Gorleben

Schicht im Schacht − erst einmal

Eingangstor des Erkundungsbergwerks Gorleben
Eingangstor des Erkundungsbergwerks Gorleben © Deutschlandradio Kultur / Axel Schröder
Von Axel Schröder |
Noch ist es ein Erkundungsbergwerk, bald aber vielleicht Endlager: Der Salzstock Gorleben. Doch egal, welche Entscheidung fällt, der Besucherverkehr endet bald. Die Bergleute und die Besucher trauern.
Es ist eng im Fahrstuhl. Auf zwei Quadratmetern quetschen sich sechs Personen. In roten Overalls, mit Sicherheitsstiefeln, Bauhelm. Über der Schulter einen handtaschengroßen so genannten Sauerstoffselbstretter - falls es zu einem Brand untertage kommen sollte. Sie gehören zur letzten Besuchergruppe im Salzstock Gorleben, unter ihnen führt der Schacht über 900 Meter in die Tiefe.
An die Blechwand gedrückt steht auch der Geologe Christian Isslinger von der DBE, der deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern. Er klärt auf, wie schnell der Fahrstuhl - bergmännisch: die Seilfahrtanlage - unterwegs ist:
"Mit vier Meter pro Sekunde fahren wir. Also lockere Fahrradgeschwindigkeit, knapp 15 Stundenkilometer."
Geologe Christian Isslinger vor einer Besuchergruppe im Salzstock Gorleben.
Geologe Christian Isslinger vor einer Besuchergruppe im Salzstock Gorleben.© Deutschlandradio - Axel Schröder
Dreieinhalb Minuten dauert die Fahrt auf die 840-Meter-Sohle, zum "Erkundungsbereich 1". Nur ein einziges von insgesamt neun geplanten Arealen wurde bis heute von den Geologen erforscht, 7 Kilometer Stollen wurden bisher ins Salz gesprengt.
Die Salzwände schmutziggrau, zerfurcht von den Stahlkrallen der Spezialmaschinen, die die Stollen instand halten. Drei Jeeps stehen bereit, um die Besucher durchs Bergwerk zu fahren. Die Naturschutzgruppe, die meisten im Seniorenalter, kommt aus Schleswig-Holstein. Dass hier ab sofort nicht mehr geforscht werden soll, dass keine Besucher mehr einfahren dürfen – darüber gehen die Meinungen auseinander:
"Das finde ich gar nicht mal so schlecht. Das ist ganz gut und dann kann man ja ausprobieren, was alles los ist nachher."
"Das ist schade! Denn das ist eine psychologische Aufgabe, die die Wissenschaft hat, die auch die Politik hat: den Bürger an die Hand zu nehmen und ihm die Chance zu geben, das zu zeigen."
"Naja, diese politische Entscheidung ist ja eine ganz besondere Sache. Ich denke, dazu kann man als Laie gar nicht so viel sagen."
Ein echter Neustart der Endlagersuche?
Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz, bei einer Führung im Salzstock Gorleben.
Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz, bei einer Führung im Salzstock Gorleben.© Deutschlandradio - Axel Schröder
Die Besucher steigen in die Jeeps, die Rundfahrt beginnt. Mit dabei ist auch der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz Wolfram König. Das Bundesamt betreibt das Gorlebener Bergwerk. Angekommen an der ersten Station erklärt er, warum der Bundestag mit breiter Mehrheit beschlossen hat, die Erkundung in Gorleben zu stoppen und – nach über 20 Jahren - eine neue Endlagersuche zu starten.
"Man wollte einen breiten politischen Konsens für den Neubeginn. Dass wir nicht von vornherein mit einer Belastung in das neue Verfahren reingehen. Und jede Maßnahme, die den Eindruck erweckt, dass Gorleben eine Präjudizierung hat, würde dieser Ergebnisoffenheit schaden und auch der Bereitschaft, sich zu beteiligen von denjenigen, die schon immer der Meinung waren, dass eigentlich alles schon entschieden ist."
Den Eindruck, dass alles schon entschieden ist, nähren die Bauwerke, die über dem Salzstock gebaut wurden: im hochgesicherten Zwischenlager, einer mächtigen Stahlbetonhalle stehen über einhundert Castorbehälter, gefüllt mit hochradioaktivem, mehrere hundert Grad heißem Atommüll. Daneben ragt der schlanke Schlot einer so genannten Pilotkonditionierungsanlage in den grauen Himmel. Kosten: rund 500 Millionen Euro. Zweck: die Verpackung von Atommüll aus dem Zwischenlager für den Abtransport unter die Erde, in den Salzstollen. Fakten wurden geschaffen, die die Bevölkerung an der Ergebnisoffenheit der Endlagersuche im Gorlebener Salz zweifeln lassen. Deshalb, so erklärt Wolfram König unten im Bergwerk, sollen nicht auch noch neue Stollen ins Salz getrieben werden, neue Fakten geschaffen werden.
"Ich denke, wir tun gut daran, sehr genau zu prüfen, welche Dinge hier noch notwendig sind, auch, welche Kosten damit produziert werden. Denn die Energieversorgungsunternehmen haben ihre Bereitschaft, diese Kosten zu übernehmen, nicht mehr wie in der Vergangenheit und sie wollen gegen entsprechende Kostenbescheide klagen, das ist angekündigt. Hier gibt es natürlich auch eine Frage: Wie hoch sind die Offenhaltungskosten über Jahre, Jahrzehnte?"
Das Ende der Besucherführungen
Bisher, so der Chef des Bundesamtes für Strahlenschutz, kosten die reine Instandhaltung der Stollen und die Besucherführungen rund 20 Millionen Euro pro Jahr. Deshalb sollen in den nächsten zwei Jahren alle Messanlagen abgebaut werden, Bohrlöcher verfüllt und alle Fahrzeuge aus dem Bergwerk geholt werden. 2016 sollen alle Sicherungsarbeiten eingestellt, die Stollen gesperrt werden.
Einem, dem das wirklich nah geht, ist Peter Ward. Er ist Geologe und Betriebsratsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern. Er kann über die Pläne nur den Kopf schütteln: das wird Arbeitsplatze kosten, Erfahrung wird verloren gehen.
"Wenn wir alle weg sind und jahrelang nichts mehr passiert, wird das Wissen, dass in den Büchern drinsteht auch für spätere Generationen nicht mehr verständlich sein. Es reicht nicht, dass nur in Bücher zu schreiben. Ich muss schon praktizieren. Ich will von einem Arzt, einem Chirurg operiert werden, der Erfahrung hat und nicht von einem, der das nur in Büchern gelesen hat!"
Peter Ward, Geologe und Betriebsratsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern, bei einer Führung in Gorleben.
Peter Ward, Geologe und Betriebsratsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern, bei einer Führung in Gorleben.© Deutschlandradio / Axel Schröder
Hinter Peter Ward steht noch ein schmutziggelbes, tonnenschweres Spezialfahrzeug. Früher wurden damit die Stollendecken abgefräst. Bald soll das Fahrzeug zerlegt und nach oben transportiert werden. Und Besuchergruppen im Bergwerk wird es auf Anordnung des Bundesamtes für Strahlenschutz in Zukunft nicht mehr geben. Peter Ward schiebt sich den weißen Helm nach hinten, kraust die Stirn. Dass sei doch das Gegenteil der versprochenen Transparenz, findet er. Und vermisst die Besucher untertage schon jetzt:
"Das ist eine Sache, die uns immer Kraft gegeben hat. Denn die Leute haben uns immer gesagt: 'Ja, sie machen eine gute Arbeit! Es ist ein Erlebnis, hier rein zu fahren und endlich mal zu sehen: was ist Gorleben? Was ist hier passiert?' Und dass das jetzt die letzte Gruppe ist, das ist ein dummes Gefühl! Das kann ich nicht verstehen!"
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