Gottespräsenz im Bild
Kein Bild ohne Körper, ohne Medium, ohne Glauben. Mit dieser Kurzformel ließe sich das "Credo" des Kunstwissenschaftlers Hans Belting umreißen, der in seinem Buch "Das echte Bild" versucht, die europäische Religionsgeschichte als Bildgeschichte zu lesen. Dabei fasst er vor allem zwei Epochen ins Auge, Spätantike und Reformation, ohne je von der das Bild wieder vergötternden Gegenwart abzusehen.
In Robert Zemeckis Film "Forrest Gump" joggt der Titelheld monatelang durch die USA. Als man ihm ein Handtuch reicht, wischt sich Forrest kurz durchs Gesicht, läuft weiter und hinterlässt als Abdruck den Ur-Smiley. Kein echtes Bild, nur ein Zeichen! Geschickt, mit gebotener Distanz spielt der Film auf die christliche Legende vom Schweißtuch der Veronika an und verdeutlicht augenzwinkernd die Herkunft der Emoticons, die in SMS und E-Mails zahlreich zum Einsatz kommen.
Auch in anderen Sequenzen hält es der Film mit der Wahrheit nicht so genau. Angesichts von Material aus Dokumentarfilmen, das mit nachgestellten Szenen angereichert ist, drängen sich Fragen auf: Was ist hier echt, was fiktiv, virtuell? Was ermöglicht Anschauung und Deutung von Wirklichkeit? Was hingegen dient der Illusion, dem bloßen Spiel – und verstellt die Sicht auf das, was wirklich ist?
Derlei Fragen führen ins Zentrum von Hans Beltings Buch "Das echte Bild", in dem der emeritierte Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie ausgiebig "die religiösen Wurzeln der europäischen Bildkultur und ihre nachhaltigen Probleme" in den Blick nimmt. Angesichts der Christentums- und Theologiegeschichte richtet Belting, der sich selbst als Agnostiker bezeichnet, seinen Blick insbesondere auf das Zeitalter der Spätantike und der Reformation.
"In der Spätantike, dem ersten Szenarium, bekam eine christliche Lehre, die schon seit Jahrhunderten existierte, die historische Chance, eine neue Kultur hervorzubringen. Sie definierte sich auch in der Bildfrage, wie der spätere Ikonoklasmus beweist, ebenso gegen das bilderlose Judentum wie gegen den Polytheismus, der seine Götter in Bildwerken anschaute, und später gegen den Islam."
Der Glaube an die Verkörperung Gottes in und durch Jesus Christus, den Paulus als "Ebenbild des unsichtbaren Gottes" sieht, macht zum einen philosophisch-theologische Reflexionen erforderlich: Wer war der Gekreuzigte und Auferstandene? Wahrer Gott? Wahrer Mensch? Zum anderen drängen sich ganz praktische Fragen auf: Welcher Stellenwert kommt Bildern von Jesus Christus zu? Sind diese leblosen Artefakte in der Lage, das Entscheidende, die Beziehung zum Ursprung vor Augen zu führen?
"Die Inkarnationslehre gab dem Körper Christi eine unerhörte Bedeutung, da er selbst das einzige Bild gewesen war, in dem Gott für die Menschen sichtbar wurde: er war gleichsam das "echte Bild", ohne jedoch physischen Bildern zu gleichen. Als man in der Spätantike unter den Ikonen nach einem echten Bild suchen ging, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis man im Bilderstreit eine starke Opposition unter den Theologen gegen sich mobilisiert hatte."
In diesem Zusammenhang geht Belting näher auf die turbulente Frühgeschichte des Themas, auf die Unterschiede zwischen Bildbegriff und gemaltem Bild sowie auf die Zusammenhänge zwischen Person- und Maskenbegriff ein. Vor der Folie der Legende vom Schweißtuch der Heiligen Veronika, deren Name auf die Worte "vera" (lat.: wahr, echt, authentisch) und "eikon" (gr.: Bild) zurückgeht, gibt der Forscher zu verstehen:
"Zwischen Abdruck und Abbild gibt es [...] eine Zwischenform, die beides in sich vereint: das ist die Maske. Sie konnte sowohl von einer Mutterform, einem Gesicht, abgenommen wie auch anschließend als Bild eigener Art etabliert werden. [...] Das Gesicht, das Christus in das Tuch gedrückt hatte, verwandelt sich, als das Tuch allein übrig geblieben war, dort in das Paradox einer echten Maske, echt insofern, als sie von jenem zeugt, der das Gesicht einmal getragen hatte."
Die klassische Ikone, so Belting, stellt im Grunde eine Lebendmaske dar, die bezeichnenderweise just dann vermehrt auftritt, als das heidnische Maskentheater zu Ende geht. Zeitgleich löst der Kirchenraum das Theater, löst die liturgische Praxis das antike Schauspiel ab.
Als zweites Szenarium, als weitere Schwellenzeit, von der die europäische Kultur grundlegend geprägt wurde, stellt Belting das Zeitalter der Reformation heraus. Verkürzt lässt sich sagen: Gegenüber dem Kultbild und dessen Verehrung bringt Martin Luther das Schriftwort in Stellung. Dabei spricht der Reformator kein generelles Bilderverbot aus; einige seiner Mitstreiter hingegen legen das Zweite Gebot – "Du sollst dir kein Bildnis machen" – radikaler aus.
"Bildersturm war Bilderkult unter umgekehrten Vorzeichen. ... Bildersturm war die kollektive Antwort auf den Zwang, den Bildern blinden Glauben entgegenzubringen, einen Glauben, der primär nicht ihnen selbst, sondern denen galt, die sie aufgestellt hatten. [...] Man wollte das Erscheinungsbild der Urkirche, einer, wie man meinte, medial noch nicht korrumpierten Gemeinde reinen Glaubens, wiederherstellen, aber warf sich tatsächlich in die Arme der Medienrevolution, die in der Gutenberg-Ära stattfand."
Derlei medienhistorische Pointen machen die Lektüre von Beltings Buch ebenso zum Gewinn, ja zum Vergnügen, wie die präzise dargelegten philosophisch-theologischen Gedankengänge, ganz zu schweigen von der guten Aufmachung des Bandes mit zahlreichen Belegbildern. Auf dem Weg zur Etablierung seiner "Bild-Anthropologie", der das Verständnis von Bildwissenschaft als Kulturwissenschaft zugrunde liegt, ist Belting ein weiterer großer Schritt gelungen.
Beim Nachdenken über Bildergläubigkeit – damals wie heute – erweist sich die kompromisslose Antithese von Bild und Zeichen als ebenso wichtige und fruchtbare Basis wie die Betonung der Trias Körper–Bild–Medium. All das gewinnt im aktuellen Karikaturenstreit erneutes Anschauungsmaterial, hat doch der Islam den Medienwechsel von der Gottespräsenz im Buchstaben zur Gottespräsenz im Körper – und folglich im Bild – nicht mitgemacht.
Hans Belting: Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen
C.H. Beck Verlag: München 2005
240 Seiten, 29 Euro
Auch in anderen Sequenzen hält es der Film mit der Wahrheit nicht so genau. Angesichts von Material aus Dokumentarfilmen, das mit nachgestellten Szenen angereichert ist, drängen sich Fragen auf: Was ist hier echt, was fiktiv, virtuell? Was ermöglicht Anschauung und Deutung von Wirklichkeit? Was hingegen dient der Illusion, dem bloßen Spiel – und verstellt die Sicht auf das, was wirklich ist?
Derlei Fragen führen ins Zentrum von Hans Beltings Buch "Das echte Bild", in dem der emeritierte Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie ausgiebig "die religiösen Wurzeln der europäischen Bildkultur und ihre nachhaltigen Probleme" in den Blick nimmt. Angesichts der Christentums- und Theologiegeschichte richtet Belting, der sich selbst als Agnostiker bezeichnet, seinen Blick insbesondere auf das Zeitalter der Spätantike und der Reformation.
"In der Spätantike, dem ersten Szenarium, bekam eine christliche Lehre, die schon seit Jahrhunderten existierte, die historische Chance, eine neue Kultur hervorzubringen. Sie definierte sich auch in der Bildfrage, wie der spätere Ikonoklasmus beweist, ebenso gegen das bilderlose Judentum wie gegen den Polytheismus, der seine Götter in Bildwerken anschaute, und später gegen den Islam."
Der Glaube an die Verkörperung Gottes in und durch Jesus Christus, den Paulus als "Ebenbild des unsichtbaren Gottes" sieht, macht zum einen philosophisch-theologische Reflexionen erforderlich: Wer war der Gekreuzigte und Auferstandene? Wahrer Gott? Wahrer Mensch? Zum anderen drängen sich ganz praktische Fragen auf: Welcher Stellenwert kommt Bildern von Jesus Christus zu? Sind diese leblosen Artefakte in der Lage, das Entscheidende, die Beziehung zum Ursprung vor Augen zu führen?
"Die Inkarnationslehre gab dem Körper Christi eine unerhörte Bedeutung, da er selbst das einzige Bild gewesen war, in dem Gott für die Menschen sichtbar wurde: er war gleichsam das "echte Bild", ohne jedoch physischen Bildern zu gleichen. Als man in der Spätantike unter den Ikonen nach einem echten Bild suchen ging, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis man im Bilderstreit eine starke Opposition unter den Theologen gegen sich mobilisiert hatte."
In diesem Zusammenhang geht Belting näher auf die turbulente Frühgeschichte des Themas, auf die Unterschiede zwischen Bildbegriff und gemaltem Bild sowie auf die Zusammenhänge zwischen Person- und Maskenbegriff ein. Vor der Folie der Legende vom Schweißtuch der Heiligen Veronika, deren Name auf die Worte "vera" (lat.: wahr, echt, authentisch) und "eikon" (gr.: Bild) zurückgeht, gibt der Forscher zu verstehen:
"Zwischen Abdruck und Abbild gibt es [...] eine Zwischenform, die beides in sich vereint: das ist die Maske. Sie konnte sowohl von einer Mutterform, einem Gesicht, abgenommen wie auch anschließend als Bild eigener Art etabliert werden. [...] Das Gesicht, das Christus in das Tuch gedrückt hatte, verwandelt sich, als das Tuch allein übrig geblieben war, dort in das Paradox einer echten Maske, echt insofern, als sie von jenem zeugt, der das Gesicht einmal getragen hatte."
Die klassische Ikone, so Belting, stellt im Grunde eine Lebendmaske dar, die bezeichnenderweise just dann vermehrt auftritt, als das heidnische Maskentheater zu Ende geht. Zeitgleich löst der Kirchenraum das Theater, löst die liturgische Praxis das antike Schauspiel ab.
Als zweites Szenarium, als weitere Schwellenzeit, von der die europäische Kultur grundlegend geprägt wurde, stellt Belting das Zeitalter der Reformation heraus. Verkürzt lässt sich sagen: Gegenüber dem Kultbild und dessen Verehrung bringt Martin Luther das Schriftwort in Stellung. Dabei spricht der Reformator kein generelles Bilderverbot aus; einige seiner Mitstreiter hingegen legen das Zweite Gebot – "Du sollst dir kein Bildnis machen" – radikaler aus.
"Bildersturm war Bilderkult unter umgekehrten Vorzeichen. ... Bildersturm war die kollektive Antwort auf den Zwang, den Bildern blinden Glauben entgegenzubringen, einen Glauben, der primär nicht ihnen selbst, sondern denen galt, die sie aufgestellt hatten. [...] Man wollte das Erscheinungsbild der Urkirche, einer, wie man meinte, medial noch nicht korrumpierten Gemeinde reinen Glaubens, wiederherstellen, aber warf sich tatsächlich in die Arme der Medienrevolution, die in der Gutenberg-Ära stattfand."
Derlei medienhistorische Pointen machen die Lektüre von Beltings Buch ebenso zum Gewinn, ja zum Vergnügen, wie die präzise dargelegten philosophisch-theologischen Gedankengänge, ganz zu schweigen von der guten Aufmachung des Bandes mit zahlreichen Belegbildern. Auf dem Weg zur Etablierung seiner "Bild-Anthropologie", der das Verständnis von Bildwissenschaft als Kulturwissenschaft zugrunde liegt, ist Belting ein weiterer großer Schritt gelungen.
Beim Nachdenken über Bildergläubigkeit – damals wie heute – erweist sich die kompromisslose Antithese von Bild und Zeichen als ebenso wichtige und fruchtbare Basis wie die Betonung der Trias Körper–Bild–Medium. All das gewinnt im aktuellen Karikaturenstreit erneutes Anschauungsmaterial, hat doch der Islam den Medienwechsel von der Gottespräsenz im Buchstaben zur Gottespräsenz im Körper – und folglich im Bild – nicht mitgemacht.
Hans Belting: Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen
C.H. Beck Verlag: München 2005
240 Seiten, 29 Euro