Graphic Novel: "Ein Sommer am See"

Wie man in den Ferien erwachsen wird

Ausschnitt aus dem Comic "Ein Sommer am See" von Jillian und Mariko Tamaki
Ausschnitt aus dem Comic "Ein Sommer am See" von Jillian und Mariko Tamaki © Reprodukt Verlag
Von Christian Rabhansl |
Rose und ihre Ferienfreundin diskutieren am Strand die Größe ihrer Brüste. Sie beobachten die Jungs und schauen abends heimlich Gruselfilme. Gleichzeitig erlebt Rose, wie ihre Familie zerfällt. Das kanadische Künstlerduo Mariko und Jillian Tamaki erzählt eine Coming-of-Age-Geschichte auf künstlerisch hohem Niveau.
Rose ist kein Kind mehr, aber auch noch lange keine Frau. Sie verbringt den Sommer – wie "eigentlich schon immer" – mit ihren Eltern im Ferienhaus am See. Dort trifft sie – ebenfalls wie immer – ihre eineinhalb Jahre jüngere Ferienfreundin Windy.
Alles scheint wie gewohnt. Und doch: Wie es sich für eine Coming-of-Age-Geschichte gehört, wird Rose sich verändert haben, wenn ihre Familien wieder abreisen.
Mariko und Jillian Tamaki, ein Künstlerduo kanadischer Kusinen, erzählen in ihrer Graphic Novel "Ein Sommer am See" (Reprodukt) eine typische Geschichte des Erwachsenwerdens: Rose und Windy faulenzen am Strand, diskutieren lustvoll kichernd über die künftige Größe ihrer eigenen "Brrrrüste!" und "Möpsssssse!", sie beobachten die Jungs und schauen heimlich, die Augen halb zugehalten, Gruselfilme. Der wahre Horror aber, das ist klar, liegt im Erwachsenwerden.
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Wie im Traum taumelt die Ich-Erzählerin durch den Sommer
Wie im Traum taumelt die Ich-Erzählerin Rose durch die Sommertage. Rose stellt sich diesem Sommer als Beobachterin: Durch ihre Augen betrachten wir, wie die Familie zerfällt und wie die Dorfjugendlichen zanken und wie manches dann doch gut wird.
Sprache und Bilder ergänzen sich perfekt. Die Worte (Mariko Tamaki) sind knapp gewählt, die Zeichnungen (Jillian Tamaki) konzentrieren sich auf die widerstrebenden Gefühle der leisen Heldin.
Wenn die Spannungen zwischen ihren Eltern wachsen, betrachten wir die Szene aus Roses Blickwinkel, über die elterlichen Schultern, sehen die uns abgewandten Figuren, ihre Rücken. Wir liegen mit Rose im Dunkeln auf dem Sofa. Wie sie sich von den Eltern lösen will – aber auch wie sie unter der Distanz leidet – all das liegt in dieser Perspektive und benötigt kein weiteres Wort.
Das Buch ist von einer naiven Ernsthaftigkeit geprägt
Damit haben sich die Autorinnen zwar einerseits um die Möglichkeit gebracht, ihrer Erzählung mehr Ambivalenz zu verleihen. Dies ist kein Buch, dass man immer wieder lesen wird, auf der Suche nach raffinierten Bedeutungs-Ebenen, die man beim ersten Lesen übersehen hat.
Wer solche Graphic Novels liebt, die mit Bildsprache experimentieren und graphisch Neues wagen, könnte enttäuscht sein. Andererseits entsteht gerade durch diese beinahe naive Ernsthaftigkeit das unbedingte Gefühl, diese Geschichte nicht bloß zu lesen, sondern zu erleben.
Mariko und Jillian Tamaki haben (nach "Skim", 2008) ihre Zusammenarbeit zur Meisterschaft gebracht. Grafischer und sprachlicher Stil gehen Hand in Hand, sie sind ganz beieinander. Klare Linien, nur ein wenig Aquarell, alles in Indigo-Tönen – es ist erstaunlich, wie viel Wärme diese tiefblauen Farben ausstrahlen.
Wer eine solide erzählte Coming-of-Age-Geschichte zu schätzen weiß, ist mit diesem Buch bestens bedient. Zu empfehlen als Einstiegslektüre ist es auch jedem, der bislang mit Graphic Novels wenig anfangen konnte. Und natürlich allen, die selbst gerade vor der furchterregenden Herausforderung stehen, erwachsen zu werden.
Einblicke ins Buch
Mariko Tamaki, Jillian Tamaki: Ein Sommer am See
Reprodukt Verlag, Juli 2015
320 Seiten, 29 Euro
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