Goldfieber

Von Viktoria Eglau |
Argentinien verfügt über enorme Vorkommen an Bodenschätzen, die Begehrlichkeiten großer Konzerne wecken. Die Regierung unter Präsidentin Kirchner steht dem Abbau der Rohstoffe positiv gegenüber. Kritiker werfen ihr vor, darüber den Umweltschutz zu vergessen.
Ein trockenes Flussbett im Famatina-Gebirge in Argentiniens nordwestlicher Provinz La Rioja. Hier, gut tausend Kilometer von der Hauptstadt Buenos Aires entfernt, geht Dante Ballas seinem ungewöhnlichen Beruf nach: Er ist Goldsucher. Mit einer Spitzhacke schlägt der 55-Jährige Gesteinsbrocken und Erde aus dem Flussbett und der Uferböschung. Ballas hat graugesträhntes Haar und buschige Augenbrauen, trägt Jeans und Vliesjacke.

"Schauen Sie, solche großen Steine muss ich bewegen. Ich zerschlage sie in möglichst kleine Stücke, dann kippe ich Erde und Geröll auf eine Plastikfolie und siebe grob."

"In dieser Gegend muss man fünf oder sechstausend Kilo Gestein bearbeiten, um zwischen einem und vier Gramm Gold zu erhalten,"

beschreibt der Goldgräber den riesigen Aufwand, der für die Gewinnung kleinster Mengen des Edelmetalls nötig ist. Das Leben der Kleinschürfer ist hart. Früher übernachtete Dante Ballas im Zelt, oder in Höhlen. Manchmal fehlten ihm Essen und Schuhe. Vor drei Jahren stellte die Provinzregierung für ihn und seine Kollegen die Baracke und ein paar Wellblechhäuschen auf.

"Ich bin vor 23 Jahren hierher gekommen. Ich hatte gehört, es gebe hier oben Gold, und habe beschlossen, mein Glück zu versuchen. Und das, obwohl ich damals keine Ahnung vom Goldschürfen hatte. Aber ich hab's geschafft, ich lebe von der Goldsuche. Es war anfangs schwer. Jahrelang hab ich im Freien geschlafen, auch bei Regen und Kälte. Aber was soll's, ich finde Gold! Und Gold hat immer einen guten Preis. Ich mag meinen Beruf."

Kleinschürfer wie Dante Ballas, die auf eigene Faust Gold und andere Metalle abbauen, sind in Argentinien weitaus seltener als etwa in Brasilien, Peru oder Chile. Auf die enormen Metallvorkommen, die vor allem in den argentinischen Anden lagern, haben es vielmehr große, überwiegend ausländische Minen-Unternehmen abgesehen. Das weltweit meistgesuchte Metall ist Gold, weil sein Preis so hoch ist, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Jorge Colina vom Institut für Soziale Entwicklung IDESA in Buenos Aires:

"Wegen der Krise in den USA ist der Dollar eine schwache Währung geworden. Seit 2009 ist auch der Euro in der Krise, so dass viele auch ihn nicht mehr als verlässliche Wertreserve sehen. Es ist also naheliegend, dass Gold zur Zeit als sicherste Anlage gilt."

Der Ökonom Colina ist Mitte 40, der Stecker in seinem linken Ohrläppchen kontrastiert mit dem Oberhemd. Colina arbeitet in einem bescheiden möblierten Büro mit Blick über die Dächer der argentinischen Hauptstadt. Im Februar präsentierte sein Institut einen Bericht über das rasante Wachstum des Bergbau-Sektors in Argentinien. Demnach verachtfachten sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Metallexporte, an erster Stelle die von Gold und Kupfer. Metalle sind heute das viertwichtigste Ausfuhrprodukt des südamerikanischen Landes.

"An erster Stelle steht immer noch Soja, gefolgt von Autos und Getreide. Aber dann kommen schon Gold und Kupfer - noch vor den Fleischexporten! In dem Maße, in dem die Bergbau-Industrie gewachsen ist, haben allerdings auch die Konflikte zugenommen: Konflikte zwischen Regierung und Unternehmen um die Aufteilung der Einnahmen. Konflikte zwischen National- und Provinzregierungen, und soziale Konflikte. An immer mehr Orten beklagen sich die Menschen, dass sie vom Bergbau nicht profitieren, dass sie Angst vor der Zerstörung ihrer Umwelt haben, dass der Bergbau ihnen keinen Fortschritt bringt."

Zum Beispiel in Famatina. Das 6000-Seelen-Dorf in der Provinz La Rioja wehrt sich dagegen, dass im nahegelegenen Gebirge eine Goldmine entsteht. Als ein kanadisches Unternehmen die Goldvorkommen erkunden will, blockieren Bewohner die Zufahrtsstraße. Das war Anfang des Jahres

Drei Monate später ist die Straßensperre zu einem Zeltlager angewachsen. Kinder spielen, die Erwachsenen lassen Becher mit Mate-Tee kreisen, aus einem Radio dudelt Musik. Dutzende von bunten Transparenten flattern vor der malerischen, grün-braunen Gebirgskulisse.

El Famatina no se toca - "Hände weg vom Famatina-Berg” - heißt das Motto der Dorfbewohner. Carolina Suffich, eine Lehrerin Ende 30, hat schon vor sechs Jahren begonnen, den Widerstand gegen den geplanten Goldabbau zu organisieren:

"Unser Problem ist nicht das Gold, das sie mitnehmen wollen, sondern die Umweltschäden, die sie hinterlassen. Vielleicht schenkt man uns ein Krankenhaus, einen Fußballplatz oder eine Schule - aber wir verlieren unsere Flora und Fauna, unsere Kultur und unsere natürlichen Lebensgrundlagen. Wenn das Gold weg ist, bleibt nur eins zurück: Die Zerstörung."

Rund vier Fünftel der Dorfgemeinschaft stehen heute hinter dem Protest gegen die Goldmine, darunter der Bürgermeister und der Pfarrer. Sie alle haben Angst, dass Famatinas traditioneller Anbau von Nüssen, Obst und Wein in Mitleidenschaft gezogen werden könnte.

"Das Problem ist das Wasser, das in dieser Gegend knapp ist. Unser Slogan lautet: Ohne Gold können wir leben, aber nicht ohne Wasser! Der offene Tagebau verbraucht Wasser in riesigen Mengen. Wir wollen unsere Landwirtschaft schützen, die weiter wachsen soll,"

sagt Famatinas Touristenführer Francisco Vergara, genannt "Don Pancho" - ein großer, älterer Mann mit gebügeltem Hemd, der fast täglich zur Straßensperre kommt. Mit seinem Geländewagen ist Don Pancho ein paar Kilometer ins Gebirge gefahren, vorbei an sattgrünen Nuss-, Pfirsich, Birnen- und Quittenbäumen. Nun steht er vor einem reißenden Fluss und hält zum Schutz vor der Sonne die Hand über sein zerfurchtes Gesicht. Das Wasser kommt vom verschneiten, 6000 Meter hohen Gipfel des Famatina-Bergs.

"Mit diesem Flusswasser bewässern die Bauern ihre Obstplantagen und Weinberge. Unsere größte Sorge ist, dass es durch die Goldförderung chemisch verseucht werden könnte. Dass wir also nicht nur weniger, sondern auch verseuchtes Wasser haben werden."

Für den Geologen Jorge Rabassa ist diese Befürchtung nicht unbegründet. Rabassa arbeitet an einem Forschungsinstitut in Ushuaia, Feuerland - der südlichsten Stadt Argentiniens und der Welt. Gerade ist er zu Besuch im dreitausend Kilometer entfernten Buenos Aires.

In einem Café im Zentrum erläutert der bärtige, untersetzte Geologe die Umweltgefahren, die seiner Meinung nach vom Goldbergbau ausgehen.

"Gold ist so wertvoll, dass sich sein Abbau sogar lohnt, wenn es in kleinsten Mengen von nur etwa einem Gramm pro Tonne Gestein vorhanden ist. Um eine Tonne Gold zu gewinnen, muss man Tausende und Abertausende von Kubikmetern Gestein bewegen. Und zur Herauslösung des Edelmetalls ist ein höchst agressiver chemischer Angriff nötig, bei dem zum Teil die Gifte Quecksilber und Zyanid verwendet werden."

Das sei eine Gefahr für die Wasserquellen, insbesondere für die Gletscher in der Nähe von Goldminen, warnt der Wissenschaftler.

2010 trat in Argentinien im zweiten Anlauf ein Gletscherschutz-Gesetz in Kraft - gegen ein erstes Gesetz hatte Präsidentin Cristina Kirchner ihr Veto eingelegt, vermutlich unter dem Druck einiger Bergbau-Provinzen. Längst hätte die Nationalregierung ein Gletscher-Inventar in Auftrag geben sollen, um Gebiete festzulegen, in denen der Abbau von Metallen verboten wird. Geologe Rabassa bedauert, dass dies bisher nicht geschehen ist, aber betont, er sei nicht grundsätzlich gegen Bergbau:

"Meine persönliche Meinung ist: es gibt guten und schlechten Bergbau. Der gute Bergbau produziert Rohstoffe für die wirtschaftliche Entwicklung, für die Produktionskette eines Landes. Dagegen ist Goldabbau schlechter Bergbau, er dient nur dazu, den Bedarf des internationalen Finanzwesens nach Wertreserven zu befriedigen. Außerdem ist die Verteilung der Reichtümer durch die Goldgewinnung in unserem Land ungerecht. Nur ein kleiner Teil fließt in Löhne, Verträge mit lokalen Firmen und an die Provinzen und den Nationalstaat. Auch wird das Gold nicht einmal in Argentinien verarbeitet!"

Nur einen halben Kilometer enfernt von dem Café, in dem Jorge Rabassa sitzt, befindet sich das Büro von Martín Dedeu. Von der lärmigen Avenida 9 de Julio gelangen Besucher mit einem modernen Aufzug in die ruhige Gediegenheit einer Anwaltskanzlei. Jurist Dedeu, Präsident der Argentinischen Bergbaukammer, nimmt an einem Glastisch mit Ledersesseln Platz. Er wirkt etwas misstrauisch und unsicher. Argentiniens Bergbau-Industrie war es bisher nicht gewöhnt, sich an die Öffentlichkeit wenden zu müssen. Doch nach den Protesten und Negativ-Schlagzeilen der letzten Monate versucht sie nun, für sich zu werben, etwa mit TV-Spots.

"Wir haben eine Informationskampagne gestartet. Denn viele Leute wissen nicht Bescheid, und verwenden Argumente, die falsch sind. Manche Politiker wettern gegen die Bergbau-Unternehmen, um Wählerstimmen zu ergattern. Unser Ziel ist, der Bevölkerung den Nutzen des Bergbaus zu erklären, Schreckgespenster zu vertreiben, und die Leute zu beruhigen. Sie sollen wissen: Der Bergbau bringt Arbeitsplätze und Lebensqualität - und die Entwicklung von armen Regionen, die bisher ziemlich sich selbst überlassen waren."

Martin Dedeu runzelt die Stirn. Die Verärgerung über die Kaffeehaus-Umweltschützer, wie er sie nennt, ist dem Bergbaukammer-Präsidenten anzumerken. Die Verwendung von Zyanid bei der Goldförderung verteidigt Martín Dedeu, sie erfolge unter Vorsichtsmaßnahmen und in geschlossenen Kreisläufen.

Der Kammer-Präsident will auch den Vorwurf entkräften, der Bergbau lasse nicht genug Geld im Land. 2010 hätten die Unternehmen rund eine Milliarde Euro an den Staat gezahlt: fast ein Viertel ihres Bruttoproduktionswerts. Doch der Ökonom Jorge Colina vom Institut für Soziale Entwicklung IDESA kritisiert, die Menschen nahe der Bergwerke profitierten nicht genug von den Gewinnen. Argentinien brauche den Bergbau, betont Colina - aber mit anderen Spielregeln.

"70 Prozent der Argentinier leben in der fruchtbaren Feuchtpampa, aber 30 Prozent sind in trockenen Regionen zuhause. Diese traditionell armen und rückständigen Gegenden haben heute die Chance, Gold, Silber oder Lithium an eine Welt zu verkaufen, die immer größere Mengen dieser Metalle benötigt. Was muss sich ändern? Die Unternehmen sollten die Rohstoffe dort weiterverarbeiten, wo sie abgebaut werden. Sie müssten mehr Abgaben zahlen. Außerdem muss mehr Geld in die wirtschaftliche und soziale Entwicklung vor Ort fließen."

Für Wirtschaftswissenschaftler Colina steht fest: Die Bevölkerung der Bergbau-Regionen müsse in Zukunft gleichberechtigt mit Unternehmen und Regierungsvertretern an einem Tisch sitzen, um ihre Interessen und Bedürfnisse zu artikulieren.

Der Goldsucher Dante Ballas hat nun die Maschine in Gang gesetzt, mit der er kleinste Goldkörnchen aus einem Gemisch von Sand und Steinchen filtert. Früher wusch er das Gold aus dem Flusswasser heraus. Vor drei Jahren bekam er die praktische Maschine geschenkt - von der Provinzregierung, die ihm und seinen Kollegen das Gold zum Marktpreis abkauft.

Dante Ballas sagt, er sei dem Staat dankbar für diese Hilfe. Doch einige Bewohner des zwanzig Kilometer entfernten Dorfes Famatina sehen mit Misstrauen, dass die Provinzregierung die Kleinschürfer unterstützt. Schließlich will dieselbe Provinzregierung erreichen, dass in der Nähe Gold industriell abgebaut wird - wogegen das Dorf sich auflehnt. Dante Ballas hat keinen Kontakt zu den Minen-Gegnern. Aber er betont, dass er selbst die Umwelt nicht verschmutze, und beteuert, dass ihn der Goldabbau in großem Stil nicht interessiere.

"Ich werde immer meine Arbeit verteidigen, die des kleinen Goldsuchers. Wenn Gott mir Gold geben will, tut er es, und wenn nicht, dann nicht. Zum Essen, zum Leben reicht es immer. Im Monat verdiene ich zwischen 350 und 700 Euro. Aber mein Traum ist, eines Tages die Goldader zu finden - deswegen bin ich hier!"
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