Kleines Weihnachtsglück für drei Euro
Gewürzten Wein tranken schon die alten Römer, Glühwein aber ist eine deutsche Erfindung - eine sächsische, um genau zu sein. Und wer sich auf seine Spuren in Sachsen begibt, erfährt erstaunliche Dinge über das Getränk, das zu Weihnachten wie Stollen und gebrannte Mandeln gehört.
Strickwaren aus den Anden, Räuchermännchen aus dem Erzgebirge,
Grünkohl und gebrannte Mandeln und dann dieses spezielle Aroma, dieser feuchten Hauch von besoffenen Plätzchen – hmmmm...
"Einfach fürs Weihnachtsgefühl so, trinke ich gern einen Glühwein, also mir schmeckt das auch gut - das Zusammensein mit Freunden einfach was zu machen.“ / "Also heiß ist es, ansonsten... - bisschen wässrig - ...also er ist nicht zu süß, das ist schon mal gut.“
Er schmeckt. Das kleine Weihnachtsglück für drei Euro. Aber geht es da wirklich um das Getränk? Ist Glühwein nicht meistens eine süße Plörre, die ohne Weihnachtsdusel keiner trinken würde?
"Wir hätten gern einen Glühwein so ganz ohne Zusätze...“
Peter Scheib ist Weinsachverständiger und hat für den Berliner Senat jahrelang die Glühweine auf Weihnachtsmärkten getestet:
"Als ordentlicher Sensoriker riecht man erst mal rein. Also hier kommt die Zitrusfrucht an erster Stelle, ein auch bisschen auch Weinaroma, daneben eben auch Zimt und Nelke, aber die würzenden Stoffe sind hier eher weniger wahrzunehmen im Duft.“
Ungenießbaren Wein mit Gewürzen aufgepeppt
Natürlich, sagt der Fachmann, ist Glühwein nicht per se schlecht. Ein guter Wein, ein bisschen Nelken, Zimt und Zucker dazu – wunderbar. Und leider selten auf dem Weihnachtsmarkt:
"Was hier auffällt ist, dass er sofort auch ein bisschen bitter ist im Geschmack. Das spricht dafür, dass er schon relativ lange schon im Kessel warm gehalten wurde und wenn das dann Stunde um Stunde erhitzt wird, dann kommen so die Bitterstoffe in den Vordergrund, und ich finde auch, dass hier der Alkohol gar nicht spürbar ist. Und der Gesetzgeber schreibt ja sieben Prozentvolumen als Minimum vor. Das hat auch mit der Qualität zu tun, Alkohol ist ein Geschmacksträger so wie beim Fleisch auch das Fett ein Geschmacksträger ist.“
Der nächste bitte:
"Ich denke, das ist ein Glühwein von sehr einfacher Beschaffenheit, man entdeckt hier bei der Verkostung nicht sofort irgendwelche Fehler, aber ein Genuss ist es wirklich nicht.“
"Es ist so, dass für die Märkte meistens der Wein in zehn Liter Kanistern angeboten wird, und ich habe mir letzte Woche das auch mal angeschaut und dabei zu meinem Erschrecken festgestellt, der Preis ist noch mal runter gegangen. Also aktuell zehn Liter Glühwein im Kanister 7,99 Euro netto.“
Schlechter Wein, das muss man leider so sagen, ist der Ursprung des Glühweins. Schon die alten Römer peppten ungenießbaren Rebsaft mit Gewürzen auf.
Das war allerdings Gewürzwein und kein Glühwein.
Das Gesöff dann noch zu erhitzen – wer ist bloß auf diese Idee gekommen?
Noch immer meldet Wikipedia einen gewissen Rudolf Kunzmann aus Augsburg-Pfersee als Vater des Glühweins. Der Beweis: Ein Bußgeldbescheid wegen Verstoßes gegen das Weinrecht – der Zusatz von Zucker war 1956 noch verboten.
Nun aber gibt es eine neue Erkenntnisse: Die Sachsen waren es!
"Es ist das vermutlich älteste Glühweinrezept Deutschlands. Im Endeffekt ist es wirklich so, dass der Raugraf – nach jetzigem Stand - der erste Weinfreund war, der seine Würzwein auch erhitzt hat und aus seinem Würzwein einen Glühwein gemacht hat, so wie wir ihn heute kennen.“
Ein Hallodri, ein Luftikus, ein schräger Typ
Martin Junge, Leiter der Kommunikationsabteilung des Weingut Wackerbarth bei Dresden, freut sich. Auf ebendiesem Weingut soll der Raugraf zu Wackerbarth in einer eisigen Winternacht das Rezept für eine heiße "Dresdner Kanne“ nieder geschrieben haben – am 11. Dezember 1843. Der unbedeutende sächsische Weinanbau soll also den berühmten Glühwein hervor gebracht haben! Endlich ist der sächsische Wein in aller Munde.
Die frohe Botschaft stammt jedenfalls aus seriöser Quelle:
"...wir stehen vor dem Nachlass des Raugrafen von Wackerbarth...“
Briefe, Dokumente, Zeitungsausschnitte, sauber verpackt in grauen Kartons. Der Entdecker des Ur-Glühweins, Nils Brühbach, ist Archivar im sächsischen Staatsarchiv.
"Zusammengenommen sind das etwa drei laufende Meter, also immer drei Schachteln etwa zehn Zentimeter hoch übereinander und dann vier dieser Stapel nebeneinander in einem Regal, dann kommen wir auf drei laufende Meter.“
Die vier Meter Nachlass des Glühweinerfinders dümpeln seit Jahren unbeachtet vor sich hin. Einerseits ist der Neffe des berühmten Grafen Wackerbarth, einem Minister August des Starken, eine lokale Größe. Andererseits hat er selber nicht viel auf die Reihe bekommen.
In den sächsischen Staatsdienst hat es August Josef Rau-Graf von Wackerbarth nicht geschafft und im niederen Kreisamt Leipzig machte er Ärger. Den Titel Rau-Graf hat sich der geborene Freiherr eigenmächtig zugelegt, seine Ehe ging in die Brüche, eine neue Ehefrau war trotz Annonce nicht zu finden. Er galt als Alchemist und leidenschaftlicher Gelehrter, der die Welt mit umfassenden Werken über Gott und die Welt beglückte. Pleite war er auch, gleich mehrmals sogar. Ein Hallodri, ein Luftikus, ein schräger Typ.
Aber sympathisch findet der Archivar Nils Brübach, der vor allem seine Schriften schätzt:
"Also er ist wie aus der Zeit gefallen, er passt mehr in die Zeit um 1750, so der Typ eines aufgeklärten Adligen, der sich für vieles interessiert und dort nicht nur Kenntnisse erwirbt, sondern auch Fähigkeiten entfaltet. Aber in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, da ist er ein halbes Jahrhundert zu spät.“
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Historiker hatten kaum Anlass, den Nachlass aufzuarbeiten. Erst der gründliche Nils Brühbach stieß überraschend auf das Hauptwerk des Raugrafen:
"...und dann haben wir hier eben die Nummer 18 des Bestandes, und in dem findet sich neben vielem anderen auch eine Rezeptsammlung. Und in dieser Rezeptsammlung nicht nur eins sondern zwei Rezepte für Würzwein.“
Der Fund war eine Sensation
Zwei unscheinbare, angegilbte Blätter mit einer breit geduckten Schrift, einer so genannten Kurrentschrift, einem Vorläufer der Sütterlinschrift.
"Wir haben erst mal als Grundwein den Muskateller. Und was man wissen muss, dass jeweils hier ein halb Pfuder oder eben vier Fass verwendet werden. Also ein Pfuder, das sind schon ein paar hundert Liter. So und was kommt dazu? Dazu kommt erst mal weißer Ingwer, dann kommt Langpfeffer dazu, das ist afrikanischer Pfeffer, dann haben wir hier noch Nelken und die Holuz, das ist Muskatnuss würden wir heute sagen. So und dann wird noch beschreiben in dem folgenden Text, wie das in den Beutel kommt. Das wird dann über Nacht stehen gelassen wird und dann abgeseiht und erhitzt.
180 Jahre Glühweintradition. Im Weihnachtsgeschäft ist das die Währung, die zählt. Auf dem Weingut Wackerbarth war der Fund eine Sensation.
Eine Durchgangsstraße im Dresdner Vorort Radebeul. Hier liegt das Staatsweingut, das ehemals als volkseigener Betrieb neben Rotkäppchen die Sektmarke der DDR produzierte. Heute vermarktet es sich als Europas erstes Erlebnisweingut nach amerikanischem Vorbild. Zu sehen gibt es ein barockes Schloss - eigentliche eher ein Herrenhaus - und die barocke Gartenanlage mit den kegelförmigen Buchsbäumen. Oben auf den steilen Weinhängen thront das Belvedere. Unten auf der Erde ist in den letzten Jahren die "gläserne Kellerei und Manufaktur“ entstanden
Bei Führungen wird hier Wackerbarths Glühwein verkostet, auf der Flasche klebt der Hinweis: Tradition seit 1834.
"Was du kannst heute entkorken, dies verschiebe nicht auf morgen – zum Wohl liebe Gäste..“
"Wackerbarths Weiß und Heiß“, das sagt schon der Name dampft - eher ungewöhnlich - hellblond in den Bechern. Denn:
"Sachsen hat nur 19 Prozent Rotwein, Ungarn viel bedeutend mehr, Frankreich ca 70 Prozent, also wir sind echt in Deutschland mit paar in 60 Prozent ein Weißweinland, Sachsen sogar noch ein bissl mehr.“
Rote Wangen, leuchtende Gesichter
So war dann auch der Original-Glühwein weiß. Wie immer mundet auch sein Nachfahr den Trinkern:
"Ja, ist gut dieser eigentlich, weil dieser Wein hat fast so geschmeckt wie in Ungarn."
"Der Glühwein schmeckt sehr gut. Vollmundig, schön süß, nicht so stark nach Zimt."
Rote Wangen, leuchtende Gesichter. An diesem Nachmittag sollen die Besucher aber auch was lernen. Zum Beispiel, welche Weinsorten in ihrem Becher zusammen kommen:
"Also Cuvee Riesling, Müller Thurgau, dann der Traubensaft, dadurch ist der Alkohol nach unten gedrückt worden, damit aber auch ein bisschen Stimmung im Winter in unser Herz kommt, wurde der Alkohol mit Rum ein bisschen aufgemöbelt… Und all das hat ein Neffe des Graf Wackerbarth entwickelt, was Sie als Flasche hier auch kaufen können - sagt man zum Wohl?““
Moment mal: Rum und Traubensaft? Laut Gesetz darf unter dem Namen Glühwein nur reiner Wein und Gewürze eingeschenkt werden, "Wackerbarths Weiß und Heiß“ ist also gar kein Glühwein! Stimmt, sagt Küchenchef Mirko Pfuhland. Denn:
"Ich habs ja schon mal probiert und muss dazu sagen, im Original ist es sehr grenzwertig, das heißt mit sehr viel Gewürzen, mit sehr viel Kraft, das tut schon die Gaumen und die Gesichtsmuskeln entsprechend zusammen ziehen lassen.“
Autsch.
Deshalb habe man das Urrezept abändern müssen.
War es wirklich so schlimm? Oder einfach nur unverkäuflich?
Etwas unwillig setzt Mirko Pfuhland den Kessel auf, um den echten, den Urglühwein vorzukochen.
“So, das müssen wir jetzt abwiegen.“
Zimt, Ingwer, Anis, Muskatnuss und Kardamom liegen vor ihm auf dem Tisch. Allein 56 Gramm Zimt kommen auf eine Dresdner Kanne, das sind 0,93 Liter.
"Wir müssen noch ein paar mehr nehmen, so, und jetzt die Muskatnüsse mit 14 Gramm, wir haben ein Loth, das ist 14 Gramm, jetzt haben wir alle unsere Gewürze dabei und jetzt erhitzen.“
Wie eine Handvoll Gewürze im Mund
Das ist stark. Unmengen Gewürze verdunkeln den Wein.
"Wir dürfen das Ganze jetzt nicht zum Kochen bringen, weil es ja wie gesagt der reine Wein ist. Wir müssten jetzt hier das Ganze jetzt temperieren und bei kleiner Flamme kochen ganz langsam zwanzig Minuten ziehen lassen, damit die Gewürze in den Wein übergehen. Das ganze wird dann abpassiert durchs Sieb und dann kann das Ganze verkostet werden - vorher noch mal abgeschmeckt.“
Es ist, als würde man eine Handvoll Gewürze in den Mund stecken. Es ist grauenhaft. Aber eigentlich auch kein Wunder. Schließlich listete der Raugraf schlechten Malvasier Wein als Grundzutat auf. Es ging darum, ollen Wein trinkbar zu machen, nicht um Genuss.
Dass das Rezept des Raugrafen so lange verschüttet war, hat also gute Gründe. Zumal es außer dem Raugrafen selbst kaum jemand gekostet hat, sagt Archivar Nils Brühbach:
"Ich kann soviel sagen, dass diese Rezeptsammlung, Anlage eines Briefes ist. Nur sie liegt ja hier im Bestand. Und das lässt darauf deuten, dass er wohl da einen Brief an einen seiner Korrespondenzpartner verschicke wollte, aber er hat ihn niemals abgesandt. Wie vieles beim Raugrafen ist es bei der Idee geblieben und zur Praxis nicht gekommen. Also einen Glühweinstand auf dem Dresdener Strietzelmarkt, wo Wackerbarth Glühwein verkauft hat, den hat es nicht gegeben.“
Übrig bleibt Wackerbarths "Weiß und Heiß“, in den zwar nicht viel vom Raugrafen eingeflossen ist, aber immerhin einige Gewürze.
Vielleicht ist das nun endlich der von dem Weinexperten Peter Scheib lange gesuchte gute Glühwein?
"Ich rieche hier zunächst mal Zitrus, weniger würzende Aromen, aber erst mal aromatische, auch wenn die Zitrusnote aus meiner Sicht erst mal zu deutlich geworden ist. Sehr, sehr heiß, sehr süß, was mir nicht gefällt, weil die Süsse die Aromen nach hinten drängt. Mir fehlt hier ein bisschen das Aroma, er könnte ausdrucksvoller sen. Insgesamt ist er ordentlich, es gibt deutlich schlechteres.“
Es gibt ihn noch, den guten Glühwein
Aber wo gibt es nun auf einem stinknormalen Weihnachtsmarkt einen wirklich guten Glühwein? Am Ende steht Peter Scheib an einem bunt beleuchteten Getränkestand am Alexanderplatz. Einer von der Sorte, an dem man sich nach dem Bummel einen hinter die Binde kippt. Auch hier wird der Glühwein nicht frisch angesetzt, wie der Verkäufer gut gelaunt erzählt, sondern aus dem Karton gegossen:
"Also hier habe ich inzwischen habe ich hier schon mal reingerochen, es ist ganz harmonisch, was da so aus dem Glas kommt. Also würzende Stoffe sind da, die Frucht des Weines kommt durch, ein kleiner Touch Zitrus. Also in der Nase gefällt er mir erst mal ganz gut."
"Ja, das ist jetzt auch hier im Geschmack so, er hat ein klein bissl Gerbstoffe, wahrscheinlich Grundwein aus Südfrankreich oder Italien, aber insgesamt da ist ein bissl Körper da, da ist Fülle da, und das setzt sich auch am Gaumen fort. Also, hier ist ein Glühwein, der durchaus vorzeigbar ist. Und es zeigt uns ja auch, dass fertig hergestellte Ware durchaus auch schmecken kann.“
Peter Scheib strahlt. Es gibt ihn noch, den guten Glühwein. Manchmal auch ganz untraditionell industriell hergestellt. Um ihn auf dem Weihnachtsmarkt zu finden, man Glück haben. Wer auf Nummer sicher gehen will, macht den Glühwein einfach selbst: Eine gute Flasche Wein, Zimt, Nelke und Zitrusaroma dazu, auf kleiner Flamme ziehen lassen und fertig ist der beste Glühwein von allen.