Googles "Project Tango"

Handys, die ihre Umgebung spüren

Mann im Anzug hat ein Smartphone in der Hand
Smartphones sollen bald noch mehr können - mit der Project-Tango-Technologie von Google. Solche Geräte wissen, wo sie sind, weil sie wissen, wie sie bewegt wurden. © picture alliance / dpa
Von Thomas Reintjes |
Googles "Project Tango" ist eine Technologie, mit der Smartphones ihre Umgebung dreidimensional wahrnehmen und darstellen können. Damit sollen neue Anwendungen für Blinde und Computerspiele möglich werden. Es könnte allerdings Probleme mit der Privatsphäre geben.
Sie kennen doch sicher den blauen Punkt. Der blaue Punkt in der Mitte Ihres Smartphone-Bildschirms, der sagt: Sie sind hier. Dieser blaue Punkt soll besser werden. Er soll nicht nur sagen: Sie sind hier, an der Ackerstraße in Wesel, vermutlich linke Straßenseite. In Zukunft soll der blaue Punkt sagen: Sie sind im Wohnhaus Ackerstraße 52, dritter Stock. Auf der Couch. Oder im Supermarkt, die Straße runter, vor dem Tütensuppen-Regal. Der blaue Punkt soll Ihnen genau sagen, wo Sie sind und Sie genau da hinbringen, wo Sie hin wollen. Die Technik rückt mal wieder ein Stück näher an uns heran.
"Project Tango stellt Entwicklern und Nutzern viel genauere Positionsangaben zur Verfügung, selbst in Innenräumen und ohne Internetverbindung. Was man damit anstellen kann, ist von gewaltigem Ausmaß."
Das ist Chuck Knowledge. Den Namen hat er aus seiner früheren Karriere in der Musikindustrie geerbt, aber das ist eine andere Geschichte. Jetzt arbeitet er bei einem Incubator für Technik-Startups – vor allem solche, die mit Googles Project Tango arbeiten. Die Hardware besteht aus einer Reihe von Sensoren. Sie erfassen Rotationen des Geräts selbst, wie es heute schon die meisten Smartphones machen. Sie erfassen aber auch die Umgebung, machen sie ein dreidimensionales Bild von ihr. So können sie jederzeit abschätzen, an welchem Punkt im Raum sich das Gerät befindet.
"Es bildet nach, wie Menschen sich durch die Welt bewegen und sie wahrnehmen. Es kombiniert Bewegungs- und Tiefenwahrnehmung. Smartphones können heute erkennen, wenn sie geschwenkt werden. Aber sie wissen nicht, wo sie genau sind. Project Tango bringt das in Smartphones, was in der Wissenschaft SLAM genannt wird: Simultane Lokalisierung und Kartierung. In dem es sich umsieht und weil es weiß, wie es bewegt wurde, weiß es, wo es ist. So wie wir die Bewegungswahrnehmung aus dem Innenohr kombinieren mit dem, was wir sehen und so die dreidimensionale Welt erfassen."

Lichtwellen werden in Geräusche und taktiles Feedback übersetzt

Außerdem erkennt das Smartphone Orte wieder, an denen es schon mal war. Diese Information kann natürlich aus der Cloud kommen: Wenn ein Smartphone die Regale im Supermarkt an der Ackerstraße in Wesel abgescannt hat, kann es die Information mit anderen Smartphones teilen. Die können ihre User dann direkt zu den Tütensuppen leiten oder zum Lieblingsjoghurt. Chuck Knowledge will noch nicht verraten, an welchen Anwendungen er genau arbeitet. Außer, dass er mit einem Kollegen an einem Projekt für Blinde werkelt.
"Das Tango wirft LIDAR aus, das sind Lichtwellen. Wir übersetzen das in Sound und taktiles Feedback. So dass ein blinder Mensch die Gegenstände und den Raum um sie herum fühlen kann."
Das ist Kris Kitchen. Er nennt sich so, weil Leute seinen richtigen Namen eh immer falsch aussprechen. Aber das ist eine andere Geschichte. Ernsthafte Versuche mit Blinden hat er noch nicht gemacht, aber schon großes Interesse geerntet. Mit seiner Entwicklung sollen Sehbehinderte durch Vibrationen am Rücken spüren, wenn sie sich Gegenständen nähern. Er selbst freut sich aber auch auf andere Anwendungen.
"Es verändert Computerspiele komplett. Sie könnten Ihr Wohnzimmer in ein Call-of-Duty-Schlachtfeld verwandeln. Ihre Couch könnte mit einem Überlagerung versehen werden, die sie in einen kaputten Panzer verwandelt, hinter dem Sie Deckung suchen. Wenn auf Sie geschossen wird, würden die Kugeln Sie nicht treffen, weil die Physik-Engine des Spiels aus ihrer Couch eine harte Oberfläche gemacht hat."

Google könnte aus Daten Profit schlagen

Manche Anwendungen sind schon Realität. So hat die Nasa schon Roboter mit der Tango-Technik ausgestattet. Sie konnten sich damit in der Internationalen Raumstation orientieren und selbstständig darin umherfliegen. In Zukunft könnten sie den Astronauten so vielleicht einige einfache Tätigkeiten abnehmen. Doch auch diese Technik kommt nicht ohne Tücken. Wenn der blaue Punkt uns überall hin folgt, und zwar auf Zentimeter genau, dann kann das ein Privatsphäre-Problem bedeuten. Chuck Knowledge sagt zwar, dass die Geräte nicht permanent alles abscannen werden. Dass die Daten auch nicht automatisch in die Cloud wandern. Dass die Berechnungen zur Ortsbestimmung alle auf dem Gerät selbst durchgeführt werden. Aber:
"Man sollte nicht vergessen, dass Project Tango ein Google-Projekt ist. Und Googles Geschäft ist, Profile seiner Nutzer zu erstellen um Werbefirmen ein attraktiveres Angebot machen zu können. Es gibt sicher schlauere Leute als ich, die sich vorstellen können, wofür Metadaten darüber genutzt werden können, wie viele Minuten Sie pro Tag in welchem Raum Ihres Hauses verbringen."