"Gott ist überall, auch wenn er in den Kirchengemeinden nicht zu sehen ist"

19.10.2013
Kara Huber porträtiert Kirchen in Berlin und Brandenburg, die aufgrund der hohen Zahl von konfessionslosen Kirchen wie Relikte aus einer fernen Vergangenheit erscheinen. Kirchen seien Zeugnis einer kulturellen Geschichte, eines Werdens von Siedlungen, von Dörfern, meint Huber.
Phillipp Gessler: Mit Kara Huber will ich das Gehörte noch einmal näher erörtern. Die Autorin hat sich mit prächtigen Bänden über die Kirchen in Berlin und Brandenburg einen Namen gemacht. Ihre Werke spiegeln auch immer, wie Kirchen einzelnen Menschen, die sie hüten, ja, manchmal ganzen Dörfern einen Kern oder eine Identität geben. Kara Huber, deren Mann der frühere EKD-Ratsvorsitzende und berlin-brandenburgische Bischof Wolfgang Huber ist, verbindet mit der Pauluskirche in Zehlendorf eine besondere Geschichte. Was ist denn die besondere Geschichte, die Sie mit der Pauluskirche haben?

Kara Huber: Seit zwölf Jahren wohne ich in der Nähe der Pauluskirche und bin Mitglied der Kirchengemeinde und Lektorin in der Kirchengemeinde, mein Mann predigt hier, und wir fühlen uns sehr wohl hier, wir haben eine Heimat gefunden.

Gessler: Auch durch die Kirche und das Engagement dort?

Huber: Diese Kirche ist sehr einladend, es gibt viele Ehrenamtliche, und es ist für uns eine Freude, da mitzumachen. Mich beeindruckt vor allem die Suppenküche, die drei Mal in der Woche ist für 75 Personen, mir imponiert die Kleiderkammer, wo man seine Kleider abgeben kann, um den Obdachlosen jede Woche die Chance zu geben, Kleider zu holen.

Gessler: Interessant finde ich ja – das wird morgen stattfinden –, dass gleich zwei neue Orgeln eingeweiht werden. Finden Sie das nicht ein bisschen übertrieben?

Huber: Ich bin keine Kirchenmusikerin, und namhafte Kirchenmusiker haben gesagt: Dieses Gotteshaus braucht eine Barockorgel und eine normale Orgel. Und nach einem langen Prozess des Nachdenkens, des Erwägens mit Experten wurde vom Gemeindekirchenrat beschlossen, zwei Orgeln zu bestellen, und die Gemeinde – und ich auch –, wir freuen uns auf den nächsten Sonntag, wo diese Orgeln eingeweiht werden.

Gessler: Haben Sie denn eine Idee – weil wir hatten ja auch einen anderen Beitrag in der Sendung über die Martin-Luther-Gedächtniskirche in Berlin-Mariendorf, die diese schreckliche Geschichte hat – wie man mit so einer schwierigen, sperrigen Kirche umgehen kann?

Huber: Ich selber bin durch meine Arbeit beim Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg und bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz mit der zusätzlichen Nutzung dieser Kirche befasst und bin sicher, dass die Gemeinde auch genug ehrenamtliches Potenzial hat, ein Zentrum der Versöhnung dort einzurichten. Diese Kirche ist ein Zentrum der Nagelkreuz-Gemeinde von Coventry, dort ist auch regelmäßig eine Andacht, eine Nagelkreuz-Andacht, es werden Lesungen abgehalten, Konzerte, und dann und wann Gottesdienste.

Gessler: Aber können Sie das nachempfinden, dass manche Leute am liebsten diese ganze Kirche eher gesprengt sähen?

Huber: Damit kann ich mich überhaupt nicht einverstanden erklären. Dieses Gotteshaus ist deutsche Geschichte, diese Geschichte können wir nicht ausradieren mit einer Sprengung. Dieses Gotteshaus wurde schon vor dem Nationalsozialismus geplant, im Jahre 1908, und die Grundanlage dieser Kirche ist hervorragend. Dass sie dann ein Architekt gebaut hat, der nationalsozialistische Weltanschauungen in dieser Kirche realisiert haben wollte, ist für uns heute sehr abstoßend und befremdlich, aber die Gemeinde hat eine Dorfkirche, eine Feldsteinkirche aus dem 10. Jahrhundert, und diese Erblast, muss mann sagen, und zu dieser Kirche steht die Gemeinde.

Gessler: Sie haben das Wort "befremdlich" genutzt. Manchmal hat man ja im säkularisierten Berlin und Brandenburg das Gefühl, dass mittlerweile Kirchen fast so etwas wie Fremdkörper sein könnten. Ist da etwas dran?

Huber: Daran ist überhaupt nichts. Kirchen sind Zeugnis einer kulturellen Geschichte, eines Werdens von Siedlungen, von Dörfern, vor allem in Brandenburg ist es sehr wichtig, dass in der Kirche ja ein Zeitzeugnis ist von gelebter Geschichte, von wechselvoller Geschichte, wo die Menschen ihren Ort, ihre Heimat haben. Und wenn jetzt die Dörfer immer kleiner werden, immer weniger Einwohner dort werden, bleiben die Kirchen das Zeugnis und der Spiegel der Geschichte, und auf keinen Fall sollte man im Augenblick diese Kirchen entwidmen.

Gessler: Jetzt gibt es, Sie haben das ja gesagt, immer weniger Menschen, gerade in der Fläche in Brandenburg zum Beispiel, ja auch immer weniger junge Menschen. Was kann man denn machen, damit auch junge Menschen auf dem Lande mit den Kirchen etwas anfangen können?

Huber: Das ist eine sehr schwierige und problematische Situation, weil die jungen Familien keine Arbeit haben, oder nicht die ihnen angemessene Arbeit, die sie sich wünschen, und deswegen ziehen diese jungen Familien weg. Und diejenigen, die bleiben, die versuchen, viele Gemeinden mit neuen Formen der Musik, neuen Formen des Theaterspiels, der Gemeinschaft dort zu halten. Es gibt Jugendpfarrer für ganze Regionen, die mit den jungen Menschen in andere Gemeinden fahren, zum Beispiel in der Uckermark haben sie eine Verbindung zu schwedischen Kirchen, es sind Taizé-Gemeinden dort. Jugendliche müssen ein reichhaltiges Angebot haben, damit sie den Gefahren des Internets, die sehr verlockend sind, auch Schritt für Schritt entgehen können.

Gessler: Manchmal hat man ja den Eindruck, gerade in Brandenburg, wenn man unterwegs ist: So schön die Landschaft ist – aber die Dörfer wirken fast etwas gottverlassen.

Huber: Die Anschauung, dass Siedlungen von Menschen gottverlassen sind, teile ich nicht. Gott ist überall, auch wenn er im Augenblick in den Kirchengemeinden nicht so zu sehen ist. Gott ist unsichtbar. Aber ich bin davon überzeugt, dass mit gemeinsamen Anstrengungen auch von den Menschen, die dort hinziehen – denn es ziehen ja auch viele Menschen dort wieder hin, die die Ruhe, die Gelassenheit suchen –, ... Es ist eine Frage der Geduld und des langen Atems, dass diese Region auch wieder stärker bevölkert wird.

Gessler: Interessant ist ja manchmal, dass es auch den gegenteiligen Effekt gibt, dass Konfessionslose, die es ja gerade in Ostdeutschland sehr viele gibt, in manchen Dörfern die Kirche auch als einen Punkt der Identität definieren, obwohl sie selber nicht mehr gläubig sind. Wie ist das zu erklären?

Huber: Die Menschen, die während der DDR nicht in die Kirche gegangen sind, hatten ihre Gründe dafür, und haben jetzt, nach fast 25 Jahren, das Gefühl: Wir möchten dazugehören, dass wir die Wurzeln in unserem Dorf, die prägend sind, wieder entdecken. Und mit den Förderkreisen, an deren Gründung ich auch beteiligt bin, versuchen wir, die Verbindung zwischen Kommune und Kirchengemeinde zu verstärken, dass sich alle Menschen identifizieren mit ihrer Dorfkirche, dass sie mitten im Dorf ist, dass sie ein Anker, ein Halt ist und ein kulturelles Zeugnis, auf das viele im Dorf, auch die, die nicht gläubig sind, stolz sind.

Gessler: Und was macht Sie stolz, wenn Sie sich die Gemeinden und die Kirchen in Berlin und Brandenburg anschauen, was macht Ihnen Mut?

Huber: Mir macht Mut, dass ich in einer Reihe von Generationen stehe, die ein Hoffnungszeugnis ablegen, dass die Zukunft nicht dunkel ist, sondern dass wir Wege finden müssen, und zwar gemeinsam und vereint, die Licht auf unseren Alltag werfen. Wir sind global vernetzt, wir haben viele Möglichkeiten, in die Welt zu kommen, aber unsere Mitte, unser Herz sollten wir in unserer Heimat – für mich ist es Berlin und Brandenburg – haben.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.