ihre Bankkarte in das Kartenlesegerät und bekommt zwei gelbe Jetons à 50 Euro. Noch eine Stunde, dann fährt der "Kasino-Blitz" wieder zurück nach München.
Um 23 Uhr ist Abfahrt
"Ich habe mein Geld zurückgeholt. Fast, nicht ganz. Ich bin so glücklich. Ne, Moment. 200 hatte ich dabei... 250. Und 200 habe ich geholt. Nein, ein Gewinn ist es nicht direkt, aber ich bin trotzdem happy."
Gegen 23 Uhr steht der "Kasino-Blitz" bereit zur Abfahrt. Die Gäste aus München steigen ein - wieder ist es sehr still. Heinz, der Hausmeister, hat 30 Euro gewonnen und Erich, der ehemalige Treppenbauer, knapp 30 Euro verloren. Nur Carlotta hat gute Laune, trotzdem sie dieser Abend 60 Euro gekostet hat. Sie nimmt noch einen hastigen Zug an ihrer filterlosen Zigarette und steigt schmunzelnd in den Bus.
"Sehen Sie, so erleben Sie jetzt eine Zockerin, die schon ziemlich weit unten war und sich freut, dass sie wenigstens das meiste wieder zurückgeholt hat."