"Gorleben ist nicht vom Tisch"

Klaus-Jürgen Röhlig im Gespräch mit Nana Brink · 06.04.2013
Grundsätzliche Fragen, die eigentlich längst beantwortet waren, werden neu gestellt werden, wenn die Suche nach einem Endlager neu aufgerollt wird, erwartet Klaus-Jürgen Röhlig, Professor für Endlagerforschung. Darunter die Frage, was eigentlich als sicher gilt - und auch die Entscheidung gegen Gorleben wird überprüft werden.
Nana Brink: Es scheint, als wird die Suche nach einem Endlager für unseren Atommüll gerade wieder neu eröffnet. Wir erinnern uns: Drei Jahrzehnte lang war ja der Salzstock in Gorleben in Niedersachsen die angeblich einzige Möglichkeit, um radioaktiven Müll loszuwerden. Nächsten Dienstag nun trifft sich Umweltminister Altmaier mit den Ländern, und dabei geht es um einen Entwurf für ein Standortsuchgesetz – ein schönes neues deutsches Wort –, das noch vor der Sommerpause verabschiedet werden soll. Am Telefon ist jetzt Professor Klaus-Jürgen Röhlig vom Institut für Endlagerforschung an der Technischen Universität Clausthal. Schönen guten Morgen, Herr Röhlig!

Klaus-Jürgen Röhlig: Guten Morgen, Frau Brink!

Brink: Ist die deutsche Endlagersuche wieder zurück auf Anfang, fangen wir bei null an?

Röhlig: Fast bei null. Forschungsmäßig natürlich nicht, es sind viele Forschungsarbeiten durchgeführt worden in den letzten Jahren, aber was das Verfahren zur Findung eines Standorts – Sie haben das Wort Standortsuchgesetz gebraucht und das ist ja auch der offizielle Terminus – betrifft, sind wir auf alle Fälle wieder auf Anfang. Wir müssen uns noch einmal einige Grundsatzfragen stellen. Zum Beispiel haben wir in der Vergangenheit immer gesagt – das war auch guter wissenschaftlicher Konsens –, wir wollen die Abfälle in tiefe geologische Formationen verbringen, wir wollen sie dort sicher einschließen, sicher vor den Menschen, und die Menschen vor ihnen schützen, vor allen Dingen auf der Basis des Wirkens geologischer Barrieren, weniger technischer Barrieren – das war guter Konsens in der Community. Im Moment habe ich das Gefühl, dass auch derartige Grundsatzfragen noch mal neu gestellt werden.

Brink: Sie beschäftigen sich ja schon seit ein paar Jahren mit der Endlagerforschung, der Lehrstuhl an der TU Clausthal wird ja von der Atomindustrie finanziert, die ja auch ein Interesse an einem Endlager hat, wie wir natürlich auch alle. Was ist denn Ihrer Meinung nach die Kernfrage?

Röhlig: Ich glaube, die Kernfrage, die in den nächsten Jahren zu diskutieren ist, ist tatsächlich die Frage, die ich schon gerade angesprochen habe: Wollen wir sicheren Einschluss durch die Geologie oder wollen wir mehr Wert legen zum Beispiel auf eine Rückholbarkeit der Abfälle, also länger Zugriff haben zu den Abfällen – das ist dann ein konkurrierender Wunsch. Dann muss man sich überlegen, was wichtiger ist. Man muss begründen, warum man zum Beispiel eine Rückholbarkeit haben will und wie viel die einem wert ist im Vergleich zu diesem konkurrierenden und eigentlich in meinen Augen wichtigerem Prinzip der Sicherheit, des Abschlusses.

Brink: Können Sie diese Rückholbarkeit noch mal erklären, aus technischer Sicht? Was ist das genau?

Röhlig: Ja, es gibt verschiedene Varianten. Das ist auch ein Missverständnis eigentlich, dass immer geglaubt wird, man macht im Endlager eine Tür auf, stellt den Abfall rein, macht sie zu, und wenn man sie wieder aufmacht …

Brink: Schön wär’s, nicht?

Röhlig: … dann hat man den Abfall wieder. Nein, so funktioniert’s leider nicht. Man kann natürlich ein Endlager über eine gewisse Zeit offenhalten, das ist dann schon wieder unterschiedlich in verschiedenen Wirtsgesteinen, die verhalten sich da verschieden, also insofern hat das dann auch eine Auswirkung auf eine Standortauswahl vielleicht. Man kann also ein Endlager eine gewisse Zeit offenhalten, aber dann ist es eben nicht dicht, ist nicht verschlossen, und die Sicherheit ist eigentlich dann abhängig davon, dass man vernünftig drauf aufpasst, und nicht von dem Wirken geologischer Barrieren. Oder aber, Sie haben ein verschlossenes Endlager vorliegen, dann müssen Sie wieder anfangen, zum Beispiel einen neuen Schacht aufzufahren, neue Strecken aufzufahren oder die alten verschlossenen Strecken wieder aufzufahren, also im Prinzip Bergwerkstätigkeit zu unternehmen. Sie sehen, das sind schon zwei Extreme, Rückholbarkeit ist nicht gleich Rückholbarkeit, sondern es gibt verschiedene Grade der Rückholbarkeit. Und das ändert sich natürlich auch über die Zeit. Also wenn wir von Rückholbarkeit sprechen, dann denken wir meistens an Dekaden, vielleicht 100 Jahre, solche Zeiträume. Das sind natürlich nicht die Zeiträume, über die so ein Endlager sicher sein muss, das sind viel längere Zeiträume.

Brink: Aber ist nicht die Frage nach der Rückholbarkeit eigentlich auch müßig, weil sich Deutschland ja für den Atomausstieg entschieden hat?

Röhlig: Ich sehe das weitgehend so. Also Sie sprechen jetzt insbesondere die Möglichkeit an, die verbrauchten Kernbrennstoffe doch noch mal einem technologischen Prozess …

Brink: Ja, richtig, genau.

Röhlig: … zu unterziehen. Das geht natürlich tatsächlich nur mit ein paar kerntechnischen Anlagen, wie Deutschland sie eigentlich nicht haben will, das ist klar, Sie haben vollkommen recht. Aber man kann natürlich Rückholbarkeit auch aus anderen Gründen fordern, zum Beispiel im Sinne einer Fehlerkorrektur, wenn irgendwas schiefgeht. Auch das wäre eine Motivation. Was Sie sagen, zeigt aber auch, dass zunächst erst mal sich Klarheit darüber verschafft werden muss, warum man so etwas überhaupt will und wie wichtig das einem dann ist. Es gibt ganz unterschiedliche Motivationslagen da, zwei haben wir jetzt gerade genannt.

Brink: Es gibt noch eine Frage, die vielen auch auf den Nägeln brennt: SPD-Chef Gabriel hat es angesprochen und auch die Befürchtung, dass deutscher Atommüll ins Ausland verbracht werden könnte. Kann das überhaupt passieren?

Röhlig: Ich glaube nicht. Ich denke, die politischen Kräfte sind sich hier einig, dass das ein No-Go ist. Die Diskussion, die darüber entstanden ist, hat ja zu tun mit einem Versuch, eine EU-Direktive umzusetzen in nationales Recht. Diese EU-Direktive sieht in der Tat unter gewissen sehr stark einschränkenden Bedingungen einen solchen Export als Möglichkeit vor, gedacht ist dabei aber vor allen Dingen an Länder, die wenig Abfälle haben. Mein Standardbeispiel ist immer Slowenien, was sich mit Kroatien einen Reaktor teilt. Die werden sich sicherlich nicht ein Endlager selber bauen, sondern die werden von anderen profitieren wollen beziehungsweise sich mit anderen zusammentun wollen. Für solche Fälle ist die EU-Direktive gedacht, und ich glaube nicht, dass eine solche Möglichkeit in deutsches Recht in irgendeiner Weise Eingang findet.

Brink: Bei all diesen Sachen, die Sie jetzt erwähnen, wundere ich mich ja dann doch, dass eine Enquetekommission zur Lagerung von Atommüll gegründet werden wird. Ist das nicht zu früh, muss es nicht erst das Gesetz geben, um sich klar zu werden, wohin man eigentlich will, und dann die Kommission?

Röhlig: Das ist eine gute Frage. Also meiner Meinung nach ist der Prozess, wie er im Moment vorgesehen ist, sowieso gesetzgeberisch etwas überfrachtet. Das sind, je nachdem, welcher Version man folgt, um die vier Gesetzgebungsverfahren, die wir im Laufe der Jahre über uns zu ergehen lassen haben. Das ist kompliziert, dauert und ist von vielen Nebenbedingungen abhängig, die wir nicht so richtig steuern können. Also insofern ist es wahrscheinlich schon vernünftig, wenn man sich zunächst mal diese Grundlagenfragen stellt, die ich gerade erwähnt habe, und die auch versucht zu beantworten. Aber ganz stimmt es wohl auch nicht, was Sie gerade gesagt haben, sondern es soll ja erst dieses Auswahlgesetz kommen, auf dessen Basis dann die Kommission eingestellt werden soll.

Brink: Letzte Frage, Hand aufs Herz: Ist Gorleben vom Tisch?

Röhlig: Mit der Gesetzesvorlage, wie wir sie im Moment kennen, erst mal noch nicht. Gorleben kann in dem Auswahlprozess eine Rolle spielen, muss sich den Kriterien stellen wie alle anderen Standorte auch und ist insofern erst mal nicht vom Tisch, nein.

Brink: Professor Klaus-Jürgen Röhlig vom Institut für Endlagerforschung an der TU Clausthal. Schönen Dank für das Gespräch und noch einen schönen Samstag, danke!

Röhlig: Danke!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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