Goetschel: Tiere sollten einen eigenen Anwalt bekommen

Antoine Goetschel im Gespräch mit Matthias Hanselmann |
Weil die Tierschutzgesetze nicht ausreichend durchgesetzt würden, brauchen Tiere einen eigenen Anwalt, sagt Antoine Goetschel, weltweit einziger Tieranwalt, vor der Abstimmung über die landesweite Einführung von Tieranwälten in der Schweiz am Sonntag.
Matthias Hanselmann: Eine Legehenne mit Rechtsanwalt? Am Sonntag stimmt die Schweiz tatsächlich darüber ab, ob Tieren grundsätzlich ein Anwalt zusteht, ein Tieranwalt. Ob Legehennen oder Mastkälber, Nutztiere werden noch immer häufig unter grausamen Bedingungen gehalten. Massentierhaltung ist Massenmord, sagen sogar radikale Tierschützer.

Seit 1990 ist auch in Deutschland immerhin gesetzlich festgelegt, dass Tiere keine Sachen sind. Dass sie dennoch oft als solche behandelt werden, steht auf einem anderen Blatt. Auch in der Schweiz gelten seit 2003 Tiere rechtlich nicht mehr als Sachen. Aber brauchen sie deshalb gleich Anwälte? Die eidgenössische Initiative gegen Tierquälerei und für einen besseren Rechtsschutz der Tiere findet ja und lässt darüber abstimmen.

Einen Tieranwalt gibt es allerdings schon in der Schweiz, und zwar im Kanton Zürich. Es ist der Züricher Rechtsanwalt Antoine Goetschel, der seit drei Jahren dieses Amt innehat, ein Experte für Tierschutz und Tierschutzrechte. Guten Tag, Herr Goetschel!

Antoine Goetschel: Grüß Gott, Herr Hanselmann!

Hanselmann: Herr Goetschel, sind Sie eigentlich der einzige Tieranwalt der Welt?

Goetschel: Es macht den Anschein. Es gebt schon tierschutzinteressierte Anwälte, aber einer, der im Strafverfahren die Rechte des Tieres gegen die Tierquäler vertritt, da bin ich noch auf keinen Klon gestoßen.

Hanselmann: Die Volksinitiative fordert, dass es auch in den anderen Schweizer Kantonen das geben soll, was Sie sind, also Tieranwalt. Was machen Sie eigentlich in diesem Beruf, wie sieht Ihr Berufsleben, Ihr Alltag aus?

Goetschel: Also ich bin, abgesehen davon bin ich normaler Anwalt mit Schlichtungen, Erbrecht und so weiter und habe ein 30- bis 50-prozentiges Mandat, das sich darin erschöpft, dass ich sämtliche Unterlagen, Anzeigen, Einvernahmeprotokolle, Verfügungen erhalte von den Veterinärämtern, von der Polizei im Kanton Zürich, der Staatsanwaltschaft und den Ordnungswidrigkeitsbehörden. Ich kann zu jedem Fall, der jetzt das Tierschutzgesetz betrifft, kann ich Stellung beziehen, kann an Einvernahmen teilnehmen, kann Gutachter beantragen und kann namentlich auch entweder das Strafmaß anfechten, wenn es mich zu niedrig erscheint, oder Einstellungsverfügungen anfechten.

Hanselmann: Herr Goetschel, was sind das für Fälle? Geben Sie uns vielleicht ein Beispiel!

Goetschel: Es sind 150 bis 200 Fälle pro Jahr, darunter beispielsweise ein Pferderipper, der ein Pferd mit 20 Messerstichen zu Tode gebracht hat und vier andere Fohlen noch stark verletzt hat, über einen Fall einer Dame, die 149 Katzen gehalten hat, und die meisten dieser Katzen mussten wegen des schlechten Gesundheitszustandes grad euthanasiert (Anm. d. Redaktion: Schwer verständlich im Hörprotokoll). werden, da habe ich dann mit dem Strafrecht zu tun, über Hunde, die geschlagen werden oder im überhitzten Fahrzeug krepieren, bis zu Rindvieh, das nicht angemessenen Auslauf hat, da habe ich mit den Landwirten zu tun.

Hanselmann: Wir Menschen haben ja ein völlig unterschiedliches Verhältnis zu Tieren. Wir schlagen Mücken tot, während wir unsere Katze streicheln, wir lieben den Hund und vernichten die Wühlmaus im Garten. Welche Arten von Tieren fallen denn überhaupt für Sie unter den Tierschutz beziehungsweise welche brauchen Ihrer Meinung nach einen Anwalt und welche nicht?

Goetschel: Das eidgenössische Tierschutzgesetz schreibt mir den Rahmen sehr eng vor. Im Gegensatz zum deutschen Tierschutzgesetz sind in der Schweiz bloß Wirbeltiere geschützt, abgesehen noch von Zehnfußkrebsen, aber grundsätzlich bloß Wirbeltiere. Ich weiß schon um das Kindchenschema, dass uns Welpen näherliegen als jetzt Fische beispielsweise, aber auch Fische fallen darunter.

Hanselmann: Welche Rechte man Tieren zugestehen soll, das wird ja auch immer wieder diskutiert unter politischen, unter ethischen, auch religiösen Gesichtspunkten. Eigentlich braucht man gar nicht dazuzusagen, dass es ein extrem emotionales Thema ist. Sie wissen ja, dass radikale Tierschützer von Massenmord an Tieren sprechen, mit dem wir unseren Fleischbedarf decken. Eins ist jedenfalls klar, wir werden auch in Zukunft Tiere halten, um sie zu töten und zu essen. Was sagen Sie denn als Tieranwalt dazu?

Goetschel: Das sind verschiedene Ebenen natürlich. Als Tieranwalt ist mir der Rahmen gegeben, das Gesetz ist von der Mehrheit seitens des Parlaments oder des Volkes abgesegnet. Vegetarismus wird im Laufe der nächsten 20, 30 Jahre kaum mehrheitsfähig werden, also werde ich als Tieranwalt damit zu leben haben und setze mich dafür ein, dass die Bestimmungen, die die Nutztiere schonen, möglichst angemessen und streng umgesetzt werden. Der Tieranwalt bildet sich das (…) (Anm. d. Redaktion: Schwer verständlich im Hörprotokoll). weltweit neuen Zündstoff für die Tierrechtsproblematik – Tiere haben keine Rechte, aber jetzt im Kanton Zürich seit 18 Jahren einen Anwalt.

Auf der emotionalen Ebene habe ich Verständnis für Tierfreunde, die sich intensiv mit schlechten Haltungs- und Tötungs- und Schlachtungsbedingungen der Tiere auseinandersetzen und emotional da mitgerissen sind. Meine Aufgabe – ich bin ja vorgeschlagen von Tierschutzorganisationen und bezeichnet vom Regierungsrat, bilde eine Art Brückenfunktion –, meine Aufgabe besteht darin, bei allem Verständnis und bei aller Warmherzigkeit, die ich für die Tiere empfinde, meine Arbeit bei kühlem Kopf und im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips wahrzunehmen.

Hanselmann: Herr Goetschel, es gibt Tierschutzgesetze auch in Ihrem Land – reichen die nicht aus? Warum brauchen wir da noch einen Tieranwalt?

Goetschel: Gerade deshalb. Gerade wenn wir mit Strafrechtsexperten in Deutschland reden, ist die Frage, wie das Tierschutzgesetz umgesetzt wird. Wir haben eine verwaltungsrechtliche Schiene in Deutschland und in der Schweiz und eine strafrechtliche Schiene. Die Analyse jetzt der Schweizer Tierschutzstraffälle seit 1982, die die Stiftung für das Tier im Recht online auf TierImRecht.org aufgeschaltet hat, zeigt, dass dort, wo der Tieranwalt besteht, weit, weit überdurchschnittlich mehr Strafverfahren durchgeführt werden und dass die Strafen, also Geldstrafen und Ordnungswidrigkeiten höher geahndet werden.

Ich habe 190 Fälle im Jahr 2008 gehabt, einzelne Kantone haben einen, zwei oder fünf Fälle gehabt, das war lächerlich wenig. Und der Tieranwalt wäre meiner Auffassung nach ein geeignetes Instrument, das Gesetz, das vom Volk ja so gewollt war, auch tatsächlich durchzusetzen und sicherzustellen, dass Tierquälerei und andere Tierschutzwidrigkeiten angemessen untersucht und geahndet werden.

Hanselmann: Jetzt haben wir diese eidgenössische Initiative gegen Tierquälerei und für einen besseren Rechtsschutz der Tiere, über die am Sonntag abgestimmt wird. Wie wird denn eigentlich das Thema in der Öffentlichkeit diskutiert, was sagen die Gegner der Volksinitiative für Tieranwälte?

Goetschel: Ich bin etwas enttäuscht, dass die Argumente der Gegner, also auf der rein objektiven Ebene betrachtet, nicht stichhaltiger sind. Es gäbe vielleicht auch gute Argumente, aber die kommen denen nicht in den Sinn. Eines ist, ja, die Kantone können das von sich aus ja tun, es braucht das nicht eidgenössisch. Da muss man sagen, erstens ist das nicht zutreffend, das Züricher Modell steht auch in Diskussion und könnte abgeschafft werden, so meint es der Regierungsrat im Kanton Zürich, zweitens ist es zynisch, weil die Kantone seit 1981 schon längst auch die Möglichkeit gehabt hätten, einen solchen Tieranwalt einzuführen.

Und drittens weiß man, dass gerade in den Kantonen, wo das Tierschutzstrafrecht kaum vollzogen wird, dass gerade in diesen Kantonen auch der organisierte Tierschutz schwach ist, also nicht in der Lage eine Kampagne, eine teure Kampagne auf die Beine zu stellen. So weiß man mit diesem Argument genau, es wird alles beim Alten bleiben.

Hanselmann: Sind die Proteste gegen diese Initiative eigentlich sehr laut, sehr kämpferisch?

Goetschel: Wenn ich an Podiumsdiskussionen oder am Fernsehen bin, manchmal höre ich schon eine gewisse Schrillheit heraus und eine Emotionalität, die mich eigentlich überrascht. Es geht ja nur drum, dass das Gesetz umgesetzt wird, dagegen kann ja kaum jemand mit vernünftigen Argumenten auftreten. Die Gegnerschaft hat Mühe, sich zu positionieren, weil sie weiß, dass sie riskiert, in die Ecke derjenigen gestellt zu werden, die Tierquälereien eigentlich schützen und legitimieren.

Hanselmann: Also, Legehennen und andere Tiere sollen in der Schweiz einen Rechtsanwalt bekommen. Der Schweizer Bundesrat und das Parlament empfehlen dem Stimmvolk, das abzulehnen am kommenden Sonntag. Meist folgen die Schweizer bisher diesen Empfehlungen, für wie realistisch halten Sie es denn, dass der Schweizer Bürger am Sonntag für die Einführung von Tieranwälten stimmen wird?

Goetschel: Im Wissen, dass zahlreiche Gegner der Initiative den Initianten, dem Schweizer Tierschutz eigentlich eine gute Prognose stellen, im Wissen, dass die Medien großmehrheitlich hinter dem Anliegen stehen, dass die geschlossene, würde ich sagen, die Welt der Bekannten und Prominenten hinter der Initiative stehen und dass der Tieranwalt seit 18 Jahren im Kanton Zürich bestens funktioniert, habe ich den Eindruck, dass es reichen könnte – wenn nicht eidgenössisch, dann zumindest in zahlreichen Kantonen, also entsprechenden Bundesländern. Und ein Ja zu einem Tieranwalt in einem Kanton würde selbstverständlich dann die dortige Kantonsregierung zwingen, einen Tieranwalt zumindest dort einzuführen, und dann (…) (Anm. d. Redaktion: Schwer verständlich im Hörprotokoll). es einfach etwas länger, bis gesamtschweizerisch halt überall Tieranwälte auftreten.

Hanselmann: Am Sonntag wird in der Schweiz entschieden, ob landesweit Tieranwälte eingeführt werden. Vielen Dank, Antoine Goetschel, Tieranwalt in Zürich, und einen schönen Tag noch!

Goetschel: Vielen herzlichen Dank, Herr Hanselmann!