Julya Rabinowich, geboren 1970 in St. Petersburg, lebt seit 1977 in Wien. Sie ist bildende Künstlerin, Autorin, Simultandolmetscherin, Kolumnistin in der österreichischen Tageszeitung "Der Standard". Für ihren Debütroman "Spaltkopf" (2008) erhielt sie u.a. den Rauriser Literaturpreis, das Buch wurde in mehrere Sprachen übersetzt. 2011 nahm Julya Rabinowich am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb teil. Ihre Theaterstücke wurden an mehreren Bühnen aufgeführt, ihre Romane " Herznovelle" (2011, nominiert für den Prix du Livre Européen), "Die Erdfresserin" (2012) und "Krötenliebe" (2016) erschienen bei Deuticke. Für ihr bei Hanser 2016 publiziertes Buch "Dazwischen: Ich" erhielt Julya Rabinowich den österreichischen Jugendbuchpreis.
Warum Angst die Gesellschaft nicht weiterbringt
Angst ist eigentlich ein Überlebensinstinkt. Wird sie aber zum Dauerzustand, dann werde sie zur Belastung, meint die österreichische Künstlerin Julya Rabinowich. Bei ihrer freudianischen Gesellschafts-Analyse zieht sie Parallelen zu Science-Fiction- und Horror-Filmen.
Das Freudianische Modell von Ich, Es und Über-Ich findet sich bei näherer Betrachtung gut integriert in den Ängsten vor der Zukunft. Wobei die Angst an und für sich ja eigentlich ein Überleben garantieren soll, den Körper fluchtbereit machen, den Geist wach. Sie ist in Opposition zum Todestrieb und deutet auf eine totale Lebens- und Überlebensbereitschaft hin.
Angst wird zur Bürde
Aber in Zeiten, in denen der besorgte Bürger im Diskurs um die Gesellschaft dominiert, ist nichts mehr so einfach einzuordnen. Es handelt sich um jenen besorgten Bürger, der eigentlich selbst zum Fürchten ist und doch immer wieder den anderen seine Ängste aufdrängen will, ja, die ganze Gesellschaft mit seiner Deutungshoheit kapert.
Wenn die Angst in Dauerzustand übergeht, wenn sich der Tunnelblick als Normalität einrichtet, dann ist die Angst kein Überlebensinstinkt mehr, sondern eine Bürde.
Totale Kontrolle oder totaler Kontrollverlust
Wenn man sich aber die gerade zum Normalzustand gerinnenden Ängste der Bevölkerung näher ansieht, lässt sich eine Tendenz erkennen, die sich locker in zwei Arten von Science-Fiction-und Horror-Genres einteilen lässt. Es ist dies diese Spannung zwischen der gefürchteten totalen Kontrolle und des ebenso gefürchteten totalen Kontrollverlustes.
Interpretiert man nun Dystopien wie "1984" oder "Die Insel" als das Abbild der totalen Kontrolle, so steht dieses System natürlich exemplarisch für das mächtige, allwissende Über-Ich. In der Realität findet sich dieser Ansatz im durchaus konkret entstehenden Überwachungsstaat.
Im Gegensatz dazu erscheinen Filme wie die "Zombie Apokalypse" oder die klassischen Monsterfilme wie "King Kong" oder "Godzilla" eine Fokussierung auf den totalen Kontrollverlust, auf das überbordende Es, das Tierhafte, Triebhafte, auf das von niederen Bedürfnissen und hervorbrechender Wut und Aggression gerittene Monster.
Das Ich - zermalmt zwischen gigantischen Wirkungsfeldern
Die politische Entsprechung findet sich sowohl in den Identitätsverlust-Fantasien, die in einem "wir werden überflutet!" münden und auch beim Blick über den Atlantik. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben offenbar Godzilla zum Präsidenten gewählt. Für Europa gilt: Was nicht ist, kann noch werden. Berlusconi kratzt als politisch ewig Untoter nosferatuartig schon an den Toren der Macht.
Das Ich wird zwischen diesen beiden gigantischen Wirkungsfeldern zermalmt, wird überrollt, dünnt aus, verliert Form und Stimme. Nichts spiegelt den gegenwärtigen Zustand des Ich besser als diese Einzwängung zwischen zwei übermächtige Pole. Umso schwieriger ist es, in diesem vielstimmig dissonanten Angstchorus einen Ton zu treffen, der die leise Stimme der Vernunft anklingen lässt. Und dennoch: Ohne diese Stimme werden weitere Monster geboren. Und diese Art von Katastrophenfilm ist für die Welt vermutlich eher verzichtbar.