"Götterdämmerung" in Bayreuth
Hagens Mannen mit Masken: Auch anfänglich starke Bilder verschenke die ungelenke Inszenierung der "Götterdämmerung", sagt der Kritiker Jörn Florian Fuchs. © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Die schlechteste aller Wagner-Welten
10:26 Minuten
Am Ende der "Götterdämmerung" erlebte Bayreuth den vermutlich größten Buhorkan der Festspielgeschichte, sagt Kritiker Jörn Florian Fuchs. Die Inszenierung vergeige alle Kernmomente der Handlung und überzeuge auch musikalisch nicht - ein Totalschaden!
Wären die Bayreuther Festspiele ein normales Unternehmen, würden jetzt Köpfe rollen. Denn was unter dem Titel "Götterdämmerung" dem Publikum verkauft wurde, ist eine Mogelpackung allerletzter Güte. Leider muss man das so scharf formulieren.
Zur Erinnerung: Mit Valentin Schwarz wurde ein noch recht junger Regisseur für den Ring verpflichtet, nachdem die renommierte Kollegin Tatjana Gürbaca ob zu knapp empfundener Probenzeiten abgesagt hatte. Das war vor Corona, also hatte Schwarz ausreichend Zeit, um ein Konzept vorzulegen und zu realisieren, das zumindest halbwegs trägt.
Auf allen Ebenen unbefriedigend
Am Ende seines Rings gab es den vermutlich größten Buhorkan, den die Festspiele bisher erlebt haben. Selbst wenn sich manche bei Frank Castorfs Trash-Ring 2013 extra Trillerpfeifen besorgt hatten, hier liegt die Sache deutlich anders. Denn während Castorf ohne die Ablehnung des Publikums nicht leben kann und will, vermutet man bei Valentin Schwarz weniger Provokationslust denn simple Unfähigkeit, sowohl handwerklich, intellektuell als auch visuell.
Wir haben in den letzten drei Besprechungen ausführlich über all den Murks und die wenigen guten Einfälle seines Konzepts berichtet. Auch in der "Götterdämmerung" gibt es eine dysfunktionale Familie mit eitlen, bösen Figuren, die sich am Ende meist selbst erledigen. Die mythische Weltesche kommt als Designermöbelstück und Tannenbäumchen in einem Loft vor (Bühne: Andrea Cozzi, Kostüme: Andy Besuch), dort hausen der wunderbar szenisch und vokal überdrehte Gunther (Michael Kupfer-Radecky) und seine girliehafte Schwester Gutrune (Elisabeth Teige).
Siegfried und Brünnhilde haben offenbar ein gemeinsames Kind, das (wie alle von Schwarz hinzu erfundenen Kinder in allen "Ring"-Teilen) Gewalt sieht, miterlebt und hier am Ende einfach umfällt. Es könnte indes auch der Spross von Brünnhilde und Grane sein, bei Wagner ist Grane ein Pferd, bei Schwarz ein Mann. Grane, nein, seien wir gendersensibel und nennen wir ihn Granerich, wird irgendwann brutal getötet, Brünnhilde hält seinen Schädel zum Finale in die Höhe. Na toll!
Schlechte Regieideen und banale Bilder
Siegfried konsumiert keinen Trank, um sich in Gutrune zu verlieben, der Fusel wird einfach ausgeschüttet, worauf mehrere Protagonisten ungeplant ins Rutschen kommen. Alle Wagner'schen Insignien wie Tarnhelm, Ring, Zauber-Schwert übersetzt Schwarz konsequent in banale Gegenwartsgegenstände, vorwiegend werden Revolver und Schlagringe eingesetzt.
Den von Schwarz hinzu erdichteten Extra-Figuren fehlt meist jegliche nachvollziehbare Entwicklung, die Kernmomente des Rings werden fast immer auf banalste Weise verschenkt. So mordet der szenisch bewusst blass dargestellte Hagen (aber immerhin mit Schönklang: Albert Dohmen) Siegfried vor einem vergammelten Swimmingpool, vorher lieferte er sich mit Vater Alberich noch einen kurzen Boxk(r)ampf.
Wenn es mal ein starkes Bild wie Hagens Mannen mit Masken im düsteren Nebel gibt, wird selbiges sofort durch ungelenkes Stechschritt-Hampeln verschenkt. Und wann gab es schon mal solch ein läppisch verläpperndes Finale? Es passiert - quasi nichts. Kein Feuer, kein Wasser, nur herumstehende oder -liegende Figuren. Für diesen "Ring" hilft auch die berühmte Bayreuther Werkstatt nicht weiter. Er ist schlicht unrettbar, ein Totalschaden!
Nur Dirigent und Orchester überzeugen
Auch musikalisch fragt man sich, wo man hier gelandet ist. Iréne Theorins Brünnhilde singt vollkommen textunverständlich, mit konstantem Vibrato auch bei leisen Stellen: eine völlige Fehlbesetzung. Clay Hilleys Siegfried ist Einspringer zweiter Ordnung und war einen Tag vor der Premiere noch urlaubend in Bari. Er sang die Partie allerdings kürzlich in Berlin. Nachdem Stephen Gould und sein Ersatz Andreas Schager beide erkrankten, rettete er die Premiere mit Durchhaltevermögen und großem Einsatz, aber vielen unschönen, grellen Tönen.
Cornelius Meister dirigiert das Festspielorchester ziemlich gut, setzt starke Akzente, gestaltet manches zwar eigenwillig, leistet aber insgesamt überzeugende Arbeit. Der Kritiker erfuhr beim Wassertreten im berühmten Kneippbecken am Festspielhaus, dass es heuer zwei Orchesterbesetzungen gibt.
Somit ist die bisherige Kritik an Cornelius Meister zu Teilen unrichtig und wird hiermit etwas revidiert: Es lag wohl vor allem an der B-Besetzung, was bei einem solch wichtigen Festival wiederum inakzeptabel ist.
Auf den Punkt gebracht: die Text/Bild/Musik/Sinn(lichkeits)-Schere ist bei diesem "Ring" gewaltig. Und dem Regisseur, der sich im Programmheft mittels Foto als Neunjähriger mit Kopfhörern den "Rheingold"-Klavierauszug studierend, verewigt hat, verleihen wir hiermit den Ehrentitel Valentin Schwarz-Alberich. Möge ihm (und uns) künftig weniger Misswende folgen!