Gerechtigkeit

Erbschaften für alle

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Illustration einer Kanone, aus der Geldscheine geschossen werden.
Kapital für jeden oder mehr Geld für öffentliche Einrichtungen? Der Philosoph Stefan Gosepath kann sich beides vorstellen, um durch eine höhere Erbschaftssteuer Reichtum umzuverteilen. © imago / Malte Müller
Stefan Gosepath im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
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Manche erben ein Vermögen, andere gar nichts. Es wäre gerechter, die Erbschaftssteuer zu erhöhen und die Einnahmen daraus umzuverteilen, sagt der Philosoph Stefan Gosepath. Bisher gebe es beim Erben auch eine "innerdeutsche Ungerechtigkeit“.
Jedes Jahr werden in Deutschland rund 400 Milliarden Euro vererbt. Das ist mehr als für einen normalen Bundeshaushalt zur Verfügung steht. Manchen Erben fällt ein großes Vermögen quasi in den Schoß.
Der SPD-Politiker Yannick Haan findet, auch andere sollten partizipieren können , große Hinterlassenschaften sollten als eine Art Gesellschaftserbe betrachtet werden. Etwa, indem jeder junge Mensch mit 21 Jahren beispielsweise 20.000 Euro vom Staat zur Verfügung gestellt bekomme, um damit eine Ausbildung, den Kauf von Wohneigentum oder eine Unternehmensgründung zu finanzieren. Die Gegenfinanzierung könne durch eine Erhöhung der Erbschaftssteuer auf große Vermögen erfolgen, schlägt Haan vor.

Einigen etwas nehmen, anderen mehr geben

Stefan Gosepath, Philosophieprofessor an der Freien Universität Berlin, findet die Idee sehr gut. Er forscht seit vielen Jahren zum Thema Gerechtigkeit in der Gesellschaft und arbeitet derzeit an einem Buch zu Gerechtigkeit und Erbschaften.
Würde man das Erben komplett abschaffen, etwa durch hundertprozentige Besteuerung, „dann wären ja alle schlechter gestellt. Leveling down ist keine gute Idee, sondern man muss alle hochbringen.“ Eine Umverteilung dagegen sei eine gute Lösung, sagt Gosepath.

Geld für jeden oder Angebote für alle

Es müsse nur genau überlegt werden, ob am Ende einer solchen Umverteilung Kapital für jeden stehen solle oder ob das Geld in öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Hochschulen fließen solle, sodass dort auf diese Weise finanzierte Angebote von allen umsonst genutzt werden könnten.
Derzeit ist der Freibetrag bei Erbsummen hoch, ehe die Erbschaftssteuer greift: 500.000 Euro bei Ehepartnern, bis zu 400.000 Euro bei erbenden Kindern. Nur 0,87 Prozent des gesamten Steueraufkommens kommt deshalb aus der Erbschaftssteuer.

Innerdeutsche Ungerechtigkeit

Von dem Geld, das während der Wirtschaftswunderzeit und in den Jahren danach in der Bundesrepublik angehäuft worden sei, profitierten nun vor allem die Babyboomer, so Gosepath weiter.
Aber: „Man muss auch daran denken, dass wir eine ostdeutsche Geschichte haben – und diese Menschen werden alle nichts erben, weil es in der Wirtschaftswundergeneration der DDR natürlich kein Wirtschaftswunder gab und kein Vermögen aufgebaut wurde.“
Der Philosoph und Autor Stefan Gosepath.
Gerechtigkeit in der Gesellschaft ist das Hauptforschungsfeld des Philosophen Stefan Gosepath.© imago / Horst Galuschka
Es gebe beim Erben also zusätzlich noch „eine innerdeutsche Ungerechtigkeit“ – und damit müsse sensibel umgegangen werden.

Das Ziel: eine gerechtere Gesellschaft

Natürlich müsse beim Erbe auch unterschieden werden: Handele es sich etwa um ein kleines, familiäres Unternehmen oder auch um ein großes Industrieunternehmen, sei es natürlich nicht sinnvoll, diese an die nächste Generation weitervererbten Werte zu zerschlagen, um den Erlös der Gemeinschaft zukommen zu lassen.
Nicht ohne Grund schreckten Politiker davor zurück, die Erbschaftssteuer zu erhöhen, sagt der Philosoph. Denn das komme beim Wahlvolk nicht gut an. Doch sei genau dies die gedankliche Umkehrung, die man vollziehen müsse: „Selbst, wenn es uns alle trifft: Wollen wir nicht eine gerechtere Gesellschaft und eine fairere Verteilung haben?“

Stefan Gosepath ist Professor für Praktische Philosophie an der Freien Universität Berlin. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Gerechtigkeit, Menschenrechte, Demokratie und Theorien der Rationalität. 2017-18 war er Visiting Scholar am Department of Philosophy der New York University und der Columbia University.

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