Graffiti-Szene in Bogotá

Sprayer gegen Gewalt, Korruption und Unterdrückung

Karl Marx mit Gießkanne: Ein Graffiti auf dem Gelände der Universidad Nacional in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá.
Karl Marx mit Gießkanne: Ein Graffiti auf dem Gelände der Universidad Nacional in Bogotá. © Deutschlandradio / Johannes Kulms
Von Johannes Kulms |
Selbst Justin Bieber hat in Bogotá unter Polizeischutz nach einem Konzert die Sprühdose gezückt. Die kolumbianische Metropole hat eine dynamische Graffiti-Szene. Manche Sprayer-Projekte werden inzwischen sogar offiziell von der Stadt gefördert.
Rund zweieinhalb Stunden dauert die Graffiti-Tour durch La Candelaria - der Altstadt von Bogotá. Zur Halbzeit stoppt die Truppe von etwa 30 Leuten vor einer beeindruckend bemalten Hauswand - und hört aufmerksam J zu - einem eher kleinen Mann Mitte 30 mit Sonnenbrille - und einer kräftigen Stimme:
"Die Jungs hier waren clever: Sieben Leute sind an einem Sonntagmorgen hierhergekommen, um sechs Uhr haben sie an der Tür des Hauses geklingelt und gesagt: 'Wir sind von der Stadt und sollen die Wand hier anmalen.' Nach einer halben Stunde hatten sie die Wand hellblau angemalt, dann 15-20 Minuten trocknen lassen und dann haben sie 30 bis 40 Minuten für ihre Tags gebraucht. Als die Tags fertig waren, waren sie schon verschwunden. Das Ganze hat insgesamt gerade mal zwei Stunden gedauert."
Kritik gegen Polizeigewalt: Ein Graffiti in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá.
Kritik gegen Polizeigewalt: Ein Graffiti in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá.© Deutschlandradio / Johannes Kulms

Mehrere Sprayer von der Polizei erschossen

Doch solche Aktionen sind mittlerweile seltener geworden in Bogotá - haben sich die Graffiti-Künstler und ihre Werke doch mittlerweile fest im Stadtbild der 10-Millionen-Metropole etabliert. Heute können viele Sprayer tagsüber ihrer Arbeit nachgehen - sofern sie die Erlaubnis der Hauseigentümer oder der Stadt haben.
Dem vorausgegangen waren mehrere Fälle, in denen die Polizei Graffiti-Künstler erschossen hat, erklärt J:
"Der letzte Fall liegt nun fast fünf Jahre zurück. Ein 16-jähriger Künstler war dabei, unter einer Brücke zu sprayen. Dann sah er die Polizei kommen und lief weg. Die Polizisten haben ihm dann in den Rücken geschossen. Kurz danach sagten sie, es habe sich um einen Raub gehandelt. Die ersten Wochen hielt diese Version, aber dann meldeten sich die Eltern des Jugendlichen zu Wort und mobilisierten die Graffiti-Community. Der Protest war so stark, dass der Fall schließlich vor Gericht kam."
Als Reaktion auf den Fall kamen die Behörden den Graffiti-Künstlern entgegen: Bestrafungen wurden gelockert und Projekte für Sprayer ins Leben gerufen, die von der Stadt gefördert wurden.
In der Altstadt sind die meisten Wandbilder und Tags eher unpolitisch, doch an vielen Straßenzügen Bogotás wird offen gesprayte Kritik geübt - an korrupten Politikern, an der Unterdrückung der Ureinwohner, an der Gewalt in Kolumbien.

Viele neue Wände dank der Transmilenios

Seit einigen Jahren rasen sogenannte Transmilenios durch Bogotá. Die roten Schnellbusse mit eigenen Spuren haben die Stadt - und damit auch die Graffiti-Szene stark verändert, sagt die Geografin Nataly Díaz Cruz:
"Als man ab dem Jahr 2000 anfing, die Straßen für das Schnellbus-System zu verbreitern, mussten Häuser abgerissen werden. Und übrig davon blieben Mauern und Fassaden. Und da gab es eine Graffiti-Explosion. Viele Künstler nutzten ihre neue Freiheit und die plötzlich frei gewordenen Flächen an den großen Straßen, die es davor nicht gab. "
Als Treffpunkt für das Interview hat die 30-Jährige die Universidad Nacional vorgeschlagen - der größten und wichtigsten Hochschule des Landes. Das Uni-Gelände ist übersät mit Graffitis - von denen viele höchstpolitisch sind.
"Unter diesem Wandbild hier, steht: 'Nicht eine Minute Schweigen' - und die Silhouetten darüber stellen Arbeiter dar. Die Fahnen wiederum stehen für die Union Patriótica - einer linken Bewegung, die hier stark verfolgt wurde ab den 80er-Jahren."

Nicht alle sprayen mit Genehmigung

Was die Graffiti-Künstler von Bogotá seit Kurzem besorgt, ist die Politik von Bürgermeister Enrique Peñalosa. Der plant zwar mehr Budget für die Sprayer, will aber gleichzeitig die Flächen für künstlerische Graffiti einschränken. Die Vorstellung, dass künftig die Stadt entscheidet, was künstlerisches Graffiti ist und was nicht, geht vielen in der Szene gegen den Strich.
Sprayer Lorenzo steht in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá vor einem unvollendeten Werk.
Sprayer Lorenzo steht vor einem unvollendeten Werk.© Deutschlandradio / Johannes Kulms
Lorenzo vom bekannten Graffiti-Kollektiv APC will sich davon nicht entmutigen lassen. Ich habe immer illegal gesprayt, sagt der 30-Jährige, der an diesem Mittag gerade dabei ist, ein aufwendigeres Graffiti auf eine Wand zu bringen:
"Für mich ist Graffiti wie ein Droge. Es ist wie eine Unterhaltung mit der Stadt. Es hat die Macht des Dialogs - genauso wie das Radio oder die großen Werbeagenturen."
Und gleichzeitig zeigt sich Lorenzo auch skeptisch: Skeptisch darüber, dass mit Touristenführungen über Graffiti Geld gemacht wird. Und noch etwas:
"Jetzt malt irgendwie jeder was er will - ohne sich genau Gedanken darüber zu machen, was. Aber das muss man sich doch überlegen!"
Sagt Lorenzo, zieht sich sein Tuch wieder vor' s Gesicht und greift zur Spraydose.
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