Goodbye, Tempelhof

Von Eberhard Schade und Peter Marx |
Ohne den Flughafen wäre Tempelhof nicht das geworden, was es heute ist: Ein weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannter Berliner Stadtteil. Jahrzehntelang war der kleinste der drei Berliner Flughafen die Verbindung zur Außenwelt. Rosinenbomber und Berlin-Blockade, all das steht eng verbunden mit dem Flugfeld in Tempelhof. Jetzt ist der Flugplatz, 1939 errichtet, endgültig zu. Nie mehr soll dort nach dem Willen des Senates wieder ein Flugzeug starten oder landen.
Die Stimmung ist gedrückt, es ist der letzte Tag des Flugbetriebes in Tempelhof. Nach 85 Jahren macht der berühmte Rosinenbomber-Airport dicht. Allein das Personal hat keine Zeit für Sentimentalitäten, nicht mal beim allerletzen Inlands-Linienflug.

Die Passagierin: "Tempelhof sieht nicht aus wie ein Flughafen, benimmt sich nicht wie ein Flughafen und man wird auch nicht behandelt wie auf dem Flughafen. Es ist extrem privat. Von den Leuten. Wenn man fünf Mal fliegt, kennt man die Menschen. Das ist so wie hier im Prinzip. Nur im größten Gebäude Europas. "

Der Pilot: "Die Bebauung drumherum behindert das Anflugverfahren überhaupt nicht. Weil genau das ist es eigentlich, was den Reiz dieses Flughafens ausmacht. Es nicht so ein steriler Flughafen ist, wie so viele andere, die weit draußen, abseits jeder Bebauung gebaut sind. Dieses Ambiente brachte ein gewisses Flair mit sich, was leider Gottes, nur noch sehr sehr selten zu finden ist."

Die Flughafenbesucherin: "Und wenn ich das Band hier sehe, das ist so nostalgisch. Ich hab eben noch einen Koffer mit ´nem roten Band, das war so hübsch, das habe ich fotografiert. Vielleicht liegen die Bilder nachher auch nur in der Schublade, aber man hat so das Gefühl gehabt - alles noch einmal aufnehmen und dann Abschied nehmen. Das war`s dann."

Flugplatz Mannheim - kein Tor zur Welt. Die kleine Halle mit Blechdach, schwarz-weiß gesprenkeltem Steinboden und großen Fenstern zum Flugfeld wirkt eher wie - um im Bild zu bleiben - wie eine Tür zum Nachbarn. Draußen stehen drei Flugzeuge vom Typ Dornier 28, drinnen warten zwei Dutzend Fluggäste auf das blinkende Signal "Boarding" an der Anzeigetafel. Sie ist kaum größer als der Flachbildschirm zu Hause.

Beate Berg, eine Frau Mitte 40, sitzt am Cafetisch, nippt am ihrem Milchkaffee. Völlig entspannt: Rio de Janeiro, New York, Frankfurt, London. Sie kennt als Lufthansa-Stewardess alle großen Flughäfen der Welt. Und jetzt eben auch Mannheim. "Weil von hier der letzte Linienflug nach Tempelhof geht", sagt sie, milde lächelnd und erzählt ihre ganz persönliche Tempelhof-Geschichte:

"Ich kann mich sehr gut erinnern, ich war ja eine zusätzliche Kabinenkraft, Stewardess und ich sollte die Ansage machen und habe mich so verhaspelt, trotz ablesen. Ich wäre am liebsten im Boden versunken. Aber irgendwie haben es die Passagiere gar nicht so richtig gemerkt. Manche haben gelächelt. Es war nicht so schlimm, wie es mir eigentlich vorkam."

Beate Berg, die Frau mit dem karottenroten Kurzhaarschnitt und dem roten XXL-Schal um den Hals beobachtet unauffällig ihre jungen Kolleginnen am Eincheck-Counter. Noch zwei Maschinen nach Hamburg und Genf kommen vor dem letzten Tempelhofflug. Zeit genug für noch einen Kaffee.

"Für mich sind das ungeheuere Erinnerungen. Ich habe mich heute ganz kurzfristig entschlossen, am letzten Tag auch noch mal zu fliegen. Tempelhof. Als nostalgische Wiederholung, einfach aus Nostalgiegründen und ja, irgendwie das Gefühl gehabt, ich bin das irgendwie dem Flughafen schuldig, irgendwie noch mal Ehre zu erweisen."

Nicht weit von der Stewardess steht Flugkapitän Thorsten Hasselbusch. Er hat Feierabend. Höhepunkt seines Tages für ihn: der Nachmittagsflug von Tempelhof nach Mannheim, mit einer Ehrenrunde über dem Stadtteil und einem genehmigten Tiefflug über der Landepiste. 220 Landungen in Tempelhof stehen in seinem Flugbuch. "Und jede für sich ein Erlebnis", sagt er und seine Stimme erhält einen traurigen Unterton:

"Sehr viel Wehmut, weil ich diesen Flughafen schon als kleines Kind mit meinen Eltern gewesen bin, ich habe den einige Male mit Flugschülern von mir angeflogen und bin auch privat dort gewesen. Jedes mal ein sensationelles Ergebnis. Wirklich so ein historisches Gebäude zu sehen, einen so zentralen, stadtnahen Flughafen anzufliegen."

Flugplatz Mannheim. Die Schalterhalle - kaum größer als die Toiletten in Tempelhof - füllt sich. Die letzten Fluggäste nach Berlin passieren die Sicherheitsschleuse. Etwa 30 Passagiere passen in die Dornier 28. Heute ist die Maschine der Cirrus-Airline ausgebucht: Geschäftsleute, Urlauber, Heimkehrer und zwei Fernseh-Kamerateams. Es geht los.

Zur gleichen Zeit in der Abflughalle Tempelhof. Es ist gespenstisch still im ältesten Verkehrsflughafen der Welt. Fünf Passagiere stehen noch vor dem Check-In-Schalter der Cirrus-Airlines, stemmen Koffer auf die Waage. Unter den mächtigen Steinpfeilern wirken sie wie Playmobil-Figuren. Der Vertreter der letzten noch geöffneten Autovermietung sitzt einfach nur da, starrt ins Nichts.

Die Schalter der Konkurrenz sind längst dicht, mit Folien abgehängt, die Wände zum Teil neu gestrichen. Der Souvenirladen ausgeräumt, der Geldwechsler gegenüber wechselt kein Geld mehr. Eine Riesenuhr am Ende der großen Abflughalle tickt ins Nichts.

Nur in einem Büro in der Halle wird noch gearbeitet, bei Cyrrus Airlines. Anita König, eine aparte Endvierzigerin mit weißer Bluse, grau-blau gestreifter Weste und hellblauem Einstecktuch sitzt in einem seltsam spärlich eingerichteten Büro, telefoniert. Ihr Computer ist noch installiert und das Telefon. Sonst nichts.

Die grauen Einbauschränke rechts an der Wand neben ihr sind leer. Hinter ihr steht ein offener Umzugskarton, auf dem klebt ein roter Zettel mit der Aufschrift: "Entsorgen" König hat Spätschicht. Will beim Abschied dabei sein, sagt sie leise.

"Im Moment bin ich hier noch mit meiner Arbeit beschäftigt und konzentriere mich einfach noch darauf, außerdem haben wir ja nachher noch einen Abflug, werden auch noch Passagiere haben und solange man im Tagesgeschäft drin ist geht das alles noch. Aber ich denke dann später, wenn dann unsere Maschine auch abfliegt und dann diese feierliche Zeremonie noch sein wird, wird’s bestimmt traurig werden."

Für mich ist Tempelhof immer etwas Besonderes gewesen, sagt sie. Und - als Arbeitsplatz - ein Ruhepol, eine echte Oase.

"Wir haben nie Hektik gehabt, das hat sich auch ausgestrahlt auf unsere Passagiere natürlich. Wenn sie eine Viertelstunde vor Abflug erschienen, haben die ihre Maschine auch noch bekommen, also es war alles sehr entspannt und war kein 0815-Arbeitsplatz."

Plötzlich - doch noch mal Hektik. Eine Kollegin kommt reingestürzt, muss ganz schnell eine aktualisierte Passagierliste ausdrucken. Pech gehabt. Einen Drucker gibt es hier nicht mehr. König bleibt ruhig, souverän. Richtet kurz ihr Einstecktuch, holt dann ein weißes Blatt Papier aus der Schublade und schreibt die Namen der Passagiere per Hand auf.

Am Schalter neben Cyrrus steht niemand mehr. Schon vor sechs Tagen startet mit Flug Nummer SN 2588 um 18.55 Uhr der letzte Flug der Brussels Airlines - der allerletzte internationale Flug von Tempelhof. Der Pilot verabschiedet sich auf ganz persönliche Art. In etwa 300 Meter Höhe zieht er eine Schleife über den Flugplatz und lässt die Maschine mit den Tragflächen wackeln.

Abschied nehmen - das wollen in den letzten Tagen vor allem Nichtreisende. West-Berliner, für die Tempelhof mehr als bloß ein Flughafen ist. Jürgen und Gisela Treudler aus Lichterfelde etwa. Beide gehen sehr langsam über den Steinboden der Flughafenhalle, bleiben vor der riesigen Wandbildcollage, den ausgestellten Turbinen und Zeittafeln stehen, studieren diese. Immer ganz eng beieinander.

"Ich bin schon mit dem Flughafen irgendwie aufgewachsen, ich wohnte drüben auf der anderen Seite des Flughafens. In der Selchower Straße hatten meine Eltern ein Geschäft. Ich kann mich erinnern, man hörte das schon in diesen schmalen Straßen, die machten ´ne ganze Menge Krach aber das gehörte zum Leben dazu - und man wusste natürlich, dass das die einzige Verbindung ist zur freien Welt. Das klingt so ein bisschen pathetisch, aber das war ganz substanziell damals."

Nicht von jedem Flughafen muss man sich verabschieden, finden die Rentner - von diesem aber schon. Und nicht zuletzt, weil ganz persönliche Erinnerungen an dem Ort hängen.

"Ich hab meine Schwester, wie sie das erste Mal in Tempelhof gelandet ist, und wir haben sie dann abgeholt, das war ihr erster Flug. Und dann kam sie hier an und wenn ich das Band hier sehe, das ist so nostalgisch. Ich hab eben noch einen Koffer mit ´nem roten Band, das war so hübsch, das habe ich fotografiert. Vielleicht liegen die Bilder nachher auch nur in der Schublade, aber man hat so das Gefühl gehabt – alles noch einmal aufnehmen und dann Abschied nehmen. Das war`s dann."

Die Do 28 auf dem Weg zur Startpiste. Seit 1924 gibt es den Flugplatz in Mannheim und die Startpiste bietet keine Chance zum Umkehren. 1200 Meter Länge müssen reichen, egal was kommt. Stewardess Saskia Speereiter gibt letzte Anweisungen. Wie immer, hört kaum ein Passagier zu. Zeitungen werden geknickt, Zeitschriften eingepackt. Ein letzter Blick auf Sicherheitsgurte und Handgepäck.

Das Flugzeug rollt an, vorbei an der Eingangshalle mit der blauen Aufschrift Mannheim, übers Rollfeld zum Anfang der Startpiste. Flugkapitän Lars-Peter Jacobs drückt leicht auf die Schubhebel. Die Dornier bockt wie ein Rennpferd vor dem Start und der Pilot sieht seinen letzten Flug nach Tempelhof mit professioneller Gelassenheit: Nach 3500 Landungen muss auch mal Schluss sein.

"Ich bin gerne nach Tempelhof geflogen, ist ein schöner Platz, immer schön für die Piloten zu fliegen, angenehm für die Gäste, jetzt geht eine Ära zu ende. Das tut uns allen sehr leid. Morgen gibt es einen Neuanfang. Morgen fliegen wir nach Tegel."


Der Start. Die Maschine hebt ab, stößt in die Wolkendecke, durchbricht sie. Und das Licht im Flugzeug geht wieder an. Die Reisehöhe von 9000 Meter ist schnell erreicht. Der Rest: Routine. Erst Richtung Würzburg, dann weiter nach Erfurt, vorbei an Leipzig. Der Autopilot übernimmt die Arbeit. Zeit für ein Fazit; Zeit einen Mythos zu entzaubern.

Fordert Tempelhof von einen Piloten mehr ab als Tegel?

Flugkapitän Lars Jacobs: "Nein, vom Schwierigkeitsgrad beides gleich. Aber Tempelhof, einfacher, weil wir weniger Verkehr hatten. Wir waren dort immer die Nummer eins. Alles ging immer sehr schnell. Und in Tegel müssen wir halt öfters warten."

Saskia Speereiter schiebt den schmalen Essenswagen durch den Gang, teilt das Essen aus. Beate Berg, die Lufthansa-Stewardess, schaut, wie sich die junge Kollegin anstellt. Sie sagt nichts, verzieht keine Miene, kehrt zurück zu ihren Erinnerungen, an Berlin, an Tempelhof, an die Mutter aller Flughäfen. Irgendwann folgt ihre Fluglinie den anderen nach Tegel und Schönefeld. Und jetzt die emotionale Rückkehr:

Beate Berg: "Ich habe eigentlich diese Räumlichkeiten wieder gesehen, wo ich früher zum Dienst gegangen bin. Habe eine alte Kollegin wieder getroffen. Da sind mir auch schon fast die Tränen gekommen und hat mich auch ein bisschen an den Film '1,2,3' erinnert. Und ich habe mich auch wieder daran erinnert, dass ich früher auch die Passagiere wieder abgeholt habe.

Von da wo wir oben runtergegangen sind die Treppen zum Flugzeug. Da sind wir immer hochgegangen und haben die Passagiere abgeholt, damit die auch an das richtige Flugzeug gegangen sind, weil die Flugzeuge immer hinter einander gestanden sind. Sonst hätte es ein Kuddelmuddel gegeben."

Die Essensausgabe ist fast vorbei. Noch drei Passagiere warten auf das Business-Menu, ein Sammelsurium von kaltem Huhn, noch kälterem grünen Spargel, einer zähen Entenbrustscheibe, altem Brötchen und geschmacksneutralem Salat. Ein Friedhofsgedeck - passend für das Ende von Tempelhof , dessen erste Flughafenlizenz am 8. Oktober 1923 ausgestellt wird.

Sein markantes halbrundes Gebäude, zeitweise das Größte der Welt, wird zwischen 1936 und 1941 errichtet. Während Saskia Speereiter jetzt die Getränke serviert, drehen sich die Gespräche der Passagiere um den Ort, der noch knapp 400 Kilometer entfernt liegt. Während der sowjetischen Berlin-Blockade 1948/ 1949 landen in Tempelhof im 90-Sekunden-Takt zweimotorige Transportflieger, sorgen für das Überleben West-Berlins.

Charlotte Merkl: "Weil Tempelhof, ist Geschichte und hat die Geschichte Westdeutschlands geprägt und es ist West-Berlin. Ohne Tempelhof wäre manches anders gelaufen und insofern finde ich es schade, dass sie zumachen."

Charlotte Merkl ist vermutlich die einzige auf diesem Flug, die sich vorher über die historische Bedeutung ihrer Flugbuchung keine Gedanken gemacht hat. Vielleicht weil sie einer jüngeren Generation angehört, vielleicht weil es einfach passte, dass sie an diesem Tag einen Kunden in Mannheim besuchen muss.

Jetzt geht ihr das Ende des Flugplatzes nicht aus dem Kopf, während sie aus dem Fenster schaut und an ihrem Getränk nippt. 1996 entscheidet der Senat das historische Monument zu schließen. Und jetzt ist die 26-Jährige plötzlich Teil der Geschichte selbst, die mit schlechten Zahlen endet. Nur noch 200.000 Passagiere jährlich, dafür bis zu 15 Millionen Euro Verlust pro Jahr.

Beim Volksbegehren im April 2008 haben die Treudlers gegen die Schließung des Flughafens gestimmt. Zumindest bis zur Eröffnung des großen neuen Flughafens 2011 in Schönefeld hätten sie den kleinen mitten in der Stadt gerne noch am Leben erhalten. Weil sie Angst haben, dass das Gelände verkommt, sagen sie. Und weil sie finden: der Berliner Senat hat noch gar kein richtiges Konzept für das Gelände:

"Konzepte werden da zwar angepriesen, aber was Konkretes hängt noch nicht dran. Man fragt sich ein bisschen, warum eigentlich zum jetzigen Zeitpunkt. Es kommt einem ein bisschen wie Starrsinn des Senats vor und auch deshalb bedauere ich es sehr und wollte mir dass heute Morgen noch mal angucken."

Seit dem 31. Oktober ist Tempelhof kein Flughafen mehr. Doch was wird aus der 386 Hektar großen Fläche? Das fragen sich nicht nur die Treudlers, die jetzt langsam Richtung Ausgang gehen. Vorbei am ausgeräumten Flughafen-Bistro, den verwaisten Auto-Vermieter Ständen. Was passiert mit den Hangars, den unzähligen Fluren, den angeblich 9000 Räumen und Hallen des Hauptgebäudes?

Fest steht, dass im denkmalgeschützten Hauptgebäude eine Dauerausstellung zur Geschichte des Orts einziehen wird. Und, dass ein Großteil der Fläche des Flugfeldes Grünfläche bleiben muss - denn das riesige Feld ist der Klimakühlschrank Berlins.

Ein internationales Luft- und Raumfahrtmuseum? Ein neuer großer, zentraler Zoo oder doch nur eine Wiese, auf der Büffel grasen? Die Ideenwettbewerbe laufen. Bis in Tempelhof etwas wirklich Neues entsteht, gibt es vorerst Führungen durch den nun historischen Zentralflughafen.

Ansage Flugkapitän Lars Jacobs: "In knapp zehn Minuten landen, regnet, windig, drei Grad. Tiefe Bewölkung.. Im Endanflug, Höhe 3000 Meter, im finalen Anflug. Landung Tempelhof rechter Seite."

Zur gleichen Zeit im Tower Berlin Tempelhof. Sieben Männer und eine Frau tragen Trauer. Schwarze T-Shirts mit der Aufschrift "Last Debriefing Airport Tempelhof - 30. Oktober 2008." Die Stimmung: gedrückt.

"Wir gehen heute Abend auf keine Feier", sagt einer der Männer barsch, und wirft einen abschätzigen Blick auf einen kleinen Fernsehbildschirm, auf dem die Live-Übertragung der Abschiedsgala für Tempelhof läuft. Nur einen Steinwurf von hier oben entfernt, vorne in der Abflughalle.

Dort wird gerade zum hundersten Mal ein alter Luftbrückenveteran interviewt, zum tausendsten Mal die Frage gestellt: Was empfinden Sie an einem Tag wie heute?

Alle gucken hin, bis auf Bruce und Carmen. Die starren beide auf einen großen schwarzen Radarschirm, auf dem sich vier, fünf leuchtende Punkte bewegen wie Glühwürmchen in Zeitlupe. Bruce Christie ist an diesem Abend zuständig für die Rollbewegungen im Flughafen, seine Kollegin Carmen für alles, was sich im Luftraum über Berlin befindet.

Neben dem Radar: ein Schirm für die Flugplandaten, einer für das Wetter, zwei Telefone, Mikrofone. Fünf Minuten vor der Landung meldet sich das Cockpit von Cirrus Flug Nummer 1568 aus Mannheim. Mit 45 Minuten Verspätung. Lotsin Carmen gibt Landeerlaubnis.

Ein Kollege bittet Carmen noch, dem Piloten zu sagen, dass, wenn er langsam rollt, er bis unters Flughafendach fahren kann. Das gibt die Lotsin nüchtern weiter. Alles hoch professionell - keine Zeit für Sentimentalitäten, nicht mal beim allerletzen Inlands-Linienflug, der in Tempelhof landet. Und auch nicht bei Bruce, der vor ein paar Stunden noch für ein Kamerateam posiert, einem Piloten zum Abschied von der Towerterasse winkt.

Bruce Christie: "Ganz normale Landung. Der meldet sich zehn Meilen Anflug auf dem Towerfrequenz und Carmen hat ihm die Landeerlaubnis gegeben und ist er gelandet auf die Instrument Landing System."

Aus, vorbei. Tempelhof ist abgehakt. Ein historischer Moment für die Passagiere, die sich langsam aus den Ledersessel heben. Wiedersehen in Tegel.

Der rote Schal von Beate Berg weht im Wind des Vorfeldes. Sie knipst Abschiedsfotos. Dort ein Rosinenbomber, da Fluggäste. Alles wird festgehalten, digitalisierte Erinnerungen.

"Mit Wehmut, mit Wehmut, bin ganz stolz, dass ich jetzt auf dem letzten Flug war, das werde ich mir immer behalten, da mache ich kleine Collage zu meinem Arbeitsleben."

Christoph Merz kommt aus seinem Transporter heraus, hilft seinen Kollegen beim Entladen der letzten Linienmaschine. Nicht viel. 12, 13 Koffer und Taschen. Keiner gerät ins Schwitzen.

"Da ist der Ausgang. Das Inlandsband ist schon abgestellt. Mal sehen, wo wir das Gepäck loswerden."

Merz, 13 Jahre "auf Tempelhof", wie er lakonisch sagt, steigt wieder in seinen Transporter. Seine letzte Fahrt: keine 20 Meter. Seine vorletzte Arbeit: Taschen und Koffer auf das Transportband wuchten. Und dann:

"Es wird noch mal eingeladen, dann ist Feierabend hier."

Beate Berg hat derweil ihren Speicher voll. Sie beobachtet die letzten Arbeiten, geht dann Richtung Ausgang, bleibt stehen, schaut zurück auf das Vorfeld, geht weiter, verschwindet in der quälenden Notalgie-Abschiedsparty. Tempelhof hätte Würdigeres verdient.

Nostalgie für 146 Euro - das werden die Männer in den senffarbenen Fliegeruniformen ab sofort auch ab Schönefeld verkaufen. Jetzt aber noch einmal vom Originalschauplatz aus. Mit Donuts und Muffins und einem Gläschen Sekt in der ehemaligen Offizierslounge, in der einen - natürlich - Glenn Miller in die Nachkriegszeit spült.

An den Wänden: großgezogene Schwarzweißaufnahmen von amerikanischen GIs. Die lümmelten vor 60 Jahren exakt hier rum, warteten auf ihren nächsten Einsatz als Pilot eines Rosinenbombers. Hinter Glas im Regal: alte Konservendosen mit Original Aufschrift: Roseland Coffee, Rockwood Breakfast Cacao, Braised Beef in Gravy. Dann der letzte Aufruf:

"Ok, für die DC 3 bitte hier zum Ausgang. Immer bei den blauen Linien bleiben und dann steigen wir ein …"

… in die knapp 20 Meter lange, 8 Tonnen schwere Douglas DC 3 Blechbüchse. Zur letzten Zeitreise vom Flughafen Tempelhof. Drinnen wartet eine Stewardess mit Rehaugen und Seifenstimme. Und wieder Glenn Miller. Gut 15 Minuten später. Landung dort, wo Berlins neuer Flughafen entsteht. In Schönefeld.

Ansage: "Meine Damen und Herren, wir hoffen, Sie hatten einen angenehmen Flug. Ding Dong. Hier endet unsere Rosinenbomber-Zeitreise. Willkommen zurück in der Gegenwart."