Graphic Novel "Blacksad"

Mutiger und erwachsener als Walt Disney

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"Blacksad" Cover vor orangenem Hintergrund.
Für unseren Kritiker Stefan Mesch ist "Blacksad" ein meisterhafter Comic mit ebenso liebevollem wie schonungslosem Blick auf die USA der 1950er Jahre. © Carlsen Verlag/Juan Diaz Canales, Juanjo Guarnido
Von Stefan Mesch |
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Die Krimireihe "Blacksad" ist dabei, ein Comic-Klassiker zu werden. Die nun um einen sechsten Teil ergänzte Reihe spielt in einem Erzähluniversum vermenschlichter Tiere. Doch anders als Walt Disneys Storys ist "Blacksad" harter Stoff für Erwachsene.
John Blacksad, ein schwarzer Kater, kämpfte im zweiten Weltkrieg und arbeitet jetzt, in den 50er Jahren, als Detektiv in New York. Er ist lose mit Weekly befreundet. Der ist klein, vorlaut und fotografiert Tatorte für eine Illustrierte.
In bisher sechs Comicbänden wird Blacksad in Fälle verwickelt, die an den Film Noir erinnern: Korruption, Vertuschungen und eine Menge Verdächtige, die meist ein poetisch-schlimmes oder schaurig-ungerechtes Ende finden. In mancher Hinsicht ist "Blacksad", solide geschrieben von Juan Díaz Canales und meisterhaft gezeichnet von Juanjo Guarnido, altbekannt und Schema F.

Ein Seeadler plant Schnellstraßen

Besonders wird die schon mehrfach preisgekrönte Reihe durch ihr Figurendesign: John ist ein schwarzer Kater, Weekly ein Wiesel. Im aktuellen Band leitet eine Lama- oder Alpaka-Frau einen Schauspielworkshop, ein Seeadler plant Schnellstraßen quer durch die Stadt.
Canales und Guarnido waren in den 90er-Jahren Zeichner und Storyboardkünstler für Disney, und viele Figuren erinnern besonders an die Trickserie "Käpt'n Balu und seine tollkühne Crew" (1990), in der Balu aus dem "Dschungelbuch" Pilot in einer Küstenstadt der 30er-Jahre wurde und Tiger Shir Khan elegante, zeitgemäße Anzüge trug.
Auch das "Furry"-Fandom, das vermenschlichte Tiere in Szene setzt und oft sexualisiert, greift solche Impulse auf und spielt sie zurück: In "Blacksad" haben Katzenfrauen Menschenbrüste, Brustwarzen und Nacktszenen wie die 50er-Jahre-Pin-ups.

Liebevoller Blick auf die 50er-Jahre

Schmierige Tierwesen also, in einer 08/15-Krimi-Pastiche? Nein, vielmehr einer der liebevollsten, akribischsten, handwerklich genauesten Rückblicke auf Ängste, Themen und Designs der 50er-Jahre. Es ist ein Comic, der zwar keine besonders originelle Bildsprache hat – doch eben eine ganz besondere, unvergessliche Bildstimmung: Figuren, wie man sie aus dem Kinder-TV kennt, in politischen, abgründigen, oft gesucht literarischen Geschichten.
Jeder Band steht gut für sich allein: Band 2 und Band 4 sind besonders gelungen. Der aktuelle Band 6 "Wenn alles fällt" eröffnet den ersten Zweiteiler der Reihe, und nimmt sich deshalb zum ersten Mal auch für die Frauen- und Nebenfiguren genügend Raum.

Pionierarbeit mit einem Indiecomic

Wie wichtig und bahnbrechend solche Comics sind, bewies 2016 "Zootopia" (deutsch "Zoomania"), ein guter Disney-Film über Korruption, Vertuschungen und Tierfreundschaften in einer Großstadt, in der Pflanzen- und ehemalige Fleischfresser Frieden suchen. "Zootopia" ist besser, glatter, griffiger erzählt, denn viele "Blacksad"-Plots wirken überkonstruiert, voller Zufälle und hastiger Auflösung.
Doch die "Zootopia"-Moral, "Gib dir Mühe und hilf', durch Weltoffenheit die ganze Welt zu ändern: Geh doch zum Beispiel zur Polizei!", ist "Copaganda". "Blacksad" ist machtkritischer, erwachsener, mutiger – und eben das Herzens- und Soloprojekt zweier Leute unter 30, die viel riskierten im Jahr 2000. Sie schufen ein Erfolgsmodell und leisteten als Indiecomic Pionierarbeit.

Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen

Ein Fall für Doktorarbeiten und lange Werkstattgespräche aber ist der Umgang mit Race und Rassifizierung bei "Blacksad": Dunkles Fell wird im Comic meist mit dunkler Haut gleichgesetzt – doch andererseits hat John Freiräume und Wagemut, den sich Schwarze Menschen in den 50er-Jahren nicht leisten konnten. Was heißt es, ein "Vogel" zu sein und sich "Vogel" zu nennen, wenn man nicht fliegen kann und wirkt wie ein Mensch mit Vogel-Kopf? Und: Können verschiedene Spezies Kinder zeugen?
"Rassifizierung" ist eine Machtgeste und hat wenig mit tatsächlicher Herkunft zu tun: Es sind die Mächtigen, die vorgeben, dass bestimmte Personengruppen eben anders seien und nicht dazu gehörten. Wer aus Irland in die USA migrierte, hörte noch damals, er sei eine Art Affe.
Vor solchen Abgründen wirkt es zweischneidig, wenn eine Bar im Comic nur von Echsen und Reptilien besucht wird: Was sagt der Comic über Race, wenn er eine rassifizierte Gruppe so zeichnet, dass sie von uns und von anderen Figuren im Comic sofort als deutlich sich abgrenzende "Art" gesehen wird?
Ein Comic, der sagt: "Mein Vater erinnert mich an einen Eisbären", sagt etwas anderes als einer, der in jedem Bild zeigt "Wir Grubenarbeiter sind Maulwürfe und Ratten" oder "diese Voodoo-Priesterin in New Orleans ist ein Affe".

Juan Díaz Canales (Text) und Juanjo Guarnido (Zeichnungen): "Blacksad: Wenn alles fällt. Teil 1"
Übersetzt von Harald Sachse, ab 14 Jahren
Carlsen Verlag, 2021
68 Seiten, 16 Euro

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