Google - der große Literatur-Räuber?
"Wohnt hier ein Buchautor? - Ab heute gehören deine Werke mir!" Dieses Gespenst geht um in Europa, nach übereinstimmender Meinung droht die kollektive Enteignung. Seit der Internetgigant Google begann, vergriffene, also im Handel nicht mehr erhältliche Bücher online zu stellen, schreit die geistige Welt Zeter und Mordio ... und beweist, dass sie vor lauter Selbstüberschätzung die Realität aus den Augen verloren hat.
Ein Buch, das niemand haben will – und das betrifft schon wenige Monate nach Erstveröffentlichung die Mehrheit aller Publikationen – ist ökonomisch wertlos. Auch die geistigen Eigentumsrechte verkümmern in diesem Fall zu symbolischem Kapital wie ein Lottoschein vor der Ziehung. Nur dass bei einem bereits erwiesenen Flop die Ziehung bereits stattgefunden hat und sagen wir ... zwei Richtige erbrachte. Da mag der Autor vor gekränkter Eitelkeit platzen, es bleibt die bittere Wahrheit: Kein Interesse – kein Markt – kein Geld – kein Wert. Wenn Google diese aus dem Wirtschaftskreislauf herausgefallenen Bücher zugänglich macht, findet also mitnichten eine "Enteignung" statt – die Metapher ist ohnehin schief, juristisch wäre es Diebstahl –, sondern ein Vorgang der Abfallbehandlung, Müllentsorgung, allenfalls des Recyclings.
Ja, das schmerzt! Aber wer seine Werke schon mal im Makulatur-Reißwolf hat verschwinden sehen, der weiß, dass öffentliche Präsenz die einzige Hoffnung auf ein Comeback oder eine Rehabilitation durch die Nachwelt bietet. Verlage gewähren Buchmarktversagern fast nie eine zweite Chance. Selbstverständlich kann ein Werk, das sich mangels Lesern als unwirtschaftlich erwiesen hat, für Einzelne ideell viel wert sein. Diese verstreuten Leser vermag das Verlagsgewerbe jedoch nicht zu bedienen. Der Staat springt mit großem Aufwand ein, indem er jedes Buch mindestens einmal in der Deutschen Bibliothek vorhält. Diese Vorratshaltung schafft aber kein Öffentlichkeit, allenfalls ein Backup. Für die riesige Masse der am Markt gescheiterten oder von ihm verbrauchten Autoren bleiben spontane Auffindbarkeit und Zugänglichkeit ihrer Werke das Hauptproblem. Erst spontane Auffindbarkeit und Zugänglichkeit geben dem wertlosen Buch wieder die Chance, in den ökonomischen Kreislauf zurückzukehren.
Google als Feind der Autoren? Momentan sieht es so aus, als schade der Konzern eher seinen Aktionären als den Urhebern. Er ist nämlich bereit, mit 60 bis 70 Dollar pro Buch eine kaum nachgefragte Ware teuer zu bezahlen, und wird von den Verwertungsgesellschaften weltweit vermutlich noch höher getrieben. Warum lässt er sich darauf ein? Weil Google anders funktioniert als ein Verlag. Der Konzern verkauft Aufmerksamkeit an Werbekunden, und um diese zu aggregieren, lohnt es sich, selbst weit verstreute Leser einzusammeln. Das glaubt zumindest das Google-Management und riskiert Überpreise, um das derzeitige Quasi-Monopol als Aufmerksamkeitsmagnet zu verteidigen. Sollte das schiefgehen, wird man rückblickend staunen: Was für ein mäzenatisches Projekt, damals 2009! Geht es hingegen gut, müssen sich die Digitalisierungsverweigerer von heute – Rückzug ist ja auch eine dargebotene Option – warm anziehen: Dann nämlich wird Google mit Sicherheit Listing-Gebühren erheben. Wenn erstmal alle ins elektronische Schaufenster wollen, zahlen die Nachzügler drauf; das liegt in der Logik des Geschäftsmodells.
Nein, ich stehe nicht im Solde dieser Firma. Aber offensichtlich kann ich mich vom Selbstbetrug meiner Zunft besser freimachen als andere: Ich sehe nämlich täglich, dass ich als Leser unermesslich mehr von Google profitiere, als mir der "Raub" von Google als Autor je schaden kann. Untergangspropheten ins Stammbuch geschrieben: Das Urheberrecht ist kein Naturrecht! Es entstand im 18. Jahrhundert als Reflex auf die medientechnische Entwicklung. Sein rechtsphilosophischer Eigenwert war stets gering; schon immer hinkte es dem Ingenieursgeist hinterher ... doch dieser Opportunismus, sich den technischen Möglichkeiten anzuschmiegen, hat den Urhebern noch nie geschadet.
Florian Felix Weyh, geboren 1963, lebt als Autor und Publizist in Berlin. Preise und Stipendien für Drama, Prosa und Essay; seit 1988 arbeitet er regelmäßig als Literaturkritiker für den Deutschlandfunk. Sein jüngstes Buch "Die letzte Wahl – Therapien für die leidende Demokratie" erschien im August 2007 in der Anderen Bibliothek. Verstreute Texte und weitere Informationen zur Person sind auf www.weyh.info zu finden.
Ja, das schmerzt! Aber wer seine Werke schon mal im Makulatur-Reißwolf hat verschwinden sehen, der weiß, dass öffentliche Präsenz die einzige Hoffnung auf ein Comeback oder eine Rehabilitation durch die Nachwelt bietet. Verlage gewähren Buchmarktversagern fast nie eine zweite Chance. Selbstverständlich kann ein Werk, das sich mangels Lesern als unwirtschaftlich erwiesen hat, für Einzelne ideell viel wert sein. Diese verstreuten Leser vermag das Verlagsgewerbe jedoch nicht zu bedienen. Der Staat springt mit großem Aufwand ein, indem er jedes Buch mindestens einmal in der Deutschen Bibliothek vorhält. Diese Vorratshaltung schafft aber kein Öffentlichkeit, allenfalls ein Backup. Für die riesige Masse der am Markt gescheiterten oder von ihm verbrauchten Autoren bleiben spontane Auffindbarkeit und Zugänglichkeit ihrer Werke das Hauptproblem. Erst spontane Auffindbarkeit und Zugänglichkeit geben dem wertlosen Buch wieder die Chance, in den ökonomischen Kreislauf zurückzukehren.
Google als Feind der Autoren? Momentan sieht es so aus, als schade der Konzern eher seinen Aktionären als den Urhebern. Er ist nämlich bereit, mit 60 bis 70 Dollar pro Buch eine kaum nachgefragte Ware teuer zu bezahlen, und wird von den Verwertungsgesellschaften weltweit vermutlich noch höher getrieben. Warum lässt er sich darauf ein? Weil Google anders funktioniert als ein Verlag. Der Konzern verkauft Aufmerksamkeit an Werbekunden, und um diese zu aggregieren, lohnt es sich, selbst weit verstreute Leser einzusammeln. Das glaubt zumindest das Google-Management und riskiert Überpreise, um das derzeitige Quasi-Monopol als Aufmerksamkeitsmagnet zu verteidigen. Sollte das schiefgehen, wird man rückblickend staunen: Was für ein mäzenatisches Projekt, damals 2009! Geht es hingegen gut, müssen sich die Digitalisierungsverweigerer von heute – Rückzug ist ja auch eine dargebotene Option – warm anziehen: Dann nämlich wird Google mit Sicherheit Listing-Gebühren erheben. Wenn erstmal alle ins elektronische Schaufenster wollen, zahlen die Nachzügler drauf; das liegt in der Logik des Geschäftsmodells.
Nein, ich stehe nicht im Solde dieser Firma. Aber offensichtlich kann ich mich vom Selbstbetrug meiner Zunft besser freimachen als andere: Ich sehe nämlich täglich, dass ich als Leser unermesslich mehr von Google profitiere, als mir der "Raub" von Google als Autor je schaden kann. Untergangspropheten ins Stammbuch geschrieben: Das Urheberrecht ist kein Naturrecht! Es entstand im 18. Jahrhundert als Reflex auf die medientechnische Entwicklung. Sein rechtsphilosophischer Eigenwert war stets gering; schon immer hinkte es dem Ingenieursgeist hinterher ... doch dieser Opportunismus, sich den technischen Möglichkeiten anzuschmiegen, hat den Urhebern noch nie geschadet.
Florian Felix Weyh, geboren 1963, lebt als Autor und Publizist in Berlin. Preise und Stipendien für Drama, Prosa und Essay; seit 1988 arbeitet er regelmäßig als Literaturkritiker für den Deutschlandfunk. Sein jüngstes Buch "Die letzte Wahl – Therapien für die leidende Demokratie" erschien im August 2007 in der Anderen Bibliothek. Verstreute Texte und weitere Informationen zur Person sind auf www.weyh.info zu finden.

Florian Felix Weyh, Schriftsteller und freier Journalist in Berlin© Katharina Meinel