"Gott ist genug"

Moderation: Kirsten Westhuis |
In einem Kloster mitten in Frankfurt am Main lebt Paulus Terwitte zusammen mit fünf Brüdern. Er leitet Gottesdienste, frühstückt mit Armen und hört verzweifelten Bankern zu. Und kritisiert, dass die Menschen nach immer Mehr streben.
Kirsten Westhuis: Von den evangelischen Schwestern und Brüdern des 21. Jahrhunderts zu den katholischen Nonnen und Mönchen der Gegenwart – sie bewegen sich in der öffentlichen Wahrnehmung zwischen Mittelalter, Mythos und Moderne. Ihre Traditionen stammen aus vergangenen Jahrhunderten: dicke Klostermauern, abgeschiedene Abteien und Schweigegelübde sind toller Stoff für Romane und Filme. Aber wie sieht modernes Klosterleben eigentlich aus? Keuschheit, Gehorsam und Armut mitten in einer reichen, individuellen und freizügigen Gesellschaft?

In Frankfurt am Main lebt Paulus Terwitte mitten in der Stadt. Er ist Kapuzinermönch und medial auf allen Kanälen zu Hause: In Radio und Fernsehen ist er nicht nur gefragter Gast, sondern auch selbst Moderator, zum Beispiel bei Sat1, im "domradio" oder im Hessischen Rundfunk. Und auch bei Youtube, Facebook, Twitter gibt es Botschaften von ihm. Ich habe vor der Sendung mit Bruder Paulus gesprochen und wollte erst einmal von ihm wissen, wie sein Alltag aussieht.

Paulus Terwitte: Wir leben hier in einer Gemeinschaft mit sechs Brüdern mitten im Stadtzentrum, da hat die Kirche uns ein Haus zur Verfügung gestellt, in dem wir unsere Zimmer haben, unsere Gemeinschaftsräume, Refektorium und Speisesaal. Da können wir uns dann auch zum Gebet treffen. Das machen wir zwei Mal am Tag in der Liebfrauenkirche. Das ist eine Kirche, die steht hier ganz nebenan an einer Fußgängerzone, wo jeden Tag über 200.000 Menschen laufen. Da beten wir morgens mit wenigen Betern und abends mit 100 Betern.

Den Tag über bieten wir Gottesdienste an, drei verschiedene Gottesdienste, 7:00 Uhr, 10:00 Uhr und 18:00 Uhr. Und dazwischen sitzt einer von uns jeweils im Beichtstuhl, und es kommen jeden Tag so zehn bis 30 Leute, um das Sakrament der Versöhnung zu empfangen, und dazu haben wir die Sprechzimmertür geöffnet.

Und natürlich haben wir auch eine Tür geöffnet für die Armen. Wir haben einen Frühstückstreff, Franziskustreff nennt sich der, wo wir jeden Tag bis zu 180 Gäste haben, die arm sind, obdachlos, wohnungslos, für die wir Brüder sind, wo wir mit Ehrenamtlichen dann einfach erste Hilfestellungen geben. Es ist ein bunter Alltag, der morgens beginnt um halb sechs, wenn wir die Kirche aufschließen, und der abends endet, wenn wir miteinander ein Bierchen trinken und den Tag ausklingen lassen.

Westhuis: Also beten und arbeiten trifft es dann doch wirklich sehr gut?

Terwitte: Ja, das ist bei uns ein Rhythmus, der nicht so ist wie in einer strengen Abtei, sondern unsere Gebetszeiten sind moderat, wir beten zum ersten Mal morgens um 8:00 Uhr gemeinsam, weil manche doch auch bis spät am Abend arbeiten. Wir haben den ganzen Tag über Leute im Haus herumlaufen, unsere Mitarbeiter, ehrenamtliche, die uns helfen, die verschiedenen Gruppierungen und sozialen Werke am Leben zu erhalten. Das Franziskanische Leben war noch nie ein abgeschlossenes Leben, sondern ein Leben inmitten der Menschen, wo wir Brüder aller Menschen sein wollen.

Westhuis: Klostermauern können allerdings auch ziemlich dick sein und gut abschirmen. Was kriegen Sie denn mit vom Leben draußen auf den Straßen in Frankfurt?

Terwitte: Wir haben bei uns die Türen weit geöffnet. Unsere Sprechzimmertüren sind geöffnet, da kommen Banker rein, die verzweifelt sind, wie sie mit Kunden umgehen müssen, um noch mehr Provisionen abzuschöpfen. Da kommen alte Menschen rein, die mir erzählen, dass ihre Kinder schon 15 Jahre keinen Kontakt mehr mit ihnen haben, weil das Leben offensichtlich woanders interessanter ist. Da kommen Leute rein, die hier in Frankfurt ihr Glück versuchten und einfach kläglich gestrandet sind, Menschen mit ihren Beziehungsproblemen, zerbrochene Familien kommen zu uns, bitten um das Gebet. Es kommen Leute, die in Schuld sind – all das kommt bei uns an. Und natürlich auch Menschen, die bei unserer Mutter Gottes stehen, wo jeden Tag 1.600 Kerzen angezündet werden von Menschen aller möglichen Religionen. Viele haben auch ein Lächeln auf dem Gesicht, weil es Gott sei Dank auch noch viel zum Danken gibt im Leben.

Westhuis: Die Leute, die nichts zum Danken haben, was geben Sie denen mit auf den Weg?

Terwitte: Ich habe den Eindruck, dass die Menschen deswegen zu uns kommen, weil sie wissen, dass wir hier ein lebendiger Gottesbeweis sind, denn hier leben ja sechs Männer zusammen, die sich nicht gegenseitig ausgesucht haben, so wie auch mancher Mann sich fragt, warum er sich gerade in diese Frau verliebt hat und in keine andere, warum manche Eltern sich fragen, warum sind unsere Kinder so und nicht anders, und manche Kinder sich fragen, warum sind unsere Eltern so und nicht anders. Am Ende sucht keiner den anderen wirklich aus, und wir leben das hier ganz in Frieden, denn wir stehen ja auf dem Standpunkt, dass jeder Einzelne von uns von Gott begabt worden ist, so zu leben, wie Jesus gelebt hat, ohne Eigentum, in keuscher Ehelosigkeit und in Gehorsam, und dass wir alles miteinander teilen.

Niemand legt für sich was auf die hohe Kante, keiner von uns Sechsen sucht sein eigenes Glück, sondern das Glück des Mitbruders und dann natürlich auch das Glück seiner Mitmenschen. Das ist für Viele schon wie eine andere Welt, und trotzdem sind wir eben auch anerkannt als Männer, die eben Lebenserfahrungen haben, weil sie den ganzen Tag trainieren müssen, mit Leuten zusammenzuleben, die sie sich nicht selber ausgesucht haben.

Und da ist unser erster Dienst wie auch im Gemeinschaftsleben bei Menschen, die weinen, mitzuweinen, also das Ohr offenzuhalten, noch mal besser zu verstehen, wo drückt der Schuh wirklich, und auch jemanden anzuerkennen in seiner Behinderung als Trauernder, als Arbeitsloser, als Gescheiterter, dass Menschen bei uns einfach merken, sie werden hier nicht angeguckt nach dem, was sie bringen für die Gesellschaft, sondern sie werden angeschaut als Geschenk Gottes, obwohl es ihnen gerade so schlecht geht. Sie bleiben und sind ein Geschenk Gottes, und das tut vielen Menschen anscheinend sehr gut.

Westhuis: Natürlich macht das neugierig, diese fremde Welt, wie Sie auch sagen. Diese Art zu leben von Mönchen und Nonnen heute ist eine radikale: Ehelosigkeit, keine eigene Familie, Gehorsam, Armut – vielen Leuten scheint das aber auch nicht mehr zeitgemäß. Die eigene Bindung zu Kirche und Glaube bröckelt auch, aber eben das macht ja neugierig, irgendwas muss doch dran sein. Was antworten Sie dem, was ist dran?

Terwitte: Ich glaube, dass genauso infrage gestellt wie unsere Lebensform ist ja heutzutage die Lebensform der Ehe. Das können sich ja auch Leute gar nicht mehr vorstellen. Ein Leben lang einem Menschen treu sein, wie soll das denn gehen? Und es wird die Zeit kommen, sage ich manchmal ein bisschen scherzhaft, wo dann auch eine Mutter sagen wird: Was, ein Leben lang Mutter für mein Kind, warum, es reicht doch auch sieben Jahre? Wir haben irgendwie komischerweise so einen Zeitgeist, der den Menschen einflößt, es ist noch nicht genug, du musst noch mehr erleben, erfinde dich noch mal.

Bei uns ist doch irgendwie Faszination da, dass da Brüder sind, die behaupten doch tatsächlich, Gott ist genug. Wenn man in die Tiefe steigt, dann macht man die längste Reise. Am meisten hat man von dem, was man verschenkt hat, und das ist so faszinierend, dass da auch viele Menschen immer wieder stehen bleiben und sagen, boah, toll, aber auch sagen, könnte ich nicht, genau so wie viele auch vor glücklichen Eltern stehen und sagen, was, ihr habt fünf Kinder, könnte ich ja nie.

Westhuis: Und warum können Sie das, woher nehmen Sie Ihre Kraft, sich immer wieder gegen den Zeitgeist zu stellen?

Terwitte: Ich bin ja jeden Tag im Gespräch mit dem, der mich in diese Lebensform gerufen hat. Ich habe zum ersten Mal mit 16 erfahren, da konnte ich irgendwie für mich klarkriegen, dass Jesus der Schlüssel ist für die Freiheit zum Menschsein, und dass wahres Menschsein am Besten gelingt, wenn man sich ihm anschließt, um ein Original zu werden.

Ich versuche jeden Tag in der Messfeier, im Stundengebet mit meinen Brüdern, in der persönlichen Meditation im Gespräch zu sein mit Gott, der in Jesus Christus jeden Tag mir neu sagt, hey, du bist doch wertvoll genug, und der mir auch manchmal Bremsen anlegt – Sie haben das ja schon gesagt, was ich alles mache, mein Mitbruder hat mal scherzhaft gesagt: Mensch, Paulus, streng dich nicht so an in den Medien, die Welt ist doch schon erlöst –, und der mir letztlich auch die Ruhe gibt, dass ich natürlich nicht alle Probleme lösen kann. Und das gibt mir eigentlich jeden Tag die neue Gelassenheit, dass ich ein Werkzeug bin in Gottes Hand, und manchmal versucht Gott auch durch mich, was Gutes zu tun.

Westhuis: Sie selbst sind Kapuziner, die Kapuziner sind auch Nachfolger des heiligen Franz von Assisi. Was bedeutet Armut für Sie?

Terwitte: Armut heißt für mich vor allem, dass ich bejahe, dass ich abhängig bin von meinen Mitmenschen, ganz konkret von meinen Brüdern, wo ich fragen muss, darf ich dieses kaufen und darf ich mir das leisten, passt das uns, immer wieder zu rückfragen und in Kommunikation stehen. Ohne Eigentum zu leben, heißt, ich weiß, dass der andere letztlich mich begünstigen muss. Und das ist ja nicht nur bei uns so, sondern in der ganzen Welt ist das so, dass wir davon leben, dass andere abgeben, dass andere uns von ihrem Wissen abgeben, dass andere uns beteiligen an dem, was sie erforschen, was sie auch anbauen auf dem Acker.

Wir sind voneinander abhängig, und das bedeutet auch, dass wir behutsam sein müssen. Darum heißt Armut für mich eigentlich die Bejahung der gegenseitigen Abhängigkeit und die Einladung des behutsamen Miteinanders mit dem, was der Einzelne eben kann.
Westhuis: Und geben Sie uns noch was ab für diese Wochen im Sommer, für die Sommerzeit, vielleicht aus der Weisheit des Klosterlebens?

Terwitte: Ich glaube, man kann am besten einen kühlen Kopf bewahren, wenn man am Morgen eine halbe Stunde früher aufsteht und wirklich in Ruhe einmal durchatmet, sich den Tag anschaut und sagt: Ich will ihn so annehmen, wie er mir heute geschenkt wird, und will heute, so wie die Sonne, mich einfach auch verstrahlen.

Westhuis: Und wenn ich jeden Morgen diese halbe Stunde mir nehme, dann werden die Sorgen und die Stimmen in meinem Kopf leiser, diese Sorgen um Sicherheit oder auch die Frage nach der Höhe meiner Rente? Sind Sie davor voll und ganz gefeit?

Terwitte: Gut, ich bin eigentlich nicht davor gefeit, mir Sorgen zu machen, aber ich mache mir eher Sorgen darum, dass in der Welt die Liebe vielleicht ausstirbt, dass Menschen die Achtsamkeit verlieren. Um mich selber mache ich mir gar keine Sorgen, Gott hat mich berufen, und er wird auch auf mich achten, bis ich meinen letzten Atemzug getan habe. Und irgendwo wird es immer einen guten Menschen geben, der einem armen Kapuziner wie mir sein Brot teilt.

Westhuis: Der arme Kapuziner – das war Bruder Paulus Terwitte aus Frankfurt. Vielen Dank für das Gespräch!

Terwitte: Bitte schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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