Goldrausch in Lappland
Ein Großteil der Sami in Lappland lebt von der Rentierzucht. Doch immer mehr Bergbaufirmen bedrohen ihre Weideflächen. © Getty Images / Tessa Bunney
Rentierzüchter verteidigen Weideflächen
29:34 Minuten
Das indigene Volk der Sami lebt im hohen Norden Europas von der Rentierzucht. Nun bedrohen Minen, Trassen und Bohrungen ihre Weideflächen, weil Finnland seine Bodenschätze ausbeuten möchte. Viele begreifen dies als Fortschritt.
In der Küche von Asko Länsman ist viel los, es ist Wochenende. Im Hintergrund läuft der Fernseher, eines von Askos Kindern sitzt davor im Schaukelstuhl. Ständig tauchen neue Leute auf. Sie sagen kurz Hallo, "Hei", nehmen sich etwas zu essen oder machen sich einen Kaffee. Erwachsene, Kinder. Asko schöpft sich aus einem großen Topf Rentiergulasch in einen Teller und stellt ihn in die Mikrowelle.
"So ist das immer bei uns. Schon bei meiner Großmutter war immer Besuch. Jeder kann jederzeit kommen und sich zu Essen nehmen. Wir Sami sind ja nicht viele, und wir leben weit verstreut in den Wäldern – wir müssen also zusammenhalten. Sonst könnten wir gar nicht überleben. Das liegt uns im Blut."
Es gibt nur ein indigenes Volk in der EU - die Sami
Asko lebt drei Kilometer außerhalb von Inari, einem Ort 1200 Kilometer nördlich der Hauptstadt Helsinki. Eine Durchgangsstraße, ein Supermarkt, ein Wintersafari-Verleih, eine Bar. Wie viele hier ist Asko Rentierzüchter und gehört zum Volk der Sami, das einzige indigene Volk in der EU. Mit eigener Sprache, eigener Kultur, und Tradition.
Knapp 100.000 Sami gibt es, die Mehrheit lebt in Norwegen, andere in Schweden und in Russland. Im Norden Finnlands sind 10.000 Sami zuhause. Sie sind wenige, aber sie halten zusammen. Denn die Hirtenfamilien waren seit jeher aufeinander angewiesen: Ich helfe dir, und du hilfst mir. Im Rhythmus der Jahreszeiten den Herden folgen, Kälber markieren, schlachten. Das ist heute noch so, außer dass die Rentierhüter in Häusern leben und auf Schneemobilen durch die Gegend fahren statt auf Skiern.
"Wenn hier mitten im Wald meine Wasserleitung platzt, ruf ich einen Freund an und frage, ob er mir helfen kann – und er telefoniert rum, bis jemand da ist, der eine Lösung weiß. Oder jemand bestellt mir ein Ersatzteil für meinen Schlitten, und setzt es auch ein. Wenn jemand einen Betonmischer braucht, gibt es jemanden, der einen leihen kann. Man spricht da nicht über Geld, oder wer den Sprit zahlt. Keiner schuldet keinem was. Wenn wir hier versuchen, allein klarzukommen, machen wir uns das Leben zur Hölle."
Ursula, 48 Jahre alt, ist Askos Schwägerin. Sie sitzt mit ihm am Küchentisch, trägt einen Kapuzenpulli und Leggins, hat die Knie angezogen. Sie trägt keinen Schmuck, keine Schminke. Ihre Fingernägel sind kurz geschnitten. Die dunklen lockigen Haare hat sie zu einem kurzen Zopf gebunden. Im Hauseingang stehen ihre Stiefel, Größe 35. Ursula ist 1 Meter 50 groß, aber sie hat Energie für zwei, mindestens.
Rentierzucht ist eine Lebensform
Immer mal wieder piept das Funkgerät, das auf dem Sofatisch steht. Mit dem kommunizieren die Rentierzüchter untereinander. Manchmal Tag und Nacht.
"Rentierzucht ist eine Lebensform. So wenig Geld und so viel Arbeit. Wir kommen vielleicht auf einen Stundenlohn von zwei Euro. Rentiere halten ist eine Leidenschaft, es ist dein Leben."
Rentiere kann man nur an einem Ort wie Lappland halten, einer Landschaft so groß wie Belgien, mit nur zwei Einwohnern pro Quadratkilometer. Auch vor Askos Haus: unendlicher Wald. Flechten, Heidelbeersträucher. Gedrungene, strauchartige Fjellbirken.
Der Schuppen nebenan ist im selben typisch finnischen Rot gestrichen wie das Haus. Und er ist Teil des Geschäfts: Von der Decke hängen Metzgerhaken. Ein paar Freunde sind dabei, Fleisch zu schneiden: Außenfilets, Rostbraten, Nackensteak. Alles kommt in Gefrierbeutel, wird laminiert, dann der ausgedruckte Aufkleber mit Datum, Bezeichnung und EU-Logo aufgeklebt.
Diesen Beruf kann man nicht lernen, sagt Ursula: Die Grüntöne der Gräser im Sommer unterscheiden, das Rascheln der Birkenblätter deuten, die Orientierung im unendlichen Weiß der Schneelandschaft finden – unmöglich für jemand, der nicht hineingewachsen ist.
"Seit 200 Jahren gehören Rentiere zu unserer Familie, oder noch länger. Wobei das alles lange eine Gemeinschaftsangelegenheit war. Da haben zum Beispiel drei Familien zusammen Rentiere versorgt, aber da ging es nicht darum: 'So viele gehören dir, so viele mir.' Man hat einfach zusammen mit und von ihnen gelebt."
Aber um diese Lebensgrundlage fürchten viele Sami. Denn ihr Land birgt gefragte Rohstoffe: Gold, Silber, Diamanten, Nickel, Eisenerz und Graphit. Internationale Bergbaukonzerne beanspruchen immer mehr Land. Staudämme und Wasserkraftwerke werden gebaut, traditionelle Fischereirechte aberkannt. Es entstehen weitläufige Testgelände für Automobilfirmen. Land, das den Rentieren verloren geht.
"Als Same warst du ein Stück Dreck"
Und hier oben sind die Sami nicht nur gefühlt weit von der Hauptstadt entfernt. Was die Politiker in Helsinki entscheiden, verfolgen sie oft mit Misstrauen. Das hat seine Gründe, erklärt Ursula.
"Für meine Eltern war die Unterdrückung noch Normalität, ihnen war klar: Du bist Same, also bist du ein Stück Dreck. Aber wir haben unsere Sprache erhalten – dank der Rentiere! Die Züchter haben sich um keine Verbote geschert. Sie hatten ihren Zusammenhalt. Die Sami, die jetzt um die 50 sind und nicht in einer Rentierzüchterfamilie aufgewachsen sind, können dagegen kein Samisch – in der Schule war es ja verboten.
In Finnland hielt sich das Verbot bis in die 60er-Jahre und ist Teil der langen Unterdrückungsgeschichte. Finnland und Schweden weigern sich bis heute – anders als Norwegen –, eine Übereinkunft der Internationalen Arbeitsorganisation zu ratifizieren: Die ILO-Konvention 169 soll sicherstellen, dass indigene Völker nicht ausgebeutet, unterdrückt oder diskriminiert werden."
Ursula setzt sich zu ihrem Schwager Asko auf die Terrasse. Beide zünden sich eine Zigarette an. Sie diskutieren über Politik, über Bergbau in Lappland. Hier oben gibt es – bisher – "nur" Goldwäscher: Finnland hat die größten Goldvorräte in der EU, es gibt etwa 100 Golderz-Vorkommen. Zu den Vorzeigeprojekten zählt Europas größte Goldmine in Kittilä, ein Stück weiter südwestlich von Inari. Ein staatlicher geologischer Dienst analysiert unerschlossene Gebiete.
"In Lemmenjoki, hier in der Nähe, sieht es schlimm aus, der Fluss ist schon ganz milchig. Sie graben mit der Hand nach dem Gold, aber vorher haben sie Maschinen benutzt, aus denen oft Öl ausgelaufen ist – in einem Nationalpark! Und es ist ein steiniger Sandboden. Dabei wächst hier sowieso nicht viel. Alles greift in den Naturkreislauf ein!"
Bei diesem Thema kann Ursula sich in Rage reden – während ihr Schwager zumindest äußerlich ganz ruhig bleibt. Aber auch bei ihm ist der Glaube der Sami tief verwurzelt: Dass nämlich alles eine Seele hat: Felsen und Flechten, Elche und Rentiere, die Nordlichter am Himmel, das Lappland-Messer.
"Unter dem Goldboom leidet die Wasserqualität, die Fische. So die Natur zu vergewaltigen! Aber wir Sami müssen erst noch lernen, auf die Straße zu gehen, uns zu verteidigen."
Deshalb sieht auch Askos Familie bisher nur kopfschüttelnd zu, wenn wieder Geologen in ihren Geländewagen in der Gegend unterwegs sind.
"Das ist schon beängstigend. Die fahren hier die ganze Zeit rum und suchen nach Rohstoffen. Manchmal tauchen dann irgendwo Bohrmaschinen auf. Dafür Genehmigungen zu bekommen, ist nicht schwer. Aber auch die Maschinen schaden der Natur, trocknen den Boden aus. Und unseren Rentieren fehlen dann die Pflanzen, die Pilze, die nicht mehr wachsen…"
Gold, Kupfer, Nickel, Platin – alles wird ausgebeutet
Ihre Sorgen sind nicht unbegründet. Nur ein paar Fahrtstunden südlich, in der Region um das Kreisstädtchen Sodankylä, ist das, was die Sami fürchten, längst Realität: Es gibt mehrere Minen – Kupfer etwa, Nickel oder Platin – und womöglich bald das größte Minenprojekt in ganz Europa.
Vor dem Autofenster zieht die finnische Tundra vorbei. Kiefern, Fichten und Birken. Kleine Birken, winzige Birken. Weil sie so weit im Norden so langsam wachsen. Die Natur tickt hier anders. Sie ist kalt, harsch, rau.
Jukka Jokela sitzt im Firmenwagen der britischen Bergbaufirma Angloamerican, einem der weltgrößten Bergbaukonzerne, der sich in Finnland auf Schatzsuche begeben hat: In der Tiefe unter dem Moor Viiankiaapa liegen Nickelvorkommen, die der Konzern als Jahrhundertfund preist. Rückendeckung kommt von der finnischen Regierung. Die hofft auf Jobs und Investitionen und macht es den Bergbauunternehmen leicht: Sie vergibt großzügig und billig Schürfrechte – auch auf sensiblem Terrain. Die Lagerstätten sind bestens erfasst und kartiert.
Jukka ist ein großer, kräftiger Mann, kurze blonde Haare. Fröhlich, ein gutmütiges Gesicht. Er biegt auf einen Waldweg ab, kurz hinter Sodankylä. Ein paar tausend Menschen leben hier – und 22.494 Rentiere. So viele sind jedenfalls registriert.
"Die Rentiere sind wild nach Heidelbeeren, richtige Pflückmaschinen sind das! Wenn die unterwegs sind, bleibt nichts übrig!"
Auf der Rückbank sitzen Ulla Syrjälä, in der Firma verantwortlich für Sicherheit und nachhaltige Entwicklung, und Chefgeologe Janne Siikaluoma. Die drei haben sich einen ganzen Tag Zeit genommen, um ihr Projekt "Sakatti" vorzustellen. Denn Gegenwind gibt es genug. Im Moor Viiankiaapa sind mehr als 90 Vogelarten zu Hause, vom Auerhahn bis zum Odinshühnchen. 21 von ihnen sind vom Aussterben bedroht – ebenso wie 17 der Pflanzenarten.
Nicht nur die Sami sind gegen die Ausbeutung von Rohstoffen in solch sensiblen Ökosystemen. Naturschützer in ganz Finnland schimpfen auf die laxe Vergabe von Schürfrechten seitens ihrer Regierung.
Unter der Oberfläche ist ziemlich viel los: Lappland ist voller Rohstoffe. Nickel, Kupfer, Platinum, Silber, Eisenerz. Das Land schafft es im jährlichen Ranking der Bergbauregionen weltweit regelmäßig an die Spitze.
"Finnland ist das perfekte Land für Bergbauunternehmen. Es gibt wenig Korruption, dafür eine funktionierende Demokratie und Rechtsprechung, eine gute Infrastruktur, ein gutes Strom- und Straßennetz, und gut ausgebildete Arbeitskräfte."
Tatsächlich ist Finnlands Rohstoffpotenzial noch verhältnismäßig unerschlossen. Aber das dreht sich gerade. Es gibt immer mehr Explorationsbohrungen, internationale Firmen drängen ins Geschäft. Auch beim Projekt Sakatti laufen noch Umweltprüfungen. Es kann noch ein paar Jahre dauern, bis klar ist, ob hier wirklich eine neue Mine entsteht. Bisher gibt es nur Probebohrungen.
Nach ein paar Kilometern auf einem holprigen Weg hält Jukka mitten im Wald.
"Hier ist jetzt das Moor. Es riecht so gut hier draußen! Unsere Station ist da hinten."
Wir stapfen durch das Unterholz. 50 Meter weiter steht ein Bauwagen, in dem die Firma Werkzeuge und Ausrüstung lagert. Daneben die Bohrstation im Holzhaus-Rot: eine Art Container mit einem Dach, das meterhoch ausgestülpt ist und an ein Wohnmobil erinnert.
Ein junger Ingenieur bedient hier den Bohrer. Sitzt auf einem Drehstuhl, hinter ihm tropft der Kaffee durch den Filter, in einer Metallhalterung steckt eine Thermoskanne.
Der Kolben der Bohrmaschine stampft auf und ab.
"Wir sind sieben Tage die Woche hier, rund um die Uhr. Von sechs bis sechs."
Bergbau für die CO2-neutrale Zukunft
Jukka und seine Kollegen geben sich viel Mühe zu erklären, wie sie versuchen, die Natur zu schonen. Ulla zeigt auf einen Waldweg: Eine Schneise für Motorschlitten. Man nutze zum Beispiel nur alte Wege, die ohnehin schon für die Forstwirtschaft genutzt wurden.
"Und wir achten auf die Nistzeiten der Vögel. Oder auf artbedrohte Pflanzen. Da halten wir zum Beispiel 30 Meter Abstand mit unseren Bohrlöchern."
Wir fahren zurück ins Hauptquartier: Zwei lang gestreckte rote Holzbauten am Stadtrand. 1000 Quadratmeter Büros, Labore und Lager. Am Eingang ziehen wir die Schuhe aus, so wie es in Finnland oft auch an Arbeitsplätzen üblich ist.
Die Kollegen haben Kaffee gekocht und Gebäck auf den Tisch gestellt. Jukka klappt seinen Laptop auf und startet seine Präsentation. Es geht los mit einer Studie, die zeigt, wie wichtig Metalle und Mineralien für eine CO2-neutrale Zukunft werden: Für E-Autos, Laptops, für Babyphones – für all das braucht man Metalle, die hier unter der Erde liegen.
"Hier oben stehen die neuen Technologien, die für Erneuerbare eingesetzt werden, und welche Metalle man dafür braucht: Kobalt und Lithium etwa sind entscheidend für die Batterieindustrie."
Tatsächlich will Finnland ein führender Player im europäischen Batteriemarkt für Elektromobilität werden, dafür hat die Regierung sogar eigens das Programm "Batteries from Finland" aufgelegt. Lithium baut ab 2020 das finnische Bergbauunternehmen Keliber in Kaustinen ab. In Finnland gibt es angeblich die größten Vorkommen in Europa. Auch Angloamerican hofft auf das große Geschäft.
"Bisher haben wir 280 Löcher gegraben, und insgesamt 166 Kilometer Tunnel, die sie verbinden. Manche Löcher sind bis zu 1,3 Kilometer tief. Aber wenn alles klappt und wir hier Rohstoffe aus der Erde holen können, soll die Natur auch nach Jahrzehnten noch genau so aussehen wie heute. Es geht ja um Rohstoffe einen halben Kilometer unter der Erde, die Oberfläche lassen wir unberührt."
Diese Oberfläche ist zehn Kilometer lang und gut sechs Kilometer breit, eines der letzten großen Moore in Europa. "Viiankiaapa" ist Teil eines Natura-2000-Schutzgebiets der EU. Gebohrt werden darf laut Gesetz trotzdem.
"Wir arbeiten eng mit den Behörden zusammen, mit Biologen und Geologen, und erfüllen alle Vorlagen. Außerdem macht das betreffende Gebiet nur 7,5 Prozent des Moores aus."
Die Stimmen derjenigen, die das Moor vor jeglichem Eingriff schützen wollen, werden lauter. Sie verweisen auf die Nickelgrube Kevitsa, 40 Kilometer weiter nordöstlich, betrieben von der kanadischen Gesellschaft First Quantum. Dort sehe man, was aus dem Moor werden könnte: eine staubschwarze Trümmerlandschaft, in deren Kratern Laster und Kräne jährlich tonnenweise Felsmasse bewegen. Das Gestein wird zermalmt, und mit Chemikalien behandelt.
Auch wenn die Finnen selten auf die Straße gehen – gegen die geplante Mine im Moor hat sich Widerstand gebildet.
Widerstand gegen eine Mine im Moor
Alles begann mit Riikka Karppinen, eine Art Greta Thunberg der Finnen, die vor zehn Jahren einen Feldzug gegen die Firma Angloamerican begann. David gegen Goliath, das war Filmstoff und wurde dokumentiert. Die 15-jährige Riikka organisierte Demonstrationen, saß auf vielen Podien und fuhr mehrfach nach Helsinki, um Gespräche mit Ministern zu führen.
Mittlerweile ist Riikka 25. Sie studiert in Helsinki – und macht weiter Politik, obwohl sie damals frustriert festgestellt hat, dass viel geredet, aber wenig getan wird. Mit 18 wurde sie als jüngstes Mitglied in der Geschichte der Kommune in den Gemeinderat gewählt, bei den letzten Parlamentswahlen hat sie für die Grünen kandidiert.
Riikka trägt Make-up, Lippenstift, ein schwarzes Kleid, lange offene Haare. Und sie geht fast so schnell wie sie redet.
Vor dem Naturkundemuseum bleibt sie stehen, der Bau: ein altes russisches Gymnasium. Eine große Halle, klassizistische Innenfassaden.
"Für mich ist das Museum so ein Teleport in den Norden, der Ort, wo man sich Lappland noch am nächsten fühlen kann. Hier gibt es Tiere und Natur, mitten in der Stadt."
Riikka erzählt, dass die Bohrungen im Moor Viiankiaapa auch nach jahrelangem Kampf noch ein großes Thema sind. Wenn sie alte Freunde trifft, fragten die oft nicht: "Wie gehts dir?" Sondern: "Wie geht es Viiankiaapa?" Und tatsächlich gehört das für sie alles zusammen.
"Gerade wenn man im Süden ist, in der Stadt, weiß man, was man an der Weite und Stille dort oben hat. Unser größter Schatz ist die saubere Natur. Und die müssen wir für die kommende Generationen erhalten. Ich war als Kind immer nur draußen: Fischen, im Wald, Pilze sammeln, Beeren. Und Viiankiaapa ist einzigartig – dieses riesige Moor und ein endloser Horizont."
Wenn das Projekt Sakatti eine Erlaubnis im Schutzgebiet bekäme, wäre das ein Präzedenzfall: Bisher ist nirgendwo in der EU ein "Natura-2000"-Gebiet angetastet worden. Andere geschützte Areale sehr wohl: Allein in Finnland verteilen sich 5000 Quadratkilometer Bergbau auf Schutzgebiete. Und warum, fragt Riika, darf Angloamerican in einem Moor bohren, das so sensibel ist, dass im Winter dort nicht einmal Schneemobile fahren sollen?
Wir setzen uns auf die Stufen vor dem Eingang. Die Straßenbahn rattert Richtung Innenstadt.
Riikka erinnert an den Tagebau Talvivaara. Dort flossen vor einigen Jahren 800 Millionen Liter Giftbrühe aus und verseuchten weite Flächen im Norden Finnlands. Mittlerweile ist die Produktion gestoppt. Aber auch in Sakatti hat es schon Zwischenfälle gegeben. Schon in zwei Wintern sei Motorenöl ausgelaufen.
Außerdem habe Angloamerican sein Versprechen gebrochen: Der Konzern darf offiziell nur in der Frost- und Schneezeit bohren, damit der Boden nicht durch die schweren Maschinen beschädigt wird. Doch sie hat schon im Herbst umgefahrene Bäume und die Spuren von Kettenfahrzeugen gesehen.
"Und es ist ja nicht nur die Mine selbst, sondern das ganze Drumherum, die Infrastruktur. Der Lärm, der Staub von den Probebohrungen vertreiben schon jetzt die Vögel. Ich fürchte, das ganze Ausmaß ist noch gar nicht absehbar. Es ist zum Beispiel nicht klar, was die Bohrungen mit der Grundwasserqualität machen."
Eine Bahnstrecke soll durch Lappland führen
Das alles könnte nur der Anfang sein – fürchten auch die Sami und Rentierzüchter Asko und Ursula in Inari, hoch im Norden. Denn da ist all das Erdöl und Erdgas, das unter dem Eismeer schlummert: Die Arktis erwärmt sich im Zuge des Klimawandels doppelt so schnell wie andere Orte in der Welt. Und das schmelzende Eis eröffnet neue Handelswege: eine direkte Verbindung nach Asien etwa. Die Nordroute als arktische Seidenstraße. Und schon ist eine Bahnstrecke durch Lappland im Gespräch.
Die Rentierzüchterin Ursula vom Volk der Sami kann sich bei diesem Thema richtig aufregen.
"Diese Bahnstrecke ist eine klare Botschaft, dass hier Minen herkommen. Eine Aufforderung für mehr Bergbau."
Die Regierung hat ihre Pläne für so eine Trasse durch das Eis wegen der hohen Kosten erst einmal fallen lassen. Aber nun tritt Peter Vesterbacka auf den Plan. Als Ex-Marketing-Chef von Rovio hat er das Computerspiel "Angry Birds" groß gemacht. Gerade baut er den längsten Tunnel der Welt: Ein 113 Kilometer langer Unterwassertunnel soll ab Weihnachten 2024 Helsinki und die estnische Haupstadt Tallin verbinden. Vesterbacka ist keine Idee zu groß.
Aber die Sami sind dagegen. Manche haben Vesterbacka wegen seiner Bahnpläne schon als Völkermörder beschimpft. So weit wollen Ursula und Asko nicht gehen. Aber sie fühlen sich in ihrer Lebensart bedroht.
"Wir haben sowieso schon genug Probleme wegen des Klimawandels. Da ist immer die Angst: Wenn ein schlechter Winter kommt, können die Tiere sterben. Wir können sie ja nicht halbverhungert nach Hause bringen – es sind Tausende. Und zufüttern geht nicht. Das ist superteuer."
"Und diese Bahnstrecke wäre fatal – sie würde genau durch die Weideflächen unserer Rentiere führen!"
Aber es gibt auch Interessen von Finnen, die weniger an Rentiere als an Arbeitsplätze denken. Die Minen, die Trasse, die Bohrungen – sie können Jobs, Steuern und Wohlstand bringen. Beispiele gibt es durchaus. So hat das Projekt Sakatti die Gemeinde Sodankylä vorangebracht. Eine neue, hochmoderne Eishalle wurde eröffnet – gebaut mit dem Geld der Firma Angloamerican, die für Sakatti und die Probebohrungen verantwortlich ist. Mit solchen Projekten machen sich die Unternehmen Freunde. Ohnehin haben viele Einwohner eine pragmatische Einstellung. Sie vertrauen auf das, was "die da oben" machen.
Was passiert, wenn die Minen wieder schließen?
Die Arbeitslosigkeit in Sodankylä ist niedrig. 2018 gab es fast Vollbeschäftigung, der Bergbau stellt mehr als ein Fünftel der Jobs. Die Bevölkerung ist in den letzten Jahren tendenziell gewachsen. Die Kita Poikkijoki am Stadtrand ist ein Ort, an dem sich diese Entwicklung spiegelt: Gerade erst wurde sie erweitert.
Das Besondere an der Kita: Sie ist rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche geöffnet. Schon die Kleinsten können immer in der Kita sein, sagt Mitarbeiterin Kerttu Kanerva.
"Wegen der Minen brauchen die Kinder Betreuung rund um die Uhr."
Die Kinder können bei Bedarf auch mehrere Tage und Nächte am Stück hier bleiben. Die Hälfte der Eltern arbeitet im Bergbau. Oft im Schichtbetrieb, sagt die Kita-Leiterin Johanna Kemppainen.
"Wir haben unseren Job ja auch deshalb, weil die Minenarbeiter ihre Kinder herbringen. Und ich komme aus einem Dorf, in dem viele arbeitslos waren. Aber im Moment ist kein einziger ohne Job! All die Häuser, die leer standen, sind jetzt vermietet. Das Dorf lebt wieder!"
"Wir kennen viele, die dank des Bergbaus ihr Leben auf die Reihe kriegen. Denen wollen wir ja nichts Schlechtes!"
"Aber da ist auch eine Angst. Wenn die Minen wieder geschlossen werden, was bleibt dann? Es gibt keine langfristige Planung, keiner kümmert sich um die Zeit danach!"
"Hier in der Nähe, in Raa-Järvi, gab es auch mal eine Mine. Und jetzt: Nur leere Reihenhäuser."
Jobs für etwa 20 Jahre bietet so eine Mine. 20 Jahre sind für einen einzelnen Menschen unter Umständen eine lange Zeit. Nicht aber für die Natur.
Deshalb wollen die Rentierzüchter nichts von solchen vermeintlichen Errungenschaften wissen. Sie sperren sich weiter gegen den Bergbau. Auch wenn etwa Angloamerican versprochen hat, unter anderem mit GPS-Satelliten zu prüfen, wo sich die Rentiere bewegen, um die Züchter zu entschädigen, wenn ihnen durch die neu errichtete Infrastruktur Weideland verloren geht.
Immerhin: Früher sind die Sami eher mit Skiern in die Wildnis gezogen, statt sich Konflikten zu stellen. Heute zeigt vor allem die junge Generation ihren Widerstand mit politischen Aktionen – und mit ihrer Musik.
Festival der Sami dient dem Protest
Die Natur, der Klimawandel, der Bergbau – große Themen beim Festival Ijahis idja: "Nachtlose Nacht". Jedes Jahr im Spätsommer feiern die indigenen Einwohner Skandinaviens dieses Musikfestival, auf dem vor allem gejoikt wird: Der Joik ist der traditionelle Kehlgesang der Sami, eine Art Mischung aus Jodeln und indigenen Gesängen. Heute gilt der Joik als eine der ältesten Volksmusiken weltweit. Auch Rentierzüchterin Ursula joikt. Mit ihrer Band Angelit ist sie schon um die Welt getourt.
"Die Joiks handeln von der Natur und den Menschen, die mit ihr leben. Es sind Momentaufnahmen. Bilder, die man dann im Kopf selbst weiterspinnen kann…"
Das Festival in Inari ist ein Höhepunkt im Jahr. Ursula hat eines ihrer selbst genähten traditionellen Kleider in Rot und Blau aus dem Schrank geholt. Das Outfit ist Teil der samischen Kultur und hat für Ursula auch eine politische Bedeutung.
"Ich weiß oft gar nicht, was für einen Streit es in der Politik gerade gibt. Ich bin keine Politikerin, aber ich lebe die samische Kultur, von der die anderen reden. Das ist wichtig, damit die, die kämpfen, sehen, es ist möglich, dass wir unsere alte Lebensart leben und erhalten."
Tatsächlich ist die Festival-Bühne direkt vor dem Parlament in der Ortsmitte aufgestellt: In dem Holzbau mit den großen Fenstern klären die Sami Streitfragen zu Sprache, Kultur und Rechte ihres Volkes. Daneben ein Bierzelt und ein paar Stände, an denen sie ihr Handwerk, ihre Handarbeit verkaufen: Schmuck, Felle, Kleider, Trommeln.
Der Platz ist voll: Aus ganz Lappland sind hunderte Sami angereist. Keiner kümmert sich um die Kälte, die Ende August am Abend schon in die Knochen kriecht. Viele tragen ihre Trachten mit den bunt geflochtenen Bändern. Sie leuchten im Grau des Nieselregens, der hier keinen stört.
Ursula steht beim Festival diesmal nicht mit ihren Joiks auf der Bühne. Dafür ihre Schwägerin Anna. Ihr Trachtenkleid ist bedruckt mit einem Einhornmotiv. Wenn sie damit auf der Bühne steht, ist das ihr Weg, die Anliegen ihres Volkes in die Öffentlichkeit zu bringen.
"Ich singe davon, dass wir zusammenhalten müssen, wenn internationale Konzerne die arktischen Rohstoffe ausbeuten und Großmächte ihre Interessen auch auf unserem Land durchsetzen. Und jetzt, wo der Klimawandel diesen Prozess beschleunigt, erst recht."