Google und Co.

Wenn Staaten ihre Macht an Konzerne outsourcen

Sie sehen eine Radfahrerin und den Schriftzug Google auf einem Straßenschild.
Einen Google-Campus gibt es schon. Warum nicht bald gleich einen "Freistaat Google"? - fragt unser Autor. © AFP / Jana Asenbrennerova
Von Martin Burckhardt · 06.03.2017
Die Digitalkonzerne, die unsere Daten sammeln, haben einer derart große Machtfülle gewonnen, dass diese den Nationalstaaten gefährlich werden könnte, warnt der Kulturtheoretiker Martin Burckhardt. Er fürchtet ein "neoliberales Digitopia", das sich über Gesetze und Steuerpflichten hinwegsetzt.
Etwas ist faul im Staate Dänemark. Oder warum sonst sollte Dänemark einen digitalen Botschafter ins Silicon Valley entsenden? Nun gibt es durchaus Argumente dafür, dass man Gebilden wie Google, Apple oder Facebook die Ehre erweist. Nicht bloß, dass diese Konzerne Börsenwerte aufweisen, die größer sind als das Bruttosozialprodukt mancher Nationalökonomie. Darüber hinaus erweisen sich diese Plattformen im Bereich der politischen Kommunikation, aber auch im Falle der asymmetrischen Kriegsführung, als unverzichtbare Ökosysteme.

Kein Bewusstsein politischer Macht

Tatsächlich aber ist das Outsourcing von Staatlichkeit die wahre Denkwürdigkeit. Denn als im Jahre 1810 das Königlich Preußische Statistische Bureau ins Leben gerufen wurde, war klar, dass Staat dort gemacht wird, wo die Statistiken anfallen. Heutzutage jedoch wissen wir: Statistiken fallen nicht beim BAMF oder beim LKA Brandenburg an, sondern in der Hauptsache bei Google oder bei Facebook. Nichtstaatliche Organisationen haben sich also der ursprünglichen Staatswissenschaft des 18. Jahrhunderts bemächtigt.
Warum gibt es dann eigentlich noch keinen Freistaat Google? Die Antwort liegt darin, dass die Schöpfer dieser Plattformen nicht zum Bewusstsein ihrer politischen Macht gelangt sind, sondern in ihrer Technikverliebtheit vollauf beschäftigt waren und sind, die Welt mit einer neuen Kartographie, selbstfahrenden Autos und intelligenten Haushaltsrobotern zu beglücken.
In ihrem ursprünglichen Konzept kommen nur gute Menschen vor. Von Brecht allerdings wissen wir, dass die Hoffnung auf sie eitel Sonnenschein ist: "Der Mensch ist gar nicht gut / drum hau ihm auf den Hut! / Und hast du ihm auf den Hut gehaut / so wird er vielleicht gut."

Die Dänen wähnen - und irren

Dass ein Konflikt noch nicht in die Bewusstseinshelle gedrungen ist, besagt aber keineswegs, dass er nicht existiert. Anders als unsere Dänen wähnen, wenn sie einen Quasi-Botschafter nach Kalifornien schicken, hat man es bei den Digitalkonzernen nicht mit Ebenbürtigen, sondern mit einer Übermacht zu tun, die nur zum Garaus unserer alten Staatlichkeit beitragen kann.
Denn während in der digitalen Welt alles im Überfluss existiert, darben unsere Nationalstaaten auf dem Stern der Knappheit dahin: Sie sind landgängerische, strukturell rückständige Wesenheiten, die sich mit Staatsschulden, Schlaglöchern und den Fußkranken der Globalisierung herumplagen müssen.
Schon von daher sind sie, mit historischer Notwendigkeit sozusagen, der Fäulnis, dem Untergang und postdemokratischen Turbulenzen geweiht. Wie sonst konnte es den Raubrittern der Finanzmärkte gelingen, das entstandene Ungleichgewicht zu ihren Gunsten auszubeuten?
Damit freilich ist der Traum einer besseren Welt einem antistaatlichen Furor gewichen. Jedermann scheint inzwischen bestrebt, die Überreste von der Weltbühne zu fegen. Schon von Jahren hat Peter Thiel, der Entrepreneur und – ausgerechnet! – Digitalberater von Donald Trump, das Seasteading Institute ins Leben gerufen. Eine Initiative, bei der er darum geht, eine schwimmende Insel mit eigener Jurisdiktion zu etablieren.

Ein Staat, der keine andere Grenze kennt als den Himmel

Natürlich wissen wir, worauf das hinausläuft: Hier soll ein neoliberales Digitopia ohne staatliche Gängelung, Steuerpflicht, Militärhaushalt und natürlich ohne lästige Sozialfälle entstehen. Ein Staat, der keine andere Grenze kennt als den Himmel.
Sagt man nicht, dass des Menschen Wille sein Himmelreich ist.
Die Frage ist bloß: Was passiert, wenn dieser Wille seinen begehrlichen Blick nicht auf ein fernes Eiland, sondern auf eine der denkwürdigsten Institutionen der westlichen Welt wirft? Und was, wenn hier nicht mehr der weltbejahende Blick des Künstlers oder Visionärs, sondern der Größenwahn eines simplen Users regiert?
Peter Thiels Freistaatsphantasien sind das eine, Trumps Zwingstaatsgedanken das andere. Nichts Schrecklicheres, so hat Joseph de Maistre einmal gesagt, als ein Kind, das mit übermenschlichen Kräften begabt ist.

Martin Burckhardt, geboren 1957, Autor und Kulturtheoretiker, lebt in Berlin.

Er verfasste diverse Bücher zur Genealogie der Maschine. Zuletzt erschienen: "Digitale Renaissance. Manifest für eine neue Welt" (Metrolit, 2014), der Roman "Score" (Knaus, 2015) sowie "Alles und Nichts. Ein Pandämonium digitaler Weltvernichtung" (gem. mit Dirk Höfer, Matthes & Seitz 2015).

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