Grandioser Gemischtwarenladen

Von Volkhard App |
"Made in Germany Zwei" im Sprengel Museum ist eine große Überblicksschau von 45 jungen internationalen Künstlern, die in Deutschland leben und arbeiten. Zahlreiche Arbeiten entstanden eigens für die Ausstellung. Die erste Ausgabe vor fünf Jahren findet damit eine Fortsetzung.
Installationen prägen das Gesicht von "Made in Germany Zwei” - und sind am schönsten, wenn Künstler Figuren und Ereignisse für ihre Werke erfunden und einen eigenen Kosmos aufgebaut haben. So handelt Dirk Dietrich Hennig von einem Kollegen, der nur in seiner Fantasie existiert: einem belgischen Fluxuskünstler, von dessen ominösem Tod sogar fingierte Illustriertentitel berichten. In der Kestnergesellschaft überrascht eine triste Hausfassade mit Treppe - und einem langen unwirklichen Korridor mit angrenzenden Zimmern. Es sind die Räume einer Nervenklinik, in der sich der Fluxuskünstler einst behandeln ließ. Er selber ist hier als riesige Puppe präsent. Eine von Dirk Dietrich Hennig wundersam ausformulierte Biografie:

"Vordergründig ist dabei nicht so sehr das Rollenspiel als die Infragestellung von Glaubwürdigkeit und Authentizität in der Geschichtswahrnehmung - besonders in der Wahrnehmung der Kunstgeschichte, der Moderne."

Einer anderen Figur namens Theo Grünberg ist der Künstler Simon Fujiwara auf der Spur und hat im Kunstverein Hannover die nachgelassene Bibliothek dieses Mannes aufgebaut – die von erotischen Lexika bis zu Politbroschüren aus der DDR reicht und atmosphärisch derart beeindruckt, dass der Besucher nicht anders kann, als sich die kunstvoll ausgesparte Person vorzustellen.

Hier und da schimmern Traditionen durch. Mancher wird vielleicht ans Bauhaus und an Oskar Schlemmer denken bei der großen Bühne, die Suse Weber in der Eingangshalle des Sprengel Museums errichten ließ. Bewegliche Wandteile mit einsteckbaren farbigen Tafeln, Ornamenten meist, sind zu sehen und vier abstrakte Figuren, die die Künstlerin Marionetten nennt und bei ihren Performances bewegen wird:

"Ich bezeichne sie selbst als emblematische Skulpturen, jedes Element kann man als eine Art Zeichen lesen, jede Schraube, jedes Detail in der Konstruktion der Marionette. Jedes Bildelement ist gleichberechtigt in dieser emblematischen Skulptur, es ist ein eigenes Sprachsystem. Ich schreibe eigentlich mit dieser Arbeit."

"Made in Germany” ist ein grandioser Gemischtwarenladen, in dem auch Malerei berücksichtigt wird: auffällig sind die von Matti Braun in leuchtenden Farben auf Seide gebrachten Motive. Unter den Fotos zieht eine Serie von Sven Johne die Blicke an. Er hat verschiedene Plätze eines Wanderzirkus besucht, den er aus DDR-Zeiten kennt. Brachflächen neben banalen Siedlungen, tiefe Furchen, Reste von Sägemehl – das Sittenbild einer trostlosen Existenz.

45 Künstlerinnen und Künstler sind an den drei hannoverschen Schauplätzen vertreten, ausgesucht von einem neunköpfigen Team, das rund Hundert Ateliers besichtigt hat und zu großen Teilen in Berlin fündig geworden ist. Schon wird "Made in Germany” in anderen Medien als "Leistungsschau” der in Deutschland produzierten Kunst bezeichnet. Ulrich Krempel, Direktor des Sprengel Museums:

"'Leistungsschau' erinnert mich an Bullenparade. Was diese Ausstellung kann: ausgewählte Künstlerinnen und Künstler mit exemplarischen Arbeiten vorzustellen. Und das tut sie - sie behauptet nicht, dass das hier ein soziologischer Querschnitt sei oder irgendetwas Repräsentatives. Denn die Kunst repräsentiert erst einmal sich selber und die Werke. Die Ausstellung zeigt junge Künstlerinnen und Künstler, die in Deutschland leben und arbeiten. Wir glauben, dass dieses nachvereinigte Deutschland, in dem wir uns befinden, schon etwas Besonderes ist. Da gibt es diese große amorphe Stadt Berlin, die wunderbare Bedingungen für künstlerisches Arbeiten bietet. Und so haben wir angefangen, diese Ausstellung in die Welt zu setzen. Und jetzt gibt es die zweite Runde mit einem neuen jungen Team von Kuratorinnen und Kuratoren, die sich das alles angeguckt haben."

Einen dezidiert politischen Anspruch, wie ihn zur Zeit die "Berlin Biennale” oder das Fotoprojekt "Making History” in Frankfurt am Main formulieren, hat die hannoversche Großveranstaltung nicht. Sie überlässt sich dem breiten Spektrum der zeitgenössischen Moderne - und hat manchmal Mühe, diese überbordende Vielfalt räumlich plausibel zu präsentieren. Oberbegriffe wie "Vernetzungen” oder "Narrativität” spielen im Katalog eine Rolle, nicht so sehr an den Orten selbst. Hier muss der Besucher seinen eigenen Weg durch die Gemengelage finden, Zusammenhänge herstellen, darf hier und da die Stirn runzeln oder sich von einem bisher nicht so vertrauten Künstler anziehen lassen. Im Ganzen eine spannende Angelegenheit.

Erneut beginnt "Made in Germany” vor der Documenta und verläuft dann parallel zu ihr. Man spekuliert dabei nicht nur auf zusätzliche Kulturtouristen, sondern meint sogar, das Großereignis in Kassel könnte von "Made in Germany” Impulse erhalten. Ulrich Krempel:

"Ich denke schon, weil die Generation von Künstlerinnen und Künstlern, die wir ausstellen, deutlich jung ist. Das ist auf der Documenta viel breiter gestreut. Und wenn ich mir die eigenartigen Auftritte der Documenta gegen einen großen deutschen Bildhauer in Kassel jetzt anschaue, wo man zetert, der müsse eine Skulptur von einem Kirchendach nehmen, weil das den Eindruck dieser Documenta, auf der keine Menschenbilder gezeigt werden sollen, zerstören könnte, dann muss ich sagen, das ist ja eine furchtbare bürokratische Besorgnis, die da aus Kassel kommt. Da konterkariert sich eine der großen Kunstausstellungen fast von selbst."

Für viele der beteiligten Künstlerinnen und Künstler wird auch "Made in Germany Zwei” einen Aufmerksamkeitsschub bringen. Zumal die Veranstaltung schon mit ihrer zweiten Folge in der öffentlichen Wahrnehmung erstaunlich gut etabliert ist.