Gnade für die Stör-Weibchen

Von Christoph Kersting |
Um Stören Kaviar zu entnehmen, muss man sie aufschneiden. Bisher endete das für die Tiere meist tödlich. Eine Biologin aus Bremerhaven hat nun ein Verfahren entwickelt, mit dem die Fische die Prozedur überleben.
Manchmal sind es in der Wissenschaft sehr persönliche Erlebnisse, die einen Stein ins Rollen bringen. So war es auch bei Angela Köhler. Eigentlich sei sie gar keine Fisch- geschweige denn Stör-Expertin. Als Umweltwissenschaftlerin untersuche sie vielmehr den natürlichen Lebensraum der Tiere. Mit diesem Interesse nahm sie vor einigen Jahren auch an einer Artenschutz-Konferenz im Iran teil. Ein Schlüsselerlebnis, sagt sie heute:

"Unter anderem sind wir auch in eine Kaviarfabrik geführt worden, wo ein Wildfang in der Tat präsentiert wurde, anderthalb bis zwei Meter lang, und das Weibchen wurde dann mit einem Holzknüppel betäubt, eine übliche Betäubungsmethode für Fische dort, aufgeschlitzt, und dann sagten die Iraner, die dort diesen Kaviar zubereiten wollten unter Kameraklicken: Oh, wir können keinen Kaviar daraus machen, der Kaviar ist leider zu reif. Und das hat bei mir einen Gedankenprozess und eine Diskussion mit Experten der Störvermehrung ausgelöst: Da muss es irgendeinen Trick geben, dass man auch aus reifen Kaviareiern Kaviar machen kann."

Denn bislang müssen die Kaviar-Eier im unreifen Zustand entnommen werden. Der Grund: Bereits reife Eier quellen auf, bilden klebrige Klumpen und werden damit ungenießbar. Die noch unreifen Stör-Eier aber lagern weit oben im Bauch des Störweibchens.

Um die Delikatesse zu ernten, müssen die Tiere aufgeschnitten werden: Kaviarernte – bislang also ein sicheres Todesurteil für den Stör. Die reifen Eier hingegen können auch dem lebenden Stör entnommen werden, weil sie weiter unten in der Bauchhöhle der Weibchen liegen. Das Forscherteam um Angela Köhler nun macht sich quasi einen Trick aus der Natur zunutze: Die Mehrfachbefruchtung eines reifen Eis, auch Polyspermie genannt, wäre für den Embryo tödlich. Darum bildet sich sofort nach der Befruchtung eine feste Hülle um das Ei, um das Eindringen weiterer Spermien zu verhindern.

"Das heißt, wir haben uns angesehen, welche Signalkaskaden werden in Gang gesetzt, wenn ein Spermium auf eine Eizelle trifft und haben uns die 'key-player' herausgesucht, die bei der Verfestigung der Eihülle eine Rolle spielen, um das Eindringen eines zweiten Spermiums zu verhindern."

Bei ihren Labortests gelang es schließlich, diese entscheidenden Botenstoffe zu identifizieren: Calcium und Wasserstoffperoxid zum Beispiel.

"Es ist so, dass wir den Stören einen Winter vorspielen, indem wir in einer geschlossenen Anlage die Temperatur absenken, sodass das Tier in eine Winterpause kommt. Dann erhöhen wir die Temperatur, was für den Stör das Signal ist: Jetzt kommt der Frühling. Dadurch induzieren wir eine Ovulation: Das heißt, die Eier werden aus den Folikelzellen herausgepresst wie durch eine Muskelkontraktion, fallen lose in die Bauchhöhle und können dann durch Massage-Bewegungen aus dem Fisch entnommen werden, während der dazu natürlich aus dem Wasser entnommen wird."

Das dauert rund zehn Minuten. Eine Zeitspanne, die die Fische gut überstehen. Danach darf der Fisch zurück ins Wasser. Entscheidend für die Kaviarproduktion ist nun, was mit den entnommenen reifen Eiern geschieht. Die werden nämlich umgehend mit einer Lösung behandelt. Zutaten der Flüssigkeit: jene Botenstoffe, die eine Erhärtung der Eihülle auslösen und so ein Verklumpen der Eier verhindern. Den Eiern wird quasi eine Befruchtung vorgegaukelt – eine Täuschung, die den Tieren jedoch das Leben rettet, weil so auch die Entnahme reifer Eier möglich ist. Das ist laut Angela Köhler nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll.

"Dadurch, dass wir die Tiere abstreifen und am Leben lassen und dann in eine Art Nachsorge, in eine Art Wochenbett geben, sodass sie im nächsten Jahr wieder Laich ansetzen, können wir die Tiere mehrfach ernten."

In einer Versuchsanlage unweit von Leipzig konnten die AWI-Forscher zeigen, dass so bis zu zehn Kaviarentnahmen pro Tier möglich sind. Für dieses Jahr plant eine ausgegründete Firma in Loxstedt bei Bremerhaven die Kaviarproduktion im großen Maßstab mit 10.000 Tieren.

Doch auch Stör-Eier aus der sächsischen Pilotanlage werden bereits in einem großen Bremer Supermarkt verkauft. Anfangs sei sie skeptisch gewesen, ob der Kaviar wirklich schmecke, sagt Waltraud Hocke, Chefin der Fischabteilung:

"Wir haben das mit der Geschäftsleitung, dem Inhaber gekostet, verschiedene Varianten, und waren wirklich sehr, sehr überrascht, wie gut doch dieser Kaviar ist."

Eine Einschätzung, die auch dieser Kunde teilt:

"Also die Konsistenz: wie bei dem normalen Kaviar, vom Unterschied her, würde ich sagen, kein Unterschied, im Geschmacklichen ohnehin nicht und in der Konsistenz auch nicht, also exzellent."
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