Graffiti in der Kanalisation
"Dieser Ort gehört mir", sagt der brasilianische Graffiti-Künstler Zezão stolz. Und dabei meint er einen Ort, dem kaum jemand von uns ihm streitig machen möchte: die Kanalisation von São Paulo. Dort, wo andere einen Horrorfilm drehen würden, macht der 1972 geborene Zezão Kunst.
São Paulo, irgendwo im Norden der Stadt. Favelas links und rechts der Straße. Zezão will dem Gast aus Deutschland seine Kunst zeigen, ist mit ihm auf dem Weg zu dem, was er seine "Galerie" nennt:
"Das ist ein gefährlicher, aber interessanter Ort. Für jemanden, der Abenteuer liebt, ein schöner Ausflug!"
Seit elf Jahren macht Zezão Kunst im Dunkeln, sprüht Graffiti in der Kanalisation von São Paulo. Der 38jährige Künstler wirkt furchtlos mit seinem zackig tätowierten rechten Unterarm, mit der Baseballmütze, der silbern spiegelnden Sonnenbrille und dem T-Shirt der Metal-Gruppe Slayer. "Slayer" bedeutet "Mörder". Würde sein Gast aus Deutschland in dieser Gegend allein herumlaufen, sagt Zezão, würde er vermutlich ausgeraubt oder gar ermordet. Aber in der Gegenwart von Zezão würde ihm schon nichts passieren:
"Weil ich in der Nähe einer Favela geboren bin, weil ich mein ganzes Leben lang Graffiti in Gegenden wie diesen gesprüht habe: in Favelas, Ghettos. Ich schütze mich, indem ich mit diesen Menschen spreche. Meine Kunst kommt ihnen wie ein Geschenk vor: 'Was?! Da kommt jemand an diesen unglaublich hässlichen Ort, um Graffiti für mich zu machen?! Super!"
Als kleiner Junge beobachtete Zezão die Menschen aus den Favelas in der Kneipe seines Vaters. Der ertrug die Trostlosigkeit seiner Gäste nicht und wurde selbst zum Alkoholiker. Das Geld der Familie reichte nicht. So arbeitete Zezão als Botenjunge, um seine Eltern finanziell zu unterstützen. Damals verdiente er im gesamten Jahr weniger als heute für eine einzige Auftragsarbeit. Berühmt aber wurde Zezão aber mit seiner Kunst im Kanal.
Zezão schaltet seine Taschenlampe ein und steigt in eine Öffnung des Kanals. Um nicht mit dem kontaminierten Abwasser in Berührung zu kommen, trägt er einen Schutzanzug, der in Gummistiefel mündet. Es stinkt bestialisch.
"Das sind Kakerlaken. Viele Kakerlaken, oh je!"
Die einzigen Zeugen von Zezãos Kunst hier unten. Sie flüchten vor dem Schein der Taschenlampe, huschen über den festhängenden Müll und die Betonwände, meiden jene Lichtkegel, die Zezãos blaue Graffiti-Ornamente auf natürliche Weise beleuchten: Die Sonne dringt durch die Kanaldeckel. Und darunter hat Zezão seine Kunst gesprüht: Hellblaue Kreise und Haken, jeweils dunkelblau umrandet, schmiegen sich aneinander. Zezão deutet auf ein paar ausgewaschene Graffiti:
"Das hier ist sehr alt. Das da auch. Das da vorne etwas neuer. Das wieder älter. Ein magischer Ort."
Plötzlich leuchtet Zezão auf etwas längliches Weißes, das aus der dunklen Brühe ragt:
"Ich glaube, das ist der Knochen eines Menschen. Ein Oberschenkelknochen, oder? Das muss ich fotografieren."
Zezão zückt sein Smartphone, beugt sich vornüber und macht ein paar Fotos.
"Hier sind schon viele Menschen gestorben. Ich habe das in den Nachrichten gesehen, dass sie hier Menschen ermordet und dann ins Wasser geworfen haben. Aber ich selbst hatte bisher viel Glück und hatte hier noch nie eine menschliche Leiche gefunden. Nur Hunde und Katzen. Das ist normal, dass man hier auf ein paar tote Tiere stößt."
Allein die toten Tiere, der Gestank, die Dunkelheit würden einigen schon reichen. So auch auch Zezãos Ehefrau:
"Am Anfang war es für sie etwas schwer, Verständnis für meine Arbeit hier aufzubringen. Heute weiß sie, dass diese Kunst sehr wichtig für meine Karriere war. Ich bin zum ersten Mal hier heruntergegangen, als ich sehr depressiv war. Mein Leben war wie ein schleichender Selbstmord verlaufen. Ich hatte meinen Vater und meine Mutter sehr früh verloren, hatte nichts zu essen. Wenn man depressiv ist, ist man ganz unten. Also bin ich auch nach unten gegangen, um hier zu arbeiten und über mein Leben nachzudenken."
Und so begann Zezão damit, Graffiti im Dunkeln zu sprühen. Und zog sich mit seiner Kunst gewissermaßen selbst aus dem Kanal, ans Licht:
"Meine Arbeit ist Medizin, Exorzismus, eine Friedensbotschaft. Dieser Ort ist ja schon ein Ort des Vandalismus, ist schon zerstört. Da kann ich ihn mit meinen Graffiti ja nicht noch mehr zerstören. Ich arbeite mit blauer Farbe, weil ich mit Blau Ruhe verbinde, Frieden. Wir sind ja hier in der Hölle!"
Heute kann Zezão von Auftragsarbeiten über der Erde leben, von knallbunten abstrakten Graffiti-Gemälden. Aber das hält ihn nicht davon ab, immer wieder in die finstere Kanalisation zurückzukehren:
"Ich kann doch meine Wurzeln nicht vergessen! Das hier ist meine Kirche. Hier spreche ich mit Gott und danke ihm dafür, dass die Menschen meine Arbeit verstehen und akzeptieren. Hier mache ich Kunst, bin dankbar, spreche mit niemandem, verdiene kein Geld. Hier ist mein Zuhause, mein Atelier."
"Das ist ein gefährlicher, aber interessanter Ort. Für jemanden, der Abenteuer liebt, ein schöner Ausflug!"
Seit elf Jahren macht Zezão Kunst im Dunkeln, sprüht Graffiti in der Kanalisation von São Paulo. Der 38jährige Künstler wirkt furchtlos mit seinem zackig tätowierten rechten Unterarm, mit der Baseballmütze, der silbern spiegelnden Sonnenbrille und dem T-Shirt der Metal-Gruppe Slayer. "Slayer" bedeutet "Mörder". Würde sein Gast aus Deutschland in dieser Gegend allein herumlaufen, sagt Zezão, würde er vermutlich ausgeraubt oder gar ermordet. Aber in der Gegenwart von Zezão würde ihm schon nichts passieren:
"Weil ich in der Nähe einer Favela geboren bin, weil ich mein ganzes Leben lang Graffiti in Gegenden wie diesen gesprüht habe: in Favelas, Ghettos. Ich schütze mich, indem ich mit diesen Menschen spreche. Meine Kunst kommt ihnen wie ein Geschenk vor: 'Was?! Da kommt jemand an diesen unglaublich hässlichen Ort, um Graffiti für mich zu machen?! Super!"
Als kleiner Junge beobachtete Zezão die Menschen aus den Favelas in der Kneipe seines Vaters. Der ertrug die Trostlosigkeit seiner Gäste nicht und wurde selbst zum Alkoholiker. Das Geld der Familie reichte nicht. So arbeitete Zezão als Botenjunge, um seine Eltern finanziell zu unterstützen. Damals verdiente er im gesamten Jahr weniger als heute für eine einzige Auftragsarbeit. Berühmt aber wurde Zezão aber mit seiner Kunst im Kanal.
Zezão schaltet seine Taschenlampe ein und steigt in eine Öffnung des Kanals. Um nicht mit dem kontaminierten Abwasser in Berührung zu kommen, trägt er einen Schutzanzug, der in Gummistiefel mündet. Es stinkt bestialisch.
"Das sind Kakerlaken. Viele Kakerlaken, oh je!"
Die einzigen Zeugen von Zezãos Kunst hier unten. Sie flüchten vor dem Schein der Taschenlampe, huschen über den festhängenden Müll und die Betonwände, meiden jene Lichtkegel, die Zezãos blaue Graffiti-Ornamente auf natürliche Weise beleuchten: Die Sonne dringt durch die Kanaldeckel. Und darunter hat Zezão seine Kunst gesprüht: Hellblaue Kreise und Haken, jeweils dunkelblau umrandet, schmiegen sich aneinander. Zezão deutet auf ein paar ausgewaschene Graffiti:
"Das hier ist sehr alt. Das da auch. Das da vorne etwas neuer. Das wieder älter. Ein magischer Ort."
Plötzlich leuchtet Zezão auf etwas längliches Weißes, das aus der dunklen Brühe ragt:
"Ich glaube, das ist der Knochen eines Menschen. Ein Oberschenkelknochen, oder? Das muss ich fotografieren."
Zezão zückt sein Smartphone, beugt sich vornüber und macht ein paar Fotos.
"Hier sind schon viele Menschen gestorben. Ich habe das in den Nachrichten gesehen, dass sie hier Menschen ermordet und dann ins Wasser geworfen haben. Aber ich selbst hatte bisher viel Glück und hatte hier noch nie eine menschliche Leiche gefunden. Nur Hunde und Katzen. Das ist normal, dass man hier auf ein paar tote Tiere stößt."
Allein die toten Tiere, der Gestank, die Dunkelheit würden einigen schon reichen. So auch auch Zezãos Ehefrau:
"Am Anfang war es für sie etwas schwer, Verständnis für meine Arbeit hier aufzubringen. Heute weiß sie, dass diese Kunst sehr wichtig für meine Karriere war. Ich bin zum ersten Mal hier heruntergegangen, als ich sehr depressiv war. Mein Leben war wie ein schleichender Selbstmord verlaufen. Ich hatte meinen Vater und meine Mutter sehr früh verloren, hatte nichts zu essen. Wenn man depressiv ist, ist man ganz unten. Also bin ich auch nach unten gegangen, um hier zu arbeiten und über mein Leben nachzudenken."
Und so begann Zezão damit, Graffiti im Dunkeln zu sprühen. Und zog sich mit seiner Kunst gewissermaßen selbst aus dem Kanal, ans Licht:
"Meine Arbeit ist Medizin, Exorzismus, eine Friedensbotschaft. Dieser Ort ist ja schon ein Ort des Vandalismus, ist schon zerstört. Da kann ich ihn mit meinen Graffiti ja nicht noch mehr zerstören. Ich arbeite mit blauer Farbe, weil ich mit Blau Ruhe verbinde, Frieden. Wir sind ja hier in der Hölle!"
Heute kann Zezão von Auftragsarbeiten über der Erde leben, von knallbunten abstrakten Graffiti-Gemälden. Aber das hält ihn nicht davon ab, immer wieder in die finstere Kanalisation zurückzukehren:
"Ich kann doch meine Wurzeln nicht vergessen! Das hier ist meine Kirche. Hier spreche ich mit Gott und danke ihm dafür, dass die Menschen meine Arbeit verstehen und akzeptieren. Hier mache ich Kunst, bin dankbar, spreche mit niemandem, verdiene kein Geld. Hier ist mein Zuhause, mein Atelier."