Preußens berühmtester Ausreißer
In der Revolution von 1848 war Gottfried Kinkel ein Vorkämpfer für Demokratie und republikanische Werte. Zu lebenslanger Haft verurteilt, flüchtete er abenteuerlich aus der Festung Spandau. Vor 200 Jahren wurde der Politiker und Schriftsteller geboren.
"Sie haben das beste Stück meines Lebens erhöht und verschönt, und das werde ich Ihnen nie vergessen."
Dieses überschwängliche Lob spendete Jacob Burckhardt in einem Brief, den der angehende Kunsthistoriker 1841 nach seinem Bonner Semester an seinen dortigen akademischen Lehrer Gottfried Kinkel schrieb.
Kinkel, der am 11. August 1815 in Oberkassel bei Bonn geborene Pastorensohn, war seit 1837 Dozent für Kirchengeschichte an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn, wechselte aber 1845 ins geisteswissenschaftliche Fach und erhielt dort ein Jahr später eine Professur für Kunst- und Literaturgeschichte. Dank einer hinreißenden Rednergabe wirkte er weit über das akademische Milieu hinaus. Carl Schurz, auch er ein Kinkel-Schüler, der später in den Vereinigten Staaten als Militär und Politiker Karriere machte, notierte in seinen "Lebenserinnerungen":
"Kinkel war ein auffallend schöner Mann und besaß eine wunderbare Stimme. Ihm zuzuhören, war ein musikalischer Genuss und ein intellektueller zugleich."
Mit solchen Gaben ausgestattet, war Kinkel die Idealbesetzung für den "Maikäferbund", einen Literaturzirkel, der als eine wichtige spätromantische Stimme des "Vormärz" galt. Hier lebte er seine literarischen Ambitionen aus. Ein größeres Echo erzielte Kinkel freilich als politischer Publizist und Politiker. Im Revolutionsjahr 1848 in die Redaktion der "Bonner Zeitung" berufen, die vehement für die soziale Demokratie focht, war er fortan Teil einer unüberhörbaren Stimme der Revolution. Und Anfang Februar 1849 zog er als Abgeordneter der Linken in die Zweite Kammer der preußischen Nationalversammlung ein. Nach deren Auflösung durch die preußische Regierung im April 1849 kehrte er frustriert nach Bonn zurück. In der inzwischen "Neuen Bonner Zeitung" schrieb er am 6. Mai:
"Nur vor uns liegt Land, liegt eine Rettung, und sie heißt Republik. Wir werden nicht mehr gefragt, was wir wollen oder wünschen, nur um ein Müssen handelt es sich, und dies Müssen lautet: Untergehen oder Durchschwimmen, Knute oder Freiheitsmütze, Bürgerkrieg oder Einheit."
Gefangen genommen und misshandelt
Diesen Aufruf zum bewaffneten Widerstand nahm der bislang nur mit dem Wort fechtende Demokrat persönlich. Im Juni 1849 schloss er sich dem badisch-pfälzischen Aufstand an. Als Musketier in August Willichs Freikorps wurde ihm schon die erste Feindberührung am 29. Juni im Gefecht an der Murg zum Verhängnis. Sein damaliger Mitstreiter Friedrich Engels schrieb darüber in der "Neuen Rheinischen Zeitung":
"Wir hatten starke Verluste gehabt, darunter Kinkel und Moll. Die beiden Genannten waren mit dem rechten Flügel ihrer Kompanie zu weit vorgegangen. Sogleich aber debouchierte eine Kompanie Preußen aus einem Hohlweg und schoß auf sie. Kinkel stürzte, am Kopf getroffen und ging in einen Bauernhof, wo er von den Preußen gefangen genommen und misshandelt wurde."
Ein preußisches Kriegsgericht verurteilte ihn am 4. August in Rastatt zu lebenslanger Festungshaft, die König Friedrich Wilhelm IV. unter dem Eindruck einer von Kinkels Frau lancierten Öffentlichkeitskampagne in lebenslange Haft in einer "Zivilanstalt" abmilderte. Die im Sog dieses Entrüstungssturms in vielen Städten entstehenden Kinkel-Solidaritätskomitees sammelten nicht nur eifrig Spenden für den Eingekerkerten, sondern trugen auch dazu bei, dass er neben Robert Blum zum populärsten "Revolutionsmärtyrer" aufstieg.
Diese zeitgeistbedingte Überhöhung Kinkels rückt Veit Valentin, der bedeutende Historiker der 48er Revolution, zurecht, wenn er schreibt:
"Er (ist) ein warm fühlender Verfechter der Verbesserungen der Lebensverhältnisse der Armen und Unterdrückten. Er ist Demokrat, Gesinnungssozialist und Prinzipien-Republikaner, am bedeutendsten vielleicht als Leitartikler."
Gottfried Kinkel musste nicht lebenslang hinter preußischen Zuchthausmauern schmachten. In der Nacht vom 6. auf den 7. November 1850 befreite ihn auf abenteuerliche Weise sein ehemaliger Schüler Carl Schurz aus der Festung Spandau. Kinkel floh nach London, musste harte Jahre in der Emigration meistern, ehe er 1866 am Polytechnikum in Zürich eine Professur für Kunst- und Literaturgeschichte bekam. Dort starb er hochgeehrt am 13. November 1882.