Strafende Macht oder unbestimmtes Etwas?
08:48 Minuten
Nur noch eine Minderheit der Gläubigen stellt sich einen personalen Gott vor. Auch viele Theologen sind in diesem Punkt zurückhaltender als früher. Die Pandemie hat dieser Krise im Gottesbild noch Vorschub geleistet.
Die Pandemie ist nicht ohne Grund gekommen. Den Menschen fehlt es an einem aufrichtigen Glauben an Gott. Das ist zumindest die Botschaft des katholischen Weihbischofs Marian Eleganti aus dem Schweizer Ort Chur, die er am Anfang der Pandemie in einem YouTube-Video verkündete:
"Wenn wir ins Alte Testament schauen, in die Heilige Schrift, dann sehen wir eigentlich immer einen Zusammenhang zwischen der spirituellen Befindlichkeit und Treue des Volkes Israels und den historischen Ereignissen, auch Seuchen, Krankheiten. Das Vertrauen auf Gott, das ist existenziell."
Fundamentalisten sehen Corona als Strafe Gottes
Für den erzkonservativen Katholiken ist klar: "Es ist immer so, wie der Prophet sagt: 'Glaubst du, so bleibst du; glaubst du nicht, gehst du unter.' Wir sollten an Gott glauben und beten" – um von Corona verschont zu bleiben.
Corona als eine Strafe Gottes, um die Menschen auf den rechten, gottgefälligen Weg zu bringen? Nur eine kleine Minderheit unter den Gläubigen in Deutschland vertritt diese Position, die man während der Pandemie vor allem an den fundamentalistischen Rändern der Religionsgemeinschaften hören konnte.
Debatte infantil und sinnlos
Der katholische Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer und der Münsteraner Professor für Islamische Philosophie, Milad Karimi, haben für derartige Haltungen kein Verständnis: "Von der Strafe Gottes angesichts der Coronakrise zu sprechen, finde ich fürchterlich und zynisch", sagt Wilmer. "Ich bin fest davon überzeugt: Die Coronakrise ist keine Strafe Gottes, sondern eine Naturkatastrophe, und Naturkatastrophen gehören zu unserem Welt- und Gottesbild."
Und Karimi ergänzt: "Ich halte eine solche Debatte für höchst infantil und für das theologische Verständnis unglaublich sinnlos. Weil wir Gott dadurch erniedrigen zu jemandem, der abhängig davon ist, irgendwelche Krankheiten zu erfinden, diese blind in die Welt zu streuen und Menschen damit zu bestrafen."
Gott ist nur noch eine Chiffre
Wenn die Pandemie keine Strafe Gottes ist, hat sie dann überhaupt etwas mit dem Wirken Gottes zu tun? Ulrich Körtner ist evangelischer Professor für Systematische Theologie an der Universität Wien: "Da gibt es in der Theologie eine große Verlegenheit. Der Kirche und der Theologie fällt es heute schwer, in einer plausiblen Weise von einem handelnden Gott zu sprechen."
Körtner beklagt, dass sich die meisten Theologinnen und Theologen scheuen, Gott und Corona in eine direkte Beziehung zu setzen. Dahinter stecke nicht weniger als die Frage nach dem Gottesbild. Was ist das für ein Gott?
"Zumindest in kirchlichen Stellungnahmen ist Gott nur noch eine Chiffre, und ich glaube, dass wir es hier mit einer theologischen Auszehrung in den letzten Jahrzehnten zu tun haben", so Körtner. "Es gibt da eine allgemeine Entwicklung in der Theologie, die jetzt in solchen Erfahrungen wie dem Schweigen der Kirchen zu wirklichen theologischen Fragen in der Pandemie ganz offenkundig wird."
Nicht Strafe, sondern Prüfung?
Staatsloyalität, Wissenschaftsgläubigkeit und Ethik seien die Antworten der Kirchen auf die Pandemie, kritisiert der Wiener Theologieprofessor Ulrich Körtner. Das sei zu wenig: "Man landet am Ende wieder bei ethischen Appellen, aber man hat nicht mehr so einen Bezug auf den Gott, auf den man im Leben und Sterben vertrauen will und auf den man hofft, wenn man merkt, dass Menschen mit ihren Möglichkeiten an Grenzen stoßen."
Körtner will dagegen Corona nicht ethisch interpretiert sehen. Er lehnt zwar das Bild eines strafenden Gottes ab, aber: "Eine solche Situation kann ich im biblischen Sinn als eine Prüfung verstehen: Es ist eine Situation, in der sich unser Glaube zu bewähren hat und dieser Glaube lebt aber immer in der Spannung von dem, was wir von Gott erhoffen, was wir vor ihm bekennen, und dem, was unsere Lebenserfahrung ist. Und zwar nicht nur ethisch, sondern auch im persönlichen Glauben, im Gottvertrauen, im Gebet, das gehört für mich dazu."
Hat Gott sich aus der Geschichte verabschiedet?
Gottvertrauen und Gebet gehören auch für den katholischen Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer zu den Fundamenten seines Glaubens. Aber er betont, die Menschen seien nicht Marionetten Gottes: "Die Bibel spricht davon, dass Gott uns ausgestattet hat mit einem freien Willen. Wir sind in der Lage, unser Leben in die Hand zu nehmen, aber wir sind nicht Alleinherrscher. Wir müssen weg von der Vorstellung, der Mensch sei das Zentrum der Welt."
Die Theologie bewegt sich hier auf einem schmalen Grat. Wenn Gott den Menschen mit einem freien Willen ausgestattet hat, hat er sich, der in christlichen Gebeten als "Allmächtiger" bezeichnet wird, dann aus der Geschichte verabschiedet?
Nein, sagt der Leipziger evangelische Theologe Christian Wolff: "Als glaubender Christ gehe ich davon aus, dass Gott immer wieder in unser Leben eingreift, und mir auch im persönlichen Leben immer wieder Warn- und Stoppschilder in den Weg stellt. Wenn ich nicht so denken und glauben würde, würde ja jedes Gebet seinen Sinn verlieren und jede Fürbitte."
Kein Deus ex machina
Doch hilft das Beten, hilft die Fürbitte? Vielleicht nicht in dem Sinn, dass Gott konkrete Wünsche erfüllt. Aber in der Klage seien die Menschen näher bei Gott. Der evangelische Religionswissenschaftler Andreas Grünschloß ist sich sicher: "Gott ist bei euch, der unterstützt euch jetzt in dieser Krise. Er ist derjenige, der euch tröstet, der euch nah ist, gerade wenn ihr jetzt Angehörige verliert, gerade wenn ihr euch allein fühlt."
Aber Gott greife nicht wie ein deus ex machina in das Geschehen der Menschen ein. Das seien alte Gottesbilder, die spätestens seit Beginn der kritischen Bibelexegese obsolet geworden seien.
Andreas Grünschloß, der selbst evangelischer Theologe ist, verteidigt die Haltung der Kirchen während der Pandemie: "Bei uns ist Sachanalyse angesagt und dann ist die Spiritualität, die dann als Antwort kommt: Ethik."
Glaubensbekenntnis in der Krise
Ethik statt Hinwendung zu Gott? Hat Gott keine Relevanz mehr für eine Rettung in der Not? "Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde ..." – Das Glaubensbekenntnis kommt selbst Christinnen und Christen oft nur noch schwer über die Lippen.
Lediglich gut die Hälfte der Deutschen gab vor zwei Jahren bei einer Meinungsumfrage an, an einen Gott zu glauben. Bei den Katholiken glaubt jeder Vierte, bei den Protestanten jeder Dritte nicht mehr an Gott. Und nur rund die Hälfte der eingeschriebenen Christen erwartet ein Leben nach dem Tod.
Nur wenige glauben an Gott als handelnde Person
Die Frage, wie die Kirchen theologisch auf die Corona-Pandemie reagieren sollen, entwickelt sich vor dem Hintergrund eines sich bei Gläubigen stark wandelnden Gottesbildes. Julia Knop ist Professorin für katholische Dogmatik an der Universität Erfurt:
"Wir sind gerade in einer ganz starken Veränderung, Transformation von Religion. Und ich glaube, Religion wird auf der einen Seite vager. Der tschechische Soziologe Tomas Halik, zum Beispiel, spricht von dem Etwas-Ismus, also dass viele kein personales Gottesbild für sich entdecken können. Aber etwas muss es ja geben, etwas Transzendentes. Die andere Seite ist, glaube ich, dass das Gottesbild ernsthafter wird."
Glaubende und Nichtglaubende machten nun tastende Bewegungen, um Gott neu zu entdecken, so Haliks Analyse. Vielleicht sind deswegen die Kirchen zurückhaltend geworden mit einem Bezug auf einen persönlichen Gott. Er ist nur noch für eine Minderheit der Gläubigen vorstellbar.
Manche Theologen wollen Gott zwar immer noch so begreifen: nicht unbedingt als strafende, aber doch als handelnde Person. Doch dieses Gottesbild trägt offenbar für viele nicht mehr – auch das hat Corona ans Licht gebracht.