Götz Aly: "Das Prachtboot. Wie Deutsche die Kunstschätze der Südsee raubten"
S. Fischer/Frankfurt am Main 2021
242 Seiten, 21 Euro
Ein Diebstahl unter vielen?
07:01 Minuten
Götz Aly erzählt eindrücklich, wie sich ein Plantagenbesitzer im Gefühl von Allmacht ein Boot in der Südsee aneignete. Und so wird diese Geschichte zur Blaupause für sämtliche Artefakte aus ehemaligen Kolonien, die im Berliner Schloss gezeigt werden.
Es ist knapp 16 Meter lang, besitzt zwei rechteckige Segel und sein Kiel wurde aus einem einzigen Baumstamm gefertigt: Das hochseetaugliche, reich verzierte Luf-Boot ist das Prunkstück des Humboldt Forums im Berliner Stadtschloss. Doch eigentlich gehört es dort nicht hin, denn es wurde, wie das neue Buch des Historikers Götz Aly zeigt, in der Südsee geraubt.
Götz Aly hat einen persönlichen Zugang zu dem Boot: Sein Urgroßonkel Gottlob Johannes Aly war zeitweise Militärgeistlicher der Kaiserlichen Kriegsmarine und nahm an einigen Eroberungsfahrten in die Südsee teil. Und zwar in die damalige deutsche Kolonie Deutsch-Neuguinea und in den Bismarck-Archipel. Heute gehört beides zum Staatsgebiet von Papua-Neuguinea.
Das Leiden der Einheimischen
Die deutschen Kolonien dort waren streng organisiert. Die Kokosplantagen-Besitzer konnten über ihre einheimischen Arbeiter wie Sklaven verfügen. Götz Aly beschreibt, wie die Einwohner der Inseln schon unter "normalen" Bedingungen unter der Herrschaft der Europäer litten. Diese schleppten Krankheiten wie Masern und Syphilis ein, dazu kamen die Zerschlagung der gut funktionierenden Subsistenzwirtschaft und die Verpflichtung zur Arbeit auf den Plantagen.
Wehrten die Einheimischen sich, wurden Strafexpeditionen der Kriegsmarine angefordert. Eine der schrecklichsten fand 1882 statt. Ihr Ziel waren die Hermit-Inseln, deren größte mit etwa sechs Quadratkilometern die Insel Luf ist.
Innerhalb weniger Wochen töteten die Deutschen dort einen Großteil der Bevölkerung, die überlebenden Männer verschleppten sie als Arbeitssklaven auf Plantagen, die Hütten und die großen hochseetauglichen Boote der Menschen wurden zerstört.
Eroberern folgten Kunsträuber
Den Eroberern folgten die Kunsträuber. Berliner Ethnologen, die in ihrer Gesinnung zwar keine Rassisten waren – Felix von Luschan vom Berliner Völkerkundemuseum betonte beispielsweise immer wieder die Gleichwertigkeit von Völkern –, kauften gerne von den Militärs und den Plantagenbesitzern, wohl wissend, dass diese sich die Kunstschätze meist nicht legal aneigneten.
Der Plantagenbesitzer Eduard Hernsheim berichtet lapidar in seinen Memoiren, dass das Luf-Boot in seinen Besitz übergegangen sei, jedoch keine Details. Zwar gibt es weder für einen Raub noch für einen Kauf des Bootes konkrete Belege, doch man kann Götz Alys Argumenten, der einige vergleichbare Fälle anbringt, durchaus folgen: Man habe sich das Boot im Gefühl kolonialer Allmacht einfach angeeignet. Und man muss seiner Folgerung zustimmen: Im Kern stehen sämtliche Artefakte aus ehemaligen Kolonien unter Raubverdacht.
Recherche birgt Erklärungsnot
Götz Aly stützt sich in seinem gut lesbaren, engagiert, doch ohne Furor geschriebenen Buch überwiegend auf Literatur, die frei verfügbar ist – selbst die Berichte seines Urgroßonkels sind es.
Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die seit langem betont, wie wichtig ihr die Provenienz ihrer Ausstellungsstücke ist, hätte all das auch erforschen können. Und so bleiben Fragen: Fürchtete sie etwa das Ergebnis? Will man sich nicht der problematischen Aneignungsgeschichte der ethnologischen Sammlung, darunter allein 65.000 Objekte aus der Südsee, stellen?
Götz Alys Buch jedenfalls zeigt, wie dringlich die Antworten auf diese Fragen sind.