Gottesurteil durch "Altarlotterie"

Anne Françoise Weber im Gespräch mit Dieter Kassel |
Die Kopten haben einen neuen Papst. In Kairo wurde Bischof Tawadros per Los zum 118. Kirchenoberhaupt bestimmt. Der neue Papst wolle eine dienstleistende, eine pastorale Kirche, die sich "nur in Extremfällen" in die Politik einmische, erklärt die Religionssoziologin Anne Françoise Weber.
Dieter Kassel: Ein neunjähriger Junge hat gestern in der Sankt-Markus-Kathedrale in Kairo einen Zettel aus einer Urne gezogen. In dieser Urne waren insgesamt drei Zettel mit drei verschiedenen Namen und der Junge griff nach dem Zettel mit dem Namen Tawadros. Und damit ist Tawadros II. nun der neue Papst der koptischen Christen in Ägypten, am 18. November wird er sein Amt antreten.

Wer ist dieser Mann und welche Aufgaben stehen ihm jetzt bevor? Darüber wollen wir jetzt mit der Religionssoziologin und Journalistin Anne Françoise Weber in Kairo reden. Schönen guten Tag, Frau Weber!

Anne Françoise Weber: Guten Tag nach Berlin!

Kassel: Wer ist denn nun Tawadros II.?

Weber: Ja, ein doch ganz bekannter Mann hier. Er war seit 15 Jahren Weihbischof im Nildelta, ist gestern gerade 60 geworden. Er ist erst mal Pharmazie studiert, kommt aber aus einer religiösen Familie, ist mit 34 dann Priester, Mönch geworden, ist engagiert in der Jugendarbeit, kann wohl ganz gut erklären, hat viele Bücher geschrieben und hat jetzt schon gesagt, er will eine dienstleistende Kirche, eine pastorale Kirche, die Kirche soll sich nur in Extremfällen in die Politik einmischen. Er hat gute Beziehungen zu den Muslimbrüdern, was natürlich hier in Ägypten zurzeit ein ganz wichtiger Punkt ist.

Kassel: Bevor wir gleich über all das reden, was er wohl wird bewältigen müssen in seinem Amt, reden wir doch bitte, Frau Weber, noch ein bisschen über diese Wahl! Aus Sicht von Nichtkopten sah das - man konnte es im deutschen Fernsehen ja auch sehen - ein bisschen merkwürdig aus: Ein kleiner Junge greift in eine Urne! Bevor wir darüber reden, was ist denn vorher passiert? Wie kamen denn überhaupt diese drei Endkandidaten zustande?

Weber: Also, da ist schon einiges passiert, es liegt also jetzt nicht alles an diesem angeblichen Gottesurteil, was da in der Hand des kleinen Jungen gewesen sein soll. Es gab erst mal sehr viele Kandidaturen, von denen dann geprüft wurde, wer überhaupt zugelassen werden kann. Das wurde vom Interimspapst und einigen Beratern geprüft.

Da kamen dann 17 Kandidaten raus und von diesen 17 Kandidaten wurde dann noch mal ganz kräftig reduziert auf fünf. Das hat eben auch dieser Interimspapst mit seinen Beratern gemacht. Und unter diesen fünf, da gab es dann noch eine große Wahl mit rund 2400 Wahlleuten, die also jetzt sich nicht auf einen einigen mussten, sondern eben diese drei letzten Kandidaten bestimmen sollten.

Kassel: Und wie werden diese Wahlleute bestimmt?

Weber: Die werden auch wiederum vom Interimspapst und einem Laien- und Klerusgremium bestimmt. Da gab es relativ strenge Kriterien, die Leute müssen ein bestimmtes Mindesteinkommen haben, sie müssen einen Universitätsabschluss haben. Dadurch werden natürlich arme und ungebildetere Kopten ausgeschlossen.

Es waren auch nur fünf Prozent Frauen vertreten, was nun natürlich auch nicht dem Anteil der Frauen in der koptischen Bevölkerung entspricht. Und es waren immerhin 20 Prozent Kopten aus dem Ausland vertreten, was natürlich auch wichtig ist, denn dieser Papst ist ja nicht nur Papst für die Kopten in Ägypten, sondern für die Kopten weltweit.

Kassel: Ist eigentlich diese Art und Weise, wie dann die Wahl am Ende ausgeht, also, ein Junge, ein neunjähriges Kind, das mit verschlossenen Augen ja aus Sicht der Kopten ein Gottesurteil fällt, aus Sicht von Nichtkopten vielleicht einfach eine Art Verlosung durchführt, ist das eigentlich umstritten?

Weber: Ja, ein wenig. Wobei, ich habe den Eindruck, es sind noch ganz andere Sachen umstritten: Eben diese Frage, ist das okay, so ein Mindesteinkommen oder einen Universitätsabschluss zu verlangen von den Wahlleuten? Ist es überhaupt okay, dass Bischöfe antreten? Also, lange Zeit waren das eben nur Mönche, die Papst werden konnten, und jetzt sind ja auch Bischöfe dabei gewesen und wurde es ja auch ein Bischof. Diese Altarlotterie, wie das manche nennen, ja, finden schon manche etwas bizarr. Es soll ja eine alte Tradition sein, die aber auch nicht immer angewendet wurde.

Es soll eben auch einen Riegel vorschieben dagegen, dass es zu starken Wahlkampf gibt oder Bestechung oder Manipulation. Und in einem Land, in dem solche Dinge natürlich doch häufiger vorkommen, finden das, glaube ich, dann manche Leute doch auch ganz richtig, dass eben zuletzt das einfach nur noch der Zufall oder Gott jedenfalls überlassen bleibt.

Kassel: Und wer wählt eigentlich dann das Kind am Ende aus?

Weber: Das hat auch der Interimspapst gemacht. Also, da gab es irgendwie auch zwölf Kinder, die ... Also, es gab Bewerbungen und dann wurde wieder geprüft und dann waren zwölf Kinder bestimmt, die es hätten sein können, und dann, entweder am Samstag oder am Sonntag selbst, hat dieser Interimspapst davon eins ausgewählt.

Kassel: Wir reden heute hier im Deutschlandradio Kultur mit der Journalistin und Religionssoziologin Anne Françoise Weber über den neuen koptischen Papst. Gestern ist er gewählt worden, Tawadros II. Was erwartet den nun alles, Frau Weber, welche Probleme hat er zu lösen?

Weber: Ja, jede Menge! Also, einerseits innerhalb der Kirche, da stehen doch einige Reformen an, das Prozedere der Papstwahl ist ja nun nicht unumstritten, auch das Scheidungsrecht ist ein großes Thema hier. Das war früher liberaler, mittlerweile dürfen Kopten sich nur aus ganz wenigen Gründen scheiden lassen. Und deswegen gibt es relativ viele Konversionen zum Islam, denn im Islam ist es leichter, sich scheiden zu lassen. Auch die Ausbildung der Priester ist eine Frage. Also, das so zum Thema innerkirchliche Reformen.

Dann muss er natürlich versuchen, die Jugend bei der Kirche zu behalten, wie das sich jede Kirche bemühen muss, dass ihr der Nachwuchs nicht wegläuft. Und dann, ja, im Politischen gibt es ja natürlich auch jede Menge zu tun. Es wird ja gerade die neue Verfassung ausgearbeitet und da haben die Christen große Sorge, dass ihnen nicht genügend Rechte zugebilligt werden, dass die Scharia als muslimische Rechtsgrundlage für das ganze Staatsgebilde festgelegt wird. Also, hier sich dafür einzusetzen, dass die Rechte der Christen gewährleistet sein werden, das ist eine Aufgabe. Und dann muss er auch vor Ort vermitteln, denn es gibt ja doch immer wieder Auseinandersetzungen und auch Gewalttaten gegen Christen, und auch da wird er präsent sein müssen.

Kassel: Wie ist denn da überhaupt die Stimmung unter den Kopten in Ägypten? Wenn man in unseren Medien etwas hört, dann sind es immer zwei Extreme: Viele Ältere, die sagen, wir wollen uns gar nicht in die Politik einmischen, wir sind eine der ältesten Glaubensgemeinschaften der Welt, wir warten das ab; auf der anderen Seite haben ja junge Kopten auch die Koptische Bruderschaft gegründet, die so etwas sein soll wie ein Gegenstück zur Muslimbruderschaft. Also, in welche Richtung geht das, eher abwartend oder eher doch aggressiv?

Weber: Also, auch diese Koptische Bruderschaft ist nicht so aggressiv, wie der Name klingt. Das wissen die Kopten auch, dass sie hier jetzt kein Pendant zur Muslimbruderschaft aufstellen. Sie sagen sogar, die Leute, die das gegründet haben, das soll jetzt keine politische Partei werden, sondern sie wollen vor allem Menschenrechtsverletzungen an Kopten dokumentieren. Ja, insgesamt war der große Elan eben mit der Revolution, wo viele junge Leute ja auch sogar gegen das Votum des damaligen Papstes demonstriert haben und sich engagiert haben und den Eindruck hatten, jetzt ist die Zeit, ihre Bürgerrechte einzufordern ...

Es gibt Leute, die damit weitermachen, es gibt auch verschiedene Formationen jenseits dieser Koptenbruderschaft, die sich gegründet haben. Aber bei einigen hat doch auch schon die Enttäuschung eingesetzt. Es gibt da eben weiterhin diese Übergriffe und, ja, mit dieser Verfassung haben sie jetzt bisher nicht den Eindruck, dass sie da also genau so vollwertige Bürger sein werden wie die Muslime.

Kassel: Das heißt, es ist wirklich für viele Kopten beunruhigend, dass sowohl bei den Parlaments- als auch bei den Präsidentenwahlen ja doch islamistische Kräfte viele Stimmen bekommen haben?

Weber: Es ist beunruhigend. Es ist andererseits in der Praxis jetzt noch nicht so, dass ganz viel gegen die Kopten vorgegangen wurde. Präsident Mursi bemüht sich auch sehr zu sagen, er sei ein Präsident für alle Ägypter, also auch die Kopten, und, ja, geht also wirklich auch auf die Christen zu.

Also, bisher ist das noch nicht so greifbar, aber, ja ... Auf jeden Fall hat er dem keinen Riegel vorgeschoben, dass Leute am Kirchgang gehindert werden, dass es immer wieder Übergriffe gibt, dass es Vertreibungen gab von Christen. Also, da, ja, gibt es schöne Worte, aber bisher vielleicht doch noch nicht genug Taten, die die Kopten überzeugen würden, dass wirklich hier in Ägypten auch dauerhaft Platz für sie ist.

Kassel: Bevor nun Tawadros II. gewählt wurde, gab es über 40 Jahre lang einen koptischen Papst namens Schenuda III. Inwiefern - der ist im März gestorben, Sie haben das schon gesagt, ein Interimpapst hat jetzt einige Geschäfte geführt -, inwiefern muss sich denn der neue Papst von dem abgrenzen oder die Tradition fortsetzen? Der war ja sicherlich nach 40 Jahren doch eine Institution!

Weber: Der war eine Institution, war sehr respektiert auch von Muslimen. Ich sprach gestern noch mit einer Muslima, die gesagt hat, sobald sie den Papst im Fernsehen gesehen hat, hat sie alles stehen und liegen lassen und ihm zugehört, der war so eine Autorität und hat so kluge Sachen gesagt! Also, das ist sicherlich schwierig, in solche Fußstapfen zu treten.

Andererseits gab es doch auch einige Kritik an Schenuda, eben weil er relativ regimenah war in den letzten Jahrzehnten und, ja, eben noch am 25. Januar, also dem ersten Tag der großen Revolutionsdemos, den Leuten gesagt hat, bleibt zu Hause, demonstriert nicht. Also, ich glaube, die Leute haben auch Lust darauf, dass es jetzt ein neuer Papst wird, der neue Wege geht.

Und es war wirklich sehr viel zu hören von Kopten, wir wollen einen weniger politischen Papst. Also, das heißt, einen Papst, der uns mehr überlässt, hier als Bürger uns zu integrieren, und der nicht in allen Dingen den Leuten immer sagt, geht zur Kirche, wir übernehmen auch die politische Vertretung für euch.

Kassel: Welche Rolle spielt denn der Papst generell in der koptischen Kirche? Ist das das Gleiche wie der Papst bei den Katholiken? Also, ist er zum Beispiel auch der Stellvertreter Gottes auf Erden?

Weber: Ja, also, er ist eben der Nachfolger von Evangelist Markus, der der Tradition nach hier die Kirche gegründet haben soll, die koptische Kirche. Also, es ist wirklich eine der allerältesten Kirchen. Und er ist natürlich das spirituelle Oberhaupt. Er ist kein Staatsoberhaupt, wie das jetzt Papst Benedikt XVI. ja vom Vatikan ist, aber er ist eben, ja, der Ratgeber, der ... vielleicht der Erste unter Gleichen, was es ja auch mal für Rom gab, diesen Ausdruck, also der wichtigste Bischof und, ja, schon natürlich die höchste Autorität hier.

Kassel: Und welche Rolle spielt ein koptischer Papst in der christlichen weltweiten Glaubensgemeinschaft? Also, begegnet er zum Beispiel dem katholischen Papst wirklich auch auf Augenhöhe?

Weber: Das kommt darauf an, wie sehr der katholische Papst sich darauf einlässt, dass es andere Kirchen neben der katholischen gibt! Aber das tut er ja grundsätzlich doch. Und, ja, eben, es ist also ein Patriarch unter vielen anderen Patriarchen, die es gibt, das haben ja, die altorientalischen Kirchen und die orthodoxen Kirchen haben alle diese Oberhäupter und es gibt ja verschiedene Gremien, in denen jetzt nicht unbedingt die katholische Kirche immer vertreten ist, also der ökumenische Rat der Kirchen oder der Kirchenrat des Nahen Ostens, da sind die Kopten auch Teil. Und da ist also Schenuda III., der vorige Papst, immer wieder prominent aufgetreten.

Kassel: Tawadros II. ist der neue Papst der koptischen Christen. Gestern ist er gewählt worden, am 18. November wird er sein Amt bereits antreten. Das war ein Gespräch über ihn und seine Aufgaben mit der Religionssoziologin und Journalistin Anne Françoise Weber in Kairo, Frau Weber, vielen Dank!

Weber: Ich danke!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Anne Françoise Weber
Anne Françoise Weber© Deutschlandradio - Bettina Straub
Mehr zum Thema