Gegen-Gesellschaft auf Zeit
Der zweite Herbstsalon am Berliner Maxim Gorki Theater präsentiert zwei Wochen lang Ausstellungen, Performances, Diskussionen und Theater zum Thema Flüchtlinge. Eine Klare Parteinahme für die, deren Bilder und Geschichten in der Diskussion kaum vorkommen.
Die schönste Arbeit der ganzen Ausstellung hängt im Theater-Foyer. Auf tiefblauem Grund hat Alfredo Jaar geschwungene Pfeile aus Neonröhren montiert. Was wie eine abstrakte Wand-Deko aussieht, entpuppt sich als Darstellung der Fluchtwege von Flüchtlingen nach Europa. Ungefähr da, wo die meisten Pfeile enden, da muss ungefähr das Berliner Maxim Gorki Theater liegen. Zehn Tage lang dreht sich hier und im Palais am Festungsgraben nebenan alles um diejenigen Menschen, die diesen Pfeilen folgen. Es geht um unseren Blick auf die Anderen, um den Blick der Anderen auf uns, die mit Pass und Bleiberecht. Es geht um
"the representations of things which are absent or don't exist but they should exist."
Die Darstellung von Abwesenden. Darum geht es für Ezan Farjadnia von der Künstlergruppe "Anonymous Stateless Immigrants" hat in Venedig die Biennale-Besucher mit Hinweisschildern zu einem nicht existierenden "Pavillion des anonymen staatenlosen Immigranten" genarrt. Jetzt präsentiert er mit Overhead-Projektionen Entwürfe für ein Flüchtlingsmahnmal.
Und was ist mit den Überlebenden der lebensgefährlichen Fluchtrouten? Zu den berührendsten Exponaten des Herbstsalons zählen ein paar Aktendeckel, zwischen denen die Künstlerin Marina Naprushkina Gerichtsakten von Asylverfahren gesammelt hat. Protokolle der Hilflosigkeit, die in Unmenschlichkeit umschlagen, wenn ein Richter etwa den Antrag eines Jesiden aus dem Irak nach fünf Seiten ablehnt.
Gruß in einer Fantasiesprache
Unseren Blick auf die Anderen zwischen Willkommenskultur-Gefasel und handfestem Anpassungsdruck inszeniert die Performance-Gruppe "talking straight" als Rollenspiel. Erst lassen die Performer die Mitspieler vor dem Theater zum Wettlauf um den begehrten deutschen Pass antreten, dann üben sie mit allen einen Willkommensgruß in ihrer Fantasiesprache ein.
Verdutzt schauen die Passanten. Touristen schießen Fotos. Hinterher im "Velkommen-Seminar" erleben die Teilnehmer die Kehrseite des angeblich so weltoffenen "Allmarn" und wer das Kauderwelsch der Performer nicht gleich versteht, dem wird im Kasernenton beigebracht, dass Abschottung dringend nötig ist, und für Außenseiter hier kein Platz ist.
"Hauptsache wir leben und viel mehr ist es auch nicht als Leben nach Verlassen der Heimat."
Aber was bedeutet es, als Flüchtling in so einem Land zu leben?
Die Antwort darauf geben Schauspieler im leer geräumten Zuschauerraum des Theaters. Während des Herbstsalons spielen sie jeden Abend Elfriede Jelineks Bearbeitung des Aischylos Dramas: Die "Schutzflehenden". Sebastian Nübling hat das Stück in Deutsch und den Muttersprachen seiner Darsteller inszeniert und es "In unserem Namen" genannt. Nicolas Staemann hatte das Stück im letzten Jahr mit Flüchtlingen und Schauspielern auf die Bühne gebracht.
Hier sind es die Ensemble-Mitglieder des Maxim Gorki Theaters, mit – wie es so schön heißt – ihrem Migrationshintergrund, die den Text zur Anklage werden lassen, die alle im Saal trifft, zumindest diejenigen mit deutschem Pass. Die – die Vertreter der Mehrheitsgesellschaft, auch die lässt Nübling zur Wort kommen, mit Zitaten aus Bundestagsprotokollen und mit der großartigen Orit Nahmias als Vertreterin der "Das Boot ist voll"- Fraktion, so böse zynisch, dass das Lachen im Halse stecken bleibt.
Noch vor dem Stück hatte die israelische Schauspielerin das Premierenpublikum vor dem "depressiven Stück" gewarnt und verschiedene Reaktionen empfohlen: "Leugnen, verdrängen, vergessen, rationalisieren." Aber keine der Strategien funktioniert für die Besucher, wenigstens an diesem Abend im Maxim Gorki Theater nicht, und vielleicht auch für die Zeit danach.
Informationen des Maxim Gorki Theaters zum "Herbstsalon"