Kritik an Googles Suche
Die Zahl der Google-Suchanfragen wächst konstant. Doch für jüngere Internetnutzer ist das World Wide Web, das Google so geprägt hat, nur noch einer von vielen Nebenschauplätzen. © Getty Images / iStockphoto / Md Moniruzzaman
Platzhirsch auf dem Nebenschauplatz
06:40 Minuten
Optimierte Listenplätze, Reklame, Kommerzialisierung: Der Suchmaschine Google schlägt Skepsis entgegen. Eine junge Generation sucht ohnehin häufiger auf Social Media. Gerät der Platzhirsch der Internetsuche ins Abseits?
Stirbt Google? Wer der Suchmaschine selbst diese Frage stellt, erhält eine Reihe von Links zur Auswahl. „Google Mitarbeiter tot im Büro aufgefunden“ heißt es da. Oder „So überragend reagiert Google, wenn ein Mitarbeiter stirbt“.
Auf der zweiten Seite der Ergebnisse dann findet sich die Prognose des Verlagserben Christian DuMont Schütte: Google wird in zehn Jahren tot sein, lautet sie, und stammt aus dem Jahr 2007. Die Prognose ist bekanntlich nicht eingetreten. Alleine im Jahr 2021 machte der inzwischen als Alphabet bekannte Mutterkonzern 76 Milliarden Dollar Gewinn.
Angeschlagenes Vertrauen
„Ich glaube, dass die Qualität der Google-Suche sich sehr deutlich verschlechtert hat, und den Menschen fällt das auf“, sagt allerdings der Web-Entwickler Dmitri Brereton. Und trifft damit offenbar einen Nerv. Sein Blogpost mit dem Titel „Google Search is Dying“ – die Google Suche stirbt – erhielt im Programmierer-Forum Hackernews und bei Reddit Tausende Kommentare. Die meisten davon waren zustimmend.
Im Kern kritisiert der 26-Jährige, der in San Francisco lebt, dass viele Suchergebnisse nicht vertrauenswürdig seien: „Was ist ein gutes Land für den Sommerurlaub? Oder: Wo können digitale Nomaden gut leben? Wenn ich das bei Google suche, bekomme ich irgendwelche Blogs, denen ich nicht vertraue, irgendwelche Seiten, die mir etwas verkaufen wollen. Also geht man lieber zu Reddit, zu Quora, in irgendein Forum, wo ein echter Mensch über seine echten Erfahrungen spricht.“
Anstieg der Zugriffe
Die wenigen öffentlich verfügbaren Zahlen sprächen eine andere Sprache, sagt Dirk Lewandowski. Er ist Professor für Information Research & Information Retrieval an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Die tägliche Zahl Masse an Google-Suchanfragen nehme weiter konstant zu. Welche Antworten die Suchmaschine gebe, habe sich allerdings tatsächlich verändert: Für Suchen nach Zahlen und Fakten müssen die Nutzer Google gar nicht mehr verlassen. Fragen beantwortet Google oft direkt mit Zitaten von anderen Webseiten. Und, so Lewandowski:
„Das Ganze ist dann noch schön dekoriert mit sehr viel Werbung. Und ich glaube, in diesem Zusammenspiel kann man davon sprechen, dass Suchergebnis-Seiten bei den Nutzern für große Verwirrung sorgen. Weil man letztlich auch nicht mehr auseinanderhalten kann, was da bezahlt ist, was nicht bezahlt ist – und auch bei den nicht bezahlten Ergebnissen, was zum Beispiel durch Suchmaschinenoptimierung beeinflusst ist und deshalb dort steht, und nicht unbedingt weil es das beste oder das relevanteste Ergebnis ist.“
Wettbewerb um Listenplätze
Suchmaschinenoptimierung meint das Produzieren und Optimieren von Inhalten, damit sie bei den Google-Ergebnissen möglichst weit oben erscheinen. Eine Praxis, um die sich seit mehr als anderthalb Jahrzehnten eine ganze Profession kümmert. Und die nichts an Relevanz verloren hat: Denn wenn Google eine Webseite nicht auf seiner ersten Seite anzeigt, existiert sie quasi nicht. Dieser Konkurrenzkampf sorgt für einen Verdrängungswettbewerb.
Der schwedische Programmierer Viktor Lofgren beschreibt die Entwicklung so:
„Das Internet hat sich verändert. Ich habe am Anfang nicht kapiert, was passiert ist. Alles schien plötzlich so durchkommerzialisiert wie ein Einkaufszentrum oder Disneyland. Die Optimierung ist so effektiv, dass es die Webseiten verdrängt, die diese Sachen nicht machen. Außer, wenn man sehr spezielle Suchanfragen eingibt.“
Eine Google-Trefferliste, die weitestgehend auf Inhalte verlinkt, die für spezielle Suchanfragen erstellt wurden – damit gehe etwas verloren, sagen die Google-Kritiker.
Lofgren hat deshalb eine eigene Nischen-Suchmaschine programmiert, die Marginalia heißt. Die Webseiten, die sie findet, hat Lofgren selbst ausgewählt – sie sind klein, nicht-kommerziell und textlastig. Eine Art Katalog für Menschen auf der Suche nach der verlorenen Authentizität, wie sie im Rückblick das Web der Neunziger und frühen Nullerjahre zu verkörpern scheint.
Popanz Authentizität
Authentizität, dieser Begriff werde in der Diskussion über die Google-Suche allerdings überstrapaziert, merkte Google-Vertreter Danny Sullivan vor einiger Zeit bei einer Online-Diskussion der Universität Stanford an.
„Jemand hat sich bei Reddit beschwert, dass ihnen Produkttests vom Online-Magazin 'The Verge' angezeigt werden. Das sei nicht authentisch", so Sullivan. "Da frage ich mich, ob diese Person dem Inhalt die Authentizität abspricht, weil er von einer bekannten Marke kommt und dieser Mensch einfach nur das für authentisch hält, was in einem Internet-Forum ohne Werbung erscheint.“
Google betont, dass es letztlich nicht um solche Kategorien gehe, sondern um die besten Suchergebnisse. Die Firma verweist auf 800.000 Qualitätstests und 5.000 Anpassungen der Google-Suche pro Jahr. Allerdings räumte jüngst Google-Manager Prabhakar Raghavan auf einer Digitalkonferenz des Magazins Fortune ein: Das Suchverhalten verändere sich tatsächlich.
„In unseren Untersuchungen sagen uns ungefähr 40 Prozent der jungen Menschen: Wenn wir nach einem Ort für ein Mittagessen suchen, benutzen wir nicht Google Maps oder die Suche, sondern gucken bei TikTok oder Instagram", berichtete Raghavan. "Neue Internet-Nutzer haben weder die Erwartungen, noch die Denkart, an die wir uns gewöhnt haben.“
Präsenz in der Smartphone-Welt
Google muss sich also weniger um Authentizitäts-Nostalgiker Sorgen machen, als um die jungen Nutzer. Für die ist das World Wide Web, das Google so geprägt hat, nur noch einer von vielen Nebenschauplätzen. Der Konzern nimmt viel Geld in die Hand, um in der Smartphone-Welt präsent zu sein. Mit Android hat man ein eigenes Betriebssystem etabliert, und Apple bekommt bis zu 20 Milliarden US-Dollar jährlich, damit auf dem iPhone Nutzer über Google suchen.
Trotz veränderter Gewohnheiten: Für eine Grabrede gebe es noch keinen Grund, sagt der Hamburger Informations-Forscher Dirk Lewandowski:
„Natürlich spielen Social-Media-Plattformen eine Rolle, das ist überhaupt keine Frage. Und sicher sind Sie auch für manche Dinge besser geeignet. Ich denke, wenn es um persönliche Empfehlungen geht, da ist das ja der Fall. Es ist allerdings nicht so, dass jetzt Google gerade Nutzer verliert oder ein Suchanfragen leidet. Ganz im Gegenteil. Die Menge der Suchanfragen steigt seit Beginn der Suche oder seit Beginn der Suchmaschinen kontinuierlich. Da ist kein Ende in Sicht.“