Goran Vojnović: "Tschefuren raus! oder Warum ich wieder mal zu Fuß bis in den zehnten Stock musste"
Aus dem Slowenischen übersetzt von Klaus Detlef Olof
Folio Verlag, Wien/Bozen 2021
272 Seiten, 22 Euro
An den Rand gedrängt in Slowenien
05:50 Minuten
Zwischen Basketball und Ausgrenzung versucht Marko Đorđić, seinen Platz zu finden. Doch seine Familie ist aus Bosnien und so gerät er in Slowenien ins Straucheln. Warum es so kommen musste, erzählt Goran Vojnović in "Tschefuren raus!".
Marko Đorđić ist Čefur und das ist ein Problem. Denn er lebt in Ljubljana und dort sind die Tschefuren, also alle nicht aus Slowenien stammenden Jugoslawen, nicht wohl gelitten. Die ehemaligen Brüder sind in den Augen vieler Einheimischer eben "Kanaken" – ungehobelt, ohne Kultur und bestenfalls für schwere Arbeiten zu gebrauchen. "Čefurji raus!", heißt es auf einem Graffito.
Der 17-jährige Marko und seine Freunde Dejan, Adi und Aco, mit denen er die Zeit totschlägt, wissen das. Sie erleben es jeden Tag, sodass sie selbst diese Außenseiteridentität annehmen. Schwerfällt das nicht, denn im Neubauviertel Fužine, wo Marko mit Mutter Ranka und Vater Radovan lebt, sind fast alle aus dem Süden. Von dort haben sie ihre eigene Art zu leben, ihre Sprache und – inzwischen zerbrochene – Hoffnung mitgebracht, als sie zu Zeiten des Vielvölkerstaats, der Arbeit wegen, in den reichen Norden zogen.
Rache am Busfahrer
Marko soll es besser haben als seine Eltern, die in der postsozialistischen Transition verhärteten, ohne Liebe und Aufmerksamkeit für ihren Sohn: Er soll Sportler werden, Basketball spielen – und zwar erfolgreich. So hat es Radovan entschieden, der es selbst nicht zum Profi schaffte, weil ihn sein Vater nach Slowenien schickte. Marko fügt sich, hat Spaß, dank seines Könnens gewinnt das Team sogar die Meisterschaft.
Doch dann geht es bergab: Das Training wird geschmissen, anschließend im Vollrausch Bus gefahren, der Fahrer ruft die Polizei, von der die Teenager misshandelt werden und am eigenen Leib erfahren, welcher Platz für sie als Tschefuren vorgesehen ist. Kein Bock mehr auf nichts, die Schule wird geschwänzt, eine Dummheit folgt der nächsten.
Als sich Aco an dem Busfahrer rächt und ihn nur deshalb nicht zu Tode prügelt, weil Marko dazwischen geht, schickt Radovan seinen Sohn schließlich dorthin, von wo er selbst einst kam: ins bosnische Visoko. So schließt sich der Kreis, Familie bedeutet, das Leid der Vorfahren als eigenes Drama zu durchleben.
Tschefuren sitzen in der Schule hinten
In der Geschichte von Marko entfaltet Goran Vojnović in seinem bereits 2008 auf Slowenisch erschienenen ersten Roman "Tschefuren raus!" die fragile Suche nach Identität, die eng verbunden ist mit der Frage, was eigentlich Heimat ist. Denn Bosnien, das vom Krieg zerstörte Land der kindlichen Urlaubserinnerungen, ist es ebenso wenig wie Slowenien, das billige Arbeiter braucht, aber die Menschen an den Rand drängt. Es bleiben gebrochene Gestalten, die in Fužine auf engsten Raum zusammenleben – unzufrieden, nervös und immer kurz vor der nächsten Katastrophe.
Dass die Tschefuren nicht wirklich dazugehören, geht bereits in der Schule los, wo die slowenischen Kinder von ihren Eltern in die ersten Reihen, nah der Lehrerin, gesetzt werden, während die Schüler, deren Nachnamen auf -ić enden, auf den hinteren Bänken ihren Platz finden.
Vojnović beschreibt diese früh anerzogene Distanz, die von da an das Leben bestimmt und die in den Blicken der Slowenen aufblitzt, die Marko und seine Freunde ansehen, als seien sie Verbrecher.
Derbe Sprache der Jugend
"Tschefuren raus!" war in Slowenien ein Skandal: Der Polizeipräsident des Landes sah darin seine Institution beleidigt, zu offen wurden Missstände angesprochen. 2013 folgt die Verfilmung, in neun Sprachen wurde der Roman bislang übersetzt. Klaus Detlef Olof hat souverän die teils derbe Sprache der Fužiner Jugend nun auch ins Deutsche übertragen.
Die Kraftausdrücke, die sich die vier Kumpels um die Ohren hauen, spiegeln die raue Erfahrungswelt der Ausgegrenzten wider. Dies wirkt authentisch, ebenso stark sind die Momente, in denen Icherzähler Marko in einer Art Selbstreflexion mit sich und seiner Situation hadert, eigene Fehler aufspürt – aber nur wenige eingesteht – und sich fragt, warum es so und nicht anders kam. Dabei ist er mit seiner eigenen Gefühlswelt konfrontiert, die im Alltag kein Platz hat, wo es gilt, sich hart zu geben.
So empfindet Marko nach einem Streit mit seiner Mutter plötzlich Reue. Doch nicht gegenüber Ranka, sondern gegenüber einer "alten Tschefurin", an die er sich auf einem Klettergerüst sitzend und eine Zigarette rauchend erinnert. Sie bettelte ihn einst im Fahrstuhl an, er solle ihr doch wegen der Kälte sein Käppi geben. Rückblickend empfindet er Mitleid mit der Frau, auf deren Kosten er später Witze machte.
Die Vermessung Jugoslawiens
Vojnović, der auch als Regisseur und Kolumnist tätig ist, gehört zu den wichtigsten Gegenwartsautoren seines Landes. Seine Werke, in denen er den Raum Jugoslawien mit der Sprache erkundet, sind preisgekrönt. Dabei spart er auch heikle Themen nicht aus: Krieg, Nationalismus, der Chauvinismus jeder Seite, gesellschaftliche und kulturelle Zwänge, die die Individuen zwischen den eigenen Wünschen und überkommenen Traditionen zerreiben.
Der verwirrte Marko steht in "Tschefuren raus!" für eine ganze Generation, deren Energie und Kraft ins Leere läuft. Resignation macht sich breit. Es ist kein klassischer Entwicklungsroman, sondern eine teils hektisch, teils nachdenklich erzählte Sozialstudie, die mit Klischees spielt, ohne aufgesetzt zu sein. Nun ist in Slowenien die Fortsetzung erschienen. Es ist zu hoffen, dass "Đorđić kehrt zurück" bald auch auf Deutsch erscheint.