Gott als Romanheld
Am Samstag wird Martin Walser 85 Jahre alt. Zum Geburtstag erscheint nun ein neuer Essay, in dem der Schriftsteller sein persönliches Glaubensbekenntnis entfaltet und über den Begriff der religiösen Rechtfertigung nachdenkt.
Religion ist keine Alterssentimentalität. Für ihn schon gar nicht. Martin Walser, der am 24. März 85 Jahre alt wird, ist im katholischen Wasserburg am Bodensee aufgewachsen, wo er, wie er einmal sagte, "mehr Zeit mit Beichten als mit Sündigen" verbrachte. Religion ist für ihn eine lebenslange Herausforderung geblieben, auch wenn er sich dem mächtigen kirchlichen Zugriff auf die Seele entzogen hat. Sein neuer Essay "Über Rechtfertigung, eine Versuchung" beschreibt Religion als Dichtung, als eine Ausdrucksweise wie andere, wie Literatur, Musik, Malerei. Gott stelle man sich demnach am besten als Romanhelden vor oder, technischer formuliert, als "Ausdrucksfunktion des Weltgeschehens" oder, in Worten, die Martin Walser mehr entsprechen, als menschliche Ahnung der "Verbesserungswürdigkeit der Welt."
"Meine Muse ist der Mangel" lautet eh und je schon sein poetisches Credo. Seine Romanhelden sind immer Gefährdete, Leidende gewesen, denen ein solides bürgerliches Selbstbewusstsein fehlt, das ihnen Sicherheit im Daseinskampf geben würde. Rechtfertigung ist ihr existenzielles Problem. Walser stellt sich in die Tradition von Dostojewski, Robert Walser und Kafka, die mit ihrem "Ja zum Nein der Welt" gewissermaßen den Gegenpol bilden zum selbstgewissen Thomas Mann, den er weit weniger schätzt. Und er beklagt, dass deren radikale Form des Zweifels in der gegenwärtigen Literatur kaum noch vorkomme. Infragestellungen haben sich auf die Ebene der Gesellschaftskritik und damit vom Subjekt auf das Äußerliche verlagert. Dort geht es aber nicht um Rechtfertigung als prekäre Begründung des eigenen Daseins, sondern ums bloße Rechthaben, um Macht. Das ist, sagt Walser, ein vergleichsweise bescheidener Anspruch. Und doch sehen wir Abend für Abend in den Talkshows nichts als den Kampf von Rechthabern mit Rechthabern.
Walser hat sich selbst lange genug in derartige Auseinandersetzungen verstrickt und allzu gerne recht haben wollen. Im Lauf der Jahrzehnte galt er mal als moskauhöriger Kommunist, dann als wiedervereinigungsbeseelter Nationalist, schließlich gar als Antisemit und Propagandist des Schlussstrichs. Das war alles formelhaft falsch und kurzschlüssig, weil er doch immer viel mehr über sich selbst, sein Empfinden und seinen Mangel sprach, als über Politik. Der schöne Band "Meine Lebensreisen" – eine zweite Publikation zum Geburtstag - legt davon Zeugnis ab. Er versammelt Notate von unterwegs aus den Tagebüchern der 50er bis in die frühen 80er-Jahre, Reisen in der geteilten Welt zwischen Ost und West. Zu erleben ist da ein Autor in Bewegung, der auf den Podien und Bühnen ebenso zu Hause war wie am heimischen Schreibtisch. Auch der Essay "Über Rechtfertigung" ist auf Reisen erprobt: Walser, immer noch viel unterwegs, trug ihn vor einigen Monaten in den USA vor.
Der Weg vom Rechthabenmüssen zum Ringen um Rechtfertigung ist der Weg vom Meinen zum Glauben. Walser beschreitet ihn mit Augustinus und Martin Luther, vor allem aber mit dem Gotteszertrümmerer Friedrich Nietzsche und mit dem strengen Protestanten Karl Barth im Gepäck. Diese beiden so unterschiedlichen Denker zusammenzubringen, gelingt ihm mit Blick auf ihre radikale Denkbewegung, die keinerlei Rechtfertigung erlaubt. Auch der Glaube schafft ja keine Gewissheiten, sondern bezeichnet eher eine Suchbewegung in die Leere hinein. Ob Gott dann anerkannt oder geleugnet wird, ist gar nicht so entscheidend. Doch wer sagt, "es gebe Gott nicht, und nicht dazusagen kann, dass Gott fehlt und wie er fehlt, der hat keine Ahnung". Das ist das vorsichtige Walser'sche Glaubensbekenntnis. Wenn es eine Gewissheit gibt, dann die, die am Ende des Buches steht: "Du weißt, dass du nichts tun wirst. Dass du nicht gerechtfertigt werden kannst." Aber das macht nichts. Ohne die Sehnsucht nach Rechtfertigung gäbe es keine Kunst, keine Kathedralen und keine Musik von Johann Sebastian Bach. Wir können, so Walser, auf alles verzichten. Aber nicht auf den Mangel.
Besprochen von Jörg Magenau
Martin Walser: Über Rechtfertigung. Eine Versuchung
Rowohlt, Reinbek 2012, 108 Seiten, 14,95 Euro
Martin Walser: Meine Lebensreisen
Corso, Hamburg 2012, 152 Seiten, 24,90 Euro
"Meine Muse ist der Mangel" lautet eh und je schon sein poetisches Credo. Seine Romanhelden sind immer Gefährdete, Leidende gewesen, denen ein solides bürgerliches Selbstbewusstsein fehlt, das ihnen Sicherheit im Daseinskampf geben würde. Rechtfertigung ist ihr existenzielles Problem. Walser stellt sich in die Tradition von Dostojewski, Robert Walser und Kafka, die mit ihrem "Ja zum Nein der Welt" gewissermaßen den Gegenpol bilden zum selbstgewissen Thomas Mann, den er weit weniger schätzt. Und er beklagt, dass deren radikale Form des Zweifels in der gegenwärtigen Literatur kaum noch vorkomme. Infragestellungen haben sich auf die Ebene der Gesellschaftskritik und damit vom Subjekt auf das Äußerliche verlagert. Dort geht es aber nicht um Rechtfertigung als prekäre Begründung des eigenen Daseins, sondern ums bloße Rechthaben, um Macht. Das ist, sagt Walser, ein vergleichsweise bescheidener Anspruch. Und doch sehen wir Abend für Abend in den Talkshows nichts als den Kampf von Rechthabern mit Rechthabern.
Walser hat sich selbst lange genug in derartige Auseinandersetzungen verstrickt und allzu gerne recht haben wollen. Im Lauf der Jahrzehnte galt er mal als moskauhöriger Kommunist, dann als wiedervereinigungsbeseelter Nationalist, schließlich gar als Antisemit und Propagandist des Schlussstrichs. Das war alles formelhaft falsch und kurzschlüssig, weil er doch immer viel mehr über sich selbst, sein Empfinden und seinen Mangel sprach, als über Politik. Der schöne Band "Meine Lebensreisen" – eine zweite Publikation zum Geburtstag - legt davon Zeugnis ab. Er versammelt Notate von unterwegs aus den Tagebüchern der 50er bis in die frühen 80er-Jahre, Reisen in der geteilten Welt zwischen Ost und West. Zu erleben ist da ein Autor in Bewegung, der auf den Podien und Bühnen ebenso zu Hause war wie am heimischen Schreibtisch. Auch der Essay "Über Rechtfertigung" ist auf Reisen erprobt: Walser, immer noch viel unterwegs, trug ihn vor einigen Monaten in den USA vor.
Der Weg vom Rechthabenmüssen zum Ringen um Rechtfertigung ist der Weg vom Meinen zum Glauben. Walser beschreitet ihn mit Augustinus und Martin Luther, vor allem aber mit dem Gotteszertrümmerer Friedrich Nietzsche und mit dem strengen Protestanten Karl Barth im Gepäck. Diese beiden so unterschiedlichen Denker zusammenzubringen, gelingt ihm mit Blick auf ihre radikale Denkbewegung, die keinerlei Rechtfertigung erlaubt. Auch der Glaube schafft ja keine Gewissheiten, sondern bezeichnet eher eine Suchbewegung in die Leere hinein. Ob Gott dann anerkannt oder geleugnet wird, ist gar nicht so entscheidend. Doch wer sagt, "es gebe Gott nicht, und nicht dazusagen kann, dass Gott fehlt und wie er fehlt, der hat keine Ahnung". Das ist das vorsichtige Walser'sche Glaubensbekenntnis. Wenn es eine Gewissheit gibt, dann die, die am Ende des Buches steht: "Du weißt, dass du nichts tun wirst. Dass du nicht gerechtfertigt werden kannst." Aber das macht nichts. Ohne die Sehnsucht nach Rechtfertigung gäbe es keine Kunst, keine Kathedralen und keine Musik von Johann Sebastian Bach. Wir können, so Walser, auf alles verzichten. Aber nicht auf den Mangel.
Besprochen von Jörg Magenau
Martin Walser: Über Rechtfertigung. Eine Versuchung
Rowohlt, Reinbek 2012, 108 Seiten, 14,95 Euro
Martin Walser: Meine Lebensreisen
Corso, Hamburg 2012, 152 Seiten, 24,90 Euro
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